Einleitung

 

Die Texte erschienen 1999 in der von Professor Dr. Siegfried Hermle herausgegebenen Publikation "Reformationsgeschichte Württembergs in Porträts" beim Hänssler Verlag in Holzgerlingen. Wir danken dem Verlag, dem Herausgeber und den Autoren für die freundliche Genehmigung zur Verwendung der Texte zum 500. Reformationsjubiläum.

 

 

Matthäus Alber und die Reformation in Reutlingen

Von: Hermle, Siegfried

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Ausbildung und erste Wirksamkeit
  2. 2: Auf dem Weg zur Reformation: Markteid und erste deutsche Messe
  3. 3: ”Schwäbisches Worms”
  4. 4: Bewährung der Reformation
  5. 5: Festigung der Reformation in Reutlingen und Tätigkeit Albers außerhalb der Reichsstadt
  6. 6: Alber in württembergischen Diensten
  7. 7: Resümee
  8. Anhang

Stadtansicht von Reutlingen

Merian, Topographia Sueviae, 1643

War in zahlreichen Reichsstädten bereits im Verlauf des 15. Jahrhunderts dem Bedürfnis der Bürger nach einer Auslegung des Wortes Gottes durch die Stiftung einer Prädikantenstelle Ausdruck verliehen worden, so wurde in Reutlingen eine solche Prädikatur vom Rat der Stadt erst am 7. Januar 1521 eingerichtet.(1) Die Stiftung erfolge zum Lob und zur Ehre Gottes und solle der Auslegung der Schrift dienen und damit zum rechten Glauben, christlicher Hoffnung, wahrer göttlicher Liebe, Vermeidung von Lastern und Übung der Tugend führen. Voraussetzung für die Berufung war eine überdurchschnittliche Qualifikation und ein guter Lebenswandel.(2)

Mit dieser Stiftung hatte sich der Rat das Recht zur Besetzung einer Theologenstelle gesichert, lag das Patronat über die Stadtpfarrstelle - also die Auswahl und Benennung des Pfarrers und der Helfer - doch beim Abt von Königsbronn. Zugleich war durch sie ein entscheidender Schritt hin zur späteren Reformation der Stadt getan, auch wenn diese Stiftung selbst, deren evangelischer Grundton durch Hinweis auf die besondere Bedeutung der Schrift evident ist, noch nicht auf einen frühreformatorischen Geist zurückgeführt werden darf. Die Stadt ließ sich die Stiftung ganz traditionell vom zuständigen Bischof von Konstanz bestätigen und auch die Investitur des ersten Stelleninhabers am 8. November 1521 wurde formgerecht durch die bischöfliche Kurie vorgenommen.

1: Ausbildung und erste Wirksamkeit

Matthäus Alber: Ausschnitt aus dem Epitaph in der Stadtkirche Blaubeuren, 1570

Der von Rat der Stadt für die Prädikatur ausersehene Matthäus Alber hatte die geforderte Qualifikation durch Studien in Tübingen und Freiburg erlangt. Er entstammte einer in Reutlingen seit langem ansässigen Handwerkerfamilie, deren Mitglieder immer wieder zu Ratsherren und Richtern gewählt worden waren. Der Vater des am 4. Dezember 1495 geborenen Matthäus war der Goldschmied Jodocus Alber ca.1460-1503 über seine Mutter Anna Schelling gest. 1532 ist nichts weiter bekannt. Das Jahr 1503 brachte der Familie doppeltes Unglück: Haus und Vermögen wurden bei einem großen Brand zerstört, wenig später starb der Vater. Dies mag der Grund dafür gewesen sein, weshalb Alber nach einem ersten Unterricht an der Reutlinger Lateinschule im Folgenden das unstete Wanderleben eines fahrenden Schülers führen musste und sich als Kurendesänger seinen Lebensunterhalt zu verdienen hatte. Alber besuchte die Lateinschulen in Schwäbisch Hall, Rothenburg o.d.T. und Straßburg. 1511 kehrte er nach Reutlingen zurück und wirkte als Hilfslehrer an der städtischen Lateinschule. Doch bereits zwei Jahre später ließ er sich im November 1513 an der Universität Tübingen immatrikulieren und begann an der Artistenfakultät das seinerzeit übliche philosophische Grundstudium. Im Mai 1516 wurde Alber zum "Baccalaurius artium", im Januar 1518 dann zum "Magister artium" promoviert. Besonders erwähnenswert ist neben der Tatsache, dass er seinen Lebensunterhalt durch Unterricht an der Tübinger Lateinschule verdiente und später auch Musik lehrte, die Begegnung mit Philipp Melanchthon 1497-1560 Alber gehörte zu jenem Kreis junger humanistisch gesonnener Universitätsangehöriger, die sich um Melanchthon scharten und an dessen Kursen über griechische Grammatik, Terenz, Vergil und Livius teilnahmen. Ob in diesem Kreis frühe Schriften Martin Luthers 1483-1546 gelesen wurden, muss offen bleiben. Sicher ist, dass das humanistische Grundanliegen, "zurück zu den Quellen", eine zentrale Rolle spielte und deshalb nicht allein die griechische Sprache erlernt wurde, sondern auch das Studium der Heiligen Schrift ins Blickfeld rückte.

Als Melanchthon 1518 einen Ruf nach Wittenberg erhielt, begleitete ihn Alber auf der ersten Etappe seiner Reise bis nach Stuttgart, wo man gemeinsam den Onkel Melanchthons, den großen Humanisten und Verfasser der ersten hebräischen Grammatik Johannes Reuchlin 1455-1522 besuchte. Nach Tübingen zurückgekehrt begann Alber mit dem Studium der Theologie. Bald - wohl 1519 - führte ihn sein Weg nach Freiburg, wo im Gegensatz zu Tübingen der Humanismus die scholastische Theologie schon stärker verdrängt hatte. Spätestens in Freiburg muss Alber auch Luthers Schriften kennengelernt haben. Offiziell immatrikuliert wurde Alber in Freiburg jedoch erst am 1. Juni 1521, bereits fünf Tage später wurde er zum Baccalaurius biblicus promoviert. Nachdem er der damaligen Gepflogenheit entsprechend selbst Vorlesungen gehalten hatte, erlangte er am 8. August den Grad eines Baccalaureus sententiarius und wenig später den eines Baccalaureus formatus.

Mit diesem Abschluß hatte Alber die Voraussetzungen erfüllt, dass ihm die in Reutlingen zu Beginn des Jahres 1521 gestiftete Predigerstelle übertragen werden konnte. Die noch nötige Priesterweihe erhielt er gleichzeitig mit der Übertragung der Prädikatur am 8. November 1521 in Konstanz. Die Stadt Reutlingen hatte mit Alber nicht nur einen Angehörigen einer angesehenen ansässigen Familie erwählt, der eine überdurchschnittliche Qualifikation hatte, sondern auch einen Theologen, der trotz seines traditionellen Ausbildungswegs doch vom Geist des Humanismus und wohl auch von Luthers Gedanken erfasst war, was sich daran erkennen lässt, dass er in Freiburg nicht wie üblich über den Sentenzenkommentar des Petrus Lombardus ca. 1100-1160 sondern über ein biblisches Buch Vorlesungen hielt.

Als Bürgermeister und Rat der Stadt Alber beriefen, hatten sie keineswegs die Reformation ihrer Stadt im Blick. Sie suchten eher der für eine Obrigkeit damals selbstverständlichen Aufgabe gerecht zu werden, auch für das Seelenheil der Untertanen zu sorgen. Doch Alber kam nicht nur dem Bedürfnis nach einer Auslegung der biblischen Schriften nach, er erwies sich bald als Anhänger Luthers: vor der Gemeinde predigte er über die Evangelien des Matthäus und Johannes; vor einem Klerikerzirkel legte er zudem den Römerbrief und andere Paulusbriefe aus. Bald gelang es ihm, einen ansehnlichen Teil der 30 bis 40 Reutlinger Kleriker, die teilweise an der Hauptkirche St. Peter "in den Weiden", die außerhalb der Mauern der Stadt lag, oder an einer der neun Kapellen sowie der aufgrund eines Gelübdes erbauten Marienkirche wirkten, auf seine Seite zu ziehen. Dass er auch unter der Bevölkerung Anhänger gewann, belegt eine kleine Episode, die aus jenen Jahren berichtet wird. Ein altgläubiger Prediger sei wegen unbiblischer Rede "von der Kanzel gezogen" worden.

Dass Albers kritische Predigt so rasch Früchte trug, mag damit zusammenhängen, daß schon der Vorgänger von Alber Kritik an den kirchlichen Zuständen äußerte. In einer der beiden über Alber überlieferten zeitgenössischen biographischen Abrisse wird berichtet, daß sich Alber stets daran erinnern konnte, dass Magister Georg Schütz über das Altarsakrament ausführte: "Es geht itzt nit recht mit dem sacrament in der kirchen zu wie zur zeitt Pauli. Es muss anders gehn". Dass es anders wurde, dass die seit dem Spätmittelalter vermehrt geforderte Reform der Kirche und deren Ausrichtung an der Heiligen Schrift und der Zeit der Urgemeinde endlich vorankam, dafür sorgte Alber und seine Gesinnungsgenossen.

2: Auf dem Weg zur Reformation: Markteid und erste deutsche Messe

Um ermessen zu können, wie bedrohlich die im folgenden darzustellenden Ereignisse für die Reichsstadt und ihr sieben Dörfer sowie einige Gehöfte umfassendes Territorium war, muss man sich vor Augen führen, dass Reutlingen ganz von Württemberg umgeben war. In Württemberg aber herrschte seit 1519 nicht mehr das angestammte Fürstenhaus - Herzog Ulrich 1487/1498-1550 war nach einem Angriff auf die Stadt Reutlingen durch den Schwäbischen Bund vertrieben worden -, sondern Habsburg hatte sich die Regierung gesichert. Erzherzog Ferdinand 1503-1564 ließ Württemberg durch eine in Stuttgart ansässige Statthalterei regieren und fuhr einen streng altgläubigen Kurs; reformatorischer Umtriebe verdächtige Personen wurden umgehend gefangen gesetzt oder des Landes verwiesen.

Die Stuttgarter Statthalterei sah sich angesichts der immer deutlicher werdenden Erfolge des Reutlinger Prädikanten erstmals im August 1523 genötigt, bei der Stadt mündlich Kritik an deren Prediger zu üben. Als diese Intervention nicht fruchtete, wandte man sich am 26. September in einem harschen Brief an Bürgermeister und Rat der Stadt. Einem zuverlässigen Bericht zufolge verbreite der Prediger "mit allem Ungehorsam solche verworfene und verdammte lutherische Lehre frevelhaft und unverschämt von der Kanzel ..., dass es gerechterweise jedem Christenmenschen, der Gottes Furcht hat, der Gottes Ehre und Ehrbarkeit lieb hat, innerlich zu Herzen gehen soll"(3). Man forderte ultimativ, solche Predigt zu verbieten und abzustellen, ansonsten werde der Handel der württembergischen Untertanen mit der Stadt Reutlingen verboten. 

Angesichts der Lage der Stadt und der wirtschaftlichen Abhängigkeit der zwölf Zünfte vom württembergischen Umland, überrascht es nicht, dass die Stadt sehr rasch reagierte. Bereits am 8. Oktober wies der Rat die Anschuldigungen zurück; der Prediger habe bislang nicht ketzerisch gepredigt. Die Vorwürfe müssten von Feinden der Stadt stammen. Die Statthalterei möge doch unchristliche Lehren des Predigers schriftlich darlegen, damit der Rat dann den Prediger Stellung nehmen lassen könne. Die Statthalterei war mit dieser ausweichenden und vorsichtigen Antwort nicht zufrieden. Am 11. Januar forderte Erzherzog Ferdinand persönlich die Reichsstadt auf, gegen den Prediger vorzugehen, er bringe nicht nur Bürger der Stadt, sondern auch Auswärtige, die den Markt besuchten, zum Ungehorsam gegen die Obrigkeit. Ferdinand bat um Abstellung der Predigt; die Drohung mit wirtschaftlichem Druck fehlte jedoch in seinem Schreiben. 

In ihrer durch einen Gesandten nach Nürnberg übermittelten Antwort betonte die Stadt, die schmählichen Reden seien so nicht vorgekommen und würden auch keineswegs geduldet. Zudem habe man "Martin Luthers Opinion, Sitt oder Lehr, wie man es nennen möge, ... nie insonderheit angenommen"(4). Man habe befohlen "nur das heilige Evangelium nach Auslegung der Schrift, von der christlichen Kirche approbirt und angenommen, zu predigen, und nichts gegen des nächst gehaltenen Reichstags zu Nürnberg Abschied"(5); dies habe der Prediger auch versprochen. Ferdinand jedoch gab sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden. Er ließ den in Nürnberg versammelten Städtevertretern am 11. März 1524 bestellen, er werde den "Fall Alber" durch den zuständigen Konstanzer Bischof untersuchen lassen, da er überzeugt sei, der Reutlinger "Prediger sei der lutherischen Opinion ganz anhängig"(6). Andere Reichsstädte, die Reutlingen um Rat gebeten hatte, äußerten sich am 15. März warnend. Man sei davon unterrichtet worden, dass in Reutlingen bereits mehrere Prediger aufgetreten seien, die "im Schein des Evangeliums den gemeinen Mann aufrürig zu machen" trachteten. Sollte Alber seine Äußerungen "mit göttlicher Schrift" belegen können, so rege man eine Bittschrift an Erzherzog Ferdinand an. Eine solche richtete die Stadt dann auch an den Vorsitzenden des Reichsregiments und bat, den Konstanzer Bischof zu veranlassen, einen Gesandten nach Reutlingen zu schicken und im Beisein des Rats eine Untersuchung durchzuführen.(7) 

Der Konstanzer Bischof handelte umgehend. Bereits am 10. April 1524 forderte der mit der Ermittlung beauftragte bischöfliche Vikar Johannes Ranning von Tübingen aus den Rat der Stadt auf, Zeugen zum Verhör in die Nachbarstadt zu schicken. Der Rat antwortete Tags darauf, bislang habe man noch keine Antwort auf die Bittschrift an Erzherzog Ferdinand erhalten; der Vikar möge sich gedulden. Als Ranning dies dem Konstanzer Bischof mitteilte, beschwerte sich dieser beim Schwäbischen Bund in Augsburg, dem sowohl der Bischof wie auch die Reichsstadt angehörten. Die Bundeshauptleute übten umgehend Druck auf Reutlingen aus und forderten am 5. Mai den Rat auf, Rechenschaft über sein Verhalten abzulegen. Der Rat erklärte daraufhin, er sei sich keiner Behinderung bewusst und im Übrigen sei man aufgrund der der Stadt zukommenden Privilegien nicht verpflichtet, "des Bischofs geistlichen Gerichtszwang und Prozeß zu erhalten und vollziehn"(8). Allerdings scheint sich der Rat im folgenden bereit erklärt zu haben, doch einem Verhör Albers durch den bischöflichen Rat zuzustimmen. Dieses sollte in Reutlingen stattfinden –also unter der Kontrolle des Rats - und man versprach dem Vikar freies Geleit, um nach Reutlingen zu kommen. 

Allein: Alber war mit diesem Kompromissangebot des Rats nicht einverstanden. Er suchte das Verhör überhaupt zu verhindern. Der Vikar habe die Auswahl der Zeugen manipuliert, bereits einige außerhalb der Stadt verhört und solche Personen zu Zeugen ernannt, "die dem Wort Gottes widerwärtig, und nicht viel in seinen Predigen und Lehren geweßt" seien.(9) Diese Intervention Albers setzte den Rat unter Zugzwang; es wurde beschlossen, die zwölf Zünfte der Stadt auf einen nicht mehr genau bestimmbaren Termin Mitte Mai auf sieben Uhr abends in die Zunfthäuser zu bestellen. Sprecher des Rats sollten dort das Vorgehen der Obrigkeit erläutern. Allerdings brach gegen 18 Uhr ein Feuer in der Stadt aus, das alle Bürger auf die Beine brachte. Das Feuer war rasch gelöscht, doch die versammelte Menge kam der Aufforderung des Rats, wieder nach Hause zu gehen, nicht nach, sondern forderte, die anstehende Sache öffentlich auf dem Marktplatz zu verhandeln. Die Ereignisse werden in einem wenig später entstandenen Text wie folgt beschrieben: 

"Sie haben nach dem Bürgermeister geschickt, und ihm angezeigt, daß ... sie wollen, daß das Verhör nicht Fürgang haben solle, man wolle dann ihm, dem Prediger, klein und groß Räthe, oder eine ganze Gemeind auch verhören, denn er habe das rein lauter Wort Gottes gepredigt; ... Auf solches habe der Bürgermeister mit ihnen geredt, daß sie heimgehn sollen in ihre Zunfthäuser, und einen Ausschuß machen, der in solcher Sach einem Rat ihr Mainung anzeigen solle: so werde sich ein Rath darin halten, wie sich gepüre. Auf solches haben sie nicht wollen abtreten, sondern haben begehrt, als auch beschehen, daß wir ... Ratsmitglieder und der herbeigerufene Bürgermeister, S.H. alle zusamen schweren sollen, bey dem Gotswort zu beliben, und das zu handthaben. Auch wurde in solchem Aid beredt, daß diese Handlung niemand kein Nachthail oder Straf pringen, noch draus folgen soll. Und als solches beschehen, ist man abtretten".(10) 

Die Bürger hatten den Rat also gezwungen, sich durch einen Eid zu verbinden und dem Prädikanten dadurch den Schutz der Bürgerschaft einschließlich des Rats und des Bürgermeisters zukommen zu lassen. Als am nächsten Vormittag ein Bote des Rats nach Tübingen kam, um dem Vikar die neueste Entwicklung mitzuteilen, war dieser bereits abgereist. Man konnte nur noch beim Tübinger Untervogt eine Nachricht hinterlegen. 

In dieser gespannten Situation sandte der Schwäbische Bund drei Räte nach Reutlingen, die der Stadt bei der Bewältigung ihrer Probleme behilflich sein sollten. Die Räte sahen die Ereignisse auf dem Marktplatz als widerrechtlich an und rieten deshalb, den Eid bei Straffreiheit der Beteiligten aufzuheben und der Untersuchung des Bischofs nichts mehr in den Weg zu legen. Der beigefügte Hinweis auf die gefährdete Situation der Stadt angesichts des sie ganz umgebenden, von Habsburg regierten Territoriums zeigte Wirkung: Die Zünfte stimmten dem Vorschlag zu und erklärten sich mit der Wiederherstellung des politischen und sozialen status quo einverstanden. Auffallend ist, dass sich die Vertreter des Schwäbischen Bundes darauf beschränkten, in Reutlingen die traditionellen politischen Verhältnisse wieder herzustellen und die von der Bürgerschaft geforderten umfangreicheren Mitspracherechte zurückzuweisen. Die Frage der Evangliumsgemäßheit von Albers Predigten jedoch sollte der zuständige Bischof klären. 

Da der Konstanzer Bischof nun aber nicht noch einmal aktiv wurde und auch die Stadt offensichtlich nicht wagte, ihrem Prediger irgendwelche Auflagen zu machen, die nach außen eine sichtbare Veränderung seines Wirkens nach sich gezogen hätten, sah sich der Schwäbische Bund am 25. August erneut veranlasst, in einem Schreiben an den Rat Klage zu führen. Die Lehre des städtischen Predigers führe "zu Abfall christenlicher Ordnung, darzu zu Ergerniß, Uffrur und Zerrüttung aller Oberkait und Erbarkait"(11), weshalb Reutlingen ermahnt wurde, die Mißstände abzustellen und dem "Prediger fürter dergestalt nit gestatten, sonnder in verweysen"(12). Unverhohlen war zudem damit gedroht, dass der Bund militärisch gegen die Stadt vorgehen könnte, falls man in Reutlingen den geforderten Maßnahmen nicht mit Nachdruck nachkomme. 

Diese scharfe Reaktion des Schwäbischen Bundes hing zweifelsohne mit verschiedenen Ereignissen zusammen, die zwischenzeitlich in Reutlingen zu einer immer deutlicher erkennbaren Distanzierung Albers von der alten Kirche und einem konkreten Umsetzen der neuen reformatorischen Erkenntnis geführt hatte. Immerhin war sein entschiedenes reformatorisches Auftreten bereits im März 1523 dem Zürcher Reformator Ulrich Zwingli 1484-1531 berichtet worden, der Alber nicht nur aufforderte, weiterhin das lauterer Evangelium zu verkündigen, sondern auch den Wunsch äußerte, in engere Beziehung mit ihm zu treten.(13) 

Überraschend bat der erst am 24. Juni 1523 neu eingesetzte Pfarrer Kaspar Wölflin, der wie Alber einer Reutlinger Familie der Oberschicht entstammte, bereits ein Jahr später beim zuständigen Abt Melchior von Königsbronn um seine Entlassung. Seine Einsetzung 1523 zeigt, dass der Rat zu diesem Zeitpunkt nicht beabsichtigte, die Stadt der neuen Lehre zuzuführen, vielmehr wollte man durch Wölflin, dem sogar eine verbesserte Besoldung zugestanden worden war, die Missstände beseitigen. Wölflin erklärte dem Abt, "daß er in der Kirchen, wie sich gepürt als Pfarrer, ganz und gar nichts zeschaffen, bieten, handlen, thun noch zelassen habe".(14) Die Helfer gehorchten ihm nicht und der mit Zustimmung des Abtes angestellte Prädikant sei die Ursache aller Mißstände. Als er sich an den Rat mit der Bitte um Beistand wandte, wurde ihm erklärt, ein "Ersamer Rat belade sich solcher Sachen ganz nichts, sondern allein des Weltlichen".(15) Albers Wirken hatte demnach die geregelte Arbeit des altgläubigen Priesters unmöglich gemacht; die Kapläne waren zum Teil nicht mehr bereit, im Sinne der alten Kirche Dienst zu tun und der Rat weigerte sich, gegen Alber Stellung zu beziehen. Vielmehr erklärte er - ganz im Gegensatz zu seinen bisherigen Äußerungen – sich allein auf den weltlichen Bereich beschränken zu wollen. 

Ein weiteres Indiz für die immer weiter fortschreitende Veränderung in der Stadt ist darin zu sehen, dass Alber 1524 - noch ein Jahr vor Luther - heiratete. Durch die Heirat mit der Reutlinger Bürgerstochter Klara Bauer oder Baier, ca. 1504-1585 brach Alber das Zölibatsgelübde und wurde umgehend vom Konstanzer Bischof vor das bischöfliche Gericht beordert. Alber kam jedoch dieser Vorladung nicht nach. Obgleich beide zeitgenössische Lebensbeschreibungen berichten, Alber sei daraufhin mit Acht und Bann belegt worden, ist dies wohl kaum zutreffend. Hans-Christoph Rublack hat überzeugend dargelegt, dass sonst die späteren Vorladungen vor Reichs- oder bischöfliche Gerichte kaum denkbar wären.(16) 

Am Aufsehen erregendsten aber war, dass Alber am 14. August 1524 erstmals die Messe in deutscher Sprache feierte und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt reichte. Alber hatte bereits einen Sonntag zuvor diesen Schritt ankündigt und damit bis nach Herrenberg und Esslingen Resonanz gefunden.(17)

Es sei "ein fast grosse welt vonn frembden vff disen Sonntag in der Statt gewesenn", und es seien vor der Kirche viele Leute gestanden, die nicht mehr Einlaß gefunden hätten.(18) Alber hat dann "eine teutsche mess one liechter ganntz lut alls ob er predigte vnnd doch dar Inn den Canon nit gelesen vnnd Zuletzt Nachdem er dz hochwirdig Sacrament genossen, hat er sich Zum volckh gewennt vnnd dise wort gesprochenn: liebenn khind, So Ir ein begurt hetten vnnsernn herrn vnnd sein blut Zuempfahenn, So haben Ruw vnnd leyd vber ewer sund vnnd ein gut vertrawen, euch seyen die sund nachg[v]lassenn, Nachdem auch vnnser herr die vff sich genomen vnnd dafur gelittenn hat etc. Also seyenn bey xx personen hinzu ganngen vnnd das hochwurdig Sacrament vnder beyderley gestallt empfanngen".(19) 

Damit aber hatte sich Alber eindeutig von der alten Kirche geschieden und sich zur Reformation im Sinne Luthers bekannt. Und es mag mit auf dieses Ereignis zurückzuführen sein, dass Erzherzog Ferdinand nunmehr seine Ankündigung wahr machte und in einem Mandat den Bürgern Württembergs verbot, weiterhin Geschäfte mit Reutlingen zu machen und die Stadt zu betreten.(20) 

3: ”Schwäbisches Worms”

Blick auf die Marienkirche

Fotograf: W. Kleinfeldt, in: Dr. Brock (Hg.), Reutlingen, 1925

Doch diese Maßnahme war nicht die einzige, der sich Reutlingen und sein Prediger Ende 1524 ausgesetzt sahen. Am 25. August traf zunächst ein Brief des Schwäbischen Bundes in der Reichsstadt ein, in dem Klage geführt wurde, dass die Lehre des Reutlinger Predigers "allein dahin ausgerichtet wird, dass sie vor allem dem Verfall christlicher Ordnung, dazu zu Ärgernis, Aufruhr und Zerrüttung aller Obrigkeit und Ehrbarkeit diene".(21) Eindrücklich wurde die Stadt ermahnt, ihrem Prediger künftig dieses Auftreten zu verbieten. Zudem beschäftigte sich das von Nürnberg nach Esslingen übergesiedelte Reichsregiment, das in Abwesenheit des Kaisers die Regierungsgeschäfte führte und dem Vertreter aller Stände angehörten, mit den Vorgängen in Reutlingen. Am 30. und 31. August wurde der Antrag Reutlingens, die an das Reich zu entrichtenden Steuern herabzusetzen abgelehnt. Die Stadt dulde, dass ihr Prediger "nit allein Lutherisch, sonder lesterlich und wider got predigt".(22) Das Reichsregiment nahm demnach eine Steuersache zum Anlaß, die Religionsfrage zu thematisieren und mit Hinweis auf die Nichtbeachtung des Wormser Edikts, durch das der Kaiser 1521 nach der Achterklärung Luthers die Verbreitung von dessen Lehre verboten hatte, den Reutlinger Antrag zurückzuweisen. Zugespitzt wurde die Situation im Herbst 1524 dadurch, dass Kaiser Karl V. 1500-1558 das auf dem Nürnberger Reichstag von 1524 von den Ständen geforderte Nationalkonzil verbot und ausdrücklich die scharfe Beachtung des Wormser Edikts forderte.

Interessanterweise war es dann Alber selbst, der sich direkt an das Reichsregiment wandte und erbot, seine Lehre in einer öffentlichen Disputation zu verantworten wobei die Heilige Schrift Maßstab sein solle. Er klagte in seinem Schreiben darüber, daß zahlreiche seiner Worte und Handlungen "verkert, untruilich, felschlich und nidesch usgelegt" würden.(23) Ob nun aufgrund dieses Schreibens oder durch eine Initiative Erzherzog Ferdinands läßt sich nicht mehr feststellen, jedenfalls beantragte der kaiserliche Anwalt Dr. Kaspar Mart am 29. November Alber und Konrad Ötinger zum Verhör vor das Reichsregiment zu laden. Sie würden gegen die Bulle Papst Leo X. 1475/1513-1521 und das Wormser Edikt verstoßen.(24)

Alber und Ötinger wurden von fünfzig bewaffneten Bürgern bis an die Stadtgrenze von Esslingen begleitet und stellten sich schließlich vom 10. bis zum 12. Januar 1525 dem Verhör. In der Regimentsstube auf dem Esslinger Rathaus wurde sie von den Mitgliedern des Reichsregiments vernommen. Am 10. Januar wurde zunächst Alber, am folgenden Tag Ötinger verhört. Alber sah sich mit zweiundfünfzig Fragen konfrontiert, wobei die Fragen 1 bis 32 der von Papst Leo am 15. Juni 1520 an Luther gerichteten Bannandrohungsbulle "Exsurge domine" folgten und die Fragen 34 bis 43 den im Wormser Edikt formulierten theologischen Anklagepunkte gegen Luther; Frage 33 betraf Albers Einstellung zu den Mandaten des Papstes und des Kaisers gegen Luther und von den restlichen Fragen zielten zumindest vier eindeutig auf dessen Wirken in Reutlingen, sie könnten also auf ein Anklage aus Reutlingen zurückgehen. Vorgelegt wurden Alber die Fragen, die fast immer mit der Formulierung "er soll gepredigt und gelehrt haben" einsetzten, durch den Fiskal.

Martin Brecht macht in seiner gründlichen Analyse der Antworten Albers auf drei Aspekte aufmerksam, die in besonderer Weise die Theologie Albers prägten. Besonders augenfällig stellte Alber die Heilige Schrift als die Autorität heraus, an der sich alles messen lassen müsse, auch kirchliche Gesetze, die Tradition oder Konzilsbeschlüsse.(25) Zudem wies Alber auf den Glauben hin, durch den der Mensch allein zu Gott kommen könne: "allein der glaub und das vertrauen uf die wort der versprechung und zusagung gottes der rechtvertig und mach from vorm angesicht gottes".(26) An die Seite der Betonung der Schrift und des Glaubens trat die außerordentliche Stellung die Christus bei Alber einnahm: er ist das einzig Haupt der Kirche, der ‚Schatz der Kirche‘, er ist im Abendmahl gegenwärtig, er hat mit seinem Tod die Sünden der Menschen bezahlt.(27) Zurückgewiesen wurde von Alber auch die Willensfreiheit des Menschen - sie sei "nichts anders dann ein ding von worten"(28) - und seiner Ansicht nach war und blieb der Mensch Sünder auch nach der Taufe. Im Blick auf die Kirche kritisierte Alber die römische Amtskirche: es gebe keinen besonderen Priesterstand, da alle Christen Priester seien.(29) Auch die große Bedeutung, die das Finanzwesen, besonders auch der Ablass, erlangte wird zurückgewiesen: "der babstler gnad sei nichts ... dann ein geltstrick wider d[a]z wort des heren".(30) Abgelehnt wurde von ihm zudem der Zölibat, das Fegefeuer, die Gültigkeit der Ordensgelübde, der Anspruch des Papstes, Haupt der Kirche zu sein, die Totenmessen oder auch die Siebenzahl der Sakramente: Alber kennt nur zwei, Abendmahl und Taufe. Die Kirche ist für ihn "ein geistlicher leib", der kein irdisch Haupt habe, sondern allein Christus.(31) Im Übrigen, so Alber, habe er stets den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit gelehrt - es sei denn sie gebiete Dinge, die gegen Gottes Wort stehen. Die Obrigkeit habe die Aufgabe, "die fromen cristen vorn finden zu schutzen".(32) Konsequenterweise vertrat Alber auch die Ansicht, dass man gegen Ketzer und Ungläubige "allein ... mit dem schwert des wort gottes" fechten solle. In seinem Schlusswort erklärte Alber seine Bereitschaft, "alles, so er gepredigt, gelernt und gehandelt hab, mit der heiligen schrift zu beweisen"(33) und sich vor einem bischöflichen Gericht zu verantworten.

Diese Ausführungen zeigen, dass Alber die reformatorische Theologie Luthers in ihren zentralen Punkten aufgenommen und eigenständig weiterentwickelt hatte: entscheidend sind für ihn - wie für Luther - die drei Exklusivaussagen: allein die Heilige Schrift, allein der Glaube und allein Jesus Christus. Wie Luther wehrte sich Alber gegen das Ansinnen, er sei lutherisch; er predige nicht Luther, sondern Jesus Christus aus der Heiligen Schrift. Allerdings war Alber überzeugt, "Luthers leer sei Christi leer".(34)

Eigentlich wäre nach Abschluss des Verhörs - wie bei Luther in Worms - zu erwarten gewesen, dass Alber und sein Mitangeklagter verurteilt worden wären. Doch überraschenderweise wurde ihnen am 12. Januar beschieden, das Regiment wolle die Sache weiter bedenken; man erlaubte ihnen heimzugehen, "zu gelegen zeiten" wolle man ihnen "ferner bescheid geben".(35) Diese Vertagung des Urteils bedeutete nichts weniger, als dass unter den politischen Verhältnissen des beginnenden Jahres 1525 - Solidarität der Städte und Ausbreitung des Bauernaufstands - das Wormser Edikt nicht mehr durchgesetzt werden konnte und die exemplarische Aktion damit gescheitert war. Man kann daher zurecht von einem "Schwäbischen Worms" sprechen - wenngleich es in Esslingen eben zu keiner Verurteilung kam. Der Reutlinger Rat berief sich im Folgenden darauf, dass Alber unwiderlegt geblieben sei. 

4: Bewährung der Reformation

Das Jahr 1525 brachte nach dem Esslinger Verhör noch mehrere herausfordernde und gefährliche Situationen für die Stadt Reutlingen und ihren Prediger.

Zunächst verlangte der Bauernkrieg von Bürgern, Rat und Predigern die Entscheidung, ob dem Ansinnen der über Tausend vor den Toren der Stadt liegenden Bauern, die Tore zu öffnen, nachgegeben werden sollte. Der Bauernhaufe hatte sich am 6. April der Nachbarstadt Pfullingen bemächtigt und hoffte nun, dass seine mit dem Evangelium begründete Freiheitsforderung bei den Reutlingern auf fruchtbaren Boden falle. Doch Alber, der auf einer Richterliste der Bauern stand, lehnte jede Verbrüderung ab und überzeugte durch seine Predigt die Reichsstädter, dass Raub, Mord und Waffengewalt nicht zu einer dem Evangelium gemäßen Freiheit führen könnten; auch dürfe die Stadt dem Kaiser nicht untreu werden.

Hinzuweisen ist sodann auf eine 1525 erschienen Publikation, in der Alber seine Sicht der Prädestination - der Gnadenwahl - darlegte. Er antwortete mit ihr noch vor Luther auf die 1525 vom "Humanistenfürsten" Erasmus von Rotterdam 1469?-1536 veröffentlichte "Diatribe de libero arbitrio" (Untersuchung über den freien Willen) in der er engagiert dafür votierte, dass der Mensch die Möglichkeit habe, sich zu dem, was zum Heil führt, zu- oder abzuwenden. Alber hingegen betonte noch stärker als im Esslinger Verhör und im Unterschied zu Luther, der in seiner Entgegnung bei der Willensfreiheit der Menschen einsetzte, die Alleinwirksamkeit Gottes: "Gott der Allmächtig nach seyner ewigen fürsehung ... würket mechtigklich beyde guots und boeß in allen menschen und Creaturen".(36) Nachdem er diese Sicht mit Verweis auf Bibelstellen - unter anderem Röm 11,35ff. - belegt hatte, wies er die Frage der Menschen, warum der eine erwählt, der andere aber verdammt werde zurück. Gott sei gerecht, die Menschen könnten mit ihm nicht rechten.(37)

Auch für die weitere Entwicklung des Kirchenwesens der Reichsstadt ergaben sich im Jahre 1525 wichtige Weichenstellungen. War Albers erste deutsch gelesene Messe im August 1524 noch eine Einzelaktion, so stand eine generelle Umgestaltung des Gottesdienstes noch aus. Als Verhandlungen mit den altgläubigen Geistlichen kein akzeptables Ergebnis zeitigten, brach Alber sie ab und beantragte beim Rat, die Messe ebenso wie die Seelenmessen ganz abzuschaffen. Neunzehn Geistliche - also wohl die Hälfte der in Reutlingen tätigen Priester - legten daraufhin beim Rat, der Alber freie Hand gelassen hatte, Verwahrung ein. Die Änderung der Gottesdienstordnung sei Sache der geistlichen Obrigkeit und die Abschaffung der Seelenmessen gegen den Willen der Stifter. Beantragt wurde, den alten Ritus weiter praktizieren zu dürfen. In dieser Situation muss in der Stadt der Plan einer Disputation entstanden oder zumindest vom Rat die Aufforderung an die beiden Gruppierungen ergangen sein, ihre Position zu begründen, wobei als alleinige Richtschnur die Heilige Schrift dienen sollte. Der Rat wollte also die für das damalige Empfinden problematische Entwicklung, dass zwei Gottesdienstordnungen nebeneinander existieren, beilegen. Dass die Heilige Schrift als ausschließliche Norm herausgestellt wurde, zeigt allerdings deutlich, wieviel Boden Alber schon gewonnen hatte und wie isoliert die um ihre Einnahmen fürchtenden Kleriker bereits waren. Nur noch einige Familien aus der begüterten Ehrbarkeit und die Mitglieder der Rotgerberzunft stärkten ihnen den Rücken.

Wie die Auseinandersetzung ausging, wird durch eine Anekdote anschaulich: Die Priesterschaft habe den dummen und ungebildeten "Pfaff Vogelweid" zum Tübinger Theologieprofessor Jakob Lemp gest. 1532 geschickt, von dem man Schriftbeweise für die Messe erhoffte. Als dieser nur aus scholastischen Schriften und dem päpstlichen Recht zitierte, habe Vogelweid ausgerufen: "Herr Doktor, ich wellt gern Text haben, dann unsere prediger ... schreyen allzeit, Text her, Text her, auß dem Alten oder Newen Testament".(38) Auf dem Rückweg traf Vogelweid den als Spaßmacher bekannten Reutlinger Staudt, der ihn mit auf sein Pferd sitzen ließ. Vogelweid muss Staudt über seine Erlebnisse berichtet haben, denn in Reutlingen angekommen ritt Staudt auf einen belebten Platz und schrie: "Hie bring ich Text, Text, das alt und new testament füere ich da mitteinander". Dabei warf er seinen Mitreiter auf einen Misthaufen ab.(39) Zwar gibt es für diesen Vorfall keinen quellenmäßigen Beleg, doch die Anekdote zeigt nicht allein, dass die Reutlinger an den theologischen Streitigkeiten Anteil nahmen, sondern belegt neben der Unfähigkeit der Universitätstheologen die geforderten Schriftbeweise beizubringen auch die theologische Unbedarftheit weiter Kreise der altgläubigen Geistlichkeit. Letztere verweigerten im Folgenden die theologische Auseinandersetzung über die Messe; die Sache, so erklärten sie, gehöre vor ein künftiges Konzil.

Aufschluss darüber, wie die Gottesdienste in Reutlingen ab 1525 gefeiert wurden, gibt ein Schreiben Luthers an Alber vom 4. Januar 1526. Wohl im Zusammenhang des noch darzustellenden Streits um das rechte Abendmahlsverständnis war eine Delegation der Reichsstadt zum Reformator nach Wittenberg gereist und brachte ein Schreiben an Alber mit. Luther zeigte sich erfreut über den guten Zustand der Gemeinde. Es gefalle ihm, dass die Zeremonien abgeändert worden seien. Man möge in Reutlingen bei der eigenen Liturgie bleiben; zu bedenken gab Luther allenfalls, dass die Gottesdienste nicht durch ausufernde biblische Lektionen belastet und so die Zuhörer verdrießlich gemacht würden. Aus einem im Spätjahr 1526 geschriebenen Brief Albers erfahren wir über die Gottesdienstordnung näheres: es sei angeordnet, "daß am Morgen frue alle Tag uf ein halbe Stund, nachgends um 8 Ur vor Mittag uss dem N[euen] und A[lten] Testament; und am Abent um 3 Ur nach Mittag ungevarlich uf 1 Stund im A[lten] Testament, mit Erklerung der schweren verborgenen Wort durch andere hellere Wort der Schrift gelesen würde. Nu vor und nach den Predigen oder Lectionen ... werden Psalmen und geistliche Lieder zu teutsch gesungen".(40) Alber hatte demnach nicht wie Luther das Messformular gereinigt, sondern den spätmittelalterlichen Prädikantengottesdienst aufgenommen und deutsches Lied, Lesung und Predigt in den Mittelpunkt des Gottesdienstes gerückt.

Gegen diese Neufassung der Gottesdienstordnung beklagte sich im November 1526 der Königsbronner Abt beim Rat. Er bat, dass doch weiterhin eine tägliche Feier in einer gereinigten lateinischen Fassung in der Pfarrkirche und im Barfüßerkloster erlaubt bleiben möge.(41) Alber, der im Auftrag des Rats antwortete, verwahrte sich gegen den Vorwurf, alte christliche Ordnungen abgeschafft zu haben. Im Gegenteil, man habe in Reutlingen darauf hingewirkt, "damit durch das Wort Gottes rechte und alte christenliche Ordnungen und Satzungen, so lange Zeit nidergedruckt und verworfen gewesen, widerumb ufgericht" wurden.(42) Nur noch wenige Mönche, Laien und Pfaffen widerständen trotz "vilfältige[r] Ermahnung der h[eiligen] Schrift" den getroffenen Maßnahmen und verharrten in ihren "Affenspiel".(43) 

Neben der veränderten Gottesdienstordnung zählten jetzt nur noch Taufe und Abendmahl als Sakramente, wobei das Abendmahl unter beiderlei Gestalt gereicht werde; ein Gotteskasten - "den Armen zu Trost und Hilf" - werde in Kürze eingerichtet.(44) Alber schloss selbstbewusst: man "haben gar kein Geprechen oder Mangel an Allem dem, so uns und unsern Schäflein zur Seligkeit Noth ist".

Zu Spannungen zwischen der Stadt und dem Königsbronner Abt kam es zudem über die Besetzung der Pfarrstelle an der St. Peterskirche. Nach dem Rücktritt Wolfs gelang es zunächst nicht, unter den der Stadt hierfür geeignet erscheinenden Priestern einen neuen Pfarrer zu bestimmen, da alle in Aussicht genommenen die Bedingung stellten, "die Ordnungen und Gebräuche der Kirche nach Ausweisung des Evangelii zu halten".(45) Der Abt musste daher Pfarrer Johannes Butzbach, der im Spätjahr 1524 auf Vorschlag der Stadt interimistisch eingesetzt worden war und offen der neuen Lehre zuneigte, 1528 für weitere zwei Jahre in seinem Amt bestätigen. Als Butzbach 1530 an der in Reutlingen grassierenden Pest starb, blieb die Stelle in Ermangelung eines geeigneten Nachfolgers zunächst unbesetzt. Der Konflikt um die Berufung eines neuen Pfarrers wurde schließlich dadurch gelöst, dass das Reutlinger Spital am 17. September 1533 die Patronatsrechte vom Königsbronner Abt erwarb. Damit war eine städtische Einrichtung künftig für die Auswahl und Besetzung sämtlicher geistlicher Stellen zuständig. Ein für die Festigung und Fortführung der Reformation entscheidendes Recht war in die Hand der Stadt gelangt; Einflussnahmen von außen waren damit weitestgehend ausgeschaltet.

Eine besondere Rolle spielte Alber im Streit um das rechte Abendmahlsverständnis. Die von dem ehemaligen Weggefährten Luthers Andreas Bodenstein genannt Karlstadt, ca. 1480 – 1541 im Herbst 1524 eröffnete Debatte - er hatte die reale Gegenwart Christi im Abendmahl bestritten -, forderte auch die anderen Reformatoren zu Stellungnahmen heraus. Zwingli legte seine Sichtweise, die Karlstadt nahe stand, in einem zunächst ungedruckten Brief an Alber vom 16. November 1524 dar. Zustimmen mochte Zwingli Karlstadt in der besonderen Bedeutung, dem der Glaube an Christus zukomme, nicht jedoch bei dessen Exegese der Einsetzungsworte: "Das ist mein Leib, der für euch gegeben ist" Lk. 22, 19 Das Wort Jesu in Johannes 6, "Das Fleisch ist nichts nütze", und ein Vergleich mit anderen Bibelstellen zeige, dass "ist" hier "bedeutet" meine und daher nicht von einer wie auch immer gearteten leiblichen Anwesenheit von Christus im Abendmahl auszugehen sei; vielmehr erinnere sich die Gemeinde anhand der Symbole Brot und Wein an das im stellvertretenden Sterben Christi geschenkte Heil. Zwingli schrieb an Alber, da es in Reutlingen eine Kontroverse um das Abendmahl gegeben hatte. Im Herbst 1524 debattierte Alber mit dem Franziskanermönch Konrad Hermann, der wohl Karlstadts Abendmahlstheologie vertrat. Alber stellte sich jedoch gegen Hermann – und Zwingli - auf die Seite Luthers: Christus ist im Abendmahl wirklich anwesend und tröstet so die Menschen.(46)

Vor eine besondere Herausforderung sah sich Alber durch die Umtriebe von Täufern gestellt. Anfang 1528 war eine Gruppe von Wiedertäufern unter der Führung des Zunftmeisters der Weingärtner Leonhard Lutz von Esslingen nach Reutlingen geflohen. Sie warteten hier auf die für 1528 bei Reutlingen vorhergesagte Wiederkunft Christi. Alber gelang es, Lutz zu überzeugen, dass seine Auffassung nicht mit dem Evangelium zu vereinen und vor allem die Kindertaufe schriftgemäß sei. Am 8. Februar erließ der Rat zum Schutz der Einwohner und wohl auch als Reaktion auf eine Forderung des Statthalters der oberösterreichischen Lande, vier flüchtigen Rottenburger Täufern die Aufnahme zu verweigern, ein Mandat, demzufolge die Täufer aus der Stadt gewiesen werden - eine milde Maßnahme angesichts der in Zürich gegen Täufer ausgesprochenen Todesurteile und der wenige Wochen später per Reichsgesetz verfügten Todesstrafe.

War das Verfahren gegen Alber wegen Zölibatsbruch 1524 noch ohne Folgen geblieben, so wurde dieses am 22. Januar 1528 wieder aufgenommen. In einer Ladung an zwölf Reutlinger Kapläne, die in der Nacht zum 15. Februar durch den Pfullinger Priester Burkhardt Sinz an die Tür der Reutlinger Stadtkirche St. Peter angeschlagen wurde, forderte das in Radolfszell ansässige bischöfliche Gericht diese auf, sich binnen neun Tagen in Radolfzell einzufinden, um sich zu verantworten. An erster Stelle war Alber aufgeführt und ihm oblag es dann auch, eine "Antwort der Zitierten" zu verfassen, in der er das Eheverbot für Priester aus der Schrift widerlegte und die Widersprüchlichkeit der kirchlichen Gesetze aufzeigte. Der dem Gericht zugestellte, von elf Personen unterzeichnete Text wurde von diesem als Eingeständnis gewertet und am 9. Mai die Exkommunikation der Priester verfügt. Alber und seine Genossen appellierten daraufhin in einer öffentlichen Urkunde vom 6. Juni an das durch den Speyrer Reichstagsabschied vom 27. August 1526 in Aussicht gestellte allgemeine Konzil und klagten insbesondere, dass der Kläger sich selbst zum Richter aufgeschwungen habe.

Dem kirchlichen Bann hatte die Achterklärung durch das weltliche Gericht zu folgen. Der bischöfliche Vikar rief deshalb das kaiserliche Hofgericht in Rottweil an und beantragte Alber in die Acht zu erklären. Trotz des Hinweises der Stadt auf ihre Privilegien gegenüber dem Bischof und einer Appellation der Stadt an das Reichskammergericht erließ das Hofgericht am 21. Januar gegen Alber die Achterklärung und die Stadt wurde zudem am 31. Januar ermahnt, den Geächteten nicht länger in ihren Mauern zu beherbergen oder Gemeinsamkeit mit ihm zu haben. Als das Reichskammergericht die Berufung am 23. Dezember 1531 abwies, erkannten die Reutlinger Anwälte die grundsätzliche Bedeutung dieses Vorgangs und riefen befreundete Städte und Fürsten zu Hilfe. Doch Verhandlungen in Rottweil konnten nicht verhindert werden. Am 20. August 1532 erließ das Hofgericht "eine Aufforderung an die Stadt Reutlingen, sich wegen widerrechtlichen Hausens, Hofens etc. des offen verschriebenen Aechters M. Alber bis zum 10. September zu verantworten, widrigenfalls Acht und Anleit über sie verhängt werden würde".(47) Allerdings hatte sich zwischenzeitlich die gesamtpolitische Situation entscheidend verändert; der Kaiser hatte bereits im Sommer 1531 die Eröffnung weiterer Prozesse gegen protestantische Reichsstände untersagt und der Nürnberger Reichstag von 1532 gar für die Zusicherung einer Türkenhilfe einen "Anstand" erlassen, der den Evangelischen auf begrenzte Zeit Duldung gewährte. Diese Entwicklung hatte zur Folge, dass der Prozess Albers am Hofgericht nicht weiter betrieben wurde.

5: Festigung der Reformation in Reutlingen und Tätigkeit Albers außerhalb der Reichsstadt

Matthäus Alber, Kupferstich

Fotografie nach einem Original in der Württembergischen Landesbibliothek. Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, Nr. 2420.

Wirkte Alber bis 1530 nahezu ausschließlich in seiner Heimatstadt, so weitete sich sein Wirkungskreis ab 1534. In jenem Jahr hatte Herzog Ulrich von Württemberg mit Hilfe Philipp von Hessens 1504-1567 sein Land zurückerobert und umgehend die Reformation eingeführt. Alber, mit dem Philipp bereits 1530 geheime Kontakte aufgenommen hatte wohl um die Beziehung der Reichsstadt zu Ulrich zu klären, war zu Predigten im Feldlager der hessisch-württembergischen Truppen gebeten worden und scheint auch zur Einführung der Reformation in Urach und Nürtingen einige Monate das Evangelium gepredigt zu haben.(48)

Konnte Alber wegen der besonderen Lage Reutlingens nicht über die Grenzen der Stadt hinaus tätig sein, so hatte Reutlingen doch längst Aufsehen erregt, da die Stadt auf Reichsebene konsequent für die Reformation Partei ergriffen hatte. Bürgermeister Jos Weis ca. 1475–1542 sup id="back-262-49">(49) hatte nicht nur im Jahre 1529 die "Protestation" der evangelischen Stände gegen die Aufhebung des für die "Lutherischen" günstigen Nürnberger Abschieds von 1526, sondern auch die Schwabacher Artikel Luthers von 1529 mit unterzeichnet. Reutlingen lehnte sich eng an Kursachsen und Nürnberg an und gehörte daher mit zu den Reichständen, die im Augsburger Bekenntnis vom 24. Juni 1530 ihren Glauben Kaiser Karl gegenüber bekannten. Wie einmütig man in der Stadt hinter dieser Politik stand, zeigt eine Abstimmung unter allen Bürgern am 24. November 1530 in der nur 23 Personen den Reichstagsabschied vom 19. November akzeptieren wollten, in dem das Augsburger Bekenntnis zurückgewiesen wurde. Reutlingen trat noch vor dem 3. Februar 1531 dem Schmalkaldischen Bund, einem Schutzbündnis protestantischer Städte und Territorien bei.(50)

Im Zusammenhang der Bündnispolitik der Protestanten ist auch die einzige längere Reise Albers zu sehen. Da ein politisches Bündnis einen Konsens in theologischen Fragen voraussetzte, trafen sich führende Theologen im Mai 1536 in Wittenberg, um sich über die Abendmahlslehre zu verständigen, die ja nach dem Marburger Gespräch von 1529 trennend zwischen den oberdeutschen Theologen und den Wittenbergern stand. Einer dreiköpfigen Reutlinger Delegation gehörte auch Alber an; tatsächlich kam es nach wechselvollem Diskussionsverlauf zu einer Verständigung. Alber wurde die Ehre zuteil, am 28. Mai vor Luther und den versammelten Theologen in einer Frühmette über die Taufe zu predigen; mittags legte dann der Straßburger Martin Bucer 1491-1551 und am Abend Luther selbst einen Bibeltext aus. Die Versammlung schloss einen Tag später mit der feierlichen Unterzeichnung der Wittenberger Konkordie. Die Option Albers und damit auch Reutlingens für die lutherische Spielart der Reformation setzte sich damit fast in ganz Süddeutschland durch.

Zurückzukommen ist nun wieder auf den Gang der Ereignisse in Reutlingen. Dort war es in der Osterzeit 1531 zu einem Bildersturm gekommen: ein Kruzifixus wurde aus der Marienkirche entfernt, Tabernakel beseitigt, Altäre abgebrochen und Bilder zerstört, die St. Leonhardskapelle wurde abgebrochen und drei Glocken von Kirchtürmen auf Stadttore umgehängt. Dass diese Maßnahmen gegen Albers Willen durchgeführt wurden, zeigt seine Haltung auf dem sogenannten "Götzentag" zu Urach 1537. Herzog Ulrich hatte führende süddeutsche Theologen zusammengerufen, um über den Umgang mit Bildern zu beraten. Alber äußerte sich moderat; seiner Ansicht nach sollten nur die Bilder sofort entfernt werden, die zur Abgötterei aufgerichtet waren. Man solle um der Schwachen willen keine Eile an den Tag legen. Da ein anderer Reutlinger Theologe, Johannes Schradin gest. 1560 in Urach für die sofortige Entfernung aller Bilder votierte, wird deutlich, dass die Aktion von 1531 auch auf theologische Differenzen unter den Reutlinger Theologen verweist. Bei aller Einigkeit gab es also in Einzelfragen nicht mehr genau nachzuvollziehende Differenzen.

Nachdem die Prediger süddeutscher Städte – unter ihnen auch Alber - vom 26. bis 28. Februar 1531 in Memmingen die vom Schmalkaldischen Bund angestrebte Vereinheitlichung der Kirchenbräuche beraten hatten, bat der Rat Bucer um die Ausarbeitung einer Kirchenordnung. Weil Bucer der Bitte nicht nachkam, erarbeiteten die städtischen Prädikanten selbst eine Ordnung. An er Spitze der Kirche stand ein jährlich zu wählender Kirchenrat, dem drei Ratsmitglieder, drei Prädikanten und sechs Personen aus der Gemeinde angehörten. Damit war in Reutlingen nicht der Rat selbst die oberste kirchenleitende Institution, sondern ein synodales Gremium, dessen Aufgabe es war, "stellvertretend für die ganze Gemeinde" die "Einhaltung der Kirchenordnung" ebenso zu überwachen wie "anfallende Ehehändel".(51) Vordringlichste Aufgabe sei, die Gemeinde mit geschickten und treuen Pfarrern zu versorgen, die allein das Gottes Wort lehrten und die Sakramente mit Ernst darreichten(52); zudem müssten gute Schulmeister bestellt und Diakone eingesetzt werden, die sich um die Armen kümmerten. Jeder Prediger sollte so besoldet werden, dass er keinem weltlichen Geschäft nachgehen müsse. In zwei weiteren Abschnitten wurden die Tauf- und Abendmahlspraxis dargelegt; im Blick auf das Abendmahl war verfügt, dass man sich zur Kommunion anzumelden habe. Endlich war bestimmt, dass jede Kirche jährlich von einer Kommission des Kirchenrates zu visitieren sei. Ein offenkundiger Sünder solle nach zwei oder drei Ermahnungen mit dem Bann belegt werden, wobei vor allem darauf zu achten sei, ihn "zur Buße und Umkehr" zu bringen.(53) Eine dynamische Komponente enthielt der Schlussabschnitt der Kirchenordnung, wenn ausdrücklich festgehalten war, dass diese "nicht unzerstörbar sein und ewigen Bestand haben solle vielmehr müsse sie auf Besserung und Erbauung der Kirche ausgerichtet sein".(54)

Deutlich ist, dass die Kirchenordnung neben dem Bestreben, gut ausgebildete und in der Lehre gefestigte Kirchendiener zu erhalten auch Gewicht auf die sittliche Überwachung der Bevölkerung legte. Die Norm der Schrift sollte in Kirche und Gemeinde dominieren, an ihr war kirchliches und privates Leben auszurichten. Auch wenn einzelne Elemente dieser Kirchenordnung an die 1528 in Zürich erlassene erinnern, so ist doch die dort charakteristische Verbindung von Rat, Pfarrkonvent und Kirchensenat in Reutlingen nicht durchgeführt. Es bleibt unklar, wer die Mitglieder des Kirchensenats überhaupt wählt und wie es mit der Zuordnung dieses Gremiums zum Rat der Stadt und dem Pfarrkonvent bestellt war. Obgleich dem Kirchensenat scheinbar alle Machtbefugnisse zukamen, war doch die Einwirkungsmöglichkeit des Rats nicht nur auf die drei Personen im Kirchensenat beschränkt, sondern ihm kam durch die in seiner Hand liegende Verwaltung des Kirchenguts eine entscheidende Beteiligung am Kirchenregiment zu.

Der Prozess der reformatorischen Wandlung wurde in der Reichsstadt Reutlingen mit der Auflösung des Franziskanerkonvents am 4. Mai 1535, der Aufhebung des Beginenhauses im selben Jahr und dem Abbruch der alten Pfarrkirche St. Peter und des Barfüßerklosters 1538 vollendet. Damit waren die letzten altgläubigen Wurzeln in der Stadt beseitigt und die von Alber 17 Jahre zuvor in Gang gesetzte Entwicklung zu einem Abschluss gekommen. Rein äußerlich war die Marienkirche zum Zentrum der Kirchengemeinde geworden, die bischöfliche Jurisdiktion war beseitigt und nicht mehr der ferne Königsbronner Abt bestimmte die Geschicke der Reutlinger Kirche, sondern ein mehrheitlich mit Bürgern der Stadt besetzter Kirchensenat; Bilder, die Messe und Jahrtage waren abgeschafft und der Gottesdienst auf Gebet, Gesang und Predigt des Evangeliums zugespitzt. Reichspolitisch hatten sich zwei konfessionelle Blöcke ausgebildet und Reutlingen gehörte fest zum Schmalkaldischen Bund, in dem sich die meisten protestantischen Reichsstände zusammengefunden hatten.

Doch diese Entwicklung wollte Kaiser Karl nicht hinnehmen. Als deutlich wurde, dass vermittelnde Lehrgespräche die Gräben zwischen den Konfessionen nicht mehr zu schließen vermochten, entschloss er sich zu kriegerischen Maßnahmen. Es gelang ihm in kurzer Zeit, die Protestanten entscheidend zu besiegen. Reutlingen stand auf der Seite der Verlierer und musste nicht nur 20.000 Gulden Strafgeld entrichten und spanische Einquartierung erdulden, sondern sah sich auch vor die Frage gestellt, ob man das vom Kaiser vorgelegte "Interim" annehmen wollte(55), das die Protestanten in der Zeit bis zum Wiederzusammentritt eines Konzils weitgehend in die katholische Kirche zurückführen sollte.(56) Nach Beratungen am 3. Juni suchte der Rat aufgrund eines ausführlichen, ablehnenden Gutachtens der Prädikanten zunächst beim Kaiser einen Aufschub zu erlangen. Doch man erhielt den Bescheid, die Stadt müsse sich binnen fünf Tagen entscheiden. Darauf votierte der Rat am 13. Juni trotz erneuter Widerrede Albers für die Annahme des Interims. Am folgenden Tag beugte sich die in der Weingärtnerkelter zusammengerufene Bevölkerung bei nur 92 Gegenstimmen der kaiserlichen Macht und nahm das Interim an. Als daraufhin Mönche aus Zwiefalten am 19. August in der Marienkirche wieder die erste Messe lasen, bat Alber den Rat der Stadt bei Belassung im Reutlinger Bürgerrecht um "Urlaub" und trat wenig später in die Dienste Württembergs, das Alber schon zweimal zu gewinnen gesucht hatte: 1537 war ein erstes Angebot ergangen und 1543 sollte der Reutlinger Reformator, der als Zeichen der Hochschätzung am 8. Dezember 1539 von der Universität Tübingen zum Dr. theol. promoviert worden war, auf einen theologischen Lehrstuhl an die Landesuniversität berufen werden.

6: Alber in württembergischen Diensten

Epitaph von Matthäus Alber in Blaubeuren (Ausschnitt). Original in der Stadtkirche Blaubeuren.

Foto: Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, Nr. 2472.

Wo Alber zwischen August 1548 und Juli des darauffolgenden Jahres wirkte bleibt unsicher; einem Schreiben des Herzogs ist zu entnehmen, dass er wohl in Waldenburg und zuvor in Pfullingen als Prediger tätig war. Im Juli 1549 zog er mit seiner Familie nach Stuttgart, wo er zum Prediger an der Stiftskirche ernannt wurde. Zwar forderte der Kaiser am 10. Dezember 1549 die Entlassung Albers, doch Herzog Ulrich wusste seinen zwischenzeitlich zum Mitglied der Kirchenleitung ernannten Prediger zu halten. Auch unter dem seit dem 6. November 1550 regierende Herzog Christoph 1515/1550-1568 änderte sich an der Stellung Albers nichts.(57) Als Kirchenrat war Alber unter anderem für die Prüfungen der künftigen Theologen zuständig, hatte die über die Generalsuperintendenten eingehenden Visitationsprotokolle auszuwerten und besonders auf die Bekämpfung von Irrlehrern und Sektierern zu achten sowie die Lehre und den Lebenswandel der Pfarrer und Schulmeister zu überwachen. Einige spezielle Aufgaben, die Alber übertragen wurden, sind erhebbar: 1551 hatte er Wiedertäufer in Rommelshausen zu belehren, er war Mitglied jener Delegation, die gemeinsam mit Straßburger Theologen ebenfalls 1551 in Dornstetten über ein Bekenntnis berieten, das dem in Trient tagenden Konzil vorgelegt werden sollte. 1557 weilte Alber beim Religionsgespräch in Worms, das für die Protestanten zu einem Debakel wurde, da die streng lutherisch herzoglich-sächsischen Theologen um Matthias Flacius 1520-1575 abreisten und damit die Streitigkeiten im protestantischen Lager beispielsweise über die Notwendigkeit guter Werke oder das Abendmahl offenkundig machten.

Ein Zeugnis aus Albers Stuttgarter Zeit sind die von ihm und Wilhelm Bidenbach 1538-1571 gehaltenen Predigten gegen die übereilte Verurteilung von Hexen. In Süddeutschland waren am 3. August 1562 schwere Hagelstürme niedergegangen und hatten große Schäden verursacht. Allenthalben wurden diese Unwetter auf das Wirken von Hexen zurückgeführt. Dagegen stellten Alber und Biedenbach heraus, daß alle "für gewiß halten vnd festiglich glauben sollen / Das allein der ewig Allmechtig GOtt / als die erst / höchst / vnnd öberst vrsach / alles glücks vnd vnglücks / alles Segens vnd Flu(o)chs / vnnd in summa / alles gu(o)tten vnd bösenes ... anfenger vnd vhrheber seye / wie vns dessen die heilig Schrifft / vil klare vnd vnwidersprechliche zeugnuß gibt".(58) Der zentrale Ausgangspunkt der beiden Hofprediger war demnach - wie bei Brenz - die Aussage von der Allmacht Gottes.(59) Wenn nämlich Gott alles wirke, dann muß er auch Urheber des Wetters sein, wie z.B. Psalm 18 belege; wer dies nicht glauben wolle, "der glaubt nicht an den Allmechtigen / sonder an ein Halbmechtigen Gott".(60) Vor allem warnten sie die Regierenden davor "auff die peinliche fragen vnd folterungen zu gehen / darauß offt falsche gefährliche vermu(o)ttungen vnd Vrtheil erfolgen"; vor allem Frauen, die "von Natur so weich" seien, machten unter der Folter oft falsche Aussagen. Es gelte nach dem Grundsatz zu verfahren, es sei "allweg besser tausent Schuldiger loß gelassen zu haben / dann einen Vnschuldigen zu verurtheilen / vnd tödten".(61) Wie bei Jeremia die Zerstreuung des Volkes Israel als Strafe für seine Sünden herausgestellt werde(62), so sei auch dieses Unwetter vom 3. August auf die Sünden der Menschen zurückzuführen. Die Stiftsprediger mahnten daher, "jeder möge in sein eigen Bu(o)sen" sehen.(63) Zum Schluss ihrer Ausführungen knüpften sie an die zu Anfang herausgestellte Betonung der Allmacht Gottes an und gaben zu bedenken: "Kommt denn nach gethaner rechtschaffnen Christlichen Bu(o)ß / nichts destweniger / Hagel vnd ander vnglück über vns ... so sein wir nur dest seliger / als dardurch Gott vnsern Glauben probiern / ... / will".(64)

Alber, der vom Bibeltext ausgehend den Hexenwahn kritisch beleuchtete und die Allmacht Gottes herausstellte, war in dieser Frage mit Brenz einig, doch im Hinblick auf die von Brenz entwickelte Ubiquitätslehre wurde eine Differenz zwischen den beiden wichtigsten Theologen des Landes offenkundig. Brenz suchte durch diese Lehre die anhaltenden Streitigkeiten darüber, wie die Anwesenheit Christi im Abendmahl zu denken sei, zu lösen. Er stellte heraus, dass die menschliche Natur Christi auch an allen Werken der göttlichen teilhabe. Deshalb seien im Abendmahl göttliche und menschliche Natur Christi gegenwärtig. Alber jedoch, der streng vom Wortgeschehen ausging, konnte diese "ihm fremde christologische Spekulation" nicht nachvollziehen.(65) Da er zusicherte, seine abweichende Meinung nicht nach außen zu tragen, wurde ihm die Unterschrift unter das Stuttgarter Abendmahlsbekenntnis von 1559 nicht abverlangt. Im Übrigen verband Brenz und Alber eine freundschaftliche Beziehung und ersterer wusste es zu schätzen, dass Alber die "Kirchengeschäfte" in Stuttgart zuverlässig in Gang hielt, wenn er im Auftrag des Herzogs eine seiner zahlreichen Reisen unternehmen musste.

Nur an wenigen Stellen gewinnen wir Einblick in die persönliche Befindlichkeit Albers. 1553 wird berichtet, dass er wegen gesundheitlicher Probleme in Wildbad zur Kur weilte; 1558 konnte der 63jährige aufgrund einer Krankheit nicht nach Reutlingen – das ihn übrigens zweimal versucht hatte, wieder zur Rückkehr zu bewegen - reisen, um ein Erbe in Empfang zu nehmen. Die letzten Lebensjahre Albers waren durch persönliche Schicksalsschläge geprägt: Zwei seiner Söhne verloren kurz hintereinander ihre Ehefrauen und zwei der Töchter ihre Ehemänner.

Angesichts des fortschreitenden Alters verstand sich Herzog Christoph zu einer noblen Geste: Alber wurde am 23. April 1563 zum Nachfolger des letzten altgläubigen Abts von Blaubeuren gewählt und stand nun der 1556 eingerichteten Klosterschule vor. Mit dieser Funktion war Alber zugleich Prälat und damit Mitglied des Landtages.(66) In der schnell wachsenden Klosterschule wirkte er als Lehrer und Erzieher und hielt Vorlesungen beispielsweise über die Proverbien, den Psalter oder Paulusbriefe; zudem war Alber für die Verwaltung des Klosterguts und für die Einsetzung von Pfarrern und deren Visitation in vier zum Klosterbereich gehörenden Dörfern verantwortlich. In der Klosterkirche und in der Stadtkirche predigte der über 70jährige weiterhin regelmäßig. Erwähnt sei, dass Alber die Erhaltung des kostbaren Hochaltars der Klosterkirche zugerechnet wird, da dieses Juwel aus der Ulmer Schule trotz einer herzoglichen Verfügung, alle Bilder und Altäre zu entfernen, nicht zerstört wurde.

Als dem inzwischen weißhaarigen Prälaten die Nachricht vom Tod Brenz‘ überbracht wurde, war er tief bewegt. Er sprach davon, dass er an seinem 75. Geburtstag, den 4. Dezember 1570, unter die Erde kommen werde. Und in der Tat: am 1. Dezember, verschied Alber und wurde am 3. Dezember in der Stadtkirche Blaubeuren bestattet. Auf dem in der Stadtkirche hängenden Epitaph Albers heißt es:

"Ihn erzeugte die milde Natur zu gefälligem Wesen;

Sanfteren Geist gab sie keinem, auch offener’n nicht.

Standhaft lehrt er, der Erst‘, umringt von tausend Gefahren,

Reutlingens Bürgerschaft, Gott und Erlöser, dein Wort.

Deinen Namen bekannt‘ er und dein Verdienst und den Glauben;

Schmeichelnde Red‘ und Geschenk, Drohungen achtet er nicht.

Darum berief ihn als Hirten das rebenumgürtete Stuttgart,

Seinen Großen den Mann beizugesellen bemüht; ...

Bis er am Ende der Amtszeit Blaubeurens Kloster betreten

Und hier, selbst ein Greis, Jüngling‘ und Greise gelehrt".(67) 

7: Resümee

Im Studium vom Humanismus geprägt, wurde Alber durch die Begegnung mit Luthers Frühschriften schon um 1521 für die Reformation gewonnen. Als Prädikant in seiner Heimatstadt Reutlingen wirkte er vor allem durch seine Predigten: er stand zwischen 1521 und 1548 wohl wöchentlich auf der Kanzel! Trotz der ablehnenden Haltung des Konstanzer Bischofs und mehrfacher Intervention politischer Mächte gelang es ihm - vom Rat der Stadt gefördert und gedeckt - in kurzer Zeit nicht nur den Großteil der Bevölkerung, sondern auch zahlreiche Geistliche zu gewinnen und das städtische Kirchenwesen im Sinne Luthers umzugestalten. Zunächst feierte Alber 1524 die Messe in deutscher Sprache und reichte das Abendmahl unter beiderlei Gestalt; ein Jahr später wurde dann eine auf den oberdeutschen Prädikantengottesdienst zurückgehende, von Lied, Psalm und Predigt geprägte neue Liturgie eingeführt. In einer zweiten Phase galt es, das zarte Pflänzchen der Reformation gegen die Bedrohungen von innen, durch Bauern und Täufer zu verteidigen und klare Grenzen zu ziehen. Erst in einem dritten Schritt wurde wohl 1531 eine neue Kirchenordnung ausgearbeitet, wurden – gegen den Willen Albers – die Bilder abgeschafft und die letzten Elemente der alten Religion – Klöster und Patronatsrecht - beseitigt. In diesem Prozess wird Alber zwar als treibende Kraft greifbar, doch er fügte sich ganz in das Kollegium der Reutlinger Geistlichen ein, was schon daran zu erkennen ist, dass er sich in der Kirchenordnung keine herausragende Stellung sicherte und von ihm wenig gedruckte Schriften vorliegen.

Im Gegensatz zu zahlreichen oberdeutschen Theologen wurde Alber nicht durch Zwingli geprägt, sondern seine Theologie empfing ihre grundlegenden Impulse durch Martin Luther. Entscheidend waren für Alber die drei Exklusivaussagen: allein die Heilige Schrift, allein der Glaube, allein Jesus Christus. Er setzte auf die Kraft des Wortes Gottes und wie die Hagelpredigten belegen, spielte in seinem theologischen Denken die Allwirksamkeit Gottes eine herausgehobene Rolle. Die eigenständige Rezeption der Theologie Luthers führte auch dazu, dass er im Abendmahlsstreit Distanz zu Zwingli aber eben auch zu Brenz hielt.

Wie sein Briefwechsel mit Zwingli, Luther, Melanchthon, Bucer und Blarer belegt, war Albers Ansehen unter den Reformatoren groß; dennoch weitete sich aufgrund der politischen Konstellationen sein Wirkungskreis erst mit der Einführung der Reformation in Württemberg. Der Eintritt in württembergische Dienste brachte 1548 nochmals neue Herausforderungen. Alber erwies sich auch der Aufgabe als Stiftsprediger, Mitglied der Kirchenleitung und ab 1563 als Prälat und Klostervorsteher gewachsen; allerdings bedarf sein Einfluss auf die zweite Phase der Reformation in Württemberg noch näherer Untersuchung. 

Aktualisiert am: 19.03.2018

Konrad Sam und die Reformation in Ulm

Von: Konrad Hoffmann

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Sams Werdegang
  2. Erste Jahre in Ulm
  3. 2: Auf dem Weg zur Reformation in Ulm
  4. Anhang

Ulmer Münster

Fotografin: Gelga Glassner. Aus: Zehn Deutsche Dome, Berlin 1939, S. 193.

Im Mai 1524 gab es in der Reichsstadt Ulm einen Anlass für evangelisch gesinnte Bürger, sich über die vorsichtig schwankende Haltung ihrer Stadtregierung in Religionssachen aufzuregen.(1) Vier angesehene Bürger, die sich lutherisch nannten, darunter ein Ratsherr, wandten sich an den Rat mit einer Bittschrift, um Schutz vor den Mönchen und ihren Angriffen, den "reißenden Wölfen" zu erhalten. Wir müssen uns vergegenwärtigen, wie stark diese Fragen die Gemüter der Bevölkerung bis in tiefe Schichten bewegten. Das können wir schon an dem Zulauf der Versammlungen und an der ständigen Sorge des Rats um Unruhen und geradezu Angst vor Gewalt ablesen. Ihr bemerkenswert demütiges Schreiben endete in der Bitte um Gewähr friedlicher Zusammenkünfte der Evangelischen. Und sie beriefen sich auf den Reichstagsabschied von Nürnberg und dessen Aussicht auf ein Konzil mit der Weisung, bis dahin nichts zu predigen als "die Heilige approbierte Schrifft, das ist göttlich biblisch geschrifft, nit der Esopus (Fabeln)".(2) Diese Formulierung erschien in den Schriften der nächsten Jahre fast wörtlich immer wieder. Der Rat erwiderte entgegenkommend und handelte einmal rasch: Keine drei Wochen später ließ er am Veitstag, 15. Juni 1524 Konrad Sam, der in Ulm bekannt war, drei Probepredigten halten. Wenige Tage später erhielt er eine Anstellung als des Rats Prediger mit genauen Anweisungen und der Klausel, daß der Rat ihn "beurlauben" könne, wann er wolle. Sein Predigen sollen morgens um 6Uhr beginnen, "alsdann soll man unser Frauenmeß uberstan. Und soll zu unser Frauenmeß mit geleret werden."(3) Es war also festgelegt, daß die Messe ohne konkurrierende Predigt stattfinden sollte. Zwei Gottesdienste, also keine Entscheidung über eine Veränderung der Kirchenordnung im Sinne der Reformation, jedoch eine strenge Weisung, sich an die bloße Schrift zu halten und den Frieden nicht zu stören. Das ihm zugewiesene Barfüßerkirchle der Franziskaner auf dem Münsterplatz erwies sich schnell als zu klein.

Diese Berufung Sams, die von Ulmer Bürgern, unter anderen vom Stadtarzt Wolfgang Rychard, dem bedeutenden Wortführer der Humanisten in Ulm, lebhaft unterstützt wurde, fiel in eine wichtige Lebensphase des über Vierzigjährigen. Er hatte seit 1513 die Stelle einer seinerzeit neu gestifteten Prädikatur in Brackenheim im Zabergäu inne, wozu sein an der Universität erworbener Titel eines Licentiaten der Rechte die Voraussetzung war. Das württembergische Städtchen war durch die Vertreibung von Herzog Ulrich unter vorderösterreichische Regentschaft gekommen, und die Österreicher duldeten nichts Evangelisches im Land. Gut belegt ist die Begebenheit, dass der Bote des Ulmer Rats Konrad Sam um eine Stunde in seiner Behausung verfehlte, dieser war gerade in Richtung Reutlingen - Ulm weggeritten. Doch ehe wir die Lage, in die er kam, und sein Wirken betrachten, soll gefragt werden: Wer war, und woher stammte Konrad Sam?

1: Sams Werdegang

Sein Name begegnet in Texten und Briefen in der mundartlichen Form Saum - Som, latinisierend Somius oder gräzisierend Spriander = Same Er wurde in Rottenacker bei Ehingen/Donau geboren, das zum württembergischen Blaubeurer Amtsgebiet gehörte.(4) Von seinen Gegnern - aber auch von anderen - wurde er gern "der Rothenacker" genannt. Die wenigen Angaben über seine Herkunft geben Rätsel auf: Das Geburtsjahr 1483 und der Geburtsort Rottenacker sind gesichert; von seinen Eltern wissen wir nichts. Dafür aber ist belegt, dass Sam einen Stiefbruder in Ulm hatte, nämlich der angesehene Bürger Sebastian Fischer, der Schuhmacher und Zunftmeister war, und Vater des noch bekannteren Sebastian Fischer, der die Chronik "besonders von Ulmischen Sachen" geschrieben hat, die eine wichtige Quelle für viele Zeitgeschehnisse, auch im Blick auf Sam, darstellt. Fischer schreibt, dass sein Vater in Ulm geboren wurde, und zwar am Sebastianstag des Jahres 1483, und dass Konrad Sam seines "vatters bruder" sei. Die näheren Umstände dieser zeitlich so nahen Verwandtschaft erklärt er nicht.(5) Nur dass Sam eine Schwester Grethe, verheiratete Stocker hatte, die in Rottenacker lebte und in späteren Jahren beim Bruder in Ulm. Anzunehmen wäre somit Konrads Geburtstag am Ende des Jahres 1483, in der Nähe des Geburtstags von Martin Luther 1483-1548

Die erste Schulzeit verbrachte er in der Lateinschule im nahen Munderkingen, die spätere in Ulm, wo er wie sein aus Leutkirch stammender, berühmt gewordener Mitschüler Johann Faber = Fabri, 1478-1541 auch Singschüler im Münster war und "manche Gutheit genoß".(6) Seine gesellschaftliche Herkunft ergibt sich aus der Beziehung zur Familie Fischer, beide, Vater und Sohn, waren Mitglieder der Zunft der Schuhmacher.

In die Matrikel der Universität Tübingen hat sich im Jahr 1498 ein "Conradus Som de Munderkingen" eingetragen; mit 15 Jahren also nahm Sam seine Studien auf, was für damals nicht ungewöhnlich war. Dass Munderkingen als Heimatort angegeben ist, braucht nicht zu verwundern, war diese Stadt doch durch ihre geachtete Lateinschule für Tübingen bekannter als Rottenacker. Absolut gesichert ist seine Identität jedoch nicht. Sieben Jahre später, 1505, erscheint sein Name in den Matrikeln der Universität Freiburg, wohin manche Oberdeutsche zogen. Im selben Jahr wurde der Ehinger Jakob Locher dorthin berufen, der wie Jakob Wimpfeling 1450-1528 und Ulrich Zasius 1461-1535 beide Humanisten und Poeten, für Sam wichtige Lehrer wurden. 1509 war Sam wieder in Tübingen, wo er den Licentiatentitel der Rechtswissenschaften erwarb, mit dem die Berechtigung zum Predigerdienst verbunden war. Darauf Bezug nehmend wurde er von Gegnern meist als Kanonist bezeichnet. Er wird bis zu seinem nächsten bekannten Lebensabschnitt nicht nur studiert haben; das Studium war teuer.

Im Jahr 1513 hatte ein wohlhabender Priester in Brackenheim im Zabergäu namens Emhard eine Prädikantenstelle gestiftet, die mit 100 Gulden dotiert war und bestimmte Auflagen hatte: es sollte sowohl gepredigt wie die Messe gelesen werden. Konrad Sam erhielt diese Stelle und quittierte in Brackenheim im Dezember 1518 für 80 Gulden. Er muß dort recht früh die Botschaft aus Wittenberg vernommen und sich für Luther entschieden haben, denn bald hatte er mit Gegnern zu kämpfen. Die Bauernunruhen jener Jahre im Zabergäu, die bald scheiterten, haben ihn auch berührt. Obwohl er mit den sozialen Forderungen der Bauern sympathisierte, hat er später ihre Ausschreitungen kritisiert.

Durch Johann Gayling aus dem nahen Ilsfeld wurde Luther in jener Zeit auf ihn aufmerksam, und als er hörte, Sam gedenke wegzugehen, schrieb er ihm im Oktober 1520 ein Ermutigungsschreiben, das als erster Brief Luthers nach Württemberg eine gewisse Berühmtheit erlangte.(7) Einige Sätze aus diesem Brief seien angeführt: "Ja, wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu ringen, sondern mit bösen Geistern, die im Himmel diese finsteren Umtriebe leiten. Lasst uns daher standhaft bleiben ... So, streiten wir auch nicht in unseren, sondern des Herrn Kriegen. Darum seid tapfer und stark! Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein! ... Hierdurch habe ich Euch und mich zugleich ermahnen wollen, daß, wenn der Geist, der Gewalt hat, über Euch herfährt, Ihr Euren Platz nicht verlasset..."(8) Sam hat seinen Platz noch vier Jahre gehalten, bis er vertrieben wurde.

An den Ereignisses des Jahres 1524 fühlt sich Johann Eberlin 1568-1533 Franziskaner aus Günzburg und Verfasser reformatorischer Schriften, mitbeteiligt. Er sei als Flüchtiger drei Stunden bei Sam gewesen. Dies habe sein Kollege, der Pfarrer an der Johanniskirche, angezeigt. Der dortige Vogt Uriel Epp, "ein Mameluk", wie Eberlin schreibt, habe Sam noch nach einem Jahr beschuldigt, einem Gefangenen der Bauernunruhen zur Flucht verholfen zu haben.

Erste Jahre in Ulm

Sam war also auf der Flucht und nichtsahnend bei seinem Stiefbruder in Ulm eingetroffen. Wenig später war er des Rats Frühprediger mit der eingangs geschilderten Weisung. Er sollte also seine Gemeinde auf friedliche Wege und zum Gehorsam gegen die Obrigkeit leiten und alle Polemik vermeiden. Ob sie dafür den Richtigen ausgewählt hatten? Eine solch tiefgreifende Veränderung, die von der innersten religiösen Gesinnung bis in die gewohntesten Lebensformen reichte, man denke allein z.B. an die Beichtpraxis konnte unmöglich ohne Spannung nur auf abgeklärter hoher Ebene und mit der stets wiederholten Vertröstung auf ein Konzil vor sich gehen. So war es kein Wunder, dass die Polemik mit Altgläubigen bald weiterging, vor allem mit dem Dominikaner Peter Hutz gen. Nestler 1488-1540 der nicht nur mit Beschimpfungen, sondern auch mit Argumenten focht. Schon im Herbst 1524 stellte der Bürgermeister, der altgläubig gebliebene Patrizier Ulrich Neidhardt die Frage, ob man dem Prediger gestatten könne, dermaßen die Gebräuche in der Kirche anzutasten; riskiere damit für die Stadt die kaiserliche Ungnade. Damit war die stets vorhandene politische Brisanz der Konsequenzen genannt, die jahrelang besonders die Reichsstädte begleiten sollte. Sam wurde vor den Rat bestellt. Ihm wurde vorgehalten, man könne ihn jederzeit entlassen, man wolle ihn gegen einen Einspruch des zuständigen Konstanzer Bischofs nicht decken. Worauf Sam ebenfalls mit einem später wiederholten Vorbehalt antwortete, der ihm abgenommen wurde: Er sagte "...das er die Gepräuch ain zeitlang sovil das wort Gots erleiden mag, nit anfechten will." Am Ende wurde er doch gedeckt, und Nestler 1525 ausgewiesen. Auch die Klage des "plebanus", des Münsterpfarrers Sebastian Löschenbrand gest. 1526 sein Wirken stünde in Gefahr, und sowohl sein wie seiner Helfer Einkünfte aus Beichte und Kommunion seien im Schwinden, fand keine Berücksichtigung. Sams lapidare Antwort auf wiederholte Warnungen: Er wolle nach dem Befehl Christi davonziehen, wenn er Gott ungehorsam werden müsse.

Zwei Jahre später, 1526, veränderte sich das Bild wesentlich: Der Reichstag zu Speyer eröffnete mit seiner Formulierung, jeder Reichsstand solle es in Glaubenssachen bis zum nächsten Konzil so halten, wie er es gegen Gott und den Kaiser verantworten könne, die Möglichkeit zu weiteren Reformen. Sam beispielsweise gab das Zölibat auf und ließ sich nun mit "Elsbetha aus Bayern" trauen. Die Ehe blieb kinderlos. Der Rat wurde nun auch entschiedener im Vorgehen gegen die Mönche der Stadt. Eine weitere Veränderung ergab sich 1526 durch den Tod des für die Stadt samt ihres Territoriums leitenden Pfarrers Sebastian Löschenbrand; seine Stelle verwaiste, er blieb ohne Nachfolge. Sam, der Prediger des Rats, erhielt dadurch faktisch zusätzliche Aufgaben und mehr Autorität.

Schließlich wuchs sich ein Streitfall grundsätzlicher Natur zu einer Zerreißprobe für die Stadt und ihren Prediger aus: Es ging um die Abendmahlsauffassung und die Entscheidung, ob man Ulrich Zwinglis 1484-1531 oder Luthers Sicht folgen solle. Im Jahr 1526 erschien eine Druckschrift - niemand wollte ihre Veröffentlichung autorisiert haben! -: "Ain schöner und wolgeteutschter Bericht für den gemeinen Menschen, ob der Leyb Jesu Christi im Himel zu der Gerechten Gottes zu Eren und im Geist zu suchen, oder auff Erden im Brot wesentlich zu verhoffen sey ec. Gepredigt zu Ulm durch den Predicanten im Münster mit gutem Verstand ec. 1526". Die Schrift gibt Rätsel auf: Sam verteidigte sich in einem Brief an seinen Freund Johannes Schradin in Reutlingen, der scharf gegen dieses Büchlein geschrieben hatte: Er habe es weder drucken lassen noch stammten die darin enthaltenen Predigten von ihm. Andererseits jedoch schickte Sam die Schrift an Zwingli, der dem Inhalt seine volle Zustimmung gab. Die Darlegungen, mit zahllosen Bibelstellen am Rand versehen (von wem?) , wiederholten fast monoton und mit geringer Gedankengliederung die Grundthese: In der Schrift, dem einzig geltenden Maßstab, gebe es weder Sakrament noch Altar. Grundlage der Bedeutung des Abendmahls sei gemäß 1. Kor. 11: die Danksagung, das Gedenken, die Gemeinschaft und die Verkündigung. Dies wird in umständlicher Disputation mit einer unbenannten, mit "N." bezeichneten Person vorgetragen; allerdings sind die Ausführungen eindeutig. Die Sache selbst hat Sam später in seinem "Trostbüchlein", das den Streit beenden und mildern wollte, nicht anders vertreten. Die unmittelbare Folge für ihn waren scharfe Gegenschriften und zerbrochene Freundschaften, andrerseits die Zustimmung und immer engere Verbindung mit Zwingli, die erst mit dessen Tod endete.

Ein gefährlicher Angriff auf Sam kam von Dr. Johannes Eck 1486-1543 der auf der Durchfahrt, wie er meldete, in Ulm eine "greuliche predigt von dem Rottenacker", dem "seelenmörderischen Ketzer und hergelaufenen Buben" gehört und darauf dessen Absetzung betrieben habe. Der Rat antwortete nicht, bestellte aber Sam wieder vor, sprach ihm zu und drohte zugleich. In Sams Antwort steht der Satz, "Gott spricht durch den Propheten Jesaja: Schry und hör nit auff ...". Im übrigen wiederholte Sam seine Bereitschaft, zu gehen. Nach einem Gerangel mit Eck um einen neutralen Disputationsort, reist Sam mit starkem Geleit nach Bern, wo eine große Aussprache über drei Wochen vor allem die Schweizer voran brachte. Eck hatte Zwingli, "dem Verworfenen, Abtrünnigen vom Glauben, vermaldedeiten Ketzer und Gotteslästerer" abgesagt. Sam hat dabei in Bern und hinterher in Zürich eine Predigt gehalten, die gedruckt erhalten ist. In einem wichtigen Nachgespräch mit Zwingli und Ambrosius Blarer haben die beiden ihn für ihre civitas Christiana, das sog. Burgrecht, im Zusammenhang mit den oberdeutschen Städten zu gewinnen gesucht. Zwingli schrieb ihm hinterher von ihrer Freundschaft: "Lebe wohl und sei überzeugt, dass Zwingli, einst durch eiserne Ketten an Dich geknüpft, jetzt in vollem Vertrauen auf Deine gute und wohlwollende Gesinnung durch Diamantene Fesseln an Dich gebunden ist".

Die folgenden zwei Jahre bis zum Augsburger Reichstag 1530 waren für Sam dem Aufbau im Innern gewidmet. Er gab mit dem neugewonnenen Leiter der Lateinschule Michael Brodhag eine "Christliche Unterweisung" heraus, d.h. einen nicht nur für Kinder geschriebenen Katechismus, der in der Literatur als einer der bedeutendsten nach Luthers Katechismus gilt. 1529 folgte ein Gesangbüchlein, das leider verloren ist, und ein deutscher Psalter in Gebetsform. Beides zusammen bildet eine Grundausstattung evangelischen Lebens.

Doch in Glaubensfragen rückte während des Reichstags in Speyer 1529 die Reichspolitik wieder in den Vordergrund. Am Ostertag sprach Sam die Politik der Stadt deutlich an. Seine Zuhörer sollten die Personen in den Rat wählen, die der Ehre Gottes und seinem Wort den Vorzug geben. Aber auch innerstädtische Fragen standen nun vor Disputen mit den "Päpstlern": Sorge für die Schulen, für das arme Landvolk und anderes. Die Protestation von Speyer 1529, an der sich Ulm beteiligte und damit Position bezog, schien der Sache der Reformation zu dienen, aber das Scheitern des Schmalkaldischen Bundes ergab wieder einen Rückschritt. Man forderte Sam zu einem Gutachten über "die Schwabacher Artikel" und Martin Bucers 1491-1551 Gegenartikel aus. Dies zeigt, dass er nun in den Augen des Rats für die Religionssachen zuständig war. Sam versah die Sätze der Artikel mit daneben geklebten Glossen, - sie sind in seiner feinen Handschrift im Ulmer Stadtarchiv zu lesen - und er würdigte und kritisierte Luthers und Bucers Thesen auf seine Weise. Beispielsweise hieß es zum Artikel über die Kirche: "Die Kirch bleibt gewiß. Wa sie aber heutt versammelt sey, das weis ICH nicht." Allein dieser Satz mag das vergröbernde Bild vom "Schreyer von Ulm" korrigieren, wie ihn seine Gegner betitelten; auch die bis in neuere Zeit anzutreffende Vorstellung vom "selbstsicheren Polterer" wird von daher obsolet. Das im Original mit Großlettern geschriebene ICH bleibt am Leser hängen.

Schon früher, 1525, wurde Sam als Gutachter gerufen: Von Memmingen, das der Schweiz näher stand und vorwärts drängte, war er zusammen mit Urbanus Rhegius 1489-1541 aus Augsburg benannt. Desgleichen hatten ihn die Bauern vorgesehen, um ihre zwölf Artikel zu bewerten, anscheinend ohne weitere Folgen.

2: Auf dem Weg zur Reformation in Ulm

Vogelschau auf den Münsterplatz von Ulm etwa um 1650, Kupferstich von Matthäus Merian d. Ä.

Topographia Sueviae. Gemeinfrei.

In den meisten Erwähnungen von Sams Leben und Wirken wird das Wort von Frecht wiedergegeben, der ihn als "Stentor sane egregius" bezeichnet, wobei Homers "stentor" an seine mächtige Stimme denken lässt. Der weiterführende Zusatz in einem Brief an Ambrosius Blarer von Oktober 1533 gehört aber zu einer angemessenen Charakterisierung Sams hinzu: Frecht behauptete seine eigene geringe Fähigkeit, so zu predigen wie sein Vorgänger, sei ein schweres Joch oder Mangel, "in templo tam vasto", im so großen Münster, zu folgen "post optimum Somium, stentorem sane egregium, graciliter sonantem". Dies ist etwa so wiederzugeben: "Nach Sam, dem so sehr geschätzten, dem hervorragenden Redner mit seiner mächtigen Stimme und schlankem (hohem?) Ton". Jedenfalls war er ja nicht bloß der "Schreyer von Ulm", wie ihn sein "Intimfeind", der Chronist Thoman aus Weißenhorn bezeichnete, der seinen Tod folgendermaßen meldete: "Freytag nach Viti starb Conrad Rottenacker, dero von Ulm prediger und Selmorder, der wolt... zu aynem guten gesellen gann, da hat im Got der Almechtig das Glayt geben und sein gotlichen gwalt erzaygt und auff offener gassen gestrafft, und von Lewten so ungefarlich gesehen haben in ayn Hauß gefiert, da starb er von Stund an...".

Seine Predigten wurden oft nachgeschrieben; sein Neffe, der Chronist Sebastian Fischer, berichtet von hundert selbstgeschriebenen, die verlorengegangen seien. Von diesen überlieferte er Zitate in seiner Chronik. Wenn man das Trostbüchlein mitrechnet, liegen drei Predigten gedruckt vor. Am charakteristischsten ist wohl die in Bern gehaltene Predigt über die Heilungen und den Hauptmann von Kapernaum Mt. 8, 1-11 In ihr bietet Sam eine Betrachtung und Vergegenwärtigung Vers um Vers. Beispielsweise wird die Sorge des Hauptmanns um seinen Knecht im Gegensatz dazu vorgeführt, wie die Herrschaften heute mit ihrem Gesinde umgehen, oder seine Demut wird herausgestellt: "Ich bin nicht wert, daß Du unter mein Dach gehest..." Die "Summa" eines rechten "christenlichen Lebens, welche stadt in Glouben und Liebe..." in "Davids Ehebruch...", 2. Samuel, gibt es genug Gelegenheit zur Sittenpredigt, gerichtet an Hoch und Niedrig. Die Sprache ist voller volkstümlicher, anschaulicher Wendungen: David wird von Saul umgetrieben, "wie ain Grieb in einer pfannen". Welch ein Unterschied zu Martin Frecht!

Ein Gelehrter war Sam nicht, aber nicht unberührt von der humanistischen Bildung seiner Zeit. Seine Bibliothek war beträchtlich. Der Rat kaufte sie ihm 1533 gegen eine kleine Rente für seine Frau ab – hatte Sam schon eine Todesahnung? Sie enthielt viele von Luther geschenkte Schriften, natürlich auch die von Zwingli. Seine Glossen am Rand in seiner merkwürdig kleinzügigen Schrift zeugen von der intensiven Benutzung. Sein Briefwechsel mit den Reformatoren, vor allem Bucer und Zwingli korrigiert noch einmal die schon erwähnte Auffassung vom derben selbstsicheren Kanzelredner. Er ist offenherzig, fast bedürftig um Rat und Anlehnung bemüht. Zwingli befiehlt ihm geradezu, auzuharren, sich nicht zurückdrängen zu lassen. Im einzig erhaltenen Brief an Zwingli vom 22. Februar 1530 heißt es: Er misstraue seiner Überzeugungskraft gegenüber dem Ulmer "Oligarchen", er sei zu wenig verständig und beredt. An Bucer schrieb er am 1. Januar 1531: "Du hast mich vormals ermahnt, ich solle in der Sache Christi tapfer vorgehen, was ich auch zu tun angefangen habe." Oder später: "Hie hast Du, was Du verlangst... Ich fürchte Dich (Timeote), denn Du bist ein strenger Mann."

Wie Bernhard Besserer, der mit Sam - um einmal dessen bildhafte Sprache nachzuahmen - des Öfteren wie ein Leitpferd im Doppelgespann zusammenwirkte, über ihn dachte, sei hier ausführlich zitiert, weil es Grundsätzliches über das Verhältnis des Politikers zum Geistlichen enthält: Am 20. Juni 1538, genau fünf Jahre nach Sams Tod, schreibt Besserer an den Landgrafen Philipp von Hessen über des Rats "ersten und fürnemen Prädikanten": "Als verrückter jar Ainer meiner Herrn und Freund Ains erbarn Raths erster und fürnemer Predicant weiland Conrad Sam Licentiat selig welcher ain christenlicher gutherziger fromer Man und sein Leben in gutem Wandel, Ler und Lebens bis zu dem End beharrt, etlicher Irrthumb und Mengel dieselben abzutreiben die Oberkeit frewenlich und der schörpf angetast als ob sie an demselben schuldig... besorgt ich, daß aus solichem seinem unabläßlichen Will und Beharren zwischen der Gemain und der Oberkait ain solichen Unwill und Unainigkeit erwachse, dass es auch noch zu weiterem Übel ein stattliches Ursach sein mecht. Deshalben ich dann mit unterlassen denselben Predikanten mit dapfern Ursachen zu rechtvertigen (d.h. zur Verantwortung zu ziehen)". Man habe ihm mehrmals "bitlich" angeboten, seine Kritik an der Obrigkeit ihr selbst zu sagen, ehe er sie von der Kanzel äußerte, wenn das nicht helfe "so stend im dann zumal bevor, dawider an der Cantzel zu prediciern und zu fechten." Mit Auswärtigen, zum Beispiel den Straßburgern Martin Bucer und Wolfgang Capito 1478-1541 habe er die gleiche Erfahrung gemacht. "Es fehlt doch aber denen Leuten.. an dem, das sy der Politic noch auch nichts andres wissen oder erfarn, dann was sie in den Büchern lesen und finden, und sein unerkannt was zur Erhaltung der Commun und Regierung not und gut sey." Folgte man ihrem Eifer, so müsste der Rat nicht nur unnötige Kriege führen, sondern auch über benachbarte Herrschaften um des Glaubens willen geistlichen und weltlichen Zwang ausüben. - Politik und Gottesstaat, diese noch aktuelle Grundsatz-Spannung ist hier klassisch beschrieben. Überhören wir dabei nicht den Respekt des Bürgermeisters vor seinem Prädikanten. Und wir sollten Sam insofern in Schutz nehmen, als er doktrinäre Gegensätze erkannt hat und, wie bei seinen Gutachten, zu mildern versucht hat.

Er hat in Martin Frecht einen würdigen Nachfolger gefunden. Der Rat hatte sich vorher bei "Berühmtheiten" dafür umgesehen. Die zwinglianische Richtung wurde bald verlassen, wohl nicht zum Schaden Ulms. Ein Bild Sams gibt es nicht, von ihm, der die Bilder aus der Kirche tun ließ.

Wie hat Sam sich innerlich gefühlt in den neun oft schweren Jahren seines Amtes? Als er um 1528 seine Schriften für das evangelische Leben herausgab, war darunter der deutsche Psalter in Gebetsform. Mag er auch in die religiöse Literatur der Zeit gehören, so ist doch auch ein persönlicher Ton zu hören, besonders im 120. Psalm, der hier für sein Anliegen stehen möge:

"In nöten.

Ach lieber Herre zu dir schrey ich in dieser meiner bekümmernis. Herr erhör mich / Herr erreth mich von den bösen meulern / und von den falschen zungen die dein wort schmehen / und mich umb deiner warhait willen die ich bekendt hab unnd gepredigt. Wee mir das ich unnder fremdlingen die nicht aus dir geporen seynd / muß wonen / da man dem fryd feind ist. O Herr hylf mir aus yhnen. Amen."

Aktualisiert am: 19.03.2018

Johannes Brenz und die Reformation in Schwäbisch Hall

Von: Weismann, Christoph

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Die Begegnung mit Luther
  2. 2: Jugend und Studium
  3. 3: Prediger und Reformator in Hall
  4. 4: Die Ordnung des Kirchen- und Schulwesens
  5. Politik und Kirchenpolitik vom Bauernkrieg bis zum Augsburger Reichstag
  6. 5: Die Familie
  7. 6: Reformation in Württemberg
  8. Die Jahre bis zum Interim
  9. Die Flucht nach Württemberg
  10. Anhang

1: Die Begegnung mit Luther

Martin Luther (1483-1546)

Gemeinfrei

Am Montag nach Jubilate, 26. April 1518, fand an der Universität Heidelberg im Hörsaal der Artistenfakultät eine theologische Disputation statt.(1) Das Generalkapitel des deutschen Augustinereremitenordens hatte am Vortag in der kurpfälzischen Residenzstadt getagt. Der Wittenberger Ordensbruder und Theologieprofessor Martin Luther 1483-1546 seit einem halben Jahr aufgrund seiner Ablassthesen in aller Munde, hatte sich erboten, erstmalig außerhalb seiner Heimatuniversität seine neuen Erkenntnisse zur Diskussion zu stellen. Er hatte für Heidelberg Grundthesen über seine umstrittene Theologie erstellt und leitete das Gespräch. Die mehrheitlich schon betagten Professoren beteiligten sich höflich, aber doch eher zurückhaltend an der Disputation, während die Herzen der meisten Studenten und jungen Magister dem eindrucksvollen hageren Mönch aus Sachsen unvoreingenommen zuflogen. Unter diesen Studenten saß auch Johannes Brenz 1499-1570 aus Weil der Stadt. Für ihn und seine Kommilitonen, von denen viele später an führenden Stellen die Lehren Luthers vertreten sollten, wurde der Tag mit Luther zu einem Höhe- und Wendepunkt in ihrem Leben.

Einer der Teilnehmer erinnert sich später, dass Luther "seine ganze Theologie" in den insgesamt 40 Thesen zur Diskussion gestellt habe. Er sprach von der Untauglichkeit des Gesetzes und der menschlichen Werke zur Gerechtigkeit vor Gott, wie überhaupt der Mensch unfähig sei zum Guten, es sei denn Gottes Vergebung und Gnade werde demütig angenommen. Der freie Wille des Menschen ist nach Luther – im krassen Gegensatz zur Lehre der mittelalterlichen Scholastik – eine Fiktion, die nur zur Todsünde führt. Der Theologie der Herrlichkeit stellt Luther seine Kreuzestheologie entgegen: Allein der Glaube an das Werk Christi, allein die Liebe machen den Menschen vor Gott gerecht und lassen ihn teilhaben am Licht der Erlösung, am Heil und Leben. In weiteren Thesen brachte Luther seinen Gegensatz zur Aristotelischen Philosophie und seine Abhängigkeit von Paulus und Augustin zum Ausdruck, doch scheint dieses Thema nicht mehr diskutiert worden zu sein.

Zusammen mit Martin Bucer 1491-1551 dem späteren Straßburger Reformator, und mit Martin Frecht 1494-1556 der dann in Ulm predigte und in Tübingen lehrte, hat Brenz Luthers Disputation mitprotokolliert Und nach der öffentlichen Veranstaltung sollen er und Bucer in Luthers Herberge noch das Gespräch mit ihm fortgesetzt haben.(2) Einige Tage später äußerte Luther in einem Brief die "unbeschreiblich schöne Hoffnung", dass sich die wahre Theologie Christi, von den uneinsichtigen Alten verstoßen, nunmehr der Jugend zuwende.(3)

Für Brenz waren und blieben seit jenen denkwürdigen Heidelberger Tagen Luthers Theologie und seine reformatorische Neuordnung aller Lebensgebiete Vorbild und Maßstab für seine eigene Existenz. Diese Grundlagen bestimmten ihn als Prediger und Reformator der Reichsstadt Schwäbisch Hall, als Leiter der Kirche des Herzogtums Württemberg und als der führende lutherische Theologe im süddeutschen Raum.

2: Jugend und Studium

Über die Jugendjahre von Brenz sind wir nur relativ spärlich unterrichtet. Der am Johannistag, 24. Juni 1499, in der schwäbischen Reichsstadt Weil Geborene entstammte einer angesehenen Familie der Stadt.(4) Der Vater Martin Heß, genannt Brenz, war von 1511-1531 Schultheiß und Richter und starb 1537 als evangelischer Bürger in der katholisch gebliebenen Stadt. Die Mutter Katharina, eine geborene Henig, stammte wohl aus Enzweihingen, wo sie zur Zeit des Interims noch lebte. Johannes, der noch drei jüngere Brüder und mindestens eine Schwester hatte, besuchte die Schule seiner Vaterstadt, dann die Trivialschule in Heidelberg und erhielt seit 1511 seine weitere humanistische Grundausbildung auf der Lateinschule in Vaihingen/Enz. Jakob Heerbrand 1521-1600 erzählt später in seiner Gedenkrede auf Brenz nach dessen Tod, Brenz selbst habe ihm einst erzählt, er habe in seiner Jugendzeit "beinahe Tage und Nächte studierend zugebracht und sei oftmals gleich nach Mitternacht aufgestanden und mit seinem jüngeren Bruder, der sein Kopfkissen mitnahm, in die Stube gegangen, wo dieser sein Haupt zum Schlafe niederlegte, um dem Wachenden zum Troste nahe zu sein".(5) Auch später litt Brenz immer wieder unter Schlaflosigkeit.

Am 13. Oktober 1514 wird der begabte Schüler in Heidelberg als "Joannis Printz de Wyla" in die Universitätsmatrikel eingeschrieben und ist Angehöriger der "Schwabenburse" (Bursa realium) beim Augustinerkloster.(6) Der zwei Jahre ältere Philipp Melanchthon 1497-1560 ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Heidelberg; Brenzens enge Beziehungen zu dem 1512 nach Tübingen Weitergezogenen beginnen offenbar erst mit dem Zusammentreffen in Marburg 1529. Aber eine ganze Reihe älterer und jüngerer Mitstudenten und Dozenten sind später überwiegend als Vorkämpfer oder Anhänger der Reformation in Erscheinung getreten: Neben den schon erwähnten Bucer und Frecht wären zu nennen: Johannes Oekolampad 1482-1531 aus Weinsberg (später Reformator in Basel), bei dem Brenz Griechisch lernt, Johann Lachmann 1491-1538 aus Heilbronn, Theobald Gerlacher (Billicanus) um 1490-1554 Erhard Schnepf 1495-1558 der spätere Reformator in Hessen und Württemberg, Johann Geyling um 1495 - 1559 aus Ilsfeld, ferner Brenzens spätere Kollegen in Hall Johannes Isenmann (Eisenmenger) 1496/98-1574 und Michael Gräter 1492-1562 die Juristen Ludwig Hierter (später am Reichskammergericht, gest. 1539) und Johann Machtolf um 1495 - 1557 aus Esslingen, der Spiritualist und Historiker Sebastian Franck 1499-1542 der Hebraist Paul Fagius 1504-1549 und der aus Bruchsal stammende Schweizer Chronist Johannes Stumpf 1500 - um 1578 außerdem die späteren württembergischen Kanzler Nikolaus Müller genannt Mayer vor 1500 - 1549 und Johann Feßler 1502-1572 Immer wieder traf Brenz in seinem weiteren Leben Studiengenossen aus der Heidelberger Zeit; mit nicht wenigen blieb er lebenslang verbunden.

Bei seinem Grundstudium in der Artistenfakultät, bei dem er ganz im Sinne des Humanismus ausgebildet wurde, erwarb Brenz 1516 die akademischen Grade eines Baccalaureus und am 18. Oktober 1518 den des Magisters. Als Magister war er berechtigt, mit dem Studium der Theologie zu beginnen und gleichzeitig selbst Lehrveranstaltungen zu halten. 1519 wird Brenz Regens (Leiter) der Schwabenburse und 1520 erhält er zusätzlich eine Stelle als Kanonikus (Vikar) am Heidelberger Heiliggeiststift. In seinen exegetischen Vorlesungen - zuerst wohl über das Matthäusevangelium(7) - und wohl auch in gelegentlichen Predigten macht Brenz keinen Hehl daraus, daß er ein Anhänger Luthers und seiner biblischen Theologie ist. Da inzwischen – 1521 - das gegen Luther und seine Anhänger gerichtete Wormser Edikt ergangen war und der pfälzische Kurfürst bereits ein Verbot für von der Norm abweichende Lehrtätigkeit erlassen hatte, das offenbar auch direkt auf Brenz und Billican zielte, wurde die Lage für die beiden unsicher. So nahm Brenz ein Angebot, als Prediger nach Schwäbisch Hall zu gehen, dankbar an.

3: Prediger und Reformator in Hall

Im Jahr 1502 war in Hall an der Hauptkirche St. Michael von der Stadt selbst eine Prädikatur gestiftet worden. Sie sollte nicht nur den Einfluss des Rats auf das dem Würzburger Bischof unterstehende Kirchenwesen erweitern, sondern auch durch die Besetzung mit qualifizierten, humanistisch gebildeten Theologen dem Stadtklerus eine zuverlässige geistliche Führung geben. Auch Unzufriedenheit mit den Leistungen der Predigermönche des Barfüßerklosters mag eine Rolle dabei gespielt haben. Als 1522 die vakante Prädikatur wiederbesetzt werden sollte, berief man den jungen Heidelberger Magister Brenz, der am 8. September eine offensichtlich überzeugende Probepredigt gehalten hatte, auf die Stelle. 1523 empfing Brenz, wohl in seiner Heimatstadt Weil, die Priesterweihe und feierte seine Primiz, seine erste Messe; der Haller Rat ließ sich dabei vertreten durch eines seiner renommiertesten Mitglieder, durch den alten Salzsieder Hans Wetzel 1464-1530 (8) Bei der Anstellung von Brenz war man sich im Rat mit Sicherheit bewusst, daß der neue Prediger ein Lutheranhänger war. Aber solche "Parteigänger" saßen bereits auch im Haller Rat, eben zum Beispiel in der Person des einflussreichen Hans Wetzel. Sein Sohn Ludwig um 1498 - vor 1549 der am selben Tag wie Brenz in Heidelberg Magister geworden war, und vor allem der Studienfreund Isenmann dürften Brenz in Hall empfohlen haben. Isenmann wurde 1524 vom Rat die St. Michaels-Pfarrstelle übertragen, womit er Brenzens engster Mitarbeiter wurde. Und auch in der jenseits des Kochers gelegenen St. Katharinenkirche wirkte bereits seit 1521 mit Michael Gräter ein Anhänger der Reformation. Alle drei Theologen arbeiteten bis 1548 einträchtig in der Stadt zusammen, und durch die beiden Ehen von Brenz waren sie später sogar alle drei miteinander verwandt bzw. verschwägert.

Trotz dieser überaus günstigen Voraussetzungen wurde die Haller Reformation nur schrittweise und in bedächtigem Vorgehen durchgeführt. Das entsprach ganz dem Wesen und den Absichten von Brenz, der trotz seines jugendlichen Alters jeder Art von stürmischem oder womöglich gewalttätigem Reformeifer, jedem Zwang und jedem Radikalismus abhold war. Bei allen Änderungen setzte er allein auf die Macht und Wirkung des Wortes, auf die Predigt und seine theologische, an Luther geschulte Überzeugungskraft. So hielten sich auch die Kontroversen in Hall, wiewohl es auch hier vehemente Gegner der Reformation gab, in Grenzen.

1524 scheint es eine Disputation mit den Franziskanern gegeben zu haben(9), in deren Folge die Mönche das Barfüßerkloster mit der St. Jakobskirche "libere", also freiwillig, dem Rat übergeben und sich verheiratet oder lebenslange Pfründen im Spital angenommen haben.(10) 1526 wurde das Kloster dann endgültig aufgelöst. Von den Erträgen des Klosterguts hat der Rat einen Schulmeister samt Gehilfen besoldet und im Kloster neben regelmäßiger Predigt eine Lateinschule eingerichtet. Eine auf diese Schule sich beziehende Inschrift von 1527 am ehemaligen Barfüßerkloster nennt neben dem Schulmeister Johann Regulus (König) 1488/89-1570 und dem Pfarrer Isenmann auch den Prediger ("Ecclesiastes") Brenz und fügt seinem Namen den charakteristischen griechischen Wahlspruch "Speude bradeoos" - "Eile mit Weile" – bei.(11) Ebenfalls noch 1524 sind den Klerikern in der Stadt, sie hatten damals rund zwei Dutzend Pfründen in zwölf Kirchen und Kapellen inne, vom Rat die Konkubinen verboten worden: Sie mussten sich zwischen Entlassung und Heirat entscheiden.

An Weihnachten 1526 feierte Brenz in St. Michael mit der Gemeinde das erste evangelische Abendmahl in beiderlei Gestalt, also mit Gewährung des Laienkelchs.(12) Im sonntäglichen Hauptgottesdienst behält Brenz wie Luther die Liturgie der Messe bei, allerdings in deutscher Sprache und in reformatorisch "gereinigter" Form. Der lateinische Chorgesang der Schüler im Gottesdienst wurde ebenfalls weitergeführt und erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Hall aufgegeben. Katholische Messfeiern hat man in der Johanniterkirche und in der Schuppachkapelle - von Brenz heftig kritisiert - noch bis 1534 gehalten, wie überhaupt bis weit in die zweite Hälfte des Reformationsjahrhunderts noch eine altgläubige Minderheit im Rat saß; auch sonst regte sich in der Stadt immer wieder eine gewisse Opposition gegen das Neue.

4: Die Ordnung des Kirchen- und Schulwesens

Auf Anfang 1527 ist die "Reformation der Kirchen in dem Hällischen Land"(13) zu datieren, das berühmte große Gutachten von Brenz, das eine Art Entwurf zu einer Kirchenordnung für Hall darstellt. Diese endgültige Ordnung wurde dann noch im selben Jahr erlassen, sie ist aber nur in Teilen erhalten geblieben.(14) Die "Reformation" ordnet - soweit nicht schon zuvor geschehen - vor allem die neuen Gottesdienste, die Feiertage, den Kirchenbann, also die sehr umstrittenen kirchlichen Strafmaßnahmen, das Armenwesen, die Ehegesetzgebung und das Schulwesen. Dem Schul- und Bildungsauftrag galt Brenzens besondere Fürsorge. Er hält sowohl den Eltern als auch der Obrigkeit mit großem Nachdruck ihre hohe Verantwortung dafür vor: Die Jugend ist der höchste Schatz einer Bürgerschaft; "es begibt sich zuzeiten, dass ein redlicher frommer Burger durch sein Geschicklichkeit einem ganzen Land Übel verhindert, ja ist besser dann hundert Buchsen ... Woher kommt aber solcher Mann? Er entspringt freilich nit aus einem Felsen, so wächst er nit auf den Bäumen, sonder er wächst und entspringt aus der Jugend ... So man nun viel Kostens auf Buchsen wendt, warum wollt man unfleißig sein, auf den jungen Haufen doch etwas zu wenden, welch die besten Buchsen einer ganzen Stadt geacht werden".(15) Man läßt sich die Stadtbefestigung viel Mühe und Geld kosten, aber das reicht nicht. Die Jungen sind die besten zukünftigen Mauern einer Stadt: Mit ihrer sorgfältigen Erziehung kann man viel Übel vermeiden und so ist dem "gemeinen Nutzen" am besten gedient.

Den Vorschlägen von Brenz sollten alsbald Taten folgen: Es wurden neue, vom Rat besoldete Lehrer eingestellt und das Schulgeld, das bisher für die Armen den Zugang zur Schulbildung verhindert hat, entfiel. Zudem wurde ermöglicht, daß auch die Mädchen Unterricht erhalten – eine fast revolutionäre Neuerung für die damalige Gesellschaft. Seine Begründung: "Die Geschrift die Hl. Schrift gehort je nit den Mannen zu allein, sie gehort auch den Weibern zu, so mit den Mannen gleich ein Himmel und ewig Leben warten".(16)

Auch die Theologen selbst nahmen ihre Verantwortung zur Jugenderziehung wahr. Ebenfalls noch 1527 richtete Brenz in Hall Katechismusgottesdienste ein.(17) Für alle Reformatoren bildete die kontinuierliche Erziehung der Gemeinde im neuen Glauben und in ethischen Fragen eine vordringliche Aufgabe. Neben der Predigt dienten diesem Ziel vor allem die speziellen Katechismusgottesdienste und "Kinderlehren", die zwar in erster Linie an die "Jungen und Einfältigen" gerichtet waren, immer aber auch die übrige Gemeinde im Blick hatten. In diesem Zusammenhang entstand nun auch in Hall mit den "Fragstücken des christlichen Glaubens für die Jugend zu Schwäbischen Hall" Brenzens erster Katechismus als Zusammenfassung des Lehr- und Lernstoffs in einem handlichen Elementarbüchlein. Es erschien 1528 - im Jahr vor Luthers Kleinem Katechismus – im Druck, allerdings in einer nicht von Brenz autorisierten und offenbar auch veränderten und erweiterten Fassung, die er im Vorwort zu seinem 1535 veröffentlichten zweiten Katechismus deutlich kritisiert. Mit diesen zweiten "Fragstücken", einem der kürzesten und prägnantesten Katechismen der Reformationszeit, haben wir dann den berühmten eigentlichen Brenz-Katechismus vor uns. In 15 (seit 1553 18) Fragen und Antworten werden die sechs "Hauptstücke" Glaube (das Apostolicum), Gebet (das Vaterunser), Gebote (der Dekalog), die Sakramente Taufe und Abendmahl und das Predigtamt als "Schlüssel des Himmelreichs" behandelt. Die beiden berühmten und von vielen anderen Katechismen dann übernommenen Eingangsfragen lauten in der Fassung der württembergischen "Kleinen Kirchenordnung" von 1553: "Welches Glaubens bist du? Antwort: Ich bin ein Christ. Warum bist du ein Christ? Antwort: Darum dass ich glaub an Jesum Christum und bin in seinem Namen getauft".(18) Der Katechismus war in weit über 500 verschiedenen nachweisbaren Ausgaben verbreitet und wurde in mindestens 14 Sprachen übersetzt.(19) Er ist 1536 zum Landeskatechismus und fast zu einer Art Bekenntnisschrift für Württemberg geworden. Ende des 17. Jahrhunderts hat man den Katechismus hier um die Lutherfragen zum Credo, Vaterunser und Dekalog erweitert und in dieser Fassung ist er als der "Württembergische Katechismus" bis in die Gegenwart in Gebrauch. In einer ganzen Reihe weiterer Territorien war das Brenzsche Lehrbüchlein verbreitet oder offiziell eingeführt.

Eine umfangreiche Auslegung der Fragstücke von 1535, aus Haller Katechismuspredigten entstanden, erschien ab 1551 in mehr als 40 lateinischen, deutschen und fremdsprachlichen Ausgaben.(20) Das Buch gehört als Zusammenfassung der Theologie von Brenz zu den unzweifelhaft besten Werken des Reformators und ist, nächst den Fragstücken selbst, sein am weitesten verbreitetes und am häufigsten nachgedrucktes Werk.

Seine Katechismen und seine katechetische Kompetenz haben Brenz zu Recht den Ehrentitel eines "Zweiten Katechismusvaters unserer evangelischen Kirche" (21) nach Luther eingetragen.

Doch kommen wir zurück nach Hall. In Predigten legte Brenz nicht nur einen Großteil der biblischen Bücher und den Katechismus aus, predigend begründete und begleitete er auch die reformatorischen Maßnahmen, einzelne Ratsmandate, lokale und politische Ereignisse oder er nahm Stellung zu geistlichen Fragen. Vor allem aus der Predigttätigkeit ist das bedeutende schriftstellerische Werk des Haller Reformators entstanden, das zwar nach Luther, aber vergleichbar mit Melanchthon und Johannes Calvin 1509-1564 zu den umfassendsten im 16. Jahrhundert gehört.(22) Gerade seine exegetischen Schriften haben nicht nur die evangelischen Theologen in halb Europa bis ins 17. und 18. Jahrhundert ihren Predigten und Studien zugrunde gelegt, auch für manchen katholischen Theologen jener Zeit waren sie ein "Geheimtipp".

Zu Brenzens ersten Veröffentlichungen in Hall gehören die beiden Predigt-Flugschriften von 1523 "Ein Sermon zu allen Christen von der Kirche und von ihrem Schlüssel und Gewalt und vom Amt der Priester", in der der Verfasser sich mit der römischen Kirche auseinandersetzt, und der "Sermon von den Heiligen". Diese letztgenannte Predigt hielt der Haller Prädikant am Tag des großen Jakobimarktes, am 25. Juli 1523.(23) Das göttliche Verehren der Heiligen, die das selbst niemals gewollt hätten, versteht Brenz nahezu als Abgötterei. Das angebliche Verdienst der Heiligen komme allein Christus zu: "Wir bedürfen keines Kanzlers bei Gott als allein unsern Herrn Christum".(24) Verehrung, Geldgaben und Hilfe sollen die Christen nicht den toten Heiligen, sondern den lebenden zuwenden, und das sind die Armen, Bedürftigen und Unterdrückten. "Vollbring den Willen Gotts, so hast du das ganz himmelisch Heer geehrt!"

In all seinem Einsatz für Kirche und Gesellschaft wollte Brenz, der auch persönlich ein Mensch von großer Bescheidenheit blieb, nichts sein als der Prediger des göttlichen Worts, der den ihm anvertrauten Menschen Gottes Vergebung und damit "Leben und Seligkeit" als ein unermesslich reiches Erbe anbieten durfte.(25)

Politik und Kirchenpolitik vom Bauernkrieg bis zum Augsburger Reichstag

Es gab zu Zeiten von Brenz im deutschen Bereich kein größeres politisches oder kirchenpolitisches Ereignis, mit dem er nicht in irgendeiner Weise zu tun gehabt hätte. Das begann mit dem Bauernkrieg und dem Abendmahlsstreit und führte über die Reformationsreichstage und Religionsgespräche bis zum Schmalkaldischen Bund und Krieg, zum Interim und zum Trienter Konzil. Weiter war Brenz ein gefragter Berater und Gutachter bei den Reformationsmaßnahmen der benachbarten Territorien, so in Brandenburg-Ansbach und Nürnberg, in Heilbronn und anderen Reichsstädten, in Württemberg seit 1534/35 und nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 in weiteren Gebieten wie in Baden und in der Pfalz und später in Wesel, im Herzogtum Jülich-Kleve-Berg und in Braunschweig-Wolfenbüttel. Zahlreiche ehrenvolle Berufungen in Bischofs- und andere kirchenleitende Ämter oder auf Universitätslehrstühle hat Brenz vor und nach dem Interim abgelehnt, so Berufungen nach Frankfurt a.M., Augsburg, Straßburg, Magdeburg, Tübingen, Leipzig, nach Brandenburg, Ostpreußen, Dänemark und England.

Ein zentrales Thema und vielverhandeltes Problem war zwischen 1525 und 1548, zwischen Bauernkrieg und Interim, für die reformatorischen Theologen und Politiker die Frage des Widerstandsrechts bzw. überhaupt das Verhältnis von Obrigkeit und Untertan, zumal wenn diese in Glaubensfragen verschiedene Wege gingen.(26) Schon zu Beginn des Bauernkriegs lässt Brenz in der Schrift "Von Gehorsam der Unterton gegen ihrer Oberkeit" (1525)(27) keinen Zweifel, dass das neutestamentliche Gebot der Unterordnung und des Gehorsams gegenüber jeder Obrigkeit auch für die Bauern gelte: Sie haben kein Recht, sich unter Berufung auf die neue evangelische Freiheit und einzelne Schriftstellen gegen ihre Obrigkeiten aufzulehnen. Widerstand gegen die weltliche Gewalt ist Widerstand gegen Gott. Tut allerdings die Obrigkeit etwas gegen Gott bzw. verlangt von den Untertanen, Unrecht zu tun, dann darf man den Gehorsam verweigern, muss aber allerdings die Folgen erleiden, ohne zur Gewalt zu greifen. In diesem Sinne stellt sich Brenz gegen die Bauernunruhen. Nachdem dann allerdings die Fürsten den Aufstand niedergeschlagen hatten und blutige Rachejustiz übten, fiel er diesen in seiner Schrift "Von Milterung der Fürsten gegen den aufrührischen Bauern"(28) ebenso energisch in den Arm. Er erinnerte die Obrigkeiten an ihr Christsein und ihre Pflicht zu Vergebung und Milde, vor allem angesichts der Tatsache, dass sie auch "nit allweg Seiden gespunnen" und durch viel Unrecht gegenüber den Bauern wesentlich zum Aufruhr beigetragen hätten. Durch Härte und Unbarmherzigkeit entstehe jetzt nur neues Übel.

Wieweit man solche Mahnungen gehört hat, bleibe dahingestellt. Der Haller Rat jedenfalls, der im Bauernkrieg sehr glimpflich davongekommen war, musste doch immer wieder von seinem Prediger vor zu harten Abgabenbelastungen gegen die Landbevölkerung gewarnt werden.

Noch im selben Jahr 1525 wurde Brenz in einen theologischen Streit über das Abendmahl verwickelt.(29) Oekolampad, inzwischen Pfarrer in Basel, vertrat in einer Schrift die auf Ulrich Zwingli 1484-1531 zurückgehende symbolische Deutung der Einsetzungsworte des Abendmahls und widmete sein Buch seinen alten Heidelberger Studienfreunden, die in Hall und Umgebung wirkten oder als Pfarrer des schon früh lutherisch gewordenen Adels im Kraichgau eine Anstellung gefunden hatten. Diese schwäbisch-fränkischen Theologen antworteten Oekolampad mit einer von Brenz verfassten Gegenschrift, dem sog. "Syngramma Suevicum", in der sie die Abendmahlslehre Luthers vertreten, nämlich die "Realpräsenz" von Leib und Blut Christi ("das ist mein Leib" – nicht: "bedeutet meinen Leib"). Es ging Brenz und seinen Freunden dabei um die Glaubwürdigkeit des Wortes Gottes und der Verheißungen Jesu. Diese theologische Kontroverse zeigt schmerzlich den Gegensatz zwischen der Wittenberger und der Zürcher Reformation, ein Gegensatz, der die neue im Entstehen begriffene Kirche nicht wenig belasten sollte. Landgraf Philipp von Hessen 1504-1567 dem an einem politischen Bündnis der evangelischen Territorien gelegen war, wollte durch ein Religionsgespräch über das Abendmahl die Gegner versöhnen. Beide Seiten lud er auf Oktober 1529 nach Marburg ein. Das Gespräch vereinte zum ersten und einzigen Mal die führenden Reformatoren Luther, Melanchthon, Johannes Bugenhagen 1485-1558 Brenz, Zwingli, Bucer, Oekolampad und andere, aber es brachte nicht die erhoffte Einigung.

Schon im Frühjahr desselben Jahres hatten 19 evangelische Reichsstände auf dem Zweiten Speyrer Reichstag aus Gewissensgründen gegen den kaiserlichen Reichsabschied protestiert - daher rührt bekanntlich der Name "Protestanten". Sie lehnten nachdrücklich ab, daß das die Lehre Luthers verbietende Wormser Edikt von 1521 durchgesetzt und sie in Fragen des Glaubens majorisiert würden. Die taktierenden Vertreter Halls gehörten nicht zu den Reichsstädten, die die Protestation unterschrieben hatten, worauf Brenz seinem Magistrat "den Harnisch wohl gefegt" habe, wie der Chronist Johann Herolt 1490-1562 schreibt.(30) Die Kritik von Brenz hatte sogar den Sturz einiger Ratsherren zur Folge.

Auch im folgenden Jahr 1530 auf dem Augsburger Reichstag blieben die Haller vorsichtig und schlossen sich nicht den Unterzeichnern der Augsburger Konfession an, obwohl sie durchaus eine evangelische Stadt sein und auch bleiben wollten. Brenz nahm an diesem Reichstag als theologischer Experte im Gefolge Markgraf Georgs von Brandenburg-Ansbach 1484-1543 teil. Er war dann auch, in ständigem engen Kontakt mit Melanchthon, an praktisch allen Verhandlungen über das Bekenntnis und die "Apologie" beteiligt.(31) Vermutlich hat Friedrich Myconius 1490-1546 in seiner "Geschichte der Reformation" 1542 an diese Ereignisse gedacht, wenn er berichtet, dass Melanchthon oft gesagt habe, "er wollt lieber einen einzigen Brentium bei sich im Concilio haben, denn keinen andern Theologum. Denn da wäre Verstand und Verständlichkeit, Rat und Tat beieinander".(32) Aus dem intensiven damaligen Briefwechsel von Brenz, vor allem mit dem Kollegen Isenmann in Hall, und aus der wertvollen Reichstags-Überlieferung im Haller Stadtarchiv sind wir über die dramatischen Ereignisse in Augsburg gut unterrichtet. Auch hier wird deutlich, in welchem Ausmaß Brenz immer wieder an Vermittlung und Ausgleich gelegen war, bei allem Festhalten am klaren Bekenntnis. Und fest stand für ihn auch, dass gewaltsamer Widerstand gegen den Kaiser nicht infrage kam. Die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzung stand freilich beständig im Hintergrund. Brenzens Befürchtungen in dieser Hinsicht sollten in den Schlussjahren seiner Haller Zeit noch bittere Wirklichkeit werden.

5: Die Familie

Lange vor diesen dramatischen Ereignissen gründete Brenz einen Hausstand. Wurde der Haller Prediger noch auf dem Reichstag in Augsburg 1530 von dem einflussreichen altgläubigen Theologen Johann Cochläus 1479-1552 nur deshalb zum Gespräch empfangen, weil er nicht wie viele seiner evangelischen Kollegen das Zölibat gebrochen hatte(33), so heiratete Brenz bereits im Dezember desselben Jahres die junge Witwe seines im Sommer verstorbenen alten Gönners Hans Wetzel. Freund Isenmann hatte den Reformator in einem Brief nach Augsburg dazu ermuntert.(34) Margarete geborene Gräter 1500/01-1548 die Schwester seines Amtsbruders an St. Katharina, gebar ihm sechs Kinder.(35) Sie starb in Hall am 18. November 1548 an der Schwindsucht, als Brenz bereits auf der Flucht war. Ihr Sohn Dr. Johannes Brenz 1539-1596 Theologieprofessor in Tübingen, hat in den 60er Jahren seiner Mutter einen Gedenkstein errichten lassen, der noch in der Michaelskirche erhalten ist.(36)

Der Reformator hat dann im September 1550 in Dettingen a. d. Erms eine zweite Ehe geschlossen mit einer Nichte Johann Isenmanns, Katharina Isenmann um 1530 - 1587 Weitere 12 oder 13 Kinder gingen aus dieser Ehe hervor(37), wodurch Brenz zum Stammvater einer sehr zahlreichen Nachkommenschaft wurde. Während aber der letzte Brenz-Namensträger schon 1670 starb, hat über die Brenz-Töchter so mancher bedeutende Kopf der schwäbischen und deutschen Geistesgeschichte den Reformator zum direkten Ahnherrn: Die Reihe reicht hier von Johann Albrecht Bengel 1687-1752 und Johann Jakob Moser 1701-1785 über Ludwig Uhland 1787-1862 Wilhelm Hauff 1802-1827 Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1770-1831 Ottilie Wildermuth 1817-1877 Hermann Hesse 1877-1962 und Bert Brecht 1898-1956 bis zu Dietrich Bonhoeffer 1906-1945 und den Brüdern Carl Friedrich geb. 1912 und Richard von Weizsäcker geb. 1920

6: Reformation in Württemberg

Von Hall aus stand Brenz, wie schon angedeutet, in fast ständigem Kontakt mit Markgraf Georg und mit den führenden Theologen in Ansbach und Nürnberg. So wurde der Haller Prediger folgerichtig auch an der langwierigen Beratung und Vorbereitung der dort erstellten Kirchenordnung von 1533 beteiligt. Sie wurde eine für Süddeutschland einflussreiche Ordnung, so auch für die württembergischen Gottesdienst-Agenden.(38)

Als 1534 Herzog Ulrich von Württemberg 1487-1550 sein Land nach der Habsburger Zwischenherrschaft zurückgewann und ungesäumt mit der Einführung der Reformation begann, war Brenz wiederum ein gefragter Berater und Gutachter. Im Sommer 1535 hielt er sich mehrere Wochen in Stuttgart auf, um mit den beiden Reformatoren Schnepf und Ambrosius Blarer 1492-1564 die notwendigen Ordnungen zu beraten, vor allem die Kirchen- und Gottesdienstordnung, die dann 1536 mit dem ihr eingefügten neuen Brenzschen Katechismus im Druck erschien, die Eheordnung und die Visitation. Schwierig gestaltete sich die Reformation der Universität Tübingen. Hier half zunächst im Herbst 1536 Melanchthon einige Wochen aus und bewog Brenz, ab April 1537 für ein Jahr lang einen der theologischen Lehrstühle zu versehen.(39) In dieses Jahr fällt auch der sog. "Uracher Götzentag" - 10. September 1537 -, ein Gespräch zur Lösung der ungeklärten und umstrittenen Bilderfrage.(40) Brenz und Schnepf setzten sich hier gegen Blarer für die Duldung der "unärgerlichen" Bilder in den Kirchen ein. In Hall und Umgebung sind dank dieser weitherzigen Haltung von Brenz die spätmittelalterlichen Altäre und viele weiteren Bildwerke erhalten geblieben.

Die Jahre bis zum Interim

Die 1540er Jahre brachten in Hall einen endgültigen Abschluss der Reformationsmaßnahmen und der Neuordnung des Kirchenwesens. 1542 war mit der Wiedererrichtung des Haller Landkapitels der organisatorische Zusammenschluss der Pfarrerschaft der Stadt und des Landgebiets erreicht; Johannes Isenmann wurde der erste Superintendent. Im Jahr darauf erschien die von Brenz verfasste endgültige Kirchenordnung im Druck: "Ordnung der Kirchen in eins ehrbaren Rats zu schwäbischen Hall Oberkeit und Gebiet gelegen".(41) Sie wurde 1615 und 1771 revidiert und galt so bis zum Anschluss Halls an Württemberg im Jahr 1802. Unter dem Datum des 1. Oktober 1543 erhielt Johannes Brenz vom Rat der Stadt eine Anstellung auf Lebenszeit, wobei ihm seine Geldbesoldung, die im Jahr 1522 nur 80 Gulden betragen hatte, nun auf jährlich 200 Gulden festgesetzt wurde. Das entspricht etwa der Besoldung eines gut etablierten Tübinger Universitätsprofessors, wobei jeweils noch die Naturalbesoldung hinzukommt.

Im letzten Jahrzehnt seiner Haller Tätigkeit wird Brenz verstärkt zu auswärtigen Angelegenheiten herangezogen, so vor allem zwischen 1540 und 1546 zu den Religionsgesprächen mit den Katholiken in Hagenau, Worms und Regensburg. Von ihnen erhoffte sich Kaiser Karl V. 1500-1558 eine Lösung der immer noch ungeklärten Religionsfrage – freilich vergeblich.

Auf dem zweiten Regensburger Religionsgespräch erfuhren die Teilnehmer im Februar 1546 von einem Boten aus Wittenberg den Tod Martin Luthers. Brenz und andere sind so erschüttert, daß sie ihren Tränen freien Lauf lassen. Die evangelischen Teilnehmer, so berichtet einer von ihnen, waren an diesem Tag zu keinen weiteren Verhandlungen in der Lage.(42) Im Vorwort zu seinem 1546/47 erschienenen Galaterkommentar widmet Brenz seinem Lehrer und Vater Luther einen bewegenden Nachruf.(43)

Wenige Wochen nach Luthers Tod begann der Schmalkaldische Krieg des Kaisers gegen die im Schmalkaldischen Bund seit 1531 zusammengeschlossenen protestantischen Reichsstände, deren Bundesmitglied seit 1538 auch Hall ist.(44) Die nun folgenden Ereignisse sollten zur schwersten Krise im Leben von Johannes Brenz führen.

Im Dezember waren die süddeutschen evangelischen Städte besiegt und Karl V. zieht an der Spitze seiner vor allem spanischen Truppen in Hall ein. Die Stadt muss horrende Strafgelder zahlen, die Quartierlast tragen und Plünderung, Mord und eine miteingeschleppte Seuche verkraften. Brenz, der selbst nur knapp einer Ermordung entging, soll zwar vor dem Kaiser eine Predigt gehalten und von ihm "gnädig" behandelt worden sein(45), aber doch wird auch sein Haus geplündert, und als belastende Dokumente dem Kaiser verfälscht wiedergegeben werden, muss Brenz aus der Stadt fliehen. Im Januar 1547 kann er noch einmal zurückkehren. Aber dann zwingt ihn das am 15. Mai 1548 erlassene "Augsburger Interim" zum endgültigen Verlassen der Stadt und seiner Kirche. Beiden hatte er 26 Jahre lang in großer Verantwortung und Treue mit dem Evangelium gedient.

Die Flucht nach Württemberg

Kolorierter Holzschnitt, nach 1568

Das sogenannte "Interim" war ein Reichsgesetz, das den evangelischen Reichsständen die Rückkehr zum alten Glauben befahl und "einstweilen" ("interim") bis zu einer Konzilsentscheidung Laienkelch und Priesterehe zugestand. Wie zahlreiche andere Theologen hat sich Brenz heftig und kompromisslos gegen dieses Gesetz ausgesprochen. In mehreren Gutachten und in einer in Magdeburg erschienenen Flugschrift(46) bezeichnet er das "Interim" als "Interitus" (Untergang) und die Wiedereinführung der alten Messe als Abgötterei. Zwar hält Brenz auch jetzt noch unverrückbar fest an seinem Prinzip des gewaltlosen Widerstands; das Evangelium kann nicht mit Mitteln gesichert werden, die Gott verboten hat. Aber doch macht sich Brenz Gedanken, ob Gott nicht einen Fürsten berufen könnte, der - alttestamentlichen Vorbildern entsprechend - die Sache seiner Kirche mit dem Schwert führen müsste. Aber dies zu erkennen ist schwer und angesichts möglicher Eigeninteressen gefährlich zu vertreten. So rät Brenz zum unermüdlichen Verhandeln und zum Ausnützen vorhandener Spielräume - wie man das in Württemberg ja dann auch erfolgreich getan hat.(47)

Kaiser Karl konnte sich ein derartiges öffentliches Bekämpfen eines Reichsgesetzes durch den obersten geistlichen Repräsentanten einer Reichsstadt begreiflicherweise nicht bieten lassen und erließ einen Haftbefehl gegen Brenz, den sein Kanzler Nicolas Perrenot de Granvelle 1484/86-1550 in Hall vollstrecken sollte. Durch eine gezielte Indiskretion erfuhr Brenz davon: "Domine Brenti, cito fuge, fuge!" – Fliehe, Herr Brenz, fliehe schnell! Er verließ am 24. Juni 1548, an seinem 49. Geburtstag, überstürzt und für immer die Stadt. Der enttäuschte Granvelle ließ daraufhin wieder die Spanier einmarschieren, die erneut die Bevölkerung drangsalierten. In St. Michael wurde wieder die katholische Messe eingeführt und die noch verbliebenen Pfarrer wurden verjagt und durch willfährige Interimspriester ersetzt.

Brenz wandte sich nach Württemberg, wo das Interim zwar auch galt, aber der ihm wohlgesonnene Herzog Ulrich war bereit, ihn zu schützen und zu verstecken. Er lebte so zunächst auf der abgelegenen Burg Hohenwittlingen bei Urach, später als Vogt "Huldrich Encaustius" auf Burg Hornberg bei Zwerenberg (Kreis Calw). Brenz musste dann aber Württemberg immer wieder für gewisse Zeiten verlassen und hielt sich in Straßburg, Basel und Mömpelgard auf, später auch teils kürzer, teils länger, in Mägerkingen auf der Schwäbischen Alb, in Sindelfingen und im nahegelegenen Schloss Ehningen bei Böblingen und zuletzt bis zur Übersiedlung nach Stuttgart im Sommer 1553 in Tübingen. In Mömpelgard und Basel lernte Brenz Herzog Christoph von Württemberg 1515-1568 kennen, der damals Statthalter in der zu Württemberg gehörenden burgundischen Grafschaft Mömpelgard war. Als Christoph im November 1550 nach dem Tod seines Vaters dessen Nachfolger wurde, war es für ihn selbstverständlich, den noch immer stellen- und heimatlosen Haller Theologen sofort zu einem seiner engsten Berater und Mitarbeiter zu machen, obwohl dieser "in der Schätzung des kaiserlichen Hofes einer der bestgehassten Männer damaliger Zeit" war.(48) Für den Herzog war es keine Frage, dass Brenzens Persönlichkeit unentbehrlich war für die anstehenden großen Aufgaben in Staat und Kirche nach dem Interim.

Aktualisiert am: 19.03.2018

Johann Lachmann und die Reformation in Heilbronn

Von: Jung, Martin H.

Johann Lachmann (1491-1539) als Habakuk am Kätchenhaus (auch Lachmann`sches Haus) in Heilbronn

Fotograf: Joachim Köhler

Die freie Reichsstadt Heilbronn bildete in der Reformationszeit ein kleines, selbständiges Staatswesen, das sich wie die meisten anderen reichsunmittelbaren Städte schon frühzeitig für die Reformation entschied. Der wichtigste Reformator Heilbronns war der Priester und studierte Jurist Johann Lachmann 1491-1539 ein Sohn der Stadt. Er trat nicht wie viele andere Reformatoren als Schriftsteller hervor und hatte kaum überregionalen Einfluss, wirkte aber als engagierter evangelischer Prediger unermüdlich für die neue Lehre. Seiner Heimatstadt verhalf er zu einem eigenen Katechismus und zu vorbildlichen Kirchen- und Gottesdienstordnungen. Besonders hervorzuheben sind sein ausgleichendes Auftreten im Bauernkrieg und sein behutsamer Umgang mit den Täufern. Aus diesen Gründen sind das Werk Lachmanns und die Reformation in Heilbronn nicht nur von ortsgeschichtlicher Bedeutung, sondern von Relevanz für die Reformationsgeschichte ganz allgemein. Gleichwohl gehört Lachmann zu den vergessenen Gestalten der Reformationsgeschichte. Wir kennen weder seinen Geburts- noch seinen Todestag, wir haben von ihm kein Bild und wir wissen nicht einmal, wo er begraben wurde.

Heilbronn zählte zu Beginn der Reformationszeit mehr als 6000 Einwohner und gehörte damit zu den großen Städten Deutschlands. Es verdankte seine Bedeutung einer besonders verkehrsgünstigen Lage. Weil der Neckar nur bis Heilbronn schiffbar war, wurden hier Waren vom Schiff zur Straße umgeschlagen, und zwei Fernstraßen, eine von Frankfurt am Main nach Italien und eine von Paris nach Prag, berührten den Ort. Zur Stadt gehörten vier Dörfer: Flein, Böckingen, Neckargartach und Frankenbach. Kirchlich unterstand Heilbronn dem Bischof von Würzburg. Insgesamt zählte die Stadt sieben Kirchen und zehn Kapellen. Die Pfarr- und Hauptkirche war St. Kilian. An ihren zahlreichen Altären und in den verschiedenen Kapellen der Stadt wurden von etwa 15 Priestern regelmäßig Messen gelesen. Heilbronn hatte außerdem drei Klöster. Das wichtigste war das außerhalb der Stadt, an der Straße nach Weinsberg gelegene Karmelitenkloster. Dort gab es ein berühmtes, wundertätiges Marienbild. In der Stadt befanden sich ferner ein Franziskaner- und ein Klarissenkloster, woran noch heute die Klostergasse und die Klarastraße erinnern. Sieben auswärtige Klöster besaßen Wirtschaftshöfe im Ort, weil sie am Heilbronner Wein interessiert waren, und der Deutsche Ritterorden hatte in der Stadt ebenfalls eine Niederlassung, eine sogenannte Kommende. Schließlich gab es noch zwei Beginenhäuser, in der Lamm- und der Hämmerlinggasse. Berühmt war Heilbronn seit 1512 wegen kostbarer Reliquien, darunter ein Fetzen von einem Kleid Marias, ein Stück von dem Schwamm, mit dem Christus am Kreuz getränkt wurde, und ein Knochenfragment vom Arm des Heiligen Bartholomäus.(1)

Johann Lachmann wurde im Jahre 1491 in Heilbronn geboren.(2) Sein Geburtstag ist wie bei vielen Menschen, die im 15. Jahrhundert das Licht der Welt erblickten, nicht bekannt, denn damals gab es noch keine Kirchenbücher, in die man Geburten und Taufen eingetragen hat, und auch im Leben des Kindes und des Erwachsenen spielte der Geburtstag nicht die Rolle, die er heute hat. Lachmanns Vater Bernhard war Glockengießer und zeitweilig Mitglied des Stadtrats, stammte aber wahrscheinlich nicht aus Heilbronn, und seine Mutter Anna war die Tochter eines Heilbronner Schuhmachers. Sie war die zweite Frau von Bernhard Lachmann.

Johann Lachmann besuchte als Kind in Heilbronn die Lateinschule. Diese hatte einen über die Stadt hinausreichenden Ruf. Die Behauptung, auch der gebürtige Brettener Philipp Melanchthon 1497-1560 sei in diese Schule gegangen, ist aber zweifelsfrei falsch. Lachmann studierte ab 1505 in Heidelberg. Dort lernte er wahrscheinlich Melanchthon und Johannes Brenz 1499-1570 kennen. Das damals übliche philosophische Grundstudium schloss Lachmann 1508 erfolgreich ab und erwarb den Magistertitel. Danach begann er mit dem Studium der Rechtswissenschaften, wozu sowohl das weltliche als auch das kirchliche Recht gehörten. Dieses Studium hat er aber abgebrochen, um in Heilbronn eine Pfarrstelle zu übernehmen. Daß jemand, der nicht Theologie studiert hatte, Pfarrer wurde, war damals nicht ungewöhnlich. Christlich geprägt war ohnehin jeder Studiengang, ja die ganze Universität. 1514 ließ sich Lachmann in Würzburg zum Priester weihen und wirkte anschließend als Pfarrverweser an St. Kilian in Heilbronn.

Als Pfarrverweser war Lachmann nur der Vertreter des Pfarrers. Doch der eigentliche Pfarrer war ein Würzburger Domherr, der die Heilbronner Pfarrei nur formell innehatte, aber nie selbst betreute. Er bezog die damit verbundenen Einkünfte, ließ jedoch die Arbeit durch einen Vertreter erledigen. Diese Ämterhäufungen und Amtsabwesenheiten waren damals verbreitet, und das Missfallen, das sie erregten, war einer der Gründe für die Reformation. Verärgert waren viele Menschen auch über die den Klerikern eingeräumte Steuerbefreiung und über teilweise skandalöse sittliche Zustände im Klerus, wofür es auch aus Heilbronn Zeugnisse gibt.

Lachmann war also der wichtigste Pfarrer Heilbronns. Er hatte den Auftrag, die heiligen Sakramente zu verwalten, und das hieß täglich die Messe zu lesen, Taufen, Trauungen und Krankensalbungen durchzuführen und Beichte zu hören. Ihm zur Seite standen drei Hilfspriester. Die Wortverkündigung war ihm nicht aufgetragen. Dafür gab es in Heilbronn noch einen extra Prediger. Fünf Pfarrer betreuten also 6000 Gemeindeglieder, eine Pfarrerdichte, von der man heute nur träumen kann.

Lachmann nannte sich eigentlich "Lachamon". Wie andere damals ihre Namen ins Lateinische oder Griechische übersetzten oder übersetzen ließen (Melanchthon, Capito, Grynäus, Oekolampad ...), um sich als Gelehrte auszuweisen, so hat Lachmann vermutlich seinen Familiennamen verfremdet, um sich als studierter Jurist von den einfachen Handwerkern gleichen Namens abzuheben.

Im Frühjahr 1521 wurde Lachmann in Heidelberg zum Doktor der Rechtswissenschaften promoviert, und im gleichen Jahr bekam er in Heilbronn die Predigerstelle an St. Kilian übertragen. Diese war eine städtische Einrichtung, die bereits im Jahre 1426 durch eine Stiftung der Witwe Anna Mettelbach geschaffen worden war. Solche Predigerstellen gab es in vielen Städten. Durch sie sollte das kirchliche Angebot ergänzt werden, denn die gebildete Stadtbevölkerung bemängelte an den kirchlichen Amtsträgern, daß sie zu wenig oder zu schlecht predigten. Über die Besetzung der Stelle entschied nicht der Bischof, sondern der Rat der Stadt. Lachmann bekam die Stelle, obwohl sich namhafte Männer von auswärts beworben hatten. Er wurde gewählt, weil er ein Sohn der Stadt war und weil man mit seiner bisherigen Arbeit als Pfarrer zufrieden war.

Als Lachmann Prediger wurde, war die Reformation in Deutschland und der Schweiz bereits im Gange. Luthers Gedanken wurden in Flugschriften im ganzen Land verbreitet. Auch nach Heilbronn kamen Buchhändler, die solche Texte auf dem Markt verkauften wie andere Krämer Lebensmittel und Handwerkswaren. Bereits 1520 und 1522 gingen jeweils zwei junge Heilbronner zum Studium nach Wittenberg. Sicher interessierten sie sich im fernen Sachsen nicht für Land und Leute, sondern für die neue Theologie. Auch andere Anhaltspunkte gibt es dafür, dass es 1521/22 in Heilbronn bereits Anhängerinnen und Anhänger der Reformation gab.(3)

Besonderes Aufsehen erregte 1521 Luthers Auftreten in Worms, wo er sich unter Berufung auf Bibel, Gewissen und Vernunft vor Kaiser Karl V. 1500-1558 und den Reichsfürsten weigerte, seine Lehre zu widerrufen. Immer mehr Pfarrer begannen, Luthers Botschaft von der Freiheit eines Christenmenschen und der Rechtfertigung aus dem Glauben allein von der Kanzel zu predigen. Schon seit 1520 wurde in Weinsberg von Erhard Schnepf 1495-1558 evangelisch gepredigt. Auch Lachmann wurde von der neuen Lehre erfasst. Wir wissen nicht wann, wo und wie, aber sicher ist, dass er spätestens im Jahre 1524 in Heilbronn die Botschaft der Reformation verkündigte.

Noch ein anderer für den fränkischen Raum bedeutender Mann wurde in jener Zeit in Heilbronn für die Reformation gewonnen: der Reichsritter Gottfried von Berlichingen 1480-1562 dem Goethe 1773 mit seinem "Götz" ein bleibendes Denkmal gesetzt hat. Von 1519 bis 1522 war er nämlich in Heilbronn in Haft und muß dabei mit reformatorischem Gedankengut in Berührung gekommen sein.(4)

In Heilbronn fasste die Reformation schnell Fuß. Sie fand Unterstützung in der Stadtobrigkeit, bei den Schuhmachern und auch bei den Franziskanermönchen. 1524 verließen zwei "Barfüßer", wie man die Franziskaner wegen ihres asketischen Verzichts auf Schuhwerk nannte, ihr Kloster. Einer ging zum Studium nach Wittenberg, der andere heiratete. Im März 1525 forderte der Rat die Franziskaner dazu auf, "das heilige Evangelium" zu predigen. Die Forderung nach evangelischer Predigt war in Heilbronn wie in vielen anderen Orten ein erster Schritt zur Durchsetzung der Reformation. Es gab jedoch Heilbronner Bürger, die an der alten Kirche und am traditionellen Glauben festhalten wollten. Jahrelang wurde in Heilbronn um die wahre Lehre und den rechten Weg der Kirche gestritten. Gleichzeitig fanden evangelische und katholische Gottesdienste statt, und die Bürger konnten entscheiden, welche Kirche sie besuchten. Manche gingen aber auch bewußt und absichtlich in den "gegnerischen" Gottesdienst, um dort durch Zwischenrufe die Feier zu stören. An diesen Provokationen beteiligten sich häufig Frauen. Die aktive Rolle von Frauen bei der Durchsetzung der Reformation wurde lange ignoriert, doch ohne ihre Beteiligung hätte es keine Reformation gegeben. Sie konnten zwar keine Führungspositionen bekleiden, aber die konkreten örtlichen Auseinandersetzungen gaben ihnen die Möglichkeit, einzugreifen und Partei zu nehmen.

Seit 1528 wurde in Heilbronn das Abendmahl unter beiderlei Gestalt angeboten und mit einer deutschen Liturgie zelebriert. Die erste evangelische Abendmahlsfeier fand am Donnerstag, dem 7. Mai 1528 morgens um fünf Uhr statt. 32 Männer und 46 Frauen nahmen daran teil. Das Sakrament wurde nicht von Lachmann, sondern von Diakon Wilhelm Dohl gereicht. Dass mehr Frauen als Männer an dieser Feier teilnahmen ist bezeichnend und zeigt uns noch einmal die wichtige Rolle von Frauen beim Reformationsgeschehen. Am Sonntag nach jenem denkwürdigen Tag feierten in der Kilianskirche bereits hundert Personen das evangelische Abendmahl, doch nach wenigen Wochen, an Fronleichnam 1528, gebot der Rat, diese Feier wieder einzustellen. Aber dann wurde der altgläubige Bürgermeister Konrad Ener durch Hans Riesser ca. 1489 - ca. 1553 einen Anhänger der Reformation, abgelöst. Vom 28. Juni 1528 an wurde das Abendmahl wieder evangelisch gefeiert.

Für Lachmann war die Abendmahlsfeier mit Brot und Wein eine wichtige Sache. Er glaubte, darin liege eine besondere Kraft, das Mahl würde zur Besserung des Lebens verhelfen. Er bekannte sich zu Luthers Abendmahlslehre, nach der Christi Leib im Brot und sein Blut im Wein enthalten sei, was allerdings die Vernunft nicht begreifen könne. Im Jahre 1525 hatte Lachmann zu den Unterzeichnern des Syngramma Suevicum, des "Schwäbischen Buchs", gehört, einer von Brenz verfassten wichtigen Abendmahlserklärung, die sich gegen die symbolische Abendmahlsauffassung der Schweizer Reformation, gegen Basel und Zürich, richtete und Luthers "realistische", der katholischen Sicht nahestehende Position unterstützte.


Stadtansicht Heilbronns von Westen. Kolorierter Kupferstich aus Civitates Orbis terrarum, 1617

Gemeinfrei

Im Jahr 1529, als der Turm der Kilianskirche nach 22jähriger Bauzeit vollendet wurde, begann Heilbronn mit einer Erneuerung des Kirchenwesens auf allen Ebenen. Die Einkünfte der Kapellen und der kirchlichen Stiftungen wurden dem Spital und der Armenfürsorge zugewendet. Das Betteln auf den Straßen und in den Wirtshäusern wurde verboten. Das öffentliche Tragen der Monstranz war nicht mehr erlaubt. Viele Feiertage wurden abgeschafft. Beibehalten blieben neben denen, die wir heute noch kennen, unter anderem die Apostel- und Marientage. 1530 wurde die Feier der Fastnacht untersagt; traditionell hatte es in Heilbronn einen Umzug gegeben, bei dem die Hauptfigur ein Riese war.

1529/30 wurde Heilbronn von einer schweren Seuche heimgesucht. Man sprach vom "Englischen Schweiß". Viele Menschen, genannt wird die wahrscheinlich übertriebene Zahl von 2000, fielen ihr zum Opfer. Für evangelische Christen war das eine Warnung Gottes und Mahnung zur Buße. Die Katholiken in Heilbronn dagegen sahen darin eine göttliche Strafe für den durch die Reformation erfolgten Bruch mit der religiösen Tradition.

Während Heilbronn, unter Lachmanns Anleitung, die reformatorische Umgestaltung des Gemeinwesens vorantrieb, stellte es sich auch in der Reichspolitik offen auf die Seite der "Neugläubigen". 1529 unterstützte die Stadt auf dem Reichstag zu Speyer, vertreten durch Bürgermeister Riesser und den Ratsherrn Hans Baldermann, mit 13 weiteren evangelischen Städten und sechs Fürsten den Protest der evangelischen Stände gegen die antireformatorischen Beschlüsse der altgläubigen Reichstagsmehrheit.

1530 schuf Heilbronn, anlässlich des Reichstags in Augsburg, ein eigenes evangelisches Bekenntnis.(5) Lachmann dürfte die "Verantwortung" in Absprache mit seinen Kollegen und dem Rat verfaßt haben. In sechs Artikeln wurden die Themen Messe, Totengedenken (Vigilien), Taufe, Priesterehe, Abendmahl und Beichte behandelt und die in Heilbronn eingeführten Neuerungen geschildert und begründet. Das theologische Zentralthema der Reformation, die Rechtfertigungslehre, wurde nicht behandelt, und auch die schwierigen Kontroverspunkte Bischofsamt und Papsttum wurden ausgeklammert. Auf dem Reichstag wurde das Heilbronner Bekenntnis dem Kaiser jedoch nicht übergeben, sondern die Stadt, vertreten durch Bürgermeister Riesser, unterstützte am 14. Juli 1530 das von Melanchthon erarbeitete evangelische Bekenntnis, das als das "Augsburger Bekenntnis" bis heute in allen lutherischen und vielen unierten Kirchen zur Bekenntnisgrundlage gehört. Die Evangelischen hatten in Augsburg keinen Erfolg, und Lachmann reagierte enttäuscht und mit scharfen Worten auf den negativen Reichstagsabschied des Kaisers. In einem Schreiben an den Rat nannte er die kaiserliche Erklärung, die von den Evangelischen ultimativ die Rückkehr zur alten Kirche verlangte, "heftig und greulich, verfasst vom Satan durch seine Glieder, Bischöfe, Kardinäle und Papst".(6) Lachmann täuschte sich jedoch, wenn er glaubte, der Kaiser sei daran ganz unschuldig.

In den dreißiger Jahren wurden in Heilbronn neue Tauf-, Ehe- und Gottesdienstordnungen eingeführt und das Armen-, Schul- und Krankenwesen neu organisiert. Am 8. Dezember 1531 hat der Rat die katholische Messe verboten. Nur ein Bürger, der Hufschmied Peter Herrenschmied, wagte es, sich öffentlich gegen das Verbot zu erklären. Gleichzeitig wurden die Mönche und Nonnen aufgefordert, ihre Ordenstracht abzulegen. Doch unter den Altgläubigen gab es Widerstand, und der Rat suchte Kompromisse. In den Klöstern der Karmeliten und der Franziskaner wurde schließlich weiterhin die Messe gelesen. Zwei- bis dreimal in der Woche war es ihnen erlaubt. Doch die Heilbronner Klöster waren zum Aussterben verurteilt. Karmeliten gab es im Jahre 1538 nur noch drei. 1544 wurde das Franziskanerkloster aufgehoben und in eine Schule umgewandelt. Im Deutschordenshaus wurden allerdings auch noch später Messen gefeiert, der Rat verbot aber den Bürgern, daran teilzunehmen.

Lachmann war der führende Repräsentant der Heilbronner Reformation. Er verfügte über ein großes Ansehen bei der Stadt- und Landbevölkerung. Zwei entscheidende persönliche Weichenstellungen erfolgten in seinem Leben 1526. Im Mai wies Lachmann eine Anordnung des Würzburger Bischofs zurück, in der Domstadt zu erscheinen und sich wegen seiner Unterstützung der Reformation zu rechtfertigen. Im November heiratete Lachmann die Heilbronnerin Barbara Weißbronn gest. 1560/61 die Tochter des Kannengießers Wendel Weißbronn, und brach damit das Zölibat. Damit erfolgte die endgültige Distanzierung von der alten Kirche. Die Einsegnung der Ehe wurde durch den evangelischen Pfarrer von Schwaigern, Bernhard Wurzelmann ca. 1495-1554 vorgenommen. Auch in den späten zwanziger und den frühen dreißiger Jahren blieb Lachmann der führende Mann der Heilbronner Reformation und gab dem Heilbronner Kirchenwesen seine Gestalt. Ab 1533 wurde er an der Kilianskirche durch Meinrad Molther ca. 1500-1558 unterstützt.

Gestorben ist Lachmann wahrscheinlich Anfang oder Mitte Januar 1539. Dass sein Todestag von den Heilbronnern nicht in Erinnerung bewahrt wurde, ist ungewöhnlich. Am 27. Januar, das steht fest, wurde sein Nachfolger in das Amt eingeführt. Lachmanns Frau, über deren Leben und Wirken an der Seite des Reformators leider wenig bekannt ist, starb erst 1560/61. Ein Sohn immatrikulierte sich 1551 in Heidelberg, eine Tochter heiratete in Heilbronn den Bürgermeister Raimund Vogler. Nach seinem Tod geriet Lachmann rasch in Vergessenheit, woran vor allem die Tatsache Schuld hatte, dass er kaum schriftstellerisch hervorgetreten war. Heute erinnert in Heilbronn eine Straße an den großen Sohn der Stadt. Außerdem gibt es am Marktplatz ein mächtiges Steinhaus, das sogenannte Käthchenhaus, Marktplatz 1, an dessen 1535 entstandenem Renaissance-Erker sich eine Figur des Propheten Habakuk befindet, die möglicherweise die Gesichtszüge des Heilbronner Reformators trägt. Es war damals sehr verbreitet, bei der Darstellung biblischer Figuren zugleich Zeitgenossen zu porträtieren. Lachmann als Prophet Habakuk, der Gottes Gericht, aber auch die Rechtfertigung durch den Glauben verkündete, das passt sehr gut zusammen. Lachmanns Stärken waren seine Predigtgabe und sein Organisationstalent. Als Theologe war er weniger bedeutend, und schriftstellerische Ambitionen hatte er nicht.

Die einzigen gedruckten Reformationsschriften, die direkt und eindeutig von Lachmann stammen, hängen mit dem Bauernkrieg zusammen. Heilbronn wurde im Jahre 1525 besonders stark in die Auseinandersetzungen des Bauernkriegs einbezogen.(7) Die aufständischen Bauern verstanden sich als Teil der evangelischen Bewegung und forderten unter Berufung auf die Bibel und Luthers Freiheitsbotschaft die Abschaffung der Leibeigenschaft und die Erleichterung der Lasten, die ihnen auferlegt waren. Ihre wichtigste Programmschrift waren die "Zwölf Artikel", in denen neben sozialen Forderungen auch die nach freier Pfarrerwahl durch die Gemeinde erhoben wurde.

Zentrum des Bauernaufstandes im Heilbronner Gebiet war Flein. Hier fand am 2. April 1525 eine große Versammlung statt, zu der Bauern aus der ganzen Region und auch Bürger Heilbronns zusammengeströmt waren. In Heilbronn sympathisierten besonders die Weingärtner mit den Aufständischen. Der aus Flein stammende Bauer und Wirt Jakob Rohrbach gest. 1525 wurde zum Hauptmann gewählt. Am 5. April zog Rohrbach mit rund 1000 Aufständischen in Richtung Weinsberg und Öhringen. Lachmann richtete ein Sendschreiben an die Bauern, das ihnen in Erlenbach übergeben wurde. Er wies die Bauern auf den Widerspruch hin zwischen ihrem revolutionären Treiben und ihrer Berufung auf das Evangelium. Gottes Wort, so sagte er, erfordere Gehorsam gegen die Obrigkeit, selbst wenn diese heidnisch oder tyrannisch sei. Gegen Unterdrückung dürfe man sich nur wehren, indem man den allmächtigen Gott um Hilfe anrufe.(8)

Ob der Brief des Heilbronner Reformators den Bauern vorgelesen wurde, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall ließen sich die Aufständischen nicht aufhalten. Sie plünderten das Kloster Schöntal und schienen sich dann gegen Heilbronn zu wenden. In dieser Situation schrieb Lachmann am 13. April erneut an die Bauern und erklärte ihnen, sie dürften sich nicht zu Richtern in ihrer eigenen Sache machen. Wer aus dem Evangelium Freiheits- und Gleichheitsforderungen ableite, habe dieses grob missverstanden. Obrigkeiten müsse es geben, weil nur so der Friede bewahrt und das kleine Häuflein der Gläubigen vor der Menge der Gottlosen geschützt werden könne. Lachmann mahnte die Bauern, den Aufstand zu beenden, sonst würde sie Gott an Leib, Ehre, Gut und Leben, ja mit ewiger Verdammnis strafen.

Bewirkt hat auch dieser Brief nichts. Die Bauern besetzten Neckarsulm und erstürmten Weinsberg. Dann forderte ein Bote der Aufständischen vom Rat Heilbronns die Übergabe der Stadt und die Lieferung von Proviant. Die Situation für Heilbronn war aufs äußerste bedrohlich. Lachmann riet, dem Bauernheer Proviant zu schicken und den bäuerlichen Untertanen Heilbronns Abgabenerleichterungen zu gewähren, aber die Aufständischen nicht in die Stadt zu lassen. Doch der Rat öffnete am 17. April die Tore. 200 Bauern besetzten Heilbronn und verwüsteten die Klöster und Klosterhöfe. Nach einer Woche, am 24. April, zogen sie weiter. Am 12. Mai wurde das südwestdeutsche Bauernheer bei Böblingen vernichtend geschlagen. Mehrere tausend Mann fanden den Tod. Nun schrieb Lachmann zum dritten Mal an die Bauern und erklärte ihre Niederlage zum göttlichen Strafgericht.

Der Heilbronner Reformator forderte ähnlich wie Brenz die Obrigkeiten nach der Niederlage der Bauern dazu auf, Gnade walten zu lassen. In Heilbronn wurden neun Bauernführer auf dem Marktplatz mit dem Schwert öffentlich hingerichtet. In einigen Fällen konnte Lachmann verhindern, daß Todesurteile über Bauern vollstreckt wurden. Für ihren Anführer Rohrbach hat er sich aber nicht eingesetzt. Nach seiner Gefangennahme durch Georg III. Truchsess von Waldburg 1488-1531 den Hauptmann des von altgläubigen und evangelischen Ständen gegen die Bauern aufgestellten Heeres, wurde er am 21. Mai 1525 bei Neckargartach mit einer Kette an eine Weide gebunden und lebendigen Leibes durch ein ringsum entfachtes Feuer langsam zu Tode geröstet.

Lachmann trat nicht wie andere Reformatoren auf die Seite der Bauern, aber wurde auch nicht wie Luther zu einem unerbittlichen Gegner der Bauern. Er war der einzige Reformator Süddeutschlands, der während des Bauernkriegs versuchte, mäßigend auf die Aufständischen einzuwirken. Für den Druck waren die drei Briefe, die er geschrieben hat, eigentlich nicht bestimmt. Doch nach dem Ende des Bauernkriegs wurde Lachmann von Altgläubigen verdächtigt, ein Parteigänger der Bauern gewesen zu sein. In dieser Situation fasste er den Entschluss, sich dadurch zu verteidigen, dass er seine drei Briefe von einem Buchdrucker in Speyer drucken und als Flugschrift verbreiten ließ.

Heilbronn spielte nicht nur im Bauernkrieg eine wichtige Rolle, sondern war auch eine frühe Hochburg der Täuferbewegung.(9) Die Täufer, damals als "Wiedertäufer" bekämpft und grausam verfolgt, waren wie die aufständischen Bauern ein Teil der Reformationsbewegung. Sie lehnten die Kindertaufe ab und forderten, dass nur Erwachsene, nach Belehrung und abgelegtem Glaubensbekenntnis, getauft werden dürften. Sie bildeten kleine Basisgemeinden, sonderten sich ab von der "Welt" und strebten nach einem Leben in strenger Christusnachfolge. Dazu gehörten für sie die Verweigerung des Waffendienstes und die Ablehnung des Eids. Ab 1527 wurde gegen Täufer in evangelischen und katholischen Gebieten gleichermaßen mit Todesurteilen vorgegangen. Im altgläubigen Rottenburg wurde 1527 der Täuferführer Michael Sattler ca. 1490-1527 lebendig verbrannt und seine Frau im Neckar ertränkt, im ebenfalls altgläubigen Schwäbisch Gmünd wurden 1529 sieben Täufer verbrannt und im evangelischen Lauffen am Neckar wurde 1540 eine Täuferin hingerichtet.

In Heilbronn gab es bereits ab 1526 Menschen, die täuferisch gesinnt waren. 1528/29 zählte man etwa 30 bis 40 Täufer in der Stadt. Geflüchtete Täufer aus Esslingen waren nach Heilbronn gekommen, aber alsbald hatten sich Heilbronner, darunter angesehene Bürgerinnen und Bürger, der Bewegung angeschlossen. Auch in Heilbronn kam es zu Konflikten, weil die Täufer den offiziellen Gottesdiensten fernblieben, in ihren Häusern gemeinsam beteten und die Bibel auslegten und weil sie unter Berufung auf Mt 5 den Bürgereid verweigerten. In Heilbronn hat man darauf aber nicht reagiert, indem man Gefängnisstrafen verhängte und Todesurteile aussprach, sondern indem man die Täufer auswies. Aber auch dabei ging man nicht radikal vor. Deshalb gab es in Heilbronn auch in der späten Reformationszeit immer eine Täufergemeinde. Insgesamt über 50 Heilbronner Täufer sind namentlich bekannt. Die Stadt gehörte also neben Straßburg zu den Orten, in denen die Täufer von der Obrigkeit in einem gewissen Maße toleriert wurden. Diese Linie wurde auch von Lachmann geteilt.

Weniger tolerant waren die Heilbronner aber zu den Juden. Nachdem ihnen schon im 15. Jahrhundert verboten worden war, in Heilbronn zu wohnen, erging 1523 ein Beschluss, Juden auch als Händler den Zutritt zur Stadt zu verwehren. Überall, wo die Reformation Fuß faßte, verstärkte sich leider auch die Judenfeindschaft. Dies gehört zu den lange ignorierten Schattenseiten der Reformationsgeschichte.

In vielen Orten, die sich der Reformation anschlossen, entstanden Katechismen. Das waren kurzgefasste Lehrbücher des christlichen Glaubens für den Schul- und Hausgebrauch. Im Auftrag Lachmanns schuf 1528 der Lateinschullehrer Kaspar Gräter ca. 1501-1557 für Heilbronn ein solches Werk, das zu den frühesten reformatorischen Katechismen zählt. Gräter stammte aus Gundelsheim am Neckar, hatte in Heidelberg studiert, war Hauslehrer bei Dietrich von Gemmingen gewesen und 1527 auf Empfehlung von Brenz als Lehrer nach Heilbronn gekommen. Bereits 1534 verließ er allerdings Heilbronn wieder und wurde Pfarrer im württembergischen Herrenberg. Zuletzt war er Hofprediger bei Herzog Ulrich 1487/1498-1550 und damit einer der führenden Theologen des Herzogtums Württemberg.

Gräters Katechismus ist ein eindrucksvolles Dokument aus der frühen Heilbronner Reformationsgeschichte.(10) Er beginnt mit der Frage "Bist du auch ein Christenmensch?" Das Kind antwortet mit einem kurzen und klaren "ja" und verweist als Begründung auf die Taufe. Durch die Taufe gehört man zu Christus! Das ist ein hilfreicher, tröstlicher Gedanke, wenn einen Zweifel überkommen, ob man denn ausreichend glaube und wirklich christlich lebe. Auf den einleitenden Teil folgt im Katechismus die ausführliche Erklärung der Zehn Gebote. Die Vorschrift, den Feiertag zu heiligen, erklärt Gräter folgendermaßen: "Du sollst stillehalten und warten, was Gott aus dir machen will, dass dein Herz an Gottes Willen hange ..." Nicht die Arbeitsruhe und nicht der Gottesdienstbesuch, sondern die innere Hinkehr zu Gott sind entscheidend. Das Verbot zu töten wird so erläutert: "Du sollst still und sanft sein gegen jedermann, keinen Zorn gegen deinen Nächsten in keinerlei Weise zeigen." Gott will also nicht nur, dass wir aufs Töten verzichten, sondern er erwartet von uns ein Leben in der Liebe. Nach der Erklärung des rechten christlichen Lebens wird vom Glauben gehandelt. Gräter definiert: "Der Glaube ist ein wahrhaftiges, herzliches Vertrauen auf die einige Zusage Gottes, die uns durch Christum Jesum gegeben wurde, oder eine lebendige Zuversicht in die Barmherzigkeit Gottes, die uns verheißen und reichlich erwiesen wurde in Christo Jesu." Im christlichen Glauben geht es also nicht um ein Fürwahrhalten biblischer Berichte und um ein Nachsprechen kirchlicher Bekenntnisse, sondern um ein lebendiges Vertrauen in Gott. Ansprechend, auch heute noch, ist Gräters Erklärung des Gebets: "Das Gebet ist ein geistliches und wahrhaftiges Seufzen zu Gott und eine herzliche Klage aller anliegender Not des Leibs und der Seele."

Der Heilbronner Katechismus wurde 1530 noch einmal gedruckt, geriet dann aber bald außer Gebrauch. Wie beinahe überall setzten sich auch in Heilbronn die Katechismen von Luther und Brenz durch und verdrängten die anderen völlig.

Ein wichtiger Aspekt der Reformation war die Erneuerung des Gottesdienstes. Heilbronn schuf sich eine eigene Gottesdienstordnung, die mehrfach verändert wurde.(11) Um das Jahr 1530 war ein evangelischer Gottesdienst in Heilbronn ganz schlicht. Im Zentrum stand die Predigt, die etwa eine Stunde dauerte. Das war lange, aber die Menschen konnten damals noch zuhören und sich konzentrieren, weil sie noch nicht unter Reiz- und Informationsüberflutung litten. Vor und nach der Predigt gab es Gesang, zu dem die Lateinschüler der Stadt beitrugen. Abendmahl wurde alle vierzehn Tage nach der Predigt gefeiert. Es wurde in der Form von Brot und Wein gereicht, zuerst den Frauen, dann den Männern. Zur Vorbereitung auf die Abendmahlsfeier fand für diejenigen, die teilnehmen wollten, am Samstag vorher nachmittags um fünf Uhr ein Vorbereitungsgottesdienst statt, bei dem es die Gelegenheit zum seelsorgerlichen Gespräch mit den Pfarrern, also die Möglichkeit einer evangelischen Beichte, gab.

Gottesdienste fanden nicht nur sonntagvormittags statt. Auch nachmittags wurde an den Sonntagen gepredigt. Außerdem haben die Pfarrer in der Kirche noch Katechismusstunden angeboten, für Mädchen und Jungen getrennt. Wochentags gab es täglich am frühen Morgen einen Gottesdienst, in dem die Predigt nur eine halbe Stunde dauerte. Getauft wurde morgens um neun und nachmittags um vier Uhr. Trauungen fanden morgens um acht Uhr statt. Insgesamt waren damals in Heilbronn acht Pfarrer und Diakone tätig, um die Gemeinde zu betreuen.

1532 und dann noch einmal 1543 wurde die Heilbronner Gottesdienstordnung revidiert.(12) Unter dem Einfluss Schwäbisch Halls setzte sich eine Liturgie durch, die sich an Luthers Deutsche Messe anlehnte, liturgisch reichhaltiger war und mehr Gemeinsamkeiten mit der katholischen Tradition hatte als der Heilbronner Gottesdienst von 1530 oder der württembergische nach 1534. Zum Gottesdienst im evangelischen Heilbronn gehörte nun wieder das Kyrie Eleison und das Gloria in excelsis, aber die ausführliche Predigt stand immer noch im Zentrum.

In ihre größte Krise geriet die Heilbronner Reformation durch den Schmalkaldischen Krieg 1546.(13) Heilbronn war nach Jahren des Zögerns 1538, nachdem Lachman gestorben war, dem Schmalkaldischen Bund, einem militärischen Verteidigungsbündnis der evangelischen Reichsstände, beigetreten. Lachmann hatte immer an der Auffassung festgehalten, Widerstand gegen den Kaiser widerspreche der göttlichen Ordnung und dem natürlichen Recht. In einem Gutachten erklärte er den Stadtvätern: "Falls je der Kaiser uns verfolgen will, ja erwürgen, wenn wir's mit guten und christlichen Mitteln nicht umgehen können, sollen wir's mit Geduld tragen und leiden. Gott wird uns wohl rächen."(14)

Heilbronn unterstützte 1546 nach Kriegsausbruch die evangelischen Reichsstände mit Geld im Kampf gegen den Kaiser und seine Verbündete. Doch die Protestanten wurden rasch geschlagen. Am 24. Dezember 1546 zog der siegreiche Kaiser mit seinem Gefolge in Heilbronn ein. Da Karl V. an Gicht litt, ließ er sich in einer Sänfte tragen. In den zwanziger Jahren hätte die Bevölkerung beim Anblick des hohen Gastes gejubelt, nun gab sein Kommen Anlass zur Sorge. Der Stadt wurde eine Geldbuße von 20.000 Gulden auferlegt, und es wurden spanische Truppen in Heilbronn stationiert. Am 18. Januar 1547 huldigte die Heilbronner Bürgerschaft dem Kaiser auf dem Rathausplatz. Anschließend reiste er weiter.

Für Heilbronn begann eine schwere Zeit. Im März 1548 wurde auf den Prediger Molther, als er in der Franziskanerkirche auf der Kanzel stand, von einem spanischen Soldaten geschossen. Zum Glück ist dem Pfarrer nichts passiert, aber die Warnung hat er verstanden. Der Reichstag, der 1548 in Augsburg zusammentrat, erließ ein Religionsgesetz, das die reformatorischen Neuerungen weitgehend rückgängig machen sollte und auch tatsächlich erheblich zurückdrängte. Am 5. Juni 1548 nahm Heilbronn fast einstimmig das kurz "Interim" genannte Gesetz an. Die Stadtväter hatten angesichts der politischen und militärischen Lage keine Alternative. Jeder Widerstand hätte für die Freie Reichsstadt das Ende bedeutet. Am 10. Juni hat Molther die neuen Bestimmungen von der Kanzel verkündigt. Zwei Tage später wurden in Heilbronn wieder katholische Messen gelesen. Vier Jahre lang blieb die Lage für die Evangelischen kritisch. Pfarrer Dohl, der seit 1520 in Heilbronn wirkte und 1528 den Heilbronnern das erste evangelische Abendmahl gespendet hatte, wurde 1549 ausgewiesen. Im Januar 1552 musste Bürgermeister Riesser nach vierzig Dienstjahren, ebenfalls wegen seiner standhaften evangelischen Gesinnung, aus seinem Amt scheiden. Schon bald darauf, spätestens 1554, ist er gestorben. Neben Lachmann war er der bedeutendste Mann der Heilbronner Reformation.(15) Der Heilbronner Katechismus ist ihm gewidmet. Kurz nach dem Rücktritt Riessers kam für die Evangelischen die Wende. In einem erneuten Krieg wurde der Kaiser 1552 besiegt. 1555 wurden im Augsburger Religionsfrieden die Anhänger des Augsburger Bekenntnisses reichsrechtlich anerkannt. Die evangelische Prägung Heilbronns war damit wiederhergestellt und gesichert.

Die Reichsstadt Heilbronn hatte ein enges Verhältnis zum angrenzenden Gebiet des seit 1534 evangelischen Herzogtums Württemberg. Die Heilbronner Gottesdienstordnung von 1530 beeinflusste, wie vermutet wird, die württembergische von 1536. Wie Württemberg war auch Heilbronn Teil der lutherischen Reformation, während die nahe gelegene Kurpfalz 1563 calvinistisch wurde. Heilbronner Bürgerssöhne, die Pfarrer werden wollten, studierten deshalb später in der Regel in Tübingen Theologie und nicht mehr wie früher in Heidelberg.

Bis 1802 gab es in der Freien Reichsstadt Heilbronn ein eigenständiges evangelisches Kirchenwesen. Die Neuordnung Deutschlands als Folge der französischen Kriegszüge, bestätigt durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803 und den Wiener Kongress 1815, bereitete dieser Kirche ein Ende. Die von Lachmann begründete evangelisch-lutherische Kirche Heilbronns wurde der evangelisch-lutherischen Kirche Württembergs angeschlossen.

Aktualisiert am: 19.03.2018

Martin Frecht und die Reformation in Ulm

Von: Kirn, Hans-Martin

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Herkunft und Jugend in Ulm
  2. 2: Auf dem Weg zum geachteten Gelehrten: Studium und Dozententätigkeit in Heidelberg
  3. 3: Die Berufung nach Ulm als theologischer Lehrer
  4. 4: Die Nachfolge Konrad Sams
  5. 4.1: Konfliktfeld Kirchenzucht
  6. 4.2: Schul- und Bildungswesen
  7. 4.3: Synoden und Visitationen
  8. 5: Das Verhalten gegenüber der altgläubigen Minderheit
  9. 6: Radikalreformatorische Herausforderungen
  10. 6.1: Täufer
  11. 6.2: Sebastian Franck
  12. 6.3: Kaspar von Schwenckfeld
  13. 6.4: Ein Seitenthema: Das Verhältnis zu den Juden
  14. 7: Frechts Unterstützung von Bucers Konkordienwerk
  15. 8: Frechs reformatorisches Wirken über Ulm hinaus
  16. 9: Das Interim: Gefangenschaft und Verbannung
  17. 10: Die letzten Jahre in Tübingen
  18. Anhang

1: Herkunft und Jugend in Ulm

Martin Frecht wurde 1494 als wohl ältester Sohn des Schuhmachers und langjährigen Zunftmeisters Martin Frecht gest. nach 1533 in Ulm geboren.(1) Seine Jugend in der wirtschaftlich prosperierenden Reichsstadt, einer "Zierde des Schwabenlands", bleibt weithin im Dunkeln. Die familiären Verhältnisse scheinen eher ärmlich gewesen zu sein. Frecht besuchte die renommierte Lateinschule der Stadt und nahm Anfang 1514 im Alter von 20 Jahren das Studium der Philosophie in Heidelberg auf. Von den Geschwistern treten in späteren Jahren hervor: Die in Nürnberg seit 1537 mit einem Kaufmann verheiratete Schwester Margarete und der jüngere Bruder Jörg gest. 1554 der in Ulm vom Vater das Schuhmacherhandwerk erlernte und wie dieser die Einführung der Reformation in Ulm unterstützte. Als Zunftmeister und Ratsherren nahmen beide einflussreiche politische Ehrenämter wahr.

2: Auf dem Weg zum geachteten Gelehrten: Studium und Dozententätigkeit in Heidelberg

Im Oktober 1517 legte Frecht in Heidelberg das Magisterexamen ab, trat dem Lehrkörper der Artistenfakultät bei und begann mit dem Theologiestudium. Spätestens Anfang 1529 hat er den akademischen Grad des Lizentiaten der Theologie erworben (entspricht praktisch dem Doktortitel). Bedeutsam wird die Heidelberger Zeit durch die hier geknüpften Verbindungen mit humanistisch gebildeten Studienfreunden und Kollegen, genannt seien nur Martin Bucer 1491-1551 Johannes Oekolampad 1482-1531 Simon Grynaeus 1493-1541 und Johannes Brenz 1499-1570 Ein persönlich und theologisch besonders inniges Verhältnis entwickelte sich zu Martin Bucer.

Die entscheidende reformatorische Weichenstellung bringt das Erlebnis Martin Luthers bei der Heidelberger Disputation 1518: Luther gewinnt neben Bucer, Brenz, Erhard Schnepf 1495-1558 und Theobald Billican um 1490-1554 auch Frecht für seine an Paulus und Augustin orientierte Kreuzestheologie. Diese wird freilich noch weithin im Rahmen des erasmischen Humanismus gedeutet. Ein Parteigänger Luthers ist Frecht nicht geworden: In den mit großem Unbehagen verfolgten Abendmahlsstreitigkeiten der 20er Jahre gelten seine Sympathien ganz Luthers Gegnern Andreas Karlstadt um 1480-1541 und Huldrych Zwingli 1484-1531 Seiner irenischen Grundhaltung gemäß liegt ihm jedoch von Anfang an die Verständigung mit der lutherischen Seite am Herzen.

Offenbar hat sich Frecht schon seit 1522 an theologische Lehrveranstaltungen herangewagt. Von 1529-1531 nimmt er die offizielle Aufgabe eines Lektors der Heiligen Schrift wahr, und zwar in Vertretung seines an der Pest verstorbenen theologischen Lehrers Peter Scheibenhart um 1478-1529 Versuche, Frecht zu dessen Nachfolger zu machen, scheitern an Einsprüchen am Hof des reformatorisch gleichgültigen Kurfürsten Ludwig V. reg. 1508-1544

Bei seinen Kollegen erfreute sich Frecht wegen seiner organisatorischen und vermittlerischen Fähigkeiten großer Wertschätzung. In einer für die Universität krisenreichen Zeit versah er mehrfach wichtige Ehrenämter: 1524 und 1526/1527 war er Dekan der Artistenfakultät, zweimal stand er in leitender Funktion an der Spitze der Universität, davon einmal als Rektor gegen Ende seiner Heidelberger Zeit 1531.(2) In Heidelberg hat sich Frecht den Ruf eines humanistisch gebildeten und von Männern wie Wolfgang Capito 1478-1541 und Sebastian Münster 1489-1552 geschätzten Gelehrten erworben. Das Publizieren eigener Werke war freilich seine Sache nicht. Von den wenigen Veröffentlichungen, die er Zeit seines Lebens zuwege brachte, verdient die in Heidelberg entstandene und 1532 in Basel gedruckte Sammlung von Chroniken zur deutschen Geschichte vom 10.-15. Jahrhundert Beachtung.(3) Damit leistete Frecht einen Beitrag zur Fortentwicklung der Geschichtswissenschaft über die humanistische Begeisterung für die "alte" Geschichte hinaus.(4)

3: Die Berufung nach Ulm als theologischer Lehrer

Der erste offizielle Ruf nach Ulm als theologischer Lehrer erging an Frecht Anfang Februar 1529 auf Konrad Sams 1484-1533 Wunsch hin. Dieser suchte dringend Unterstützung für die reformatorische Neuordnung in der Stadt, die der Rat bislang vermieden hatte. Nicht nur persönliche und vertragsmäßige Bindungen, sondern die Liebe zur Lehre und die Angst vor einem Übermaß an praktischen Aufgaben in einer reformatorisch ungeordneten Situation hielten ihn vorerst zurück.(5)

Die Hoffnung auf eine bessere Gelegenheit, in Ulm zu wirken, erfüllte sich 1531 mit der Einführung der Reformation im oberdeutsch-schweizerischen Sinne. Frecht übernimmt am 21. Oktober 1531 das Amt des Lektors der Heiligen Schrift. Seine lateinischen Vorlesungen über Bibelbücher dienen in erster Linie der Fortbildung der Geistlichen, stehen aber auch den Absolventen der Lateinschule und interessierten Bürgern offen. Um den letzteren verständlich zu sein, hält Frecht einen Teil der Vorlesung auf Deutsch. Wissenschaftliche Textauslegung am Urtext und aktualisierender Gegenwartsbezug ergänzten sich.(6) Damit besaß Ulm eine Bildungseinrichtung, die, wenn auch weit bescheidener, in ihrer Anlage der von Zwingli in Zürich eingerichteten "Prophezei" entsprach.(7)

4: Die Nachfolge Konrad Sams

Die theologische Lehraufgabe, für die Frecht angestellt worden war, blieb nicht lange das Zentrum seiner Arbeit. Nach dem frühen Tod Sams im Juni 1533 übernahm Frecht notgedrungen das Amt des Münsterpredigers und die laufenden Geschäfte an der Spitze der Ulmer Kirche. Die Suche nach einem Nachfolger zog sich hin, nicht zuletzt aufgrund des wählerischen Verhaltens des Rates. Man dachte an so bekannte Männer wie Leo Jud 1482-1542 aus Zürich oder Andreas Karlstadt. Auch der oberdeutsche Reformator Jakob Otter ca. 1485-1547 seit 1532 in Esslingen, kam ins Gespräch. Man wollte, so Frecht, einen "Prediger aus Utopien".(8) Da es zu keiner Lösung der Nachfolgefrage kam, verblieben zum Leidwesen Frechts das Lehr- und Predigtamt in seiner Hand.(9) Aus der Übergangslösung wurde ein Dauerzustand, dem der Rat erst 1537 offiziell entsprach: Frecht wurde der Titel "oberster Prädikant" zuerkannt.

Zwar erreichte Frecht als Prediger nicht die Popularität Sams – es fehlte ihm schon an stimmlicher Kraft -, doch hat er sich als Prediger, Seelsorger und Fürsprecher in allen Bevölkerungsschichten Achtung erworben. Dies gilt in besonderem Maße für die schweren Jahre der Pest, die auch seine Familie heimsuchte: 1543 starb die Mutter, 1547 seine erste Ehefrau an der Seuche. Ulms Gemeinde charakterisiert er des öfteren als ein undankbares "Nazareth", das den Dienst der Predigt, zumal eines gebürtigen Ulmers, nicht besonders schätzte.(10)

Einen mittelbaren Einblick in Frechts eher lehrhaft geprägte Predigtweise geben drei nach seinem Tod aus dem Lateinischen übersetzte Konzepte.(11)

Unter der Arbeitsbelastung des leitenden Predigt- und Lehramts hat Frecht schwer gelitten. Bei den Verantwortlichen des Rates fanden seine Klagen kein Gehör: Weder wollten die "feinen Herren" mehr Prediger anstellen noch die Pflichten der wenigen reduzieren. Für die Mehrheit des Rates und seiner Delegierten deckten sich die Gemeinwohlinteressen keineswegs mit denen der Prädikanten. Frecht erlebte Ulm, getreu seinem Ruf, eine "Stiefmutter der Wissenschaften" zu sein, auch als solche der reformatorischen Kirche.(12) Wie andere, die nach 1534 ins attraktivere Württembergische oder in Reichsstädte wie Esslingen abwanderten, dachte Frecht verschiedentlich an ein Weggehen, beschied jedoch entsprechende Anfragen, etwa Ambrosius Blarers 1492-1564 Angebot eines Wechsels nach Tübingen 1535, stets negativ.(13)

Die Schlüsselfigur der Ulmer Ratspolitik, die im federführenden Gremium der "Fünf Geheimen" bestimmt wurde, war neben dem Stadtschreiber Sebastian Aitinger über viele Jahre Bernhard Besserer "Berus", 1471-1542 Frechts Verhältnis zu ihm war meist gespannt. Besserer fürchtete nichts mehr als ein "papistisches" Regiment der evangelischen Geistlichen und eine konfessionelle Uniformierung der Stadt. Ihn bewegten politische wie persönliche Motive: Der Erhalt des innerstädtischen Machtgefüges angesichts einer besonders im Patriziat starken altgläubigen Minderheit wie auch die Nähe zu Kaspar von Schwenckfeld 1489-1561 und seinem Verständnis von Toleranz in der Trennung von Politik und Religion.(14) Isoliert war Frecht deshalb nicht. Er konnte auf Unterstützer im Rat und den Gremien, bei Zunftmeistern und beim "gemeinen Mann" zählen, doch tonangebend waren diese nie.

4.1: Konfliktfeld Kirchenzucht

Der Kontrollanspruch des Rats gegenüber den Prädikanten zeigte sich beispielhaft in der Organisation der städtischen Sittenzucht. Die Prädikanten waren ohne eigenes Gewicht in das obrigkeitliche System eingebunden. Die Letztentscheidung über konkrete Maßnahmen, etwa eine Haftstrafe bei Ehebruch oder der Ausschluss vom Abendmahl, blieb bis nach dem Interim beim Rat. Frecht hat diese Vermischung von weltlicher und geistlicher Gewalt immer kritisch gesehen. Schon in der Anfangszeit hat er eine Stärkung des kirchlichen Warn- und Mahnamtes gefordert, freilich ohne Ergebnis.(15) Den mangelnden Willen, zwischen weltlich und geistlich zu unterscheiden, beklagte Frecht auch im Zusammenhang der Neuordnung der Ehegerichtsbarkeit. Hier wollte man anfangs die erste Instanz ganz den fünf Predigern der Stadt und zwei weltlichen Richtern übertragen.(16) Eine reformatorische Eheordnung kam erst nach über zehn Jahren zustande.

4.2: Schul- und Bildungswesen

Neben Konrad Sam, Georg Besserer um 1502-1569 dem Sohn des Bernhard Besserer, und dem Schulmeister Gregor Lienhard 1497-1560 hat sich von Anfang an Frecht für das städtische Schul- und Bildungssystems eingesetzt. Für die Lateinschule arbeitete er eine neue Schulordnung aus. Mit der Berufung Michael Brodhags um 1500-1559 als Lehrer für Latein und Hebräisch, der von 1532 an auch mit pfarramtlichen Aufgaben betraut wurde, gewann Frecht zugleich bis 1539 einen Vertreter für seine Vorlesungsaufgabe.

Den Musikunterricht förderte Frecht nach Kräften. A. Blarer bat mehrmals um Psalmvertonungen und andere Musikstücke des namhaften Komponisten und Pfarrers Benediktus Ducis um 1480-1544 Freilich klagte Frecht, wie wenig die Ulmer die Musik schätzten, ihr Gesang sei: "Geld ist das erste". So fand er nach dem Tode von Ducis in Ulm keinen Käufer für dessen musikalischen Nachlass, um Geld für die Hinterbliebenen aufzutreiben.(17) Synoden und Visitationen boten Gelegenheit, die jeweiligen Missstände, etwa in der Lehrerbesoldung, in der Versorgung mit Büchern und Stipendienfragen zu benennen und auf Abhilfe zu dringen.

4.3: Synoden und Visitationen

Zu den wichtigsten Instrumenten für die praktische Umsetzung der reformatorischen Ordnung bei Amtleuten, Prädikanten und Gemeinden gehörten die von der Obrigkeit einberufenen Synoden in Ulm und die Visitationen vor Ort in den zahlreichen Landgemeinden. Die Kirchenordnung unterschied beide, doch schon auf der ersten Synode zeigte sich, daß die "Verhöre" der Pfarrer, Gemeinde- und Obrigkeitsvertreter praktisch Visitationscharakter hatten. Frecht hat als leitender Geistlicher neben den Pfarrkirchenbaupflegern, den vom Rat eingesetzten Hauptverantwortlichen, die Synoden von 1532, 1537 und 1539 und die Visitationen von 1535 und 1543/1544 mitbestimmt.(18) Sie geben vor allem Einblick in die Zustände auf dem Land.

Im Allgemeinen herrscht der Eindruck eines geordneten und von den Gemeinden willig mitvollzogenen Übergangs zur Reformation vor. Hauptmerkmale waren die Abschaffung der Messe und die evangelische Predigt. Die konkreten Befragungen der Verantwortlichen ergeben freilich ein differenzierteres Bild. Häufiger Prädikantenwechsel, schlechte Besoldung und der oft elende Zustand der Pfarrhäuser, Schwierigkeiten mit dem Katechismusunterricht und eine ungeregelte Tauf- und Abendmahlspraxis sowie die zum Teil starke Traditionsbindung der ländlichen Bevölkerung erschwerten die reformatorische Umgestaltung. So gelang es in Pfuhl jahrelang nicht, einen regelmäßigen katechetischen Unterricht zu organisieren. Anderenorts fand man 1537 einen Prädikanten, der wohl schon neun Jahr das Evangelium gepredigt, aber noch nie eine Abendmahlsfeier gehalten hatte. Stattdessen wurden im Widerspruch zur Ratsordnung weiterhin Kirchweihe und andere populäre Feste gefeiert.

Bibelstudium, Lektüre und Seelsorge nahmen wie auch anderswo nicht alle Prediger gleichermaßen erst. Nicht ohne Grund erfragt schon das Formular der Synode von 1532 bei den Gemeindevertretern, "ob der Pfarrherr weinsüchtig sei und stets im Wirtshaus liege".(19) Als Dauerprobleme erwiesen sich die rechte Sonntagsheiligung und, als Teil von ihr, der Kirchenbesuch sowie der Kirchengesang. Die Dorfbewohner entschuldigten sich zuweilen mit den Zuständen in der Stadt, wo es mit dem Kirchgang ebenfalls nicht zum Besten stehe.

Als außergewöhnlich renitent erschien Geislingen. Noch nach Jahrzehnten wird es als notorisch "papistisch" und starrköpfig gegenüber jeglicher obrigkeitlichen Anordnung gescholten. Der dortige Prädikant beklagte im Zusammenhang der Visitation von 1543/1544 bitter seine Erfolglosigkeit.(20) Auch Täufer und andere Dissidenten wie die Schwenckfelder hielten sich auf den Dörfern und machten zuweilen durch ihre Kritik den Prädikanten zu schaffen.(21)

5: Das Verhalten gegenüber der altgläubigen Minderheit

Nach 1531 verblieben rund tausend Katholiken in der Stadt, deren Zahl sich bis zur Mitte des Jahrhunderts auf etwa die Hälfte verringerte. Schon früh hatte man ein Verbot des Messelesens in der Stadt durchgesetzt, so dass die Altgläubigen in die reichsrechtlich geschützten Gebiete nach Söflingen ins Klarissenkloster oder zu den Benediktinern nach Wiblingen ausweichen mussten. Dieses "Auslaufen" wurde vom Rat nicht verhindert, obwohl Frecht und seine Kollegen auf ein härteres Vorgehen drängten, den Übermut der "Papisten" schalten und in der Predigt den Rat öffentlich in die Pflicht nahmen.(22)

Im Stadtgebiet selbst waren es die Dominikaner, die bis zur rechtlichen und finanziellen Übereinkunft im Jahr 1538 hartnäckig für ihre Wiedereinsetzung in das ehemals reiche Kloster kämpften. 1536 wirkte Frecht beratend an der Umgestaltung der sog. Sammlung, eines Konvents von Tertiarinnen, in ein evangelisches Damenstift mit und bemühte sich um eine reformatorische Neuorientierung. Freilich sah Frecht erst 1543 die Möglichkeit, ein schriftgemäßes geistlichen Lebens bei den Frauen der "Sammlung" einzufordern. Vor allem das Festhalten an den traditionellen Formen des Gebets und das Beibehalten der Gelübde störten ihn. Er wünschte sich anstelle der traditionellen Stundengebete die Beschränkung auf ein ermüdungsfreies (!) Morgen- und Abendgebet. Wichtig waren ihm die fortlaufende Bibellese mit Erläuterungen, die Psalmen, eine Auswahl an Liedern und Predigtlesungen, zuweilen auch kirchengeschichtliche Stoffe.(23) Seine hier erworbenen Kenntnisse auf dem Feld der Klosterreform gab Frecht auch an andere oberdeutsche und Schweizer Reformatoren weiter.

Das Söflinger Klarissenkloster wehrte aufgrund seiner besonderen reichsrechtlichen Stellung alle Reformationsversuche ab. 1543 predigte Frecht im Kloster, doch auch diesmal scheiterte sein Bemühen am zähen Widerstand der Äbtissin und an den politischen Rücksichtnahmen des Rates auf den Kaiser.

6: Radikalreformatorische Herausforderungen

6.1: Täufer

Die Bekämpfung des Täufertums gehörte für Frecht wie für andere Reformatoren zu den Grundbedingungen einer Konsolidierung der Reformation.(24) Die Ulmer Obrigkeit vermied jedoch nach Möglichkeit rigorose Maßnahmen wie Gefängnis und Ausweisung. Strenger wurde gegen führende Täufer vorgegangen, wie der Fall Glaser 1532 zeigt. Dieser wurde eingekerkert, musste widerrufen und sich vor Sam, Frecht und zwei Zensoren schriftlich zu Kindertaufe, Eidesleistung und schwertführender christlicher Obrigkeit bekennen. Der zusätzlichen Forderung, vor seiner Anhängerschaft auf dem Land öffentlich zu widerrufen, entzog sich Glaser durch die Flucht.(25)

Täufer hat es im Ulmer Gebiet noch weit über Frechts Amtszeit hinaus gegeben. Früh treten jedoch andere Gegner von Gewicht in den Vordergrund: Die sog. Spiritualisten Sebastian Franck um 1500-1542 und Kaspar von Schwenckfeld.

 

 

6.2: Sebastian Franck

Frecht kannte Sebastian Franck aus Heidelberger Studienzeiten. Der ebenfalls aus einer Handwerkerfamilie stammende Franck war eine Zeitlang evangelischer Prediger gewesen, hatte jedoch sein Amt aufgegeben und sich zu einem der interessantesten religiösen Individualisten der Zeit entwickelt. Aus Straßburg vertrieben, kam Franck 1533 über Esslingen als Seifensieder und –händler nach Ulm und erhielt dort 1534 das Bürgerrecht. Franck erlebte in Ulm eine außerordentlich produktive und erfolgreiche Zeit als Autor, Übersetzer und Verleger. Schon Ende 1534 beanstandete Frecht ketzerische Aussagen in Francks "Paradoxa", etwa die zum "Inneren Wort", und stellte die Widersprüche zu Bekenntnis und Ordnung der Stadt heraus. Francks Toleranzdenken und seine radikale Kirchenkritik wirkten wie schon auf die Straßburger Reformatoren ausgesprochen provokativ.(26) Frecht erreichte, daß Franck Anfang Mai 1535 das Bürgerrecht aufgekündigt wurde. Franck protestierte jedoch erfolgreich gegen diesen Akt der Willkür, da man ihn nicht gehört hatte. In den folgenden Untersuchungen präzisierte Frecht seine Vorwürfe anhand weiterer Schriften Francks und warf ihm täuferische Häresien vor.(27) Die Bedingung der Vorzensur künftiger Schriften, an die man ein weiteres Verbleiben Francks in der Stadt knüpfte, wurde ihm 1538 zum Verhängnis. Frecht nahm das Erscheinen der "Goldenen Arche" zum Anlass, erneut Francks Ausweisung zu fordern. Ein längeres Hin und Her um ketzerische Inhalte und formale Verstöße gegen die Ratsauflage setzte ein, bis Franck 1539 ohne förmlichen Ausweisungsbeschluss zum Verlassen der Stadt gedrängt wurde.(28) Großzügiger als Straßburg und Ulm zeigte sich Basel, wo Franck bis zu seinem frühen Tod 1543 Aufnahme fand.

6.3: Kaspar von Schwenckfeld

Kaspar von Schwenckfeld (1490-1561), Kupferstich

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, Nr. 2496

Weit schwieriger als die Auseinandersetzung mit dem Einzelkämpfer Franck war für Frecht die mit dem schlesischen Edelmann Kaspar von Schwenckfeld, der in Ulm wie an anderen Orten im südlichen Deutschland eine namhafte Anhängerschaft besaß. Frecht begegnete dem ebenfalls aus Straßburg vertriebenen Schwenckfeld von Anfang an mit Misstrauen, von Bucer und A. Blarer vorgewarnt.(29) Obwohl Schwenckfeld kein Täufer war, bedeutete seine Forderung einer strikten Trennung von Politik und Religion eine Schonung des gewaltfreien Täufertums und damit einen Angriff auf Bucers wie Frechts Idealvorstellungen von einer reformatorischen Stadt. Schwenckfelds Unnachgiebigkeit gegenüber Wittenberg machte ihn zudem zu einem höchst gefährlichen Störenfried der Bucerschen Verständigungsbemühungen.(30)

In Ulm wussten sich mit Schwenckfeld einflussreiche Persönlichkeiten wie die beiden Besserer und der Ratsschreiber Sebastian Aitinger 1508-1547 sowie das Haus der Witwe Helena Streicher mit ihren fünf Kindern verbunden. Zwinglisch orientierte Prediger wie Konrad Schaffner gest. 1563 und Johannes Liebmann sympathisierten ebenfalls mit ihm. Auch am Württembergischen Hof hatte Schwenckfeld seine Fürsprecher. Der Druck, zu einer Verständigung zu kommen, war groß. Die sog. Tübinger Konkordie vom 28. Mai 1535 brachte eine Art Waffenstillstand zwischen Schwenckfeld, Bucer, A. Blarer und Frecht, doch keine inhaltliche Einigung. Besonders ein Streitpunkt sollte noch für viel Ärger sorgen: Die von Frecht in den Tübinger Verhandlungen als häretisch angegriffene These Schwenckfelds von der Nichtkreatürlichkeit Christi. Schwenckfeld wollte damit die Göttlichkeit und Anbetungswürdigkeit Jesu nach Auferstehung und Himmelfahrt unterstreichen, Frecht sah darin eine Infragestellung des vollen Menschseins Jesu und so des christlichen Erlösungsglaubens insgesamt. Anders als Schwenckfeld beharrte Frecht getreu der theologischen Tradition auf der Unlösbarkeit der Verbindung von Mensch- und Geschöpfsein.(31) Trotz derart gravierender Differenzen musste sich Frecht zunächst mit Schwenckfelds Aufenthalt in Ulm abfinden.(32)

Schwenckfelds offene Ablehnung der Wittenberger Konkordie von 1536 bringt den Streit erneut in Gang.(33) Frecht klagte zudem über den negativen Einfluss Schwenckfelds auf das Gemeindeleben. Schwenckfeldanhänger mieden auffällig die Gottesdienste, besonders die Abendmahlsfeiern. Mahnungen und Pressionen Frechts und der Prädikanten fruchteten nichts.(34) Zu einer ersten direkten Konfrontation beider Männer kam es Anfang November 1536. Schwenckfeld erreicht, dass der Streit für beendet erklärt wird.(35)

Die Tübinger Konkordie empfand Frecht immer mehr als Fessel, die ihn band, Schwenckfelds freies Wirken aber nicht hinderte. Die Spannung stieg, als Frecht Mitte Juni 1538 eine in Ulm verbreitete anonyme Schrift über die Nichtkreatürlichkeit Christi in die Hände bekam und sogleich Schwenckfeld als Verfasser ausmachte.(36) Dieser hatte inzwischen seine These ausgebaut und, noch bedenklicher, auf den irdischen Jesus ausgedehnt.(37)

Nachdem es Frecht nicht gelang, Schwenckfeld sofort auf die Anklagebank zu bringen, setzte ein längeres Untersuchungsverfahren ein. Es endete mit einem offiziellen Religionsgespräch am 13. Januar 1539 vor dem Rat, dem Höhepunkt der direkten Auseinandersetzung.(38) Schwenckfeld konnte wiederum eine Verurteilung vermeiden.(39) Der Rat versprach, auswärtige Gutachten einzuholen. Einstweilen wurden die Kontrahenten zum Stillschweigen verpflichtet. Schwenckfeld publizierte freilich ungehindert an anderen Orten weiter. Frecht erhielt keine Erlaubnis zur Antwort, die Veröffentlichung seiner Apologie der Kreatürlichkeit Christi wird ihm untersagt. Ihm blieb nur die Kanzel. Zur Unterweisung der Gemeinde begann er Mitte Juni 1539 mit einer Predigtreihe zum Johannesevangelium über die Gottheit Christi.(40)

Die offenkundige Verzögerungs- und Beschwichtigungstaktik des Rats brachte schließlich Frecht und seine Kollegen zum Äußersten: Sie drohten mit geschlossenem Rücktritt, falls sie nicht die Erlaubnis zum offen Widerspruch gegen Schwenckfeld erhielten.(41) Nun lenkte der Rat ein. Schwenckfeld wird nahegelegt, sich anderenorts eine Bleibe zu suchen.(42) In Ulm blieb eine relativ starke Anhängerschaft Schwenckfelds zurück.(43) Frecht genügte der Weggang Schwenckfelds aus Ulm nicht. Er wollte dessen offizielle Verurteilung im reformatorischen Lager. Diese erreichte er im März 1540 bei der Theologenversammlung in Schmalkalden. Schwenckfeld wird in einer von Philipp Melanchthon 1497-1560 verfassten Erklärung ohne Anhörung zusammen mit S. Franck als Ketzer gebrandmarkt und Frechts Kampf gegen die beiden gerechtfertigt, eine deutliche Kritik an der Politik des Ulmer Rats.(44) Frecht sorgte für eine weite Verbreitung dieser Verurteilung.(45) Merkliche Folgen hatte sie für Schwenckfeld nicht, ließen sich doch seine hochgestellten Unterstützer von der rechtlich umstrittenen Aktion nicht beeindrucken.

Seit 1538 bemühte sich Frecht im Kampf gegen Schwenckfeld mit anderen um Schützenhilfe aus der Schweiz, vor allem bei Joachim Vadian 1483/1484-1551 in St. Gallen. Tatsächlich hat Vadian einige Schriften gegen Schwenckfeld verfasst.(46) Auch im Württembergischen versuchte er, den Einfluss Schwenckfelds zurückzudrängen. So intervenierte er bei Margarete von Grafeneck, der Gattin des Blaubeurener Obervogtes, als er 1544 von deren Hinwendung zu Schwenckfeld erfuhr.(47) Noch in der Tübinger Zeit sah sich Frecht von Schwenckfeld als "Kreaturist" verfolgt. Ihn enttäuschte, daß trotz seiner Bitten J. Brenz nicht aktiver in den Kampf gegen Schwenckfeld eingriff.(48)

Schwenckfelds Wirken blieb für Frecht eine heimtückisch-gefährliche Bedrohung gesamtreformatorischen Ausmaßes. Es fehlt nicht an dämonisierenden Elementen, die Schwenckfeld als sektiererisch Verstockten wie den Papst zu einem Phänomen des Antichristen im Vorfeld des Jüngsten Tages machten.(49)

Ein Seitenthema: Das Verhältnis zu den Juden

Juden wohnten seit der Ausweisung im Jahr 1499 nicht mehr in Ulm. Kontakte zwischen Ulmer Bürgern und auswärtigen jüdischen Händlern und Pfandleihern versuchte die Obrigkeit möglichst zu unterbinden. Alles deutet darauf hin, dass Frecht diese Politik wie auch die Praxis der Judenvertreibung bejaht hat. So begrüßte er das Ausweisungsdekret des sächsischen Kurfürsten und die Ausweisung der wenigen Judenfamilien in Esslingen 1541/42. Von anderen Städten mit bedeutenden Judengemeinden wie Frankfurt/M. erwartete er Vertreibungsmaßnahmen. Es scheint, als habe er dem mittelalterlichen Koexistenzmodell noch weniger Chancen gegeben als Martin Bucer. Gleichwohl hat Frecht wie andere im reformatorischen Lager die Schärfe der späten Lutherschen Judenpolemik irritiert. Er bat A. Blarer, er möge ihm seine Meinung dazu kundtun und auch die des befreundeten "Fachmannes" Paul Fagius 1504-1549 einholen. Vom Ergebnis ist nichts bekannt.

6.4: Ein Seitenthema: Das Verhältnis zu den Juden

Juden wohnten seit der Ausweisung im Jahr 1499 nicht mehr in Ulm. Kontakte zwischen Ulmer Bürgern und auswärtigen jüdischen Händlern und Pfandleihern versuchte die Obrigkeit möglichst zu unterbinden.(50) Alles deutet darauf hin, dass Frecht diese Politik wie auch die Praxis der Judenvertreibung bejaht hat. So begrüßte er das Ausweisungsdekret des sächsischen Kurfürsten und die Ausweisung der wenigen Judenfamilien in Esslingen 1541/42. Von anderen Städten mit bedeutenden Judengemeinden wie Frankfurt/M. erwartete er Vertreibungsmaßnahmen. Es scheint, als habe er dem mittelalterlichen Koexistenzmodell noch weniger Chancen gegeben als Martin Bucer. Gleichwohl hat Frecht wie andere im reformatorischen Lager die Schärfe der späten Lutherschen Judenpolemik irritiert. Er bat A. Blarer, er möge ihm seine Meinung dazu kundtun und auch die des befreundeten "Fachmannes" Paul Fagius 1504-1549 einholen. Vom Ergebnis ist nichts bekannt.(51)

7: Frechts Unterstützung von Bucers Konkordienwerk

Ein Zusammentreffen mit Brenz in Schwäbisch Hall im Jahr 1529 ließ Frecht die Schwierigkeiten ahnen, die einer Einigung mit den Anhängern Luthers in der Abendmahlsfrage im Wege standen. Kaum einer schien ihm eigensinniger und unnachgiebiger in dieser Frage wie Brenz.(52) Die lutherische Seite sah er in abstruse Theorien über das "Wie" von Christi Gegenwart in Brot und Wein verstrickt.(53) Das Augsburger Bekenntnis und seine Apologie begrüßte er als tragfähige Verständigungsbasis zwischen Wittenberg, den Oberdeutschen und den Schweizern. Mit der Übereinkunft in Schweinfurt im April 1532, die den Schmalkaldischen Bund abschließend organisierte, hatte sich auch Ulm auf diese Basis eingelassen. Frecht öffnete sich der von Melanchthon und Bucer angebahnten Konsensdeutung des umstrittenen Zeichenbegriffs, mit der man den gröbsten Mißverständnissen in beiden Lagern wehren wollte: Die Abendmahlselemente sind nicht nur auf Christus verweisende, sondern ihn "darbietende" Zeichen. Zentral blieb für Frecht dabei das Motiv der lebensspendenden Christusgemeinschaft als dem eigentlichen Mysterium des Abendmahls. Hier sah er sich nahe bei Urbanus Rhegius 1489-1541 und dem von Heidelberg her vertrauten Theobald Billican.

Frecht begrüßte die Stuttgarter Konkordie vom 2. August 1534 zwischen Schnepf und A. Blarer als wichtigen Schritt hin auf eine umfassendere Einigung. In Ulm selbst machten ihm die Spannungen zwischen zwinglisch und lutherisch Gesinnten weiterhin zu schaffen.(54)

Eine wichtige Etappe in Bucers Konkordienwerk war die Zusammenkunft oberdeutscher Theologen und Städtevertreter in Konstanz vom 16.-22. Dezember 1534. Frecht hat sie auf Bucers Bitte hin mit vorbereitet und durchgeführt. Leider waren die Württemberger und die Schweizer ferngeblieben. Heinrich Bullinger 1504-1575 schickte immerhin ein Bekenntnis aus Zürich, dem sich die Versammlung anschloss. So half Frecht mit, dass Bucer mit einem gewissen Rückhalt bei den Oberdeutschen in die unmittelbar folgenden Verhandlungen mit Melanchthon nach Kassel gehen konnte.(55) Kassel führte nach Frecht so nahe wie noch nie an eine Verständigung in der Abendmahlsfrage heran.(56) Luthers wenig ermunternde Reaktion befremdete ihn, doch besonders störten ihn offene Angriffe wie der von Nikolaus von Amsdorffs 1483-1565 Er fürchtete den Einfluss der gestrengen Lutheraner auf die Württemberger und warb bei Schnepf für Bucers und Melanchthons Bemühungen. Auch Brenz sah er kompromisslos, meinte jedoch, die Liebe hoffe "Besseres von dem alten Freund".(57)

In Ulm blieben die Verantwortlichen reserviert. So sehr sie sich in kluger politischer Taktik um den Anschluss an die lutherischen Mächte bemühten, so sehr sahen sie sich in religiös-theologischer Hinsicht dem oberdeutsch-schweizerischen Erbe verpflichtet.(58) Frecht missfiel dies. Umso wichtiger wurde für ihn die Beförderung von Bucers Konkordienwerk in Richtung Wittenberg durch Ulm an der Seite Straßburgs und Augsburgs. Am 13. August 1535 schrieben Frecht und die Ulmer Geistlichen einen werbenden Brief an Luther. Dieser zeigte sich erfreut über die Initiative der drei Städte, die schließlich zum Treffen der Oberdeutschen mit Luther und anderen Reformatoren in Wittenberg und zur Unterzeichnung der sog. Wittenberger Konkordie vom 26. Mai 1536 führte. Damit endete die "Mittelstellung" der Oberdeutschen. Wieder hatte sich Frecht um eine Teilnahme der Schweizer bemüht, doch nichts erreicht. Wider Willen beförderte auch er die Entfremdung von den Schweizern.(59)

Bei der Rückkehr aus Wittenberg sah sich Frecht in Ulm mit einem überraschend heftigen Widerstand gegen die Konkordie bis hin zu Drohbriefen und beleidigenden Angriffen konfrontiert. Mit Georg Keller, gen. "Schramjörg" 1529-1536 Münsterprediger und Johannes Liebmann gest. 1574 lief die zwinglische Opposition unter den Amtskollegen Sturm. Typisch für die gespannte Situation in Ulm war, dass im Jahr der Konkordie eine zweite überarbeitete Auflage von Sams Katechismus erscheinen konnte, der in Aufnahme von Wolfgang Capito eine deutlich zwinglische Fassung der Sakramentenlehre vertrat. Frecht kam zustatten, daß er auf positive Stimmen in der Schweiz verweisen konnte. So hatte ihm der Freund Vadian seine "Aphorismen" mit der Versicherung übersandt, die Konkordie stützen und nicht bekämpfen zu wollen.(60) Vadian blieb für Frecht ein wichtiger Vertreter des nach Wittenberg zu Luther hin offenen kirchlichen Einheitsstrebens in der Schweiz.

Der Rat bequemte sich in der Folgezeit zu einer offiziellen Annahme der Wittenberger Konkordie, doch in einer betont auf das Augsburger Bekenntnis und die Schweinfurter Übereinkunft eingeschränkten Weise. Dies teilte man auch Luther mit. Frecht wollte mit der Mehrheit der Kollegen ein eigenes, positiveres Schreiben an Luther schicken, um ihm die uneingeschränkte Zustimmung zur Konkordie zu signalisieren, durfte den Brief aber so nicht absenden. Wieder trat das gespannte Verhältnis zwischen Rat und Prädikantenmehrheit hervor. So ergab sich: Der Rat stimmte der Konkordie aufgrund diplomatischer Rücksichten nach außen hin zu, lehnte sie aber nach innen hin ab. Frecht verfocht dagegen mit der Mehrzahl der Kollegen die Konkordie als Meilenstein kirchlich-politischer Einigung nach innen wie nach außen, mußte jedoch hinnehmen, daß der Rat Ende Oktober 1536 den Predigern eine in seinem Sinn zwinglisch-distanzierte Stellungnahme zur Konkordie verordnete. Die Abendmahlsfrage blieb auch in der Folgezeit unter den Prädikanten strittig. Die Verhärtung der Fronten zwischen Wittenberg und den Schweizern Anfang der 40er Jahre hat Frecht mit tiefem Schmerz verfolgt. Als er 1543 von Reisenden aus Wittenberg hörte, Luther sei über Bullingers Aussagen zum Abendmahl sehr erbost, ahnte er Schlimmes.(61) Noch glaubte er, über Gewährsmänner wie Melanchthon und Vadian Luther und Bullinger zur Beilegung des Dissenses mittels eines privaten Briefwechsels bewegen zu können, ohne Erfolg. Als halber "Lutheranus" und "Buceranus" besaß Frecht zudem bei Bullinger nur begrenztes Vertrauen.(62)

Die Abendmahlsstreitigkeiten betrachtete Frecht immer als Schmach für das Evangelium. Umso glücklicher war er, wo seine Vermittlungsbemühungen Erfolg hatten wie im Biberacher Abendmahlsstreit, der 1545 beigelegt werden konnte.(63)

8: Frechs reformatorisches Wirken über Ulm hinaus

Nicht nur am Ausgleich mit Wittenberg, sondern auch an der Verständigung mit den Altgläubigen unter der Regie des Kaisers war Frecht beteiligt. 1540/41 kam es zum Religionsgespräch in Hagenau, Worms und Regensburg. Wie Brenz und Schnepf gehörte Frecht zur Theologendelegation der Protestanten, die in Worms und Regensburg 1540/1541 zusammentrat. Obwohl es im Zuge der Wormser Verhandlungen zu einem diskutablen Vergleichsentwurf, dem "Wormser Buch" kam, scheiterten die weitergehenden Unionsbemühungen auf dem Regensburger Reichstag 1541.(64) Auch an dem fünf Jahre späteren, ebenfalls vergeblichen Versuch einer Einigung, dem Regensburger Religionsgespräch vom Februar 1546 am Vorabend des Schmalkaldischen Krieges, war Frecht im zweiten Glied der Verhandlungsführer Georg Major 1502-1574 für Melanchthon, Bucer, Schnepf und Brenz an der Seite Bucers beteiligt. An Vadian, den er ausführlich über die Ereignisse informierte, schrieb er offen von den Vorbehalten vieler gegenüber diesem neuerlichen Unionsversuch und bedauerte einmal mehr die Abwesenheit der Schweizer.(65)

Zu einem informellen Religionsgespräch am Rande der großen Ereignisse kam es am 19. Juli 1543 beim Besuch des Kaisers in Ulm zwischen Frecht, dem Erzbischof Gasparo d’Avalos 1485-1545 von Santiago de Compostela, der an Informationen über die evangelische Sache interessiert war, und dem Dominikaner Pedro de Soto 1495/1500-1563 (66) Frecht musste enttäuscht feststellen, dass die Religionsfrage für die Spanier zuallererst eine Frage von Papst- und Zeremonientreue war. Andere Gespräche mit reformfreudigen Italienern in der Tradition eines Bernhardin von Siena 1380-1444 stimmten ihn zuversichtlicher. So hoffte er auf ein weiteres Vordringen der evangelischen Bewegung in Italien, welches er endgeschichtlich deutete: "Jenes Feuer, das der Herr auf die Erde warf Lk 12,49 beginnt in Italien zu brennen, damit auch das Lager des Antichristen hinweggerafft werde".(67)

Wenig erfolgreich waren die Reformationsbemühungen in Dillingen, Elchingen und Söflingen, die 1546 nach den anfänglichen militärischen Erfolgen im Schmalkaldischen Krieg unternommen wurden. Sie führten Frecht unter anderem als "Prediger wider den Antichristen" nach Dillingen. Der für die Protestanten ungünstige Kriegsverlauf machte einen Erfolg unmöglich. Statt neuer Gebietsgewinne für die Reformation standen am Ende zahlreiche von den näherrückenden kaiserlichen Truppen geplünderte und gebrandschatzte Ortschaften Ulms.

9: Das Interim: Gefangenschaft und Verbannung

Mit der sich abzeichnenden Niederlage im Schmalkaldischen Krieg und Ulms Unterwerfung unter den Kaiser Ende 1546 bestand höchste Gefahr für den Fortbestand der Reformation.(68) Die Wiedereinführung des Messgottesdienstes in der Dominikanerkirche während des Aufenthalts des Kaisers in Ulm Ende Januar bis Anfang März 1547 und die Kanzelpolemik des Augustinermönches Johannes Hoffmeister verhießen nichts Gutes.(69) Frechts Klagen über das "papistische" Treiben am kaiserlichen Hof und der beschwörende Ruf um Beistand durch Bucer und Blarer, den "Vätern" der Ulmer Kirche, machen deutlich, wie ernst für ihn die Lage war.(70) Getröstet hat ihn Brenz, der zum geduldigen Ertragen des Geschicks ermutigte, aber auch der Blick über die Grenzen hinaus bis nach Sizilien und nach England, wo Frecht das "evangelische Feuer" noch kräftig brennen sah.(71) Ein gesteigertes Endzeitbewusstsein half bei der Deutung der gegenwärtigen Bedrängnisse.(72)

Die Verabschiedung des Augsburger Interims im Mai 1548, das den Protestanten mit Laienkelch und Priesterehe nur geringe Zugeständnisse machte, verschärfte die Situation. Frecht sprach sich gegen eine Annahme des Interims aus, doch der Rat beugte sich dem Druck des Kaisers und nahm Ende Juni das Interim an. Schon einen Tag später wurde deutlich, was die Prädikanten bei Unbotmäßigkeit zu erwarten hatten: Bonaventura Steltzer, Münsterprediger seit 1546, der die Gemeinde mit einem Hinweis auf die römischen Christenverfolgungen zu trösten versuchte, wurde wegen Unruhestiftung unter Hausarrest gestellt. Die Prediger mussten das Interim am 15. Juli von den Kanzeln des Münsters und der Spitalkirche bekanntgeben. Es blieb nicht bei diesem formellen Akt.(73) Wenig später wurde im Vorfeld des Kaiserbesuchs der hölzerne Abendmahlstisch aus dem Münster entfernt. Zwei steinerne Messaltäre wurden errichtet. Einen Tag nach der Ankunft des Kaisers am 14. August in Ulm weihte der Sohn des Kanzlers, Antoine Perrenot de Granvella 1517-1586 Bischof von Arras, die Altäre und las eine Messe.

Als Frecht und die anderen Prädikanten am 16. August vorgeladen wurden, die Annahme des Interims eidlich zu bestätigen, kommt es zur Spaltung: Zwei Prädikanten nehmen das Interim an, Frecht und die Kollegen Jakob Spieß gest. 1554 Martin Rauber gest. 1561 und Georg Fieß gest. 1569 verweigern trotz hartem Drängen und Einzelverhör den Eid. Immerhin waren sie bereit, sollte der Rat sie entlassen, sich nicht aktiv gegen das Interim zu stellen. Für den Kanzler des Kaisers, Nicolas Perrenot de Granvella 1484/86-1550 war der Affront durch die Hartnäckigkeit der Ulmer "Erzketzer" perfekt. Die vier Prediger wurden gefangengenommen, in Ketten gelegt und ins Gefängnis gebracht. Ein Zwischenfall auf dem Weg beleuchtet Strenge und Nervosität der Kaiserlichen: Als Jörg Frecht seinem Bruder Martin beim Vorbeigehen Mut zuspricht, wird er unter dem Vorwand aufrührerischer Parolen sogleich mitverhaftet. Am 20. August 1548 führt man die vier Prediger zusammen mit dem schon Arretierten Bonaventura Steltzer und Jörg Frecht als kaiserliche Gefangene in die Festung Kirchheim/T. Schon vorher hatte Karl V. im Zuge seiner allseits betriebenen Verfassungsänderungen zugunsten der Patrizier einen neuen Rat eingesetzt und den Altgläubigen eine stärkere Stellung gegeben. Dieser neue, dem Kaiser willfährige Rat tat alles, um den Anschein zu vermeiden, er hintertreibe das Interim. Dennoch war der Kaiser mit der Umsetzung des Interims in Ulm nicht zufrieden. Entsprechend gering war die Bereitschaft, den Bitten des Ulmer Rates um Freilassung der Gefangenen zu entsprechen. Mehr noch: Die Durchsicht der beschlagnahmten Korrespondenz von Frecht offenbarte den Kaiserlichen, wie weit die Kontakte dieses Stadtreformators reichten und welche Brisanz im länder- und städteübergreifenden Zusammenspiel von protestantischer Obrigkeit und Prädikanten steckte. So hieß es, trotz des nach dem Tode B. Besserers gewachsenen politischen Einflusses gewiss übertrieben, Frecht habe die Stadt mehr regiert als die weltliche Obrigkeit.

Die Nachricht von der Verhaftung Frechts und seiner Kollegen wurde im evangelischen Lager mit Entsetzen aufgenommen und als neuerliche Christenverfolgung thematisiert.(74) Anders Schwenckfeld: Er hat die Gefangennahme Frechts und seiner Kollegen als schwere, aber gerechte Strafe Gottes für deren Kampf gegen ihn und seine Anhänger in Ulm verstanden. Das Elend, das er über andere gebracht habe, sei nun auch seines geworden.

Frechts Briefe an seine zweite Frau Christina geb. Fingerlin schildern eindrücklich die Zeit der Gefangenschaft.(75) Mut und Zuversicht, die ihn noch Ende August einen Brief mit "des Kaisers Gefangener, aber Christi Freier" unterzeichnen ließen, wichen bald dem Kampf um das geduldige Tragen des Leidens in der Nachfolge Christi. Dankbar waren die Gefangenen für die Dienste des jungen Wendelin Schempp um 1530-1567 der in Ulm die Lateinschule besucht und die Gefangenen begleitet hatte. Krankheiten, Verpflegungs- und Geldprobleme machten jedoch zunehmend zu schaffen. Sie veranlassten Frecht zu dem bitteren Resümee, "daß unsre Gewissen beschwert, der Magen versehrt und der Seckel Geldbeutel geleert."(76) Mitte September mussten sich zudem alle sechs an eine Kette legen lassen. Frecht suchte Stärkung und Trost für sich und seine Mitgefangenen in der Psalmenauslegung. Auch im Gefängnis blieb er "Leser der Heiligen Schrift". Niederschriften zu den Psalmen 39, 63 und 77 schickte er an seine Frau.

In der Hauptfrage, dem verweigerten Eid auf das Interim, ließ die kaiserliche Seite keinerlei Entgegenkommen erkennen. Man wollte ein Exempel statuieren und die Prediger zur aktiven Annahme des Interims zwingen. Die mildere Variante einer passiven Annahme hätte Frecht ebenso akzeptiert wie die Entlassung aus dem Dienst, doch beides war dem Kaiser zu wenig. Damit wurde immer unwahrscheinlicher, was Frecht lange gehofft hatte: Auf eine weniger bedeutende Stelle in Ulm zurückkehren zu können, etwa an die Spitalkirche. Unter dem Druck der Haft gaben die Gefangenen ihren Widerstand auf. Im Dezember 1548 beschworen sie die aktive Annahme des Interims. Dennoch blieben sie weiter in Haft. Freigelassen wurden sie erst am 3. März 1549 durch einen Gnadenakt des Sohnes Karls V., Philipp von Spanien, mit Ausnahme des Bruders Jörg, der noch bis Ende Juli festgehalten wurde.(77) Für ihre Freiheit zahlten die Prediger einen hohen Preis. Zur aktiven Annahme des Interims kam das eidliche Versprechen, Ulm "für ewige Zeiten" nicht mehr zu betreten – später wohl auf acht Jahre begrenzt - und alle Haftkosten zu ersetzen.

Nach dem Abschied von Freunden, Frau und Kindern in Söflingen Anfang März 1549 zog Frecht für rund ein Jahr zu Schwester und Schwager nach Nürnberg und weilte dann von April bis November 1550 unter dem Schutz Herzog Ulrichs in Blaubeuren, stets um eine Rückkehr nach Ulm bemüht. Dort war das Interesse gering. Frecht fühlte sich auch finanziell im Stich gelassen. Von einer erst 1547 mündlich zugesagten Pension wollte man nun nichts mehr wissen. Sein ernüchterndes Fazit lautete: "Arme Leute kennt man nicht, darumb muß Gott drein sehen".(78)

Frechts Hoffnungen auf eine Rückkehr gründeten sich nicht zuletzt auf die flexible Interimspolitik, wie er sie im Württembergischen, in Augsburg und in Nürnberg beobachtete. Den Ulmern empfahl er, sich bei der Neugestaltung ihres Kirchenwesens an Nürnberg und seiner Kirchenordnung zu orientieren. Der voraussehbare Protest des "gemeinen Mannes", der ein "Abscheuen und Gespött aus Nürnbergisch Meß machen" würde, sollte in Kauf genommen werden.(79) Frecht machte sich die Nürnberger Linie so weit zu eigen, daß man ihn sich dort als Prediger vorstellen konnte.(80)

Während seines Nürnberger Aufenthalts beschäftigte sich Frecht unter anderem mit schriftstellerischen Arbeiten zum Interim.(81) Philipp Melanchthon versuchte zu dieser Zeit, ihm ein leitendes Kirchenamt beim Fürsten von Liegnitz zu vermitteln. Auch eine entsprechende Anstellung in Bayern brachten die Freunde ins Gespräch, doch ließ sich beides nicht realisieren.(82)

10: Die letzten Jahre in Tübingen

Frecht blieb eine Rückkehr in sein Ulmer Amt versagt. Im Winter 1550/1551 wurde er als Magister domus später Ephorus an das Evangelische Stift in Tübingen berufen. Im Juni 1553 übernahm er die dritte theologische Professur an der Tübinger Universität, 1555/1556 versah er das Amt des Rektors. Sechs Jahre waren ihm und seiner Frau mit den sieben Kindern in Tübingen vergönnt. An Stift und Universität konnte er seine Gaben als theologischer Lehrer wieder zur Geltung bringen. Verschiedene Niederschriften, so zum Papsttum und zur Abendmahlslehre, entstanden. Von Gewicht war die Mitarbeit Frechts an der reformatorischen Neuordnung Württembergs, etwa bei der Anfang 1553 verabschiedeten Eheordnung oder der für das Trienter Konzil bestimmten Confessio Wirtembegica. Kränklich geworden, nicht eben üppig besoldet und mit seiner großen Familie in beengten Verhältnissen lebend, legte sich über alles die Last des erzwungenen Abschieds von Ulm. Die offenbar nicht überwundenen Vorbehalte von lutherischer Seite in der Abendmahlsfrage verstärkten das Gefühl der Vereinsamung. Für die verfeinerten dogmatischen Streitigkeiten, die nach dem Augsburger Interim unter den Nachfolgern Luthers etwa im adiaphoristischen und majoristischen Streit aufbrachen, fehlte ihm jedes Verständnis.(83)

In Ulm kam im Jahr 1554 noch einmal ernsthaft der Gedanke auf, Frecht wieder in das Amt des leitenden Geistlichen der Stadt einzusetzen. Dieser bereitete sich schon darauf vor und bemühte sich um Prediger aus der Schweiz, die das Augsburger Bekenntnis anerkannten – wohl ein Hinweis darauf, dass Frecht nach der Annäherung an Wittenberg nochmals eine Brücke zu den Schweizern schlagen und in Ulm ein Kirchenwesen im Sinne des mit Bucer verfolgten Konkordienwerks schaffen wollte.(84) Der hinhaltende Widerstand des Kaisers hat Frechts Rückkehr verhindert. Frecht betrat die Stadt Ulm nach seiner Haft nur noch einmal Mitte 1556 auf der Durchreise nach Bad Thalfingen zur Kur. Bald darauf, am 14. September 1556, starb er in Tübingen und wurde in der dortigen Stiftskirche begraben.

Ulm hat sich nach dem Interim in der Neuordnung seines Kirchenwesens an Nürnberg und der Württembergischen Kirchenordnung orientiert. In das Amt der Kirchenleitung berief man im Herbst 1556 den Straßburger Münsterprediger Ludwig Rabus 1524-1592 Unter seiner Führung wurde aus der von Frecht behutsam eingeleiteten Öffnung der Ulmer Kirche in Richtung Wittenberg eine lutherische Konfessionskirche in enger Verbindung mit Württemberg und scharfer Abgrenzung gegenüber den Schweizern. Das Territorium siegt auch hier über die Stadt. 1577 unterzeichnen Rabus und die Ulmer Prediger die Konkordienfomel. Insgesamt siebzehn Jahre lang hat Frecht in Ulm für die Festigung der städtischen Reformation und, mit großem Engagement, aber letztlich erfolglos, mit Martin Bucer für einen "mittleren Weg" der Verständigung zwischen Schweizern, Oberdeutschen und Wittenbergern gekämpft. Er bleibt ein städtischer Reformator von Rang, dessen Bedeutung noch weithin unterschätzt wird.

Aktualisiert am: 19.03.2018

Jakob Otter und die Reformation in Esslingen

Von: Schröder, Tilman Matthias

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Der Weg nach Esslingen
  2. 2: Die Anfänge der Reformation in Esslingen
  3. Ein schlechter Beginn Der Predigerstreit von 1533/34
  4. Otters zweiter Beginn
  5. Anhang

"Otther ist ein ungewöhnliches Männlein; sein männlicher Sinn und die seltene Würde in Lebensführung und Lehre wird von allen verehrt."(1) Mit diesen Worten beschrieb Ambrosius Blarer respektvoll seinen Nachfolger in Esslingen, Jakob Otter ca.1485-1547 Otters offensichtlich wenig beeindruckende Gestalt passt dabei zunächst zu seiner Einordnung als einer der sogenannten "Kleinen Reformatoren", die im Schatten der "Großen", wie Luther, Melanchthon, Zwingli, Blarer oder Brenz, in einem räumlich sehr begrenzten Rahmen ihr Werk vollbrachten. Dass eine solche Arbeit mitunter nicht weniger kräftezehrend war, unterstreicht Otters fünfzehnjähriges Wirken in Esslingen, der Reichsstadt am Neckar.

1: Der Weg nach Esslingen

Otters Biographie spiegelt in ihrer durch häufige Anfeindungen bedingte Ruhelosigkeit beispielhaft das Leben eines protestantischen Geistlichen im 16. Jahrhundert wieder.(2) Um 1485 wurde er im elsässischen Lauterburg geboren, das zum Gebiet des Hochstiftes Speyer gehörte. Die Familie selber stammte aus Udenheim (Philippsburg). Otters Vater Hans war Schneider und Ratsherr in Lauterburg. Von der Mutter Brigitta ist leider nur ihr Name überkommen. Sie starb, als ihr Sohn gerade 6 Monate alt war, aber auch der Vater überlebte sie nur um zweieinhalb Jahre. Der zurückbleibenden drei Kinder des Ehepaares nahmen sich nun die Brüder ihres Vaters an. Jakob zog zu seinem Onkel Michael Otter nach Speyer, einem Buchhändler, der den Jungen bereits früh mit der Welt der Bücher und der Gelehrsamkeit vertraut machte. Genauso prägte den jungen Otter der humanistische Geist, der zu dieser Zeit in Speyer eine Blüte erlebte. Als Domprediger wirkte einer der bedeutendsten Vertreter des süddeutschen Humanismus, Jakob Wimpfeling 1450-1528 Dazu kamen die Humanisten Jodokus Galtz (Gallus) und Johann Wacker (Vigilius), die Otter während seiner Schulzeit kennenlernte. 1505 begann er sein Studium in Heidelberg, erlangte zwei Jahre später den akademischen Grad eines Baccalaureus und empfing die Priesterweihe. Im gleichen Jahr 1507 zog Otter nach Strassburg, wo er Sekretär des großen Volks und Sittenpredigers Johannes Geiler von Kaysersberg 1445-1510 wurde. Als Geiler 1510 starb, übernahm Otter die Herausgabe von Werken seines Meisters. Viel entscheidender aber war, dass Otter durch seine humanistischen Lehrer in Speyer und nun auch durch Geiler mit der weit verbreiteten Kritik an Missständen innerhalb der Kirche und vor allem auch im Klerus vertraut worden war. Teilweise betraf diese Kritik sogar ihn selber. Obwohl zum Priester geweiht, hatte Otter ja keine eigentliche theologische Ausbildung durchlaufen, die ihn zu diesem Amt besonders qualifiziert hätte. Dies suchte er nun nachzuholen und begann in Freiburg mit dem Theologiestudium, das er 1517 erfolgreich als Licentiat der Theologie abschloss. Ein Jahr später wurde Otter die Pfarrei Wolfenweiler bei Freiburg übertragen, doch wechselte er bereits 1522 auf die größere Pfarrstelle von Kenzingen im Breisgau.

Zu dieser Zeit hatte sich Otter offensichtlich bereits für die Sache Martin Luthers 1483-1546 entschieden, denn er hielt die Messe in deutscher Sprache und teilte das Abendmahl in beiderlei Gestalt aus. Damit handelte er sich freilich von Seiten der Gegner der Reformation den Vorwurf der Ketzerei und des Aufruhrs ein, aber die Gemeinde in Kenzingen hielt zu ihm. Im Juni 1524 spitzte sich die Lage zu, als die vorderösterreichische Regierung offen mit Gewalt gegen Otter und Kenzingen drohte. Nun musste der Kenzinger Rat Otter entlassen, aber noch einmal suchten die Kenzinger Otter zu schützen. Fast 200 Bürger gaben ihm Geleit, um ihn unbeschadet in badisches Gebiet zu bringen. Kenzingen selber wurde mittlerweile durch Truppen aus Freiburg besetzt und den mit Otter ausgezogenen Bürgern die Rückkehr verweigert. Denen blieb nun nichts anderes übrig, als zusammen mit Otter nach Straßburg ins Exil zu gehen und das Weitere abzuwarten. Währenddessen setzten die Freiburger in Kenzingen die Unterdrückung der Reformation mit brutalen Repressalien durch. Der Bürgermeister wurde verhaftet, der Stadtschreiber am 7. Juli 1524 enthauptet.

Otter ging es zunächst besser. Ritter Hans Landschad, ein eifriger Lutheranhänger, übertrug ihm noch 1524 die Pfarrstelle in Neckarsteinach bei Heidelberg. Auch hier gelang es Otter rasch, die Gemeinde für die lutherische Sache zu gewinnen. Mit Landschad selber und seiner Familie verband Otter bald ein sehr herzliches Einverständnis. Otter blieb jedoch der kaiserlichen Regierung ein Dorn im Auge. Man übte politischen Druck auf den pfälzischen Kurfürsten Ludwig aus, bis dieser im Juni 1526 von Landschad die Entlassung Otters und die Rücknahme aller gottesdienstlichen Reformen verlangte. Durch ein Gutachten von Johannes Brenz gestärkt, blieb Landschad zunächst standhaft. Dann aber zitierte ihn der Kurfürst vor das Hofgericht nach Heidelberg und drohte mit Gewalt. So musste Otter 1529 zum zweiten Mal fliehen und sich nach Straßburg in Sicherheit bringen.

Dort war Otter nun kein Unbekannter mehr. Mit dem Straßburger Reformator Martin Bucer 1491-1551 hatte Otter bereits 1525 ausführlich in Neckarsteinach über die Theologie Ulrich Zwinglis 1484-1531 diskutiert und sich dabei selber der Oberdeutschen Richtung angenähert, wie sie die Straßburger Theologen vertraten. Diese empfahlen Otter deshalb dem Züricher Reformator Zwingli als Prediger für Solothurn. Hier scheiterte Otter jedoch rasch am Widerstand der Bevölkerung und nahm deshalb nach kurzem Aufenthalt in Bern im August 1529 einen Ruf nach Aarau an. In dieser Zeit heiratete Otter, aber merkwürdigerweise wissen wir über seine Frau und seine Familie überhaupt nichts.

Während der Predigerzeit in Aarau wirkte Otter auch auf überregionaler Ebene, beispielsweise bei den Friedensgesprächen zwischen Zürich und den Urkantonen. Durch seine vermittelnde Art erwarb er sich dabei den Ruf, für größere und kompliziertere Aufgaben geeignet zu sein. Bald gab es Überlegungen, ihn nach Kempten oder Augsburg zu holen, aber schließlich setzte sich Ambrosius Blarer 1492-1564 durch und erreichte, dass der Rat von Esslingen Otter am 2. April 1532 zur Fortführung des von Blarer begonnenen Aufbaus eines evangelischen Kirchenwesens in die Reichsstadt berief.

2: Die Anfänge der Reformation in Esslingen

Ansicht Esslingens aus Matthäus Merians Topographia Suaviae (1643/1656)

Gemeinfrei

Bereits 1522 war in Esslingen zum ersten Mal evangelisch gepredigt worden. Die städtische Obrigkeit hatte sich jedoch angesichts der schwierigen politischen Lage der Stadt, die inmitten des von einer österreichischen Regierung verwalteten Württembergs lag, damals zu keiner eindeutigen Stellungnahme zugunsten der Reformation durchringen können. Eine Reihe von Ratsherren und vor allem der einflussreiche Stadtschreiber Johannes Machtolf standen jedoch auf der Seite Luthers. Was aber der evangelischen Bewegung fehlte, war eine starke und charismatische Führungspersönlichkeit, welche die Bevölkerungsmehrheit hätte mitreißen können. Eine gewisse Sympathie genoss der Augustinermönch Martin Fuchs, ein Esslinger Bürgersohn, dessen Predigten zwar großen Zulauf hatten, aber trotzdem nur wenig bewirkten. 1524 musste jedoch auch er aus Esslingen fliehen, um einer Verhaftung durch den bischöflichen Fiskal von Konstanz zu entgehen. 

Die evangelische Bewegung in der Stadt schien gebremst zu sein, aber der Rat der Stadt tat nun umgekehrt wenig, um die altgläubige Position wieder zu stärken. Im Gegenteil versuchte er die Situation zu nutzen, um traditionelle kirchliche Rechte in Frage zu stellen und sie in den Besitz der Stadt zu bringen. Das untergrub natürlich die Autorität der alten Kirche in Esslingen nur noch weiter. 

Die Gründung des von protestantischen Ständen getragenen Schmalkaldischen Bundes 1531 veränderte die politische Situation Esslingens grundlegend. Eine Hinwendung zur Reformation schien jetzt möglich zu sein, da von nun an der Bund die Sicherheit der Stadt gewährleisten konnte. Im September 1531 trat daher auch Esslingen dem Schmalkaldischen Bund bei. Solchermaßen außenpolitisch abgesichert, gewannen die reformatorischen Kräfte innerhalb der Stadt wieder an Gewicht. 

Am 20. August 1531 erließ der Esslinger Rat erstmalig ein Predigtmandat, in welchem er der Bevölkerung mitteilte, "einen christenlichen evangelischen Predicanten, dem almechtigen Gott zu Lob und Ehr, auch Besserung unserer allen Leben, auf und anzunehmen, und das heillig Evangelium clar und lauter lassen zu predigen."(3) Da die Stadt selber keinen geeigneten "Reformator" besaß, sah man sich in den benachbarten Reichsstädten nach einer geeigneten Persönlichkeit um. Fündig wurde man in Ulm, wo seit Frühjahr neben anderen Theologen auch der Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer an der kirchlichen Neugestaltung in der Stadt mitgearbeitet hatte. Gerne folgte er dem Esslinger Wunsch und kam im September 1531 in die Stadt.

 

In Esslingen ging Blarer sofort tatkräftig zu Werke. Mit seinen seelsorgerlichen Predigten brachte er die Mehrheit der Esslinger Bevölkerung auf die Seite der Reformation. So erbrachte die Bürgerbefragung, die als eine Art Volksabstimmung (freilich ohne Beteiligung der Frauen) vom 6. bis 11. November 1531 durchgeführt wurde, ein beeindruckendes Votum in Sinne Blarers. Von 1076 befragten stimmberechtigten Bürgern (bei einer Bevölkerungszahl von ca. 7500 Menschen) sprachen sich nur 21 gegen die Durchführung der Reformation aus.(4) 

Nach dieser ersten und schnellen Phase der Einführung der Reformation, begann der zweite und wesentlich mühevollere Schritt, nämlich einerseits die institutionelle Ausgestaltung und Bewahrung des Erreichten, andererseits aber auch die Klärung des Verhältnisses zu den noch immer in Esslingen ansässigen Klöstern und Pfleghöfen, vor allem aber zum Speyrer Domkapitel, dem rechtmäßiger Weise der Kirchenzehnte zustand. Hier bedurfte es langer Prozesse vor den Reichsgerichten, bis nach langen Jahren gütliche und für die Stadt befriedigende Ergebnisse erzielt werden konnten. 

Der innere Ausbau der neuen evangelischen Kirche war vor allem die Aufgabe Blarers. 1532 leitete er entscheidende Kirchenzucht und Gottesdienstreformen ein. Die am 14. Januar 1532 erlassene Zuchtordnung enthielt allgemeine Regelungen zur Verbesserung der sittlichen Zustände in Esslingen, worüber ein vom Rat der Stadt eingesetztes Zuchtgericht aus fünf Zuchtherren zu wachen hatte.(5) Selbst Ehescheidungen fielen nun in die Kompetenz städtischer Behörden, wobei das Ehegericht jedoch nicht mit Ratsherren, sondern mit Mitgliedern der Zünfte besetzt wurde. 

Auch das Gottesdienstwesen erhielt eine neue Regelung. Die Stadt wurde in vier Pfarrbezirke mit jeweils zwei bis drei Pfarrern aufgeteilt. Eine der Pfarrerstellen an der Stadtkirche übertrug man dem mittlerweile wieder nach Esslingen zurückgekehrten Martin Fuchs. Der Bevölkerung wurde energisch der Besuch der Gottesdienste und des Abendmahls anbefohlen. 

Ein schlechter Beginn Der Predigerstreit von 1533/34

Als Blarer Anfang Juli 1532 Esslingen wieder verließ, vertraute er darauf, dass er seinem Nachfolger Jakob Otter einen bereits weitgehend bestellten Acker hinterlassen hatte. Mit dieser Meinung sollte sich Blarer jedoch empfindlich irren.

Der Streit begann für Otter in den eigenen Reihen. Martin Fuchs, der evangelische Prediger der "ersten Stunde", impulsiv und sehr von seiner eigenen Bedeutung überzeugt, hatte nach seiner Flucht aus Esslingen viel Unbill durchleiden müssen. Deshalb glaubte er, dass ihm nach seiner Rückkehr in seine Heimatstadt die Nachfolge Blarers als eine Art Wiedergutmachung zustünde. Stattdessen musste er sich nun mit der seiner Meinung nach undankbaren Rolle des zweiten Pfarrers hinter Otter zufriedengeben. Otter und Fuchs entwickelten rasch eine starke persönliche Abneigung gegeneinander, woraus sich ein handfester Streit entwickelte. Fast jede Maßnahme Otters wurde von Fuchs öffentlich kritisiert. Tatsächlich agierte Otter in der Öffentlichkeit sehr viel vorsichtiger als Blarer. Er drängte zunächst nicht so massiv wie dieser auf die Einhaltung der Zuchtordnung, weil er sah, dass ihm der Rat hierin nicht folgte. Auch in anderen Punkten wich Otter vor Eingriffen des Rates zurück, beispielsweise beim Ehegericht, wo sich der Rat nun als Appellationsinstanz die letzte Entscheidung vorbehielt. Otters zurückhaltendes Taktieren mag sich daraus erklären, dass er zunächst nur für ein Jahr auf Probe eingestellt worden war und nach den vielen Jahren des Herumziehens endlich die ersehnte Dauerstellung vor Augen sah. Blarer hatte es in dieser Hinsicht leichter gehabt. Er war von Ulm und Konstanz an die Esslinger nur "ausgeliehen", worden, konnten also gegenüber den Esslinger Ratsherren sehr selbstbewusst und gleichberechtigt auftreten.

Otter reagierte auf Fuchs gereizt und kleinlich. Auch der dauernde Vergleich mit Blarer machte ihm zu schaffen. "Ist der Blarer euer Christus? Kann sonst niemant nichts dan der Blarer?", befand er beleidigt gegenüber seinen Amtsbrüdern, von denen er sich immer stärker zurückzog, worauf die sich mit Fuchs solidarisierten.

Aber nun passierte genau das, was Blarer immer zu vermeiden gesucht hatte, nämlich die Einmischung der weltlichen Obrigkeit in die Selbstständigkeit der Geistlichen. Ihnen hatte Blarer stets ein kollegiales Verhältnis ans Herz gelegt und deshalb auch keine deutliche hierarchische Abstufung der Ämter innerhalb der Pfarrerschaft geschaffen. Otter jedoch, der sich gegenüber Fuchs nicht mehr zu helfen wusste, wandte sich nun ausgerechnet an den Rat mit der Bitte, ihn gegen Fuchs zu unterstützen. Er beklagte die täglichen Reibereien mit Fuchs. Deshalb gebe es ein immer lauter werdendes Gemurmel innerhalb der Gemeinde, "die Pfaffen seien uneins."(6) Der Rat reagierte sofort. Es war wohl zunächst gar nicht seine Absicht, die Pfarrer endlich auch dienstrechtlich kontrollieren zu können, sondern die Sorge, mögliche Turbulenzen von dem noch jungen Esslinger Kirchenwesen fern halten zu müssen. Das Ergebnis aber hatte dennoch tiefgreifende Folgen für das Verhältnis von Kirche und Obrigkeit in Esslingen. Im Sommer 1533 erließ der Rat eine feste Prädikantenordnung. In ihr legte er fest, welcher Prädikant wann zu predigen habe. Die Pfarrer selber mussten sich zu regelmäßigen Dienstbesprechungen treffen, den Konvokationen, bei denen die anstehenden kirchlichen Belange durchgesprochen werden sollten. An diesen Sitzungen nahmen jeweils zwei Ratsherren teil. Nur mit deren Einverständnis konnten notorische Sünder vom Gottesdienst oder dem Abendmahl ausgeschlossen werden. Insgesamt wurde die Position Otters gegenüber den anderen Geistlichen und vor allem zu Fuchs gestärkt und er erhielt die ersehnte Dauerstellung. Sein Streit mit Fuchs ging dennoch weiter und erstreckte sich mittlerweile auch auf theologische Fragen, wobei von den beiden Kontrahenten sogar Theologen anderer Städte mit Beschwerdebriefen und Bitten um Gutachten traktiert wurden, was dem Esslinger Rat äußerst peinlich war. Als Blarer davon hörte, dass Otter sich nun beinahe regelmäßig beim Rat über Fuchs beklage, rang er die Hände. Otter sei zu empfindlich, schrieb er an den Esslinger Stadtschreiber Machtolf, so "daß er die Fehler der anderen so leicht vor den Rat bringt, woraus viel Parteiung und Ärgernis erwachsen muß. Meine Mitarbeiter müssten arge Dinge begehen, dass ich sie vor dem Rat anklagte, und vorher würde ich alles versuchen, damit die Sache zwischen uns bleibe, ... denn Uneinigkeit zwischen den Predigern erregt bei der Obrigkeit, die sie zu Einigkeit anhalten sollten, schlimmen Anstoß."(7)

Offensichtlich war Otter zu diesem Zeitpunkt mit der Führung eines größeren Kirchenwesens überfordert. Mit Kollegen am selben Ort hatte er sich in seinen vorigen Stellen noch nie ernsthaft auseinanderzusetzen gehabt. Dazu kam eine mangelnde Distanz zur Obrigkeit, was sich aus Otters guten Erfahrungen mit dem Kenzinger Rat, aber auch mit Ritter Hans Landschad in Neckarsteinach erklären lässt, denen er teilweise sogar seine persönliche Sicherheit zu verdanken gehabt hatte. Das grundsätzliche Anliegen Blarers, die evangelische Kirche als Gemeinde von unten her aufzubauen und sich deshalb sogar manchmal am Rat vorbei direkt mit den Zünften zu verständigen, war Otter fremd. Indem er und Fuchs permanent den Esslinger Rat um dessen Eingreifen baten, ihn also in die Rolle eines Disziplinarvorgesetzten der Geistlichkeit drängten, lösten sie sich von der Gemeinde und wurden zu städtischen Beamten. Der Rat entschied den Zwist der Geistlichen entsprechend per Dekret. Am 13. September 1533 wurde Fuchs entlassen. Die Ratsherren machten bei diesem Beschluss deutlich, dass sie das Verhalten beider Geistlicher tadelten, aber aus disziplinarischen Gründen Otter als den vom Rat eingesetzten leitenden Pfarrer halten mussten. Fuchs verließ Esslingen. Nach verschiedenen beruflichen Stationen starb der unruhige Mann 1542 als Württembergischer Feldprediger.

Otters zweiter Beginn

Der "öffentlich geführte Streit zwischen Fuchs und Otter hatte nicht nur zu einem Positionsverlust der Geistlichen gegenüber dem Magistrat geführt, sondern auch ihre Autorität innerhalb der Bevölkerung untergraben. Die Begeisterung für den Aufbau eines neuen Kirchenwesens war beträchtlich abgekühlt. Was sollte der Bürger von den strengen Zuchtgeboten halten, wenn sich die Geistlichen selber gegenseitig moralische Vergehen vorwarfen? Selbst die Ratsherren erschienen nur noch höchst unregelmäßig zu den Predigten, das Fluchen und Saufen in der Öffentlichkeit wurde wieder hingenommen, und traditionelle katholische Bräuche wie das Johannisfeuer und die Totenfeiern auf den Zunfthäusern feierten ihre Wiederauferstehung. Jetzt plötzlich aber, am Tiefpunkt seiner Autorität und seines Einflussvermögens angelangt, persönlich und als vorgesetzter Pfarrer höchst umstritten, begann Otter seine bislang gezeigte Unsicherheit abzustreifen, um mit Umsicht und Tatkraft an seine eigentliche Aufgabe zu gehen. Er lamentierte nicht lange über die schlimmer werdenden Verhältnisse, sondern machte sich daran, in Esslingen eine Art zweite Reformation durchzuführen.

Zunächst verbesserte Otter die Erziehung der Jugend. 1534 entwarf er neue Ordnungen für die Esslinger Elementar und Lateinschule. In ihnen regelte er den Aufgabenbereich der Lehrer und setzte auch die Erziehungsziele fest. In der Elementarschule sollten die Kinder "mit Schreiben und Lesen, mit Rechnen und anderen Schulrechten" unterrichtet, gleichzeitig aber auch der Katechismus traktiert und die Schüler regelmäßig zum Gottesdienst geführt werden.(8) Dafür hatte Otter sogar einen eigenen Katechismus entwickelt. Die Lateinschule organisierte er nach dem weithin anerkannten Straßburger Vorbild um.

Der Katechismus war jedoch nicht nur für die Unterweisung der Jugend, sondern auch für die der Erwachsenen gedacht. Mit seinen Kollegen gab Otter aufgrund der Entwicklungen in der Stadt sogar ein weiteres kirchliches Glaubensbekenntnis mit dem programmatischen Titel heraus: "Ein kurtze Underrichtung und Bekantnus des Glaubens in den furnemen Stücken unser christhlichen Religion, die Einfältigen im Glauben zu befestigen und vor allem Zanck zu warer Einikeit und Besserung zu richten." Das Bekenntnis begann Otter mit einer Schilderung des Wirkens des Satans, der seine Macht auch in Esslingen beweisen wolle, indem er Zwistigkeiten gesät habe. Dann wurden alle für den evangelischen Glauben wichtigen theologischen Punkte abgehandelt: Jesus Christus, Glauben und Werke, Sakramente und schließlich die Kirchenzucht. Abschließend schärfte Otter sowohl der Obrigkeit wie auch den Bürgern ihre Pflichten ein. Dieses Bekenntnis ließ Otter drucken und an alle Haushalte verteilen.

Sein seelsorgerliches Bemühen um die Seelen und Herzen der Esslinger drückte Otter in seinem 1537 erschienenen Gebetbuch aus, das bis heute zu eindrucksvollsten Werken der evangelischen Gebetsliteratur gezählt wird.(9) Es sollte dem einzelnen Christen als private Anleitung zum persönlichen Gebet dienen. Dabei ermunterte Otter seine Leser: "Nicht das du dich an solche Wort sollest binden, sondern sollest die Leiter und Steige der Worte fallen lassen, so bald du hinauff in die Geheimnis des bittenden Geists gestigen und eintretten bist."(10) Die Gebete verzichten auf allen rhetorischen Glanz, sondern beeindrucken stattdessen durch die Schlichtheit und Einfachheit ihrer Sprache. Man mag daraus auch auf Otters Predigtstil schließen, denn es lag ihm stets sehr viel daran, dass seine Predigten von den Hörern wirklich verstanden wurden.

Otters unermüdliches Wirken verband ihn jetzt wieder enger mit den anderen Pfarrern in der Stadt, so dass der alte Streit mit Fuchs verblasste und die Geistlichen nun nach außen hin ein geschlossenes Bild abgaben. Das festigte allmählich Otters Autorität. Weitere Anerkennung erhielt er durch sein Wirken im benachbarten Württemberg, wo seit 1534 offiziell an der Einführung der Reformation gearbeitet wurde. Auf Bitten Blarers war Otter einer der ersten evangelischen Geistlichen, die in Stuttgart aushilfsweise predigten. Freilich geriet er als Vertreter der Oberdeutschen Theologie dadurch mit in den Streit über das Abendmahl, der sich zwischen dem lutherischen und dem oberdeutschen Lager entzündet hatte. Für Esslingen und die anderen protestantischen Reichsstädte bedeutete dieser Streit mehr als nur eine theologische Frage, denn davon hing der Zusammenhalt des Schmalkaldischen Bundes ab, letzten Endes also die politische und militärische Sicherheit der Städte. An den Verhandlungen der Theologen beider Seiten beteiligte sich auch Otter. Im Frühsommer 1536 reiste er mit Theologen der anderen Städte nach Wittenberg zu Luther, wo am 25. Mai die "Wittenberger Konkordie" unterzeichnet wurde, die den Zwist durch einen Kompromiss beendete.

Diese Ereignisse fanden ihren Niederschlag auch in Esslingen. Die Pfarrer, die noch kurz zuvor eher die Rolle von reinen Ausführungsorganen des Rates gespielt hatten, nahmen von nun an ein wesentlich erweitertes und vom Rat geduldetes Mitspracherecht in kirchlich religiösen Fragen in Anspruch. Mit ausschlaggebend dürfte dabei das gesteigerte Ansehen gewesen sein, das sich Otter durch sein engagiertes Auftreten in Esslingen selber, aber auch außerhalb durch seinen Einsatz für die Belange der Stadt erworben hatte. Otter nutzte diese veränderte Situation, um nun seinerseits dem Rat Ermahnungen zu erteilen. So legten beispielsweise 1538 die Geistlichen dem Rat ein ausführliches Memorandum vor, in welchem gefordert wurde, nur noch solchen Bewerbern ein städtisches Amt oder eine Ratsstelle zu übertragen, die deutlich auf der Seite des Evangeliums ständen. Der Rat könne nicht von der Gemeinde die Einhaltung der Zuchtordnung fordern, ohne "ain gute Reformation" in den eigenen Reihen durchzuführen.(11) Dazu gehöre, dass die Ratsherren selber in ihrem Lebenswandel den übrigen Bürgern ein Vorbild seien.

Trotz solcher Ermahnungen gab sich Otter selber keinerlei Illusionen über die Erfolge seiner Bemühungen hin. 1544 klagte er vor dem Rat: "Es ist kein Gehorsam im Volck, das Wort Gottes wird verachtet, die Obrigkeit verkleinert, die Prediger verlestert, alle Rotten, Spaltungen, Secten reissen wieder ein..., das alles kumpt daher, es ist kein Ordnung, das Volck wirt nicht zusammen gehalten."(12)

Otter starb 1547, müde und resigniert. Man respektierte ihn, aber die Liebe seiner Gemeinde wie er sie in Kenzingen und Neckarsteinach erfahren hatte, war ihm in Esslingen nicht zuteil geworden. Otter trug durch seine schnelle Verletzbarkeit und sein häufig verschlossen wirkendes Wesen sicherlich selber viel zu dieser Haltung bei. Am meisten hatte ihn enttäuscht, dass sich die Zuchtordnung in Esslingen nicht hatte durchsetzen lassen. Dabei war er überzeugt gewesen, dass die neue reformatorische Lehre auch einen neuen Menschen hervorbringen würde. Er übersah dabei, dass die kirchlichen Ordnungen dort ihre Grenzen erreichten, wo sie von der Bevölkerung nicht mehr als nachvollziehbare Konsequenz der reformatorischen Lehre, sondern schlicht als Einengung der persönlichen Lebensführung empfunden wurde. Otter hat hier in seiner Strenge die Mehrheit der Esslinger Bevölkerung überfordert. Denn dass sein Bemühen um den Aufbau eines evangelischen Kirchenwesens doch auf fruchtbaren Boden gefallen war, zeigte sich, als kurz nach seinem Tod auch Esslingen das kaiserliche Interim für zehn lange Jahre ertrug, ohne dass dadurch das Fortbestehen der reformatorischen Kirche in der Stadt ins Wanken geriet.

Aktualisiert am: 19.03.2018

Die Reformatoren der oberschwäbischen Reichsstädte Biberach, Isny und Ravensburg: Bartholomäus Müller, Konrad Frick, Thomas Lindner

Von: Warmbrunn, Paul

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Biberach
  2. 1.1: Anfangsphase der Reformation (1521-1527)
  3. 1.2: Bartholomäus Müller und der reformatorische Umbruch (1527-1531)
  4. 1.3: Institutionalisierung der Reformation (1531-1545)
  5. 1.4: Interim, Verfassungsänderung Karls V., Fürstenaufstand und Augsburger Religionsfriede: Der Weg zur Bikonfessionalität (1548-1555)
  6. 2: Isny
  7. 2.1: Erste reformatorische Ansätze
  8. 2.2: Konrad Frick als Schlüsselfigur der Isnyer Reformationsgeschichte
  9. 2.3: Einführung der neuen Lehre unter vorherrschendem schweizerisch-zwinglianischem Einfluss
  10. 2.4: Konsolidierung der neuen Lehre
  11. 2.5: Ausblick: Nebeneinander von evangelischer Reichsstadt und katholischem Kloster
  12. 3: Ravensburg
  13. 3.1: Altgläubiger Kurs des Rates in den ”Reformationsjahrzehnten” der 1520er und 1530er Jahre
  14. 3.2: Später Durchbruch der reformatorischen Bewegung in den Jahren 1544-1546
  15. 3.3: Neuordnung des Kirchenwesens unter Straßburger Einfluss durch Thomas Lindner
  16. 3.4: Bikonfessionalität infolge des Umbruchs der Jahre 1548-1555
  17. 3.5: Zusammenfassung
  18. Anhang

In Oberschwaben, einer bis heute stark durch den Katholizismus geprägten Landschaft, kam den dort besonders zahlreichen Reichsstädten eine Vorreiterrolle bei der Verbreitung und Einführung der neuen Lehre zu. Drei von ihnen, die nach Ende des Alten Reichs an Württemberg kamen, sollen beispielhaft herausgegriffen werden: wurden Biberach und Isny bereits frühzeitig von der reformatorischen Bewegung erfasst, so wandte sich Ravensburg erst relativ spät der neuen Lehre zu. Dass Biberach und Ravensburg seit 1548 zu den bikonfessionellen Reichsstädten gehörten, für die im Westfälischen Frieden von 1648 die numerische Parität eingeführt wurde, und in Isny mit dem Nebeneinander von evangelischer Reichsstadt und katholischer Klosterkirche innerhalb der Stadtmauern ebenfalls eine ungewöhnliche Konstellation bestand, macht diese Fälle besonders aufschlussreich. Dabei soll für jede Reichsstadt ein Geistlicher in den Mittelpunkt der Darstellung gerückt werden, der durch seine Predigt und/oder organisatorische Leistung beim Aufbau des neuen Kirchenwesens maßgeblichen Anteil an der Einführung und Durchsetzung der Reformation hatte.(1)

1: Biberach

Biberach, 1643, Topographia Sueviae von Matthäus Merian

Gemeinfrei

Die reformatorische Bewegung traf in Biberach(2) auf ein reich entfaltetes Kirchenwesen.(3) 36 Priester amtierten an 37 Altären und lasen nicht weniger als 7488 Messen im Jahr.(4) Die einzige Pfarrei in der Stadt an der St. Martinskirche war seit 1349 dem Zisterzienserkloster Eberbach im Rheingau inkorporiert und wurde in der Stadtbevölkerung immer als Fremdkörper empfunden. Als das Kloster sie 1520 gegen den Wunsch des Rats, der einen Weltgeistlichen zum Pfarrer wünschte und Bartholomäus Müller dafür vorsah, mit einem Konventualen besetzte, brach der seit 1480 schwelende Streit der Abtei mit der Reichsstadt wieder aus. Alle Versuche des Rats, das Patronat zu erlangen, blieben aber bis 1566, also auch während der ganzen Reformationszeit, fruchtlos. Von großer Bedeutung für die Reformationsgeschichte wurde die Einrichtung einer 1422 erstmals urkundlich erwähnten Prädikatur mit Präsentationsrecht des Rats, die mit der Messpfründe an der Kapelle des Spitals vor den Stadtmauern verbunden war. Sie war vergleichsweise gut dotiert und ausgestattet und wurde immer mit graduierten Geistlichen besetzt. Trotz zweifellos vieler Missstände und Unzulänglichkeiten drängten die kirchlichen Verhältnisse, zusammenfassend gesagt, in Biberach an der Wende zur Neuzeit nicht zwingend auf eine so durchgreifende Veränderung, wie sie dann tatsächlich eintrat.

1.1: Anfangsphase der Reformation (1521-1527)

Nach den Annalen Heinrichs von Pflummern wurde Biberach "ungeforlich im 23 iar" erstmals mit der "Lutery" konfrontiert.(5) Gerade am Beispiel Biberachs wird die entscheidende Rolle deutlich, die der reformatorischen Predigt als Mittel, die Massen zu mobilisieren, zukam. Die Gestalt des "entlaufenen Mönchs"(6) Konrad Hermann alias "Schlupfetecks", der nach der Biberacher Überlieferung als Erster in der Reichsstadt im Sinne Luthers predigte, ist in vielem charakteristisch für diese Anfangszeit: in ihm tritt uns "der entwurzelte, unstete, nirgends Fuß fassende Propagandist der neuen Lehre"(7) entgegen. Der ehemalige Franziskaner kannte den Schweizer Reformator Huldrych Zwingli 1484-1531 und hatte sich frühzeitig dessen Lehre angeschlossen, die er als Prädikant im süddeutschen wie im Schweizer Raum verbreitete. Aus Reutlingen und Esslingen bereits vertrieben, kam er wohl um 1524/25 nach Biberach und schuf sich durch seine – von scharfen Angriffen gegen die alte Kirche erfüllten - Predigten in der Spitalkirche rasch eine große Zuhörer- und Anhängerschar. Hatte ihn der reichsstädtische Rat zunächst zum Prädikanten berufen, so verwies er ihn bald darauf unter nicht ganz geklärten Umständen der Stadt. Die Stadtobrigkeit suchte der reformatorischen Bewegung zunächst mit restriktiven Maßnahmen wie der Publizierung des Wormser Edikts und dem Verbot lutherischer Flugschriften Herr zu werden. Als er damit die Ausbreitung der neuen Lehre nicht stoppen konnte, ließ er den Dingen weitgehend ihren Lauf.

Von der Aufstandsbewegung des Bauernkriegs wurde auch die Reichsstadt Biberach erfasst, zumal die Bewegung im nördlichen Oberschwaben von ihrem Territorium, nämlich dem der Oberherrschaft des Spitals unterstehenden Dorf Baltringen, ausging. Den drei oberschwäbischen Haufen, darunter dem Baltringer, stand der Schwäbische Bund gegenüber. Während die Zunfthandwerker sich den Forderungen der Bauern anschlossen, hielt die reichsstädtische Oberschicht zu den bedrängten Territorialherren; der Rat verfolgte im Verein mit den Nachbarstädten eine Linie des Ausgleichs. Nachdem die aufständischen Bauernhaufen von friedlichen Machtdemonstrationen zu gewaltsamen Aktionen übergegangen waren, schlug der Schwäbische Bund die Erhebung blutig nieder. Gleichwohl konnte die ländliche Oppositionsbewegung den Weg zur Reformation in der Reichsstadt nicht entscheidend beeinflussen.

1.2: Bartholomäus Müller und der reformatorische Umbruch (1527-1531)

Prägenden Einfluss auf das Reformationsgeschehen der Reichsstadt gewann der bereits 1509 vom Rat auf die städtische Prädikatur angenommene Prediger Bartholomäus Müller ca. 1484-1553 (8) Als ranghöchster städtischer Geistlicher stand er während der gesamten Zeit des Übergangs zur neuen Lehre an der Spitze der Biberacher Kirche, dennoch erscheint es überzogen, ihn als den "Reformator Biberachs" zu bezeichnen. In Ulm geboren, stammte er wohl aus Zunftkreisen.(9) Während seines Studiums an der Universität Heidelberg, wo er 1501 den Magistergrad erwarb, schloss er sich der Richtung der "via moderna" an und wurde wahrscheinlich auch vom Heidelberger Frühhumanismus beeinflusst.(10) Über seine gelehrten Beziehungen(11) kam er frühzeitig mit reformatorischem Gedankengut in Kontakt. Spätestens im Herbst 1524 hatte er sich für die Sache Luthers entschieden.

Der Durchbruch der Reformation vollzog sich auch in Biberach als "Desakralisierung", als schleichender, von breiten Bevölkerungsschichten getragener Prozess der Abkehr vom überkommenen Kultus. Hierin folgte die Gemeinde ihren Predigern, allen voran Bartholomäus Müller. Der Rat reagierte auf den reformatorischen Druck von unten mit der stärkeren Einbindung des Klerus in die Bürgerschaft, indem er ihm – unter Missachtung des "Privilegium fori" – das Bürgerrecht mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten verlieh und ihn damit seiner Gerichtsbarkeit unterstellte. Damit war der Konflikt mit dem zuständigen Ortsbischof von Konstanz und dem Patronatsherrn Kloster Eberbach vorprogrammiert.

Stand in den ersten Jahren der reformatorischen Bewegung in Biberach naturgemäß ganz die Person Luthers im Mittelpunkt, so machte sich seit Mitte der 20er Jahre mehr und mehr der Einfluss Zwinglis bemerkbar. Bartholomäus Müller bekannte sich offen zur oberdeutsch-schweizerischen Richtung. Als sich der Zürcher Reformators 1529/30 auf der Suche nach Bundesgenossen brieflich an die Biberacher wandte, verfasste Müller am 30. Januar 1530 ein eigenhändiges Antwortschreiben, das erhalten geblieben ist.(12) Aus ihm geht hervor, dass bereits seit einiger Zeit Kontakte zwischen beiden Männern über Zwinglis Famulus Hieronymus Gunz, einen gebürtigen Biberacher, bestanden. Bis 1531 dominierte nun die zwinglianische Richtung in der Biberacher Reformationsbewegung.

Dem weltgeschichtlich bedeutsamen Speyerer "Protestationsreichstag" von 1529 blieb Biberach fern, beteiligte sich jedoch an den Bündnisverhandlungen der oberdeutschen Städte im selben Jahr und schloss sich in enger Anlehnung an Ulm mehr und mehr dem protestantischen Lager an. Im Zusammenhang mit dem Augsburger Reichstag von 1530 fiel Biberachs Entscheidung für die Reformation. Nach anfänglich zögernd-unentschlossener Haltung rang sich die Reichsstadt im Verlauf der Verhandlungen zur Ablehnung des reformationsfeindlichen Reichsabschieds durch, auch wenn durch ein Versehen des Reichstagsdirektoriums die Namen ihrer Gesandten unter das Dokument gesetzt wurden. Im Herbst 1530 wurden auf verfassungspolitischem Gebiet die entscheidenden Weichen gestellt: zunächst setzten sich bei der jährlichen Neuwahl der Ratsstellen und städtischen Ämter die Anhänger der Reformation durch, dann brachte ein nach dem Muster anderer Reichsstädte, darunter auch Ulms, durchgeführtes Plebiszit die endgültige Entscheidung: Mit überwältigender Mehrheit lehnte die Bürgerschaft den Augsburger Reichstagsabschied ab; nur 70 Einwohner – davon 13 Kleriker, 14 Patrizier und 43 Zunftbürger – sprachen sich für ihn aus. Die Frontstellung war damit klar: einer zahlenmäßig keinen Gruppe aus Klerus, Patriziat und einzelnen wohlhabenden Zünftlern vor allem aus der Schneiderzunft, die an der alten Lehre festhielt, stand die "Gemeinde" der Zunftbürger gegenüber, die sich fast ausnahmslos der Reformation angeschlossen hatte. Diese nahm im ausschlaggebenden Moment das Heft in die Hand und zwang den zuvor lange zögernden Rat zu den entschiedenen Schritten zur Einführung der neuen Lehre.

1.3: Institutionalisierung der Reformation (1531-1545)

Vorbereitet durch die Weichenstellungen des Spätjahrs 1530, führte der Rat im folgenden Jahr "offiziell" die Reformation in der Reichsstadt ein. Mit dem Beitritt zum Schmalkaldischen Bund am 27. Februar 1531 verschaffte sich die Reichsstadt Rückendeckung bei den protestantischen Ständen für die folgenden Schritte zur Beseitigung des alten Kirchenwesens. Am 11. April 1531 untersagte der Kleine Rat – mit Zustimmung des Großen Rats – der Priesterschaft die Feier der heiligen Messe. Wie in den meisten oberdeutschen Städten wurden auch in Biberach vom 29. Juni 1531 an die religiösen Bildwerke systematisch aus den Kirchen entfernt und mehrere Kapellen zerstört – ein Vorgang, der allerdings immer unter obrigkeitlicher Kontrolle stand und mit dem Wort "Bildersturm" nur ungenau beschrieben ist.

Die Neuordnung des Kirchenwesens wurde von Bartholomäus Müller nach Ulmer Vorbild durchgeführt. Ihm assistierten dabei mehrere Geistliche, darunter seit 1530 der aus Göppingen stammende Martin Cless, der allerdings 1536 nach Württemberg zurückkehrte. Unterstützung erhielt Müller von den prominenten Theologen Johannes Oekolampad 1482-1531 aus Basel und Martin Bucer 1491-1551 aus Straßburg, die zwischen der lutherischen und zwinglianischen Richtung vermitteln wollten. Am 4. oder 5. Juli 1531 trafen sie von Ulm, wo sie zuvor mit Ambrosius Blarer 1492-1564 und unter Mithilfe von Bartolomäus Müller das Reformationswerk auf den Weg gebracht hatten, in Biberach ein. Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit in der Reichsstadt stand ein Examen der Geistlichen nach Ulmer Vorbild: sämtliche Priester und Terziarinnen wurden in Gegenwart der auswärtigen und einheimischen Prädikanten über ihre Haltung zur Reformation befragt. Bei Ihrer Abreise schon am 9. Juli 1531 konnten sie befriedigt konstatieren, dass man in Biberach "götzen und mess abgethon und christliche zucht dapfer an die handt genommen" habe.(13) Im Gottesdienst wurde gegen den Widerstand von Teilen der Gemeinde die symbolische Abendmahlslehre maßgeblich.

Seit 1531 wurde die Reformation durch den Rat, der das Kirchenregiment entschlossen in die Hand nahm, zügig durchgeführt und das Kirchenwesen der Reichsstadt von Grund auf neu geordnet. Meilensteine auf dem Weg zu einem eigenständigen Kirchenwesen unter der Oberhoheit des Rats waren die Einführung der Schweizer Kirchenordnung und die Errichtung eines Ehegerichts nach Zürcher Vorbild. Alle Vermögen und Einkünfte der alten Kirche, insbesondere auch diejenigen aus Messstipendien und anderen Stiftungen, wurden eingezogen und in einen zentralen kirchlichen Fonds, die Betteltruhe oder den Almosenkasten, überführt. Der Predigtgottesdienst trat an die Stelle der Messe. Die Zahl der Geistlichen wurde gegenüber der Vorreformationszeit radikal reduziert: Das "Ministerium" bestand nur noch aus sieben Predigern (Prädikanten), darunter zwei "Helfern". Seit 1535 führte die Reichsstadt auch in ihrem Landgebiet - d. h. in den Dörfern, in denen der Spital oder ein städtischer Bürger Ortsherrschaft und Patronat besaß - die Reformation durch und setzte dort evangelische Prediger ein.

Mit der Einführung der Reformation ging auf verfassungspolitischem Gebiet eine schrittweise Verdrängung der Altgläubigen aus dem Kleinen Rat Hand in Hand. Bei den jährlichen Ratswahlen verschob sich das politische Gewicht zugunsten der Zünfte, während das Patriziat an Einfluss verlor, sein katholischer Flügel sogar ganz aus den städtischen Entscheidungsgremien, zu denen seit 1531 der vor allem mit außenpolitischen Fragen wie Bündnisverhandlungen befasste Geheime Rat hinzugekommen war, verdrängt wurde. Dennoch kam es in den Reformationsjahren zu keiner echten Demokratisierung der Stadtherrschaft; bestimmend blieb eine zünftische Oberschicht, die sich mit dem evangelischen Teil des Patriziats verbündete.

Die Reformation blieb auf die Stadt Biberach und Teile ihres Territoriums beschränkt. Österreich behauptete in den Reformationsjahrzehnten die Vorherrschaft in Oberschwaben und wusste durch sein Klientensystem zu verhindern, dass die reformatorische Bewegung das reichsstädtische Territorium überschritt. Als wichtigste Antipoden der Reichsstadt erwiesen sich die österreichische Landvogtei in Oberschwaben und die Herrschaft Mittelbiberach-Warthausen.

In den anderthalb Jahrzehnten seit der offiziellen Einführung der Reformation näherte sich Bartholomäus Müller wie die meisten oberdeutschen Theologen mehr und mehr dem "Kompromissluthertum" an. Im "Biberacher Abendmahlsstreit" (1543-1545) wurde der Prediger Benedikt Widmann, der die Basler Position einnahm und behauptete, Christus sei im Abendmahl lediglich in seiner göttlichen Natur präsent, von seinen Biberacher Amtskollegen, unter denen der junge Lutherschüler Jakob Schopper den alternden Bartholomäus Müller eindeutig in den Schatten stellte, heftig attackiert. Der Streit wurde schließlich von dem Ulmer Prädikanten Martin Frecht 1494-1556 im Bucerschen Sinne entschieden. Seit August 1546 war Müller offensichtlich krank und dienstunfähig. Sein Tod im Jahr 1553 fiel bereits in die folgende, nachreformatorische Epoche.

1.4: Interim, Verfassungsänderung Karls V., Fürstenaufstand und Augsburger Religionsfriede: Der Weg zur Bikonfessionalität (1548-1555)

Trotz vollständiger Durchführung der Reformation wurde Biberach keine rein evangelische Reichsstadt, sondern ging über die Bikonfessionalität von Katholiken und Lutheranern den Weg zur – im Westfälischen Frieden von 1648 besiegelten - numerischen Parität. Zwei Faktoren waren für diese Sonderentwicklung ausschlaggebend:

In der Reichsstadt konnte sich eine zahlenmäßig nicht starke, aber einflussreiche katholische Minderheit halten. Ein Teil des Biberacher Patriziats – allerdings nicht die Mehrheit - blieb aufgrund persönlicher Bindungen und seiner guten Beziehungen zum katholisch gebliebenen Umland dem alten Kirchenwesen treu; auch fügten sich die Terziarinnen nicht dem reformatorischen Druck.

Das Kloster Eberbach blieb – obwohl der Pfarrer nicht mehr in Biberach bleiben konnte, sondern in Rissegg residierte - im Besitz der Pfarrrechte an St. Martin, so dass die Pfarrei der evangelischen Stadt nach wie vor einer katholischen Institution inkorporiert war.

Damit waren Ansatzpunkte für eine Gegenreformation gegeben. Zunächst wurde die Reichsstadt als Bundesmitglied in die Katastrophe der Evangelischen im Schmalkaldischen Krieg hineingezogen. Mehrere Eingriffe des Kaisers als obersten Stadtherren in die innere Verfassung der Stadt führten zur grundlegenden Veränderung der religiös-konfessionellen wie verfassungspolitischen Rahmenbedingungen. Am 3. Juni 1548 musste die Stadt die vom Kaiser verordnete Zwischenreligion des Interims annehmen. Unter dem Vorwand der Befolgung des Interims setzte auf altgläubiger Seite bald eine schleichende Rekatholisierung ein. Am 13. August wurde von dem aus Rissegg zurückgekehrten Pfarrvikar in der Biberacher Pfarrkirche erstmals seit 17 Jahren wieder eine katholische Messe gelesen - der Beginn eines jetzt schon über 400 Jahre lang bis in die Gegenwart andauernden Simultaneums an dieser Kirche. Durch Artikel 27 des Augsburger Religionsfriedens von 1555 wurde die Bikonfessionalität Biberachs reichsrechtlich festgeschrieben.

2. Isny

Die kleine, aber geistig sehr rege Reichsstadt Isny fühlte sich "frustriert" und territorial eingeengt. Größtenteils von der Herrschaft Zeil-Trauchburg, sonst von vorderösterreichischem Besitz umgeben, hatte sie nie ein eigenes Herrschaftsgebiet erwerben können. Hinzu kam die Konkurrenz mit dem Benediktinerkloster St. Georg innerhalb der Stadtmauern, über das Zeil-Trauchburg die Vogtei ausübte. Von den Stadtbürgern wurde es "wie ein Pfahl im Fleische" empfunden. Es hatte seit 1396 das Patronatsrecht über die Pfarrkirche ebenso wie über sämtliche Kaplanspfründen – sieben an der Pfarrkirche, vier im Spital und an der Ölbergskapelle und zwei Helfer – inne.

Wie in Biberach kommt auch in Isny der Stiftung einer Prädikaturpfründe im Spätmittelalter entscheidendes Gewicht für die Reformationsgeschichte zu. Dem Stiftungsbrief des Konstanzer Domherren Hans Guldin von 1465 zufolge, der am 22. April 1472 durch die Stadt bestätigt wurde, mussten die Inhaber der Predigerstelle an der Universität ausgebildete Theologen sein, die einen akademischen Grad erworben hatten. Damit wurden die Prädikaturen zu "Eingangspforten für die damalige modernen Theologie in die Städte und ihre Bürgerschaft".

1. Erste reformatorische Ansätze

Auch in Isny fand reformatorisches Gedankengut schon früh Eingang, ohne dass wir den genauen Zeitpunkt kennen. Am 5. Juli 1524 nahm die Stadt auf dem Leutkircher Tag altgläubiger Stände und Städte den Abschied, der einen strengen Vollzug des reformationsfeindlichen Reichsmandats vom 18. April des Jahres anordnete, nur mit Vorbehalt zur Kenntnis und unterschrieb ihn nicht – ein Indiz dafür, dass sie sich der reformatorischen Bewegung bereits geöffnet hatte. Der Bauernkrieg erfasste auch die Gegend um Isny. Als am 3. April 1525 der Bauernhaufe bedrohlich vor der Stadt erschien, fürchtete man dort einen Angriff auf das Kloster. Der Abt suchte Zuflucht bei der Stadt und bat sie, das Kloster in Schirmherrschaft zu nehmen, was der reichsstädtischen Obrigkeit nur gelegen kam. Sie legte eine Besatzung ins Kloster und ließ sich die Schlüssel übergeben. Damit waren dem Abt die Hände gebunden, was man sich in der Reichsstadt zu Nutze machte. An Ostern 1525 wurde in der Pfarrkirche erstmals durch Pfarrer Nikolaus Steudlin und seine Helfer das Abendmahl unter beiderlei Gestalten ausgeteilt. Die treibende Kraft wird wohl weniger Steudlin als der Prädikant Konrad Frick gewesen sein. Die Stadt nahm den Vorfall zum Anlass, um sich des wegen seines ärgerlichen Lebenswandels längst in Misskredit geratenen Steudlins zu entledigen. Der Rat enthob ihn seines Amts und ließ ihn aus unbekannten Gründen ins Gefängnis werfen, wo er am 24. Juli 1525 starb. Die Unruhen akzentuierten und verschärften den Gegensatz zwischen Kloster und Stadt.

2: Isny

Die kleine, aber geistig sehr rege Reichsstadt Isny(14) fühlte sich "frustriert"(15) und territorial eingeengt. Größtenteils von der Herrschaft Zeil-Trauchburg, sonst von vorderösterreichischem Besitz umgeben, hatte sie nie ein eigenes Herrschaftsgebiet erwerben können. Hinzu kam die Konkurrenz mit dem Benediktinerkloster St. Georg(16) innerhalb der Stadtmauern, über das Zeil-Trauchburg die Vogtei ausübte. Von den Stadtbürgern wurde es "wie ein Pfahl im Fleische" empfunden.(17) Es hatte seit 1396 das Patronatsrecht über die Pfarrkirche ebenso wie über sämtliche Kaplanspfründen – sieben an der Pfarrkirche, vier im Spital und an der Ölbergskapelle und zwei Helfer – inne.(18)

Wie in Biberach kommt auch in Isny der Stiftung einer Prädikaturpfründe im Spätmittelalter entscheidendes Gewicht für die Reformationsgeschichte zu. Dem Stiftungsbrief des Konstanzer Domherren Hans Guldin von 1465 zufolge, der am 22. April 1472 durch die Stadt bestätigt wurde, mussten die Inhaber der Predigerstelle an der Universität ausgebildete Theologen sein, die einen akademischen Grad erworben hatten. Damit wurden die Prädikaturen zu "Eingangspforten für die damalige modernen Theologie in die Städte und ihre Bürgerschaft".(19)

2.1: Erste reformatorische Ansätze

Auch in Isny fand reformatorisches Gedankengut schon früh Eingang, ohne dass wir den genauen Zeitpunkt kennen. Am 5. Juli 1524 nahm die Stadt auf dem Leutkircher Tag altgläubiger Stände und Städte den Abschied, der einen strengen Vollzug des reformationsfeindlichen Reichsmandats vom 18. April des Jahres anordnete, nur mit Vorbehalt zur Kenntnis und unterschrieb ihn nicht – ein Indiz dafür, dass sie sich der reformatorischen Bewegung bereits geöffnet hatte.(20) Der Bauernkrieg erfasste auch die Gegend um Isny. Als am 3. April 1525 der Bauernhaufe bedrohlich vor der Stadt erschien, fürchtete man dort einen Angriff auf das Kloster. Der Abt suchte Zuflucht bei der Stadt und bat sie, das Kloster in Schirmherrschaft zu nehmen, was der reichsstädtischen Obrigkeit nur gelegen kam. Sie legte eine Besatzung ins Kloster und ließ sich die Schlüssel übergeben. Damit waren dem Abt die Hände gebunden, was man sich in der Reichsstadt zu Nutze machte. An Ostern 1525 wurde in der Pfarrkirche erstmals durch Pfarrer Nikolaus Steudlin und seine Helfer das Abendmahl unter beiderlei Gestalten ausgeteilt. Die treibende Kraft wird wohl weniger Steudlin als der Prädikant Konrad Frick gewesen sein. Die Stadt nahm den Vorfall zum Anlass, um sich des wegen seines ärgerlichen Lebenswandels längst in Misskredit geratenen Steudlins zu entledigen.(21) Der Rat enthob ihn seines Amts und ließ ihn aus unbekannten Gründen ins Gefängnis werfen, wo er am 24. Juli 1525 starb. Die Unruhen akzentuierten und verschärften den Gegensatz zwischen Kloster und Stadt.

2.2: Konrad Frick als Schlüsselfigur der Isnyer Reformationsgeschichte

Eine ausschlaggebende Rolle in der Anfangsphase der Reformation in Isny spielte Konrad Frick(22), der die Prädikantenstelle seit dem 18. Juni 1518 innehatte. Wo er den akademischen Grad eines Magisters erworben hatte, ist unbekannt. Es scheint jedoch ziemlich sicher, dass er humanistisch gebildet war. Wie die etwa 44 zwischen 1517 und 1529 erschienenen Schriften wichtiger Reformatoren wie Luther, Zwingli, Ökolampad, Capito und anderer in seinem Besitz belegen(23), entschied er sich früh für die Sache Luthers. Damit reiht sich Frick in die lange Reihe der Prädikanten ein, die zu ersten Trägern und Verkündern der neuen Gedanken wurden. Ihm kam dabei zugute, dass er, im Gegensatz zum Vikar an der St. Nikolauskirche, als Prädikant vom Abt unabhängig war.

Mit der Amtsenthebung Steudlins meldete der Rat seinen Anspruch auf eine Neubesetzung der Pfarrstelle in seinem Sinne und darüber hinaus auf eine Neugestaltung des gesamten Kirchenwesens der Reichsstadt an. Mit seinem Vorschlag, Frick oder dessen Helfer Wolfgang Gasser für ein halbes Jahr die Leitung der Pfarrei anzuvertrauen, konnte er sich freilich beim Abt, der beide wegen ihrer reformatorischen Neigungen ablehnte, nicht durchsetzen. Umgekehrt scheiterten alle Versuche des Abts, den katholischen Kultus in der Pfarrkirche aufrecht zu erhalten, am Widerstand Fricks und seines Helfers. Als der vom Abt eingesetzte Prediger M. Hans Waldvogel am 11. Februar 1526 in der Frühe seinen Zuhörern das Fastengebot einschärfte, erklärte Frick in seiner Nachmittagspredigt alles, was vormittags verkündet worden war, für eine Lüge und veranlasste damit Waldvogel nach nur 16 Wochen Wirksamkeit zum Wegzug. Die Klagen des Klostervogts und des Konstanzer Bischofs beim Schwäbischen Bund gegen die Behinderungen des katholischen Gottesdienstes in der Pfarrkirche wurden verschleppt und auf den Reichstag verwiesen. Mit stillschweigender Billigung des Rats gelang es Frick mit seinen Helfern unterdessen, den evangelischen Gottesdienst auf- und auszubauen. Motor der neuen Bewegung in dieser Anfangsphase war neben Frick der reiche Handelsherr Peter Buffler, der über seinen Bruder in Nürnberg über die Lage der Evangelischen im Reich auf dem Laufenden gehalten wurde.

Die reformatorische Bewegung in Isny gewann zusätzlichen Auftrieb, als dem jungen Gelehrten Paul Fagius 1504-1549 sup id="back-268-24">(24) aus Rheinzabern in der Pfalz, der in Heidelberg studiert, sich anschließend in Straßburg bei Wolfgang Capito 1478-1541 in Hebraistik weitergebildet und sich dort mit Martin Bucer angefreundet hatte, auf dessen Empfehlung hin die Rektorenstelle der Lateinschule übertragen wurde. Er zählte zu den geistig führenden Köpfen der Reformationsbewegung in der Reichsstadt, wurde später für fünf Jahre (1537-1542) Pfarrer der evangelischen Gemeinde und bekannt durch seine Druckerei, in der er erstmals in Deutschland (insgesamt 20) hebräische Texte drucken ließ. Auf der Berner Disputation vom 7. – 26. Januar 1528, der "großen Heerschau Zwinglis"(25), war Isny durch Fagius vertreten, dem der Schweizer Reformator ein aufmunterndes Schreiben an Frick mitgab.(26) Auch in den folgenden Jahren blieb die Verbindung mit Zwingli erhalten.

Wie Isny sich auf dem Speyerer Reichstag von 1526 verhalten hat, ist nicht bekannt. 1529 gehörte es jedoch zu den insgesamt 14 Reichsstädten(27), die am 19. April in Speyer zusammen mit fünf Fürsten gegen den Reichstagsabschied, der weitere Neuerungen auf religiösem Gebiet untersagte, protestierten.(28) Dies zeigt, dass die Reformationsbewegung damals in der Stadt schon weit fortgeschritten war. Auf dem Augsburger Reichstag von 1530 schloss sich Isny, dem Vorbild Ulms und Biberachs folgend, weder der Confessio Augustana noch der "Tetrapolitana" an.

2.3: Einführung der neuen Lehre unter vorherrschendem schweizerisch-zwinglianischem Einfluss

Bisher hatte der lutherisch-zwinglianische Gegensatz innerhalb des Protestantismus einen Anschluss Isnys an den Schmalkaldischen Bund, der die nötige außenpolitische Rückendeckung verschaffen konnte, verhindert. Bei den Verhandlungen der oberdeutschen Städte ließ sich Isny meist durch Ulm vertreten. Eine Reise des zwischen beiden Richtungen vermittelnden Straßburger Theologen Martin Bucer durch die oberdeutschen Städte, die ihn zu Beginn des Oktober 1530 nach Isny führte, brach das Eis. Bucer konnte auch Frick für seine Ziele gewinnen. Am 12. Oktober 1530 forderte er von Zürich aus Ambrosius Blarer und Johannes Zwick ca. 1496-1542 in Konstanz auf, auch ihrerseits Frick anzuspornen und ihn zu ermutigen, das Abendmahl an Ostern nach evangelischem Ritus zu feiern.(29) Schließlich trat Isny am 2. Februar 1531 dem Schmalkaldischen Bund offiziell bei.(30) Am 27. Februar versicherte sich die Reichsstadt auf einem Theologentag in Memmingen auch des Beistands der benachbarten oberdeutschen Städte in ihrer Auseinandersetzung mit dem Kloster.

Damit konnte es die Reichsstadt wagen, die entscheidenden Schritte zur Einführung der neuen Lehre zu unternehmen. Am 10. März 1531 wurden die drei Kapläne an der Pfarrkirche vor den Rat geladen und zur Einstellung der Messe aufgefordert. Am Tag darauf legte die Stadt vor dem Abt des Klosters förmlichen Protest dagegen ein, dass dieser keinen evangelischen Pfarrer bestelle und für das Kloster einen Priester seines Willens berufen habe. Damit hatte sich der Rat der Reichsstadt öffentlich und unzweideutig zur Reformation bekannt.

Beim Aufbau des neuen Kirchenwesens wollte sich auch Isny wie Biberach der Unterstützung bedeutender auswärtiger Reformatoren versichern. Nach Absagen von Bucer und Ökolampad dauerte es allerdings noch anderthalb Jahre, bis es Ambrosius Blarer möglich war, ab dem 14. September 1532 für mehrere Monate in der Reichsstadt zu wirken.(31) Dort hatte der Aufbau der evangelischen Gemeinde inzwischen zwar große Fortschritte gemacht, jedoch schob der Stadtschreiber die von Blarer geforderte Abschaffung des katholischen Kultus im Kloster und in allen Kirchen der Stadt aus politischer Rücksichtnahme heraus. Während seines Isnyer Aufenthalts hatte Blarer allerdings auch nähere Bekanntschaft mit dem wohlhabenden und einflussreichen Handelsherrn Peter Buffler geschlossen. Auf Anregung von Blarer und Bucer riefen die Brüder Peter und Jos Buffler am 14. April 1534 eine große Schul- und Lehrstiftung mit einem Stiftungskapital von 3400 Gulden ins Leben. Je einem Theologiestudenten aus Konstanz, Lindau, Isny und Biberach gewährten sie damit jährlich ein Stipendium von 30 Gulden, ein weiteres musste jede Stadt selbst bestreiten. Damit sollte nach Zürcher Vorbild der Theologennachwuchs gesichert werden.

Durch die Rückkehr Herzog Ulrichs von Württemberg in sein Land änderten sich 1534 die äußeren Rahmenbedingungen auch für die oberdeutschen Reichsstädte entscheidend: inmitten ihrer meist katholischen Umgebung gewannen sie neuen Rückhalt, nachdem der Schwäbische Bund, bisher eine Bastion der alten Lehre und Gegengewicht gegen den Schmalkaldischen Bund, zerfallen war. Am 27. Juni 1534 erschien eine stattliche Abordnung aus der Reichsstadt, der auch Frick, Fagius und der Helfer Wolfgang Gasser angehörten, vor dem Abt.(32) Der seit 1530 in Isny lebende ehemalige Prokurator am kaiserlichen Kammergericht, Dr. Jakob Kröl, forderte als ihr Wortführer die Abschaffung von Messe und Bildern im Kloster, sonst müsse der Rat seiner Pflicht als christliche Obrigkeit nachkommen. Wenige Tage später erneuerte eine jetzt 40-köpfige Delegation dieses Ansinnen und drohte nun offen mit dem Eingreifen der Stadt. Unter Berufung auf den Reichstag war der Abt zum freiwilligen Einlenken nicht bereit, er ließ jedoch das Läuten der Glocken einstellen und ordnete stillen Gottesdienst an. Die Prediger forderten am folgenden Sonntag auf der Kanzel leidenschaftlich ein offenes Vorgehen der Stadt. Daraufhin drangen am kommenden Montag während des Gottesdienstes Isnyer Bürger mit Äxten, Beilen und Hämmern bewaffnet, in das Kloster ein. Sie entfernten alle Bilder aus der Klosterkirche, brachten sie, der Anweisung des Rats folgend, in die Frauenkapelle nebenan und deckten die Altäre. Wie in Biberach handelte es sich allerdings auch hier nicht um bloßen Vandalismus.

Der Klostersturm - angesichts der erst 1531 bestätigten reichsunmittelbaren Stellung der Abtei formal sicherlich ein Rechtsbruch – zog einen Prozess am Reichskammergericht nach sich, bei dem der Schmalkaldische Bund der Stadt Beistand gewährte. Der Abt, der anfangs das Kloster verlassen wollte, entschloss sich schließlich doch zum Ausharren, war jedoch nicht bereit, den evangelischen Pfarrer aus dem von ihm erhobenen Zehnten zu besolden.(33) Die bisher nach Isny eingepfarrten Orte wurden neuen Pfarreien zugeteilt; in den kommenden zwölf Jahren fanden Gottesdienste in der Klosterkirche nur bei verschlossenen Türen statt.

2.4: Konsolidierung der neuen Lehre

Nachdem sich der reichsstädtische Rat in religiös-konfessionellen Fragen so eindeutig gegen das Kloster durchgesetzt hatte, vollzog sich in der Folgezeit der Aufbau eines evangelischen Gemeindelebens und Kirchenwesens in der Reichsstadt. Auf einer Rundreise durch Schwaben hatte Frick hierzu nähere Informationen gesammelt und neue Bekanntschaften geschlossen. Nach dem Tod Zwinglis in der Schlacht bei Kappel am 11. Oktober 1531 war der schweizerische Einfluss auf die oberschwäbischen Reichsstädte zugunsten von Straßburg, das eine Einigung aller Evangelischen betrieb, zurückgedrängt worden. Auf Bitten Bufflers schaltete sich Bucer 1535 aktiv in den Prozess der innerstädtischen Reformation ein und besuchte mehrfach Isny, um auf Frick und Fagius mäßigend einzuwirken.(34) Dennoch schloss sich Isny nur zögernd dem Ausgleich zwischen lutherischer und zwinglianischer Abendmahlslehre in der Wittenberger Konkordie von 1536 an.

Am 1. Mai 1544 wurde eine neue Stadtordnung erlassen, aus der hervorgeht, dass man in Isny an der spätmittelalterlichen Tradition obrigkeitlicher Sittenzucht festhielt, jedoch kein eigenes Gremium in der Stadtverwaltung dafür schuf. In der Einleitung wird auf eine bereits bestehende christliche Kirchen- und Zuchtordnung hingewiesen. Sie stimmt fast wörtlich mit der Memminger Ordnung überein und könnte schon Anfang 1533 in Isny eingeführt worden sein. Ausübendes Gremium waren die Kirchenpfleger, die von Bürgermeister, Rat und Gemeinde aus ihrer Mitte gewählt wurden und in der Regel einmal wöchentlich unter Hinzuziehung der Prädikanten und des lateinischen und deutschen Schulmeisters zusammentraten und berieten. Sie waren nicht nur zu disziplinären Maßnahmen je nach Schwere der Verfehlung berechtigt, sondern ihnen oblag auch die Vorberatung in Kirchenangelegenheiten. Allerdings scheint diese Kirchen- und Zuchtordnung bald in Abgang gekommen zu sein, zumal der Rat von vornherein seine Zuständigkeit in Fragen der Zuchtübung zu sichern gewusst und seinen Anspruch auf Leitung des jungen Kirchenwesens erhoben hatte. Erst 1566 wurde nach Lindauer Vorbild ein Ehegericht eingerichtet. Die Verwendung des Kirchenguts lässt aus den überaus spärlichen Quellen schwer rekonstruieren. Die meisten Pfründengüter scheinen karitativen Zwecken zugeführt worden zu sein.

Es war ein Glücksfall für Isny, dass es in den Jahren der Reformation auf tüchtige Laie(35)n und Pfarrer zurückgreifen konnte. Neben den bereits ausführlich gewürdigten Geistlichen Frick und Fagius trifft dies auch auf den gebürtigen Lindauer Johannes Marbach 1521-1581 zu, der Fagius 1543 im Amt des Pfarrers nachfolgte. Wegen seines Festhaltens an "Ceremonien" wie der Privatbeichte oder der Absolution vor dem Abendmahl geriet der Lutherschüler Marbach in Konflikt mit seinen – trotz des Bekenntnisses der Stadt zur Wittenberger Konkordie – immer noch stark an der schweizerischen Theologie orientierten Amtskollegen.(36) Er verließ Isny schon 1545 in Richtung Straßburg. Nach längerer Suche verpflichtete der Rat Benedict Burgauer 1494-1567 aus St. Gallen als seinen Nachfolger, der nach einem unsteten Wanderleben über zwei Jahrzehnte – unterbrochen von einer Ausweisung im Gefolge des Interims - als Pfarrer in Isny blieb.

2.5: Ausblick: Nebeneinander von evangelischer Reichsstadt und katholischem Kloster

Als sich im Juni 1546 die Lage auf eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Kaiser und den Schmalkaldenern zuspitzte, ging der Rat erneut gegen das Kloster vor. Am 23. Juli wurde es im Namen des Schmalkaldischen Bundes besetzt. Den Mönchen wurden acht Tage später das kanonische Stundengebet untersagt und der Besuch des evangelischen Gottesdiensts vorgeschrieben, schließlich eine achtköpfige Besatzung in das Kloster gelegt. Aber auch Isny wurde in den Strudel der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes hineingezogen. Am 16. Januar 1547 musste dies die Reichsstadt ebenfalls vor dem Kaiser in Heilbronn mit Fußfall und Abbitte eingestehen. Trotz immenser finanzieller Belastungen durch Kriegskosten, Strafgelder und Schadensersatzsprüche wollte Isny den Forderungen des Klostervogts auf Herausgabe des Klosters nicht nachgeben. Auch auf ein kaiserliches Mandat wollte sie zunächst nur den katholischen Gottesdienst darin zugestehen; erst am 20. Mai 1548 kam ein Vergleich zustande.(37) Demzufolge musste die Reichsstadt die Brandschatzung von 1000 Gulden ersetzen, dem Kloster das abgenommene Silber und die Kleinodien, Urkunden und Urbare zurückgeben und dem Truchsessen 650 Gulden Entschädigung für die Verletzung seiner Rechte zahlen, im Übrigen aber die Abtei unbehelligt lassen.

Offenen Widerstand gegen das Interim konnte die Reichsstadt unter diesen Voraussetzungen nicht leisten. Am 2. August 1548 erklärte sie die Annahme, zögerte aber die praktische Umsetzung der Interimsbestimmungen hinaus. Erst kaiserliches Drängen veranlasste sie Ende 1548 zu konkreten Schritten: am 22. Oktober musste der Pfarrer Benedict Burgauer die Stadt verlassen, und am 28. November wurde in der Pfarrkirche in Anwesenheit der Äbte von Kempten und Weingarten und des Truchsessen Wilhelm das erste Amt feierlich gesungen.

Der Fürstenaufstand von 1552, dem sich auch Isny anschloss, führte in kurzer Zeit zu einer durchgreifenden Veränderung der kirchlich-religiösen Verhältnisse in der Stadt: der Abt musste die Pfarrkirche zurückgeben, in der am 29. Mai wieder der erste evangelische Gottesdienst stattfand. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 garantierte den Fortbestand der rein evangelischen Reichsstadt wie des Klosters innerhalb der Stadtmauern bis zum Ende des Alten Reiches.

3: Ravensburg

Ravensburg von Nordwesten vor 1647, Kupferstich von Matthäus Merian

Gemeinfrei

In Ravensburg(38) vollzog sich der reformatorische Durchbruch wesentlich später als in Biberach und in Isny. Im beginnenden Reformationszeitalter befand sich die Reichsstadt in einer Phase wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umstrukturierung.(39) Die beiden Hauptkirchen – Liebfrauen und St. Jodok – waren den nahe gelegenen Reichsabteien Weingarten und Weißenau inkorporiert. Eine sehr wichtige Rolle im religiösen Leben der Stadt spielte das Karmelitenkloster, das mit vielen Stiftungen aus dem Patriziat und gehobenen Bürgertum bedacht wurde. Schon im Spätmittelalter suchte der Rat die Sonderstellung des Klerus in der Stadtgesellschaft abzubauen und die Geistlichen in das Bürgerrecht zu integrieren, um die seelsorgliche Betreuung der Stadtgemeinde zu sichern. Außenpolitisch hatte sich der Spielraum der Reichsstadt seit Ende des 15. Jahrhunderts in dem Maße verengt, wie Habsburg seine Macht im nördlichen Bodenseeraum, insbesondere seit dem endgültigen Erwerb der Reichslandvogtei in Ober- und Niederschwaben 1486, zielstrebig ausbaute.(40)

3.1: Altgläubiger Kurs des Rates in den ”Reformationsjahrzehnten” der 1520er und 1530er Jahre

Die – im Falle Ravensburgs besonders ausgeprägte - Übermacht der katholischen Territorien des Umlands, bei denen das konservative reichsstädtische Patriziat einen starken Rückhalt fand, und das Fehlen scharfer sozialer Gegensätze im Innern führten dazu, dass reformatorisches Gedankengut in der Bürgerschaft wesentlich langsamer Eingang fand als in den meisten anderen oberdeutschen Reichsstädten und Ravensburg im Jahrzehnt von 1530 bis 1540 äußerlich eine katholische Stadt blieb. Schon im Bauernkrieg von 1524/25 war der revolutionäre Funke nicht auf die Stadtbevölkerung übergesprungen, obwohl Ravensburg in einer der vom Aufstand am meisten betroffenen Gegenden des Reichs lag. Gleichwohl wurden in dieser Zeit erstmals größere Teile der Bürgerschaft über die humanistisch gebildete Oberschicht des Zunftbürgertums mit reformatorischen Gedanken konfrontiert.

Außenpolitisch orientierte sich die Reichsstadt auch während des Speyerer "Protestationsreichstags" von 1529 und des Augsburger Reichstags von 1530 weiterhin am Kaiser und den altgläubigen Ständen – mit der Folge einer fortschreitenden Isolierung nach dem Übergang der meisten oberdeutschen Städte zur Reformation. Im Innern verfolgte der Rat hingegen eine zunehmend obrigkeitliche Kirchenpolitik, die sich – etwa beim Erlass der Zuchtordnung von 1532(41) - selbst vor dem Rückgriff auf das Vorbild protestantischer Städte nicht scheute.

3.2: Später Durchbruch der reformatorischen Bewegung in den Jahren 1544-1546

Paradoxerweise wurde der Umschwung hin zur Reformation in Ravensburg ausgerechnet von der Institution ausgelöst, in der die altgläubigen Kräfte in der Reichsstadt jahrzehntelang ihren größten Rückhalt gefunden hatten: 1541 gelangte mit Hans Wilhelm von Laubenberg ein Mann an die Spitze der österreichischen Landvogtei, der offen mit der Reformation sympathisierte und sogar zu den Anhängern Caspar Schwenckfelds 1489-1561 gerechnet wurde. Dies wirkte sich auf die inneren Machtverhältnisse in der Reichsstadt aus: bei den Neuwahlen am 14. April 1544 kam es zum Sieg des Zunftbürgertums. Es gelang den Zünften allerdings nicht, die Patrizier ganz aus dem Rat zu verdrängen. Der führende Kopf der Protestanten in der Anfangszeit der Reformation war der Stadtschreiber Gabriel Kröttlin, der über Laubenberg auch Kontakte mit Schwenckfeld knüpfte.

In der Bürgerschaft hatte die reformatorische Bewegung mittlerweile fest Fuß fassen können. Der erste Geistliche, der, unbehelligt vom Rat, am 29. Juni 1544 offen im Sinne Luthers predigte, war Konrad Konstanzer aus Ehingen, seit März dieses Jahres Helfer an der Liebfrauenkirche. Der Rat schloss sich aus politischer Rücksichtnahme mehrheitlich nicht der neuen Lehre an, musste aber angesichts der zunehmenden Unruhe in der Bevölkerung, die hinter Konstanzer stand, ernsthaft um die Wahrung seiner obrigkeitlichen Stellung und die Erhaltung des Stadtfriedens besorgt sein.

Eben dieses Patronatsrecht wusste Abt Gerwig Blarer 1495-1567 von Weingarten, der sich mehr und mehr zum großen Gegenspieler der reformatorischen Bewegung in der Reichsstadt entwickelte, wenig später geschickt einzusetzen, um Druck auf die Ravensburger Ratsherren auszuüben. Mit kaiserlicher Hilfe gelang es ihm, sie zur Absetzung Konstanzers und zur Bestrafung Kröttlins und seiner Anhänger zu zwingen. Vorübergehend gewannen die Katholiken die Oberhoheit im Rat zurück, zumal im August 1545 auch der Landvogt Laubenberg wegen seiner proreformatorischen Haltung abgesetzt worden war.

Nun auf eine härtere Linie gegen die Anhänger der Reformation bedacht, lud der Rat am 9. Oktober 1545 die Vorstände der aus Zunftbürgern bestehenden Büchsenschützengesellschaft aufs Rathaus, da diese beschlossen hatte, auf das jährliche Schießen wegen des damit verbundenen Jahrtagsamts zu verzichten. Ohne Genehmigung des Rats hatten die Schützen, um ihrer Auffassung von der Widerstandspflicht in Glaubensfragen Nachdruck zu verleihen, "ain grouse anzal von gmainer burgerschaft"(42) auf das Rathaus zusammengerufen. Auch der Appell des Rats an ihren Gehorsamseid konnte diese und die Schützen nicht von ihrer ablehnenden Haltung abbringen. Erstmals leistete damit eine Bevölkerungsgruppe geschlossen Widerstand gegen die obrigkeitliche Kirchenpolitik des Rats. Als noch am selben Tag vier Vertreter der Gemeinde von ihm verlangten, auch die Absetzung Konstanzers zu widerrufen, gewannen auch im Rat die proreformatorischen Kräfte die Oberhand. Am 12. Oktober 1545 beschlossen Rat und Bürgerschaft gemeinsam, "das man hinfüro das Wort Gottes hie paur, lauter und rein verkünden und predigen solle, es sie durch her Conraten oder durch ainen andern predicanten, der im gleich sei".(43) Auch in Ravensburg nahm also die Gemeinde im entscheidenden Moment das Heft in die Hand und zwang den zunächst widerstrebenden Rat zu konsequenten Schritten gegen die alte Kirche.

Der Forderung der Gemeinde, ihr eine Kirche für den evangelischen Gottesdienst zur Verfügung zu stellen, kam der Rat nach, indem er ihr die Kirche des Karmelitenklosters einräumte. An den beiden Pfarrkirchen Liebfrauen und St. Jodok konnte er wegen des Patronatsrechts der Klöster Weingarten und Weißenau hingegen den katholischen Kultus nicht unterbinden. Weiterhin beschlossen Rat und Gemeinde gemeinsam, die Vorladung Konstanzers an das bischöfliche Fiskalgericht – ebenso wie dieser selbst – zu ignorieren, ihn weiter an der Liebfrauenkirche predigen zu lassen und künftig aus der Stadtkasse zu besolden. Dies bedeutete die Loslösung von der Jurisdiktion des Bischofs von Konstanz, die am 24. November durch den gemeinsamen Schwur der Bürgerschaft und des Rats(44), "unangesechen aller trowungen und abschröckungen bei dem lautern und rainen wort Gottes alhie beliben, dasselbig alhie offenlich predigen und verkünden lassen und daran setzen und wagen leib, er und gut und darob mit Gottes beistand und hilf wagen, was inen begegne", bekräftigt wurde. Damit war die Bürgerschaft "als Schwurgemeinschaft zur Reformation übergegangen".(45)

Auch für das ganz von katholischen Territorien umgebene Ravensburg war die außenpolitische Absicherung der Reformation eine vordringliche Überlebensfrage. Die Reichsstadt suchte daher sofort nach der Entscheidung für die neue Lehre den Anschluss an den Schmalkaldischen Bund, in den sie auf dem Wormser Bundestag am 22. April 1546 aufgenommen wurde.(46) Bei ihrem Eintritt wurde sie auf die Augsburgische Konfession verpflichtet und musste versprechen, "widerwertige ler", d. h. den Zwinglianismus, nicht mehr in ihren Mauern zu dulden. Die Neuordnung des Kirchenwesens war Ravensburg von außen vorgeschrieben worden und musste allein vom Rat im obrigkeitlich-lutherischen Sinne gegen die erklärte Glaubensüberzeugung der Gemeinde, die, wie in den meisten oberdeutschen Reichsstädten, auch in Ravensburg "lieber Zwinglisch dan luterisch"(47) sein wollte, durchgeführt werden.

Im Innern vollzog der Rat nun zügig die entscheidenden Schritte gegen das alte Kirchenwesen. Schon am 16. April 1546 war das Karmeliterkloster aufgehoben worden. Ab dem 24. April fand in der Klosterkirche regelmäßiger lutherischer Gottesdienst statt. Am 17. Mai erteilte der Rat den Prädikanten den Auftrag, eine Kirchenordnung auszuarbeiten. Diese ist nicht erhalten geblieben, jedoch lässt sich feststellen, dass sich der Rat ganz an Nürnberg orientierte. Eine Quelle von 1555 spricht von einer "Nürnbergisch oder Wittenbergische(n) Kirchenordnung", die von Blasius Stöcklin entworfen wurde. Damit konnte es der Rat wagen, direkt den Bestand der alten Kirche anzutasten. Am 20. Mai 1546 wurden Pfarrer und Kapläne auf das Rathaus bestellt, wo ihnen der Beitritt der Stadt zum Schmalkaldischen Bund mitgeteilt wurde. Sie wurden vor die Alternative gestellt, lutherisch zu predigen oder den alten Gottesdienst einzustellen, da der Rat die Aufgabe habe, "ain gleichmässige religion und ritum ecclesiasticum in allen kirchen alhie anzustöllen, darmit derhalb ain gleichait gehalten werde".(48) Die Geistlichen waren zwar noch nicht bereit, die Augsburgische Konfession anzunehmen, stellten jedoch den alten Gottesdienst ein. In der Liebfrauenkirche wurden der Chor geschlossen und die Lichter gelöscht, durch Konstanzer das Taufbecken ausgeschüttet und in einem vergleichsweise gemäßigten "Bildersturm" einige Altäre und Bilder entfernt. Gegen die altgläubige Minderheit in der Stadt richtete sich das am 11. Juni 1546 vom Rat erlassene Verbot, außerhalb der Stadt die Messe zu besuchen. Im katholischen Umland der Reichsstadt formierte sich freilich auch die Gegenseite, nachdem Landrichter Klöckler am 10. Juli 1546 den Befehl erhalten hatte, dafür Sorge zu tragen, dass die Reformation auf das Gebiet der hohen Gerichtsbarkeit Ravensburgs beschränkt bleibe. Auch wenn ein kaiserliches Pönalmandat vom 17. Juni(49) die Reichsstadt nie erreichte – es wurde von der kaiserlichen Seite, die von der Mitgliedschaft Ravensburgs im Schmalkaldischen Bund erfahren hatte, rechtzeitig zurückgezogen -, so hielt es den Rat doch vor weiteren Schritten gegen die noch in der Stadt verbliebenen Katholiken ab.

3.3: Neuordnung des Kirchenwesens unter Straßburger Einfluss durch Thomas Lindner

Unter den geschilderten Voraussetzungen musste der Ravensburger Rat beim inneren Aufbau des neuen Kirchenwesens Rückhalt bei den um Ausgleich bemühten Kräften des deutschen Protestantismus suchen. Zuerst hatte er sich an Nürnberg, das ihm den Prediger Blasius Stöcklin "auslieh"(50), und an Biberach gewandt(51), das Jakob Schopper zur Verfügung stellte. Stöcklin hat, wie wir gesehen haben, als Verfasser der Ravensburger Kirchenordnung eine wichtige Rolle in der Ravensburger Reformation gespielt. Als Stöcklin und Schopper in ihre Heimatstädte zurückkehrten, setzte sich der Ravensburger Rat mit Straßburg als der Zentrale des oberdeutschen Protestantismus in Verbindung. Den Wunsch, den in Lindau geborenen und durch seine Tätigkeit in Isny eigentlich für diese Aufgabe prädestinierten Johannes Marbach für den Aufbau ihres Kirchenwesens zu gewinnen, mussten Dekan und Kapitel des Straßburger Thomasstifts abschlägig bescheiden, da dieser für die Neuordnung des Schulwesens benötigt würde.(52) Sie waren jedoch bereit, den dortigen Pfarrer Johann Lenglin für ein halbes Jahr nach Ravensburg ziehen zu lassen und außerdem den derzeit in der kleinen badischen Reichsstadt Gengenbach tätigen Thomas Lindner (Tilianus) zu vermitteln.(53) Indem Ravensburg auf das Angebot einging(54), erlangte Straßburg den bestimmenden Einfluss auf die Phase der Konsolidierung und Institutionalisierung des evangelischen Kirchenwesens in der Reichsstadt.

Mit Lindner fand auch in Ravensburg, das bis dahin im Bannkreis der oberdeutsch-zwinglianischen Reformation gestanden war, "im Gefolge der vermittelnden Straßburger Theologie ein gemäßigtes Luthertum Eingang".(55) Über sein Leben sind uns lediglich einzelne Facetten überliefert.(56) Er stammte aus dem kleinen niederschlesischen Dorf Boguslawitz. 1538 ist er als Pädagoge in Tübingen belegt. Dort veröffentlichte er im selben Jahr sein katechetisch-systematisches Werk "Capita Christianismi, sive Catechismus fidei", zu dem Johannes Brenz 1499-1570 eine ausführliche Vorrede verfasste. Man wird Lindner also auch zu den Schülern von Brenz rechnen können. Der Zeitpunkt seiner Übersiedlung nach Gengenbach lässt sich nicht genau bestimmen, jedoch muss er dort schon längere Zeit vor 1545, als sein Gengenbacher Katechismus im Druck erschien, gelebt und gewirkt haben. In dieses von hoher theologischer Bildung und pädagogischer Befähigung zeugende Werk hat Lindner in gleicher Weise Anregungen aus Brenz‘ Katechismen und von Luthers Kleinem Katechismus aufgenommen und weiter entwickelt. Seinerseits ist der Gengenbacher Katechismus zum maßgeblichen Vorbild des 1547 und 1559 in der zu Württemberg gehörigen Grafschaft Horburg-Reichenweier gedruckten und gebrauchten Katechismus geworden.(57) Am 20. August 1546 willigte der Gengenbacher Rat schweren Herzens ein(58), Lindner nach Ravensburg ziehen zu lassen. Mit einem Gutachten vom 25. August empfahlen ihn die drei Straßburger Theologen Bucer, Caspar Hedio 1494-1552 und Johannes Marbach nachdrücklich für seine neue Aufgabe.(59)

Auf dem Höhepunkt des Einflusses des Schmalkaldischen Bundes hatte der Rat am 5. September 1546 alle elf in der Stadt verbliebenen katholischen Geistlichen erneut auf das Rathaus bestellt und einzeln verhört.(60) Alle von ihnen, die nicht zur Annahme der Confessio Augustana bereit waren, wurden aus der Stadt verwiesen. Jetzt scheute der Rat auch vor dem Zugriff auf das Kirchengut nicht mehr zurück, indem er die Pfründen der nicht residierenden Kapläne einzog. Als er darüber hinaus versuchte, die Pfründen der zum Spital gehörigen Dörfer Wolpertswende und Eggartskirch zu vereinnahmen, beschlagnahmte der Landrichter Klöckler die im Hochgerichtsbezirk der Landvogtei liegenden Pfründgüter der Ravensburger Kaplaneien zu Gunsten der aus der Stadt vertriebenen katholischen Geistlichen. Damit wurde die wirtschaftliche Basis des neuen Kirchenwesens von Anfang an empfindlich geschwächt.

Der Straßburger Linie des Ausgleichs zwischen den verschiedenen Richtungen des Protestantismus ist es wohl zuzuschreiben, dass Ravensburg – nach der lutherisch geprägten Kirchenordnung – am 17. Oktober 1546 eine Zuchtordnung erhielt,(61) in der der zwinglianisch-oberdeutsche Einfluss eindeutig dominierte. Durch sie wurde die Bürgerschaft zu einer rigorosen gegenseitigen Sittenzucht gezwungen, über deren Einhaltung ein neu geschaffenes Gremium von fünf Zuchtherren wachte. Über Ehestreitigkeiten sollte anstelle des geistlichen Gerichts in Konstanz ein neu eingerichtetes städtisches Ehegericht urteilen. Mit der Zuchtordnung wurde auch eine Almosen-(62) und Schulordnung(63) erlassen. Damit wurden – in konsequenter Weiterführung und Vollendung spätmittelalterlicher städtischer Kirchenpolitik - die Stiftungs-, Jahrtags- und Bruderschaftsvermögen künftig für die Armenfürsorge verwandt und in einem "Kasten" vereinigt, außerdem je eine deutsche Knaben- und Mädchenschule und eine Lateinschule eingerichtet. Als Aufsichtsgremien wurden vier Almosenpfleger und vier Scholarchen vom Rat eingesetzt.

Am 3. Dezember 1546 übergaben Lindner und Lenglin dem Rat eine von ihnen und Konstanzer unterzeichnete Denkschrift mit Ergänzungsvorschlägen zur Kirchen- und Zuchtordnung(64), neben der Zuchtordnung das einzige erhaltene ‚Verfassungsdokument‘ aus der Frühzeit der Ravensburger Reformation. Mit der Beseitigung der Ausnahmestellung des Klerus innerhalb der Bürgerschaft hatten die Bestrebungen des Rats, die Kirche in die Stadtgemeinde zu integrieren, ihren Höhepunkt gefunden. Lindner erhielt als Prediger an der Liebfrauenkirche einen Freisitz, d. h. er musste keine Steuern zahlen und durfte kostenfrei in einem städtischen Haus wohnen. Auch in Ravensburg verfasste Lindner einen Katechismus, der bis ins 18. Jahrhundert in Gebrauch war und sich in einer Ausgabe von 1733 erhalten hat.(65)

Auf Grund der Anfangserfolge der Schmalkaldener wurde sogar das von ihnen eroberte Kloster Weingarten der protestantischen Kirche von Ravensburg unterstellt. Doch die Wende im Krieg zugunsten der Kaiserlichen bereitete dem scheinbar unaufhaltsamen Vordringen der evangelischen Lehre in der Reichsstadt ein jähes Ende. Am 6. Januar 1547 mussten Rat und Gemeinde sich dem Kaiser wieder unterwerfen, der die Übergabe am 16. Januar annahm. Nach der Rückkehr Lenglins nach Straßburg im Mai 1547 waren nur noch Lindner, Konstanzer und die evangelisch gewordenen Kapläne in der Stadt. In der Bevölkerung gewann die latente zwinglianische Grundströmung wieder an Boden.

Bei der Aussöhnung mit König Ferdinand I. am 5. Oktober 1547 musste die Stadtobrigkeit den katholischen Bürgern den Besuch der Messe außerhalb der Stadt zugestehen, was die formelle Anerkennung der katholischen Minderheit bedeutete. Damit war auch in Ravensburg das Fundament für den Neuaufbau der katholischen Kirche und damit die Bikonfessionalität gelegt worden. Diese mündete wie in Biberach schließlich in die numerische Parität von 1648 ein.

3.4: Bikonfessionalität infolge des Umbruchs der Jahre 1548-1555

Die volle Härte der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg traf Ravensburg am 28. Februar 1548, als ein kaiserliches Mandat(66) der Stadt befahl, innerhalb von sechs Tagen die Pfarrkirchen Liebfrauen und St. Jodok den Katholiken mit allen Rechten und Besitzungen zurückzugeben. Die Evangelischen konnten ihre Gottesdienste nur mehr in der ehemaligen Klosterkirche der Karmeliten abhalten, ansonsten konnte der Rat ihr Kirchenwesen in kleinerem Rahmen erhalten. Im Mai 1548 musste er allerdings den Bahnbrecher der Reformation in der Reichsstadt, Konrad Konstanzer, entlassen, der nach St. Gallen ging. Für Caspar Heldelin, der Ravensburg wieder in Richtung Lindau verließ, fand man in Lorenz Montanus aus Gengenbach Ersatz.

Das Augsburger Interim bedrohte in Ravensburg weit mehr als in anderen Reichsstädten die Existenz der evangelischen Gemeinde, da es hier auf ein junges und noch sehr ungefestigtes Kirchenwesen traf, das bisher kaum prägende Kraft auf das städtische Leben ausüben konnte. Die Stadt erhielt im Juni 1548 den Befehl, trotz der Rückgabe der beiden Hauptkirchen das Interim einzuführen, falls es noch eine Kirche in ihren Mauern gebe. Damit verloren die Protestanten auch das Karmeliterkloster für ihren Gottesdienst. Schon am 14. Juli 1548 erklärte der Rat die Annahme des Interims. Da die evangelischen Geistlichen hierzu nicht bereit waren, mussten sie entlassen werden. Damit ging Ravensburg auch Thomas Lindner verloren, der der Stadt nicht nur ein guter Prediger und Seelsorger gewesen war, sondern dem sie auch ihren evangelischen Katechismus verdankte und der die Neuordnung des Kirchenwesens in der Reichsstadt maßgeblich beeinflusst hatte. Lindner floh in die Schweiz.(67) Aus dem - einzigen von ihm erhaltenen eigenhändigen - Brief, den er am 30. November 1548 aus St. Gallen an den Ravensburger Rat richtete(68), spricht die große Notlage, in die er im Exil geraten war. In der Schweiz sah man die vermittelnd eingestellten, aus dem schwäbisch-württembergischen Raum geflohenen Theologen als "Lutheraner" an und gab ihnen keine Anstellung. Über Lindners weiteres Schicksal schweigen die Quellen; möglicherweise ist er schon wenig später gestorben.(69)

Wie Gerwig Blarer am 16. Oktober 1548 berichtete, hatte Ravensburg als einzige oberschwäbische Reichsstadt alle Prädikanten entlassen. Bis ins folgende Jahr gelang es ihr jedoch offenbar nicht, einen Interimspriester zu gewinnen. Nach dem Vorbild Württembergs, in dessen Städten seit Dezember 1548 evangelische Prädikanten als Katechisten neben den Interimspriestern angestellt wurden, berief man auch in Ravensburg, wohl Anfang 1549 drei ehemalige katholische Kapläne als sogenannte "Letzgenleser", die in der Klosterkirche das Evangelium verlesen und auslegen, aber keine weiteren Gottesdiensthandlungen vornehmen durften. Die Rückgabe des Klosters an den Karmelitenorden im Mai 1549 bedeutete das Ende des Interims in Ravensburg, denn die Mönche führten sogleich wieder den katholischen Gottesdienst ein. Die Protestanten konnten jedoch durchsetzen, dass sie wenigstens in einem Teil der Kirche bleiben durften. Ihnen wurde das Langhaus, den Mönchen der Chor zugesprochen. Das hierdurch begründete Simultaneum erwies sich, wiewohl durchaus konfliktträchtig, als dauerhaft. 1554 wurde die Teilung der Kirche schließlich durch einen Vertrag festgeschrieben.(70) Mit der Aufteilung war das Fundament für die Bikonfessionalität auch in Ravensburg gelegt worden. Bis zum Dreißigjährigen Krieg blieb der Besitzstand der Konfessionen stabil.

3.5: Zusammenfassung

So unterschiedlich der Verlauf der Reformationsgeschichte in Biberach, Isny und Ravensburg im Einzelnen auch war, allen drei Reichsstädten war die Zugehörigkeit zum "oberdeutschen", stark vom Zwinglianismus beeinflussten Typus der Reformation gemeinsam. Sie vollzog sich in ihnen nach gleichem Grundmuster: Zuerst fand reformatorisches Gedankengut Eingang in die humanistisch gebildeten Teile des gehobenen Bürgertums der Städte. Vielfach von den gleichfalls vom Humanismus geprägten Prädikanten zuerst verbreitet, wurde die Reformation aber rasch zu einer vor allem von breiten Schichten des Zunftbürgertums getragenen Volksbewegung. Indem die reformatorisch eingestellten Zünfte im entscheidenden Moment das Heft in die Hand nahmen, konnte die Reformation gegen Widerstände im Innern wie von außen durchgesetzt werden. Kennzeichen einer oberdeutsch-schweizerisch geprägten Reformation waren ein in allen drei Städten - wenn auch in unterschiedlicher Intensität und unter "obrigkeitlicher" Kontrolle - vollzogener Bildersturm und plebiszitäre Elemente, die vor allem in Biberach zum Tragen kamen. Die außenpolitische Absicherung des Reformationswerks durch den Eintritt in den Schmalkaldischen Bund erforderte jedoch ein Zugehen auf das Luthertum: Damit gewann, zumal dem Tod Zwinglis 1531 - anstelle des Schweizertums die zwischen der lutherischen und zwinglianischen Richtung vermittelnde Theologie Straßburgs das entscheidende Gewicht. Bei der Neuordnung des Kirchenwesens traten demzufolge die – für die schweizerische Reformation kennzeichnenden - gemeindlichen Elemente mehr und mehr zugunsten einer obrigkeitlichen Kontrolle durch den Rat zurück. Die gefährdete Stellung der reformatorischen Bewegung in einem weitgehend am alten Glauben festhaltenden Umland zeigte sich darin, dass es in keiner der drei Städte gelang, die katholische Minderheit ganz aus der Stadt zu verdrängen. Als Ergebnis der schnellen Abfolge von evangelischer Niederlage im Schmalkaldischen Krieg, dem – weitgehend gescheiterten - Versuch der Oktroyierung einer Zwischenreligion im Interim, der kaiserlichen Regimentsänderung im patrizisch-oligarchischen Sinne und schließlich dem vorübergehenden Wiedererstarken des Protestantismus im "Fürstenkrieg" standen in Biberach und Ravensburg die Bikonfessionalität, das Zusammenleben von Katholiken und Lutheranern in einer Stadt, in Isny das Nebeneinander von rein evangelischer Reichsstadt und katholischem Kloster innerhalb der Stadtmauern.

Am Beispiel von Biberach, Isny und Ravensburg kann aber auch aufgezeigt werden, wie drei Geistliche auf jeweils unterschiedliche Weise Einfluss auf das reformatorische Geschehen in einer Reichsstadt genommen haben. Verkörpern Müller und Frick den Typus des humanistisch gebildeten, schon früh für die neue Lehre gewonnenen Prädikanten, die durch die Macht ihres Wortes den Wandel in der religiös-konfessionellen Einstellung der breiten Stadtbevölkerung bewirkten und gleichzeitig den entscheidenden Druck auf die zögernde Stadtobrigkeit ausübten, so manifestiert sich in der Person Lindners mehr der Einfluss Straßburgs und Württembergs auf die Phase der Konsolidierung des neuen Kirchenwesens in den oberdeutschen Reichsstädten – die gerade in dem ganz von altgläubig-habsburgischen Territorien umgebenen Ravensburg von entscheidender Wichtigkeit war.

Aktualisiert am: 19.03.2018

Erhard Schnepf und die Reformation in Württemberg

Von: Ehmer, Hermann Karl

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Herkunft und Ausbildung
  2. 2: Erste Wirksamkeit als Prediger
  3. 3: Reformator Württembergs
  4. 4: Schnepf und Blarer
  5. 5: Konflikte mit der Rentkammer
  6. 5.1: Der Uracher „Götzentag“
  7. 5.2: Schnepf als Prediger
  8. 6: Professor an der Universität Tübingen
  9. 7: In Jena
  10. 8: Resümee
  11. Anhang

Auf die Kunde vom erfolgreichen württembergischen Feldzug des Landgrafen Philipp von Hessen 1504-1567 im Mai 1534 hat Erhard Schnepf, damals Rektor der Marburger Universität, der Matrikel eine kurze Bemerkung über die Rückführung Herzog Ulrichs 1487/1498-1550 einverleibt, die er mit den Worten schloß "Res nimirum dignissima, quae omnibus quum historiis tum annalibus inseratur".(1) Diese Bewertung der Wiedereinsetzung der württembergischen Dynastie als eines denkwürdigen Ereignisses war keineswegs übertrieben, weil damit die Reformation des Herzogtums begann. Was Erhard Schnepf aber damals noch nicht wusste, war, dass dieses Ereignis zugleich auch einen wichtigen Einschnitt in seinem eigenen Leben darstellen würde. Er wurde nämlich nur wenige Wochen später nach Württemberg geholt, wo er die folgenden 14 Jahre wirken sollte.(2)

1: Herkunft und Ausbildung

Nach fast einem Jahrzehnt der Wirksamkeit in Nassau und Hessen kam Schnepf damit wieder in die Nähe seiner Heimat, denn er war am 1. November 1495 in der Reichsstadt Heilbronn geboren worden.(3) Die reichsstädtische Herkunft hat Schnepf mit anderen südwestdeutschen Reformatoren gemeinsam, so mit Johannes Brenz 1499-1570 Martin Bucer 1491-1551 und Martin Frecht 1494-1556 Auch der letztere stammte wie Schnepf aus einer Schuhmacherfamilie, denn dies war das Handwerk, das Erhard Schnepfs gleichnamiger Vater ausübte. Er war 1483 aus dem benachbarten württembergischen Flecken Großgartach nach Heilbronn gezogen und hatte es in der Reichsstadt offenbar zu einigem Wohlstand gebracht, der seinen Söhnen einen sozialen Aufstieg ermöglichte.(4) Ein Bruder Erhards, mit Namen Matthias, der das Gewerbe eines Kaufmanns ausübte, kam 1531 in den Rat der Reichsstadt und wurde 1539 Bürgermeister. Der Vater starb nach 1535, seinem Sohn Erhard wurde noch 1544 bewilligt, dass er seine Güter weitere drei Jahre im Bürgerrecht liegen lassen dürfe. Es wird daran ersichtlich, dass Erhard Schnepf über die Jahre -und als er längst in Württemberg angestellt war - nie die Verbindung nach Heilbronn hat abbrechen lassen.

Erhard Schnepf hat seine erste Bildung sicher in der Heilbronner Lateinschule des Konrad Költer genossen.(5) Diese Vorbildung ermöglichte es ihm, 1509 an die damals recht beliebte Universität Erfurt zu gehen, wo er 1511 den artistischen Grundkurs mit dem Grad eines Bakkalaureus artium abschloss.(6) Hierauf ging er an die Universität Heidelberg, wo er am 11. Dezember 1511 immatrikuliert wurde.(7) In Heidelberg wurde er am 28.Februar 1513 zum Magister artium promoviert(8) und studierte hierauf fünf Jahre lang Theologie, erwarb den Grad eines Bakkalaureus theologiae und legte alle für die Doktorpromotion vorgeschriebenen Übungen ab. Zur Promotion kam es dann - wohl aus finanziellen Gründen - allerdings nicht mehr.(9) Nach dem Theologiestudium - also im Jahre 1518 - begann er das Studium der Rechte, das er bis zu seiner Berufung auf die Predigerstelle nach Weinsberg betrieb.

Schnepf hat also, zusammen mit anderen Heidelberger Studenten, wie Johannes Brenz, Martin Bucer, Martin Frecht, Johann Isenmann ca. 1495-1574 und Franciscus Irenicus 1495-1559 od. 1565 die Heidelberger Disputation Martin Luthers vom 26. April 1518 miterlebt.(10) Den ins selbe Jahr fallenden Übergang Schnepfs zum Jurastudium wird man wohl nicht als Anzeichen einer durch die Disputation ausgelösten theologischen Krise sehen müssen. Vielmehr qualifizierte er sich durch dieses Zweitstudium für eine höhere geistliche Laufbahn. Im Besitz einer einträglichen Pfründe wäre es dann möglich gewesen, die Doktorpromotion, die nur noch Formsache war, rasch nachholen zu können. Es kam aber nicht dazu, weil Luthers Disputation eine Wende auch für Schnepfs Leben bedeutete. Den Teilnehmern der Heidelberger Disputation ging es jetzt um die praktische Umsetzung der Kirchenreform. Schnepf übernahm deshalb die Prädikatur in Weinsberg, auch wenn diese nur bescheidene Einkünfte bot. Als Nachfolger von Johannes Oekolampad 1482-1531 wurde er am 19. Juni 1520 auf diese Stelle präsentiert.(11) Die Einkünfte der Weinsberger Prädikatur waren höchst bescheiden, wie aus einem undatierten, jedoch wohl kurz vor 1534 entstandenen Bericht des Weinsberger Kellers Ulrich Renz hervorgeht.(12) Demnach wurde Oekolampad, Schneps Vorgänger als Weinsberger Prädikant, hauptsächlich von seinem reichen Vater unterhalten. „Als aber nach ime der Schnepf dahin kommen, mochte er sich auch damit nit betragen. Deßmals hetten die von Wynsperg ausser dem gemainen seckel, item dergleichen die bruderschafften unnd pflegen zusamen gethun und ime noch ettlich gelt darzu geben, das er hette mogen hinus pringen."

2: Erste Wirksamkeit als Prediger

In Weinsberg wird Schnepfs Hinwendung zur Reformation deutlich sichtbar. Bereits nach zwei Jahren musste er nämlich von seiner Stelle weichen, da die österreichische Regierung in Württemberg das Wormser Edikt streng handhabte. Seine Zuflucht fand Schnepf zunächst bei Dietrich von Gemmingen auf Burg Guttenberg am Neckar(13), 1524 nahm er dann eine Predigerstelle in der benachbarten Reichsstadt Wimpfen an. Dort verheiratete er sich mit Margarete Wurzelmann, der Tochter des Bürgermeisters, die ihm am 1. November 1525 seinen ersten Sohn Dietrich gebar.(14)

An allen drei Stellen befand sich Schnepf nicht nur in der Nähe seiner Vaterstadt, sondern auch im Kreise von Gleichgesinnten, nämlich der Heidelberger Studiengenossen. Von ihnen hatte eine ganze Anzahl Anstellungen bei den Adligen des Kraichgaus gefunden. Diese bildeten mit Brenz in Schwäbisch Hall eine Gruppe, die untereinander Verbindung hielt. Greifbar wird diese Gruppe mit ihrer Schrift, dem später so genannten "Syngramma", das sie gegen Johann Oekolampad in Basel über das rechte Verständnis des Abendmahls verfassten.(15)

Wenige Monate nach Abfassung des "Syngramma", unter dessen Verfassern Schnepf an zweiter Stelle genannt wird, verließ er die engere Heimat, um einem Ruf des Grafen Philipp von Nassau nach Weilburg zu folgen.(16) Die schwierige Tätigkeit in Weilburg endete bereits nach zwei Jahren, da Landgraf Philipp von Hessen Schnepf 1528 an seine neugegründete Universität nach Marburg berief. Neben seiner Lehrtätigkeit amtierte Schnepf in Marburg auch als Prediger. 1532 und 1534 bekleidete er das Amt des Rektors.(17)

In jenen bewegten Jahren konnte sich Schnepf freilich nicht auf das Lehr- und Predigtamt beschränken, vielmehr hatte er auch dem Landgrafen in Fragen der Religionspolitik helfend und beratend zur Seite zu stehen.(18) So begleitete Schnepf seinen Landesherrn 1529 zum Reichstag nach Speyer, wo er als Prediger großen Zulauf hatte. Beim Marburger Religionsgespräch im Oktober 1529 trat Schnepf nicht in Erscheinung, doch muß er spätestens bei dieser Gelegenheit mit dem vertriebenen Herzog Ulrich von Württemberg bekannt geworden sein, der sich ja seit 1527 am Hofe seines Vetters Philipp von Hessen aufhielt.

Auch am Augsburger Reichstag 1530 nahm Schnepf als Mitglied der hessischen Gesandtschaft teil, ebenso auch an den weiteren Verhandlungen. Bekannt ist das Urteil des Nürnberger Gesandten Hieronymus Baumgärtner aus der spannungsreichen Situation des Reichstags, die manchen verzagen ließ. Schnepf hingegen - so Baumgärtner - hatte "noch ein Schnabel, christenlich und beständig zu singen."(19)

Am 29. Januar 1532 sandte die Reichsstadt Heilbronn ihren Syndikus Jakob Ehinger nach Marburg, um Schnepf das Angebot zu unterbreiten, eine Stelle als Prediger in Heilbronn zu übernehmen. Schnepf nahm jedoch nicht an, denn man hatte von ihm verlangt, daß er seinem Dienstherrn, dem Landgrafen Philipp von Hessen, in seinem Entlassungsgesuch das Heilbronner Angebot verschweigen sollte. Dies lehnte er ab, er verlieh aber in seinem Antwortschreiben nach Heilbronn der Hoffnung Ausdruck, "nach so vilfeltiger und beschwerlicher wandelung und raisung" auch einmal seinem "vatterlande" dienen zu dürfen.(20) Doch es bot sich für ihn in der Folgezeit nicht mehr die Gelegenheit, in die Dienste seiner Vaterstadt zu treten.

3: Reformator Württembergs

Erhard Schnepf (1495-1558)

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung

Dafür kam Schnepf nun 1534 auf Betreiben des Landgrafen Philipp nach Württemberg. Schließlich war die Reformation eines so wichtigen Territoriums wie Württemberg nicht nur für die Politik der protestantischen Stände wichtig, sondern ebenso auch von Bedeutung für den immer noch schwebenden Abendmahlsstreit. Wer die württembergische Position besetzen konnte, hatte gegenüber der anderen Seite einen Vorteil errungen. Schon am 18. Mai - fünf Tage nach der Lauffener Schlacht - hatten deshalb die Straßburger Theologen sich an Herzog Ulrich und den Landgrafen gewandt und den Fürsten vorgeschlagen, Ambrosius Blarers 1492-1564 und Simon Grynaeus 1492-1541 für die Reformation des Herzogtums zu berufen.(21) Von anderer Seite wurde Herzog Ulrich nahegelegt, Johannes Brenz dafür zu gewinnen. Die Fürsten waren aber offensichtlich der Auffassung, daß die alleinige Berufung eines so profilierten Vertreters der lutherischen Abendmahlslehre das Verhältnis zu den Schweizern trüben würde. Dahingegen erschien es tunlicher, einerseits dem Vorschlag der Straßburger zu folgen und Blarer zu berufen, ihm aber einen ebenso qualifizierten Lutheraner an die Seite zu stellen und so beiden Richtungen Rechnung zu tragen.

Wie Philipp von Hessen wenige Wochen später an Melanchthon 1497-1560 schrieb, hatte er Schnepf auf Bitten Herzog Ulrichs nach Württemberg gesandt.(22) Die Berufung kam für Schnepf wohl recht überraschend, zudem ahnte er noch nicht, daß er längere Zeit in Württemberg bleiben würde, als er sich Ende Juni 1534 auf den Weg nach Stuttgart machte. Wie aus seinem Abschiedsbrief vom 5. August an den Statthalter an der Lahn, Georg von Kolmatsch, hervorgeht, wurde ihm erst in Stuttgart klar, daß er "fürthin freylich im wirtembergischen land werd müssen pleyben".(23)

4: Schnepf und Blarer

Vermutlich wusste aber Schnepf schon bei seiner Abreise aus Marburg, dass er in Stuttgart einen oberdeutschen Kollegen treffen würde. Über die Begegnung von Schnepf und Blarer sind wir vorwiegend aus den Briefen des Konstanzer Reformators und seiner Freunde unterrichtet, so dass man sicher gut daran tun wird, dabei ein wenig Parteilichkeit zu Ungunsten von Schnepf in Rechnung zu stellen. Martin Bucer 1491-1551 hat Blarer eingehend auf seine württembergische Aufgabe vorbereitet und es auch nicht versäumt, im selben Brief dem Freund mitzuteilen, dass der Kanzler des Herzogs drei Wochen lang mit der Ausfertigung des Einladungsschreibens an ihn zugewartet habe und es erst dann ausgehen ließ, als sich der Herzog wunderte, dass Blarer noch immer nicht geantwortet hatte.(24) Es ist erstaunlich, wie Bucer in Straßburg über interne Vorgänge am Stuttgarter Hof Bescheid wusste, er ermahnte Blarer, darauf gefasst zu sein, am Hofe nicht viele Freunde zu erwarten. Ob es Schnepf besser treffen würde, darüber hat Bucer keine Aussage gemacht.

Erhard Schnepf kam wohl am 29. Juli nach Stuttgart(25), einen Tag vor Blarer, der damit die Angaben Bucers bestätigt finden musste. Beim ersten Zusammentreffen der beiden gratulierte Schnepf seinem zukünftigen Mitreformator zu seiner Ankunft, setzte aber gleich hinzu, dass einer von beiden weichen müsse, falls Blarer mit ihm in der Abendmahlsfrage nicht eins werde. Bei der ersten Audienz Blarers beim Herzog wurde deshalb auch Schnepf hinzugezogen, als Blarer andeutete, dass es zwischen ihnen Differenzen gebe. Schnepf machte klar, daß der Unterschied zwischen beiden bei der "manducatio impiorum" liege, in der Frage, ob auch Ungläubige im Abendmahl den wahren Leib und das Blut Christi genießen. Dieser wichtige Unterschied mache es unmöglich, dass sie beide zusammen an den Aufbau der Kirche im Herzogtum gehen könnten. Nach diesem Ultimatum Schnepfs entließ der Herzog die beiden Theologen, behielt aber Blarer noch eine Weile bei sich und äußerte sich besorgt darüber, dass es viel Anstoß geben würde, wenn in seinem Herzogtum das Evangelium anders gepredigt werde als an anderen Orten in Schwaben und vor allem in den Reichsstädten. In seine Herberge zurückgekehrt schrieb Blarer einen Brief an den Herzog(26), in dem er sich über die schroffe Art Schnepfs beschwerte, der von ihm verlange, gegen den Wortlaut der Schrift eine grobe und fleischliche Auffassung vom Abendmahl zu vertreten. Blarer versäumte nicht, den Herzog auf die politischen Konsequenzen aufmerksam zu machen, falls man sich in Württemberg in dieser Weise von den übrigen oberdeutschen Kirchen entfernen würde. Er bat den Herzog um eine nochmalige Unterredung, die ihm anderntags auch gewährt wurde.

Martin Bucer hatte Blarer für die Verständigung mit Schnepf ein Konvolut von Dokumenten zur Abendmahlsfrage übersandt.(27) Eines davon, das in Marburg beim Religionsgespräch von Luther, nicht aber von den Schweizern akzeptiert worden war, trug er bei der zweiten Unterredung mit Herzog Ulrich im Geldbeutel bei sich. Blarer zeigte dem Herzog den Zettel, der daraufhin Schnepf rufen ließ. Dieser wollte anfänglich wieder eine ultimative Erklärung abgeben, wurde dann aber von Blarer unterbrochen, der ihn fragte, ob er dem zustimmen würde, was Luther akzeptiert habe. Blarer übergab ihm den Zettel, Schnepf las ihn und sagte, er würde nichts weiter fordern, wenn Blarer ihm dies zugestehen würde. Blarer antwortete, dass er ihm die auf dem Zettel stehende Abendmahlsformel nicht nur zugestehen wolle, vielmehr sei dies immer seine und der Zwinglianer Meinung gewesen. Das plötzliche Einverständnis der bislang unversöhnlich scheinenden Theologen bemerkend, rief der Herzog aus: "Das walt gott; der lass ain gute stund sein; dabei solls bleyben". Er veranlasste Schnepf und Blarer, daß sie unterschriebene Abschriften dieser Stuttgarter Konkordie austauschten, und freute sich nicht nur, dass jetzt Einverständnis mit den Städten hergestellt war, sondern auch darüber, dass es nun kein Hindernis mehr gab, mit dem Reformationswerk im Land zu beginnen.

Die Einigungsformel, von der Blarer fälschlicherweise annahm, dass sie auch die Zustimmung der Schweizer habe, lautete: "Wir bekennend, daß uß vermögen diser wort: ‘Diß ist min lib, diß ist mit blut’, der lib und das blut Christi warhafftiklich, hoc est essentialiter et substantive, non autem qualitative vel quantitative vel localiter im nachtmal gegenwirtig siend und geben werdind".(28) Der unerwartete Erfolg der von ihm selbst präsentierten Formel wurde Blarer freilich weithin als Zurückweichen gegenüber dem Lutheraner Schnepf ausgelegt, während dieser davon ausgehen konnte, dass Blarer ihm nachgegeben habe. Bereits Martin Bucers Schreiben an Blarer vom 5. August(29) enthält Bedauern, wenn nicht Kritik an der gefundenen Einigungsformel. Bucer hatte von Jakob Sturm 1489-1553 den der Herzog umgehend benachrichtigt hatte, von der Stuttgarter Konkordie erfahren und klärte Blarer jetzt darüber auf, dass Zwingli und Oekolampad diese etwas zu krasse Formulierung in Marburg zurückgewiesen und auch er selbst sie nie gebraucht hätte. Fraglich bleibt deshalb, warum Bucer dann die "articulos concordiae datos nobis a Lutheranis Marpurgi"(30), aus denen die Einigungsformel doch wohl stammt, überhaupt an Blarer gesandt hatte. Fest steht jedenfalls, dass Blarer in gutem Glauben gehandelt und er deshalb eine Einigungsformel vorgeschlagen hatte, der er selbst wohl zustimmen konnte, die aber in ihrer Außenwirkung - wenigstens wie Bucer meinte - möglicherweise nicht sehr glücklich sein mochte.

Trotz dieser Kritik versuchten die Straßburger Freunde, Blarer zu entlasten und alles zu tun, um bei Schnepf keine Siegesstimmung aufkommen zu lassen. Sie wandten sich an den Landgrafen, der seinerseits schon am 31. August einen mahnenden Brief an Herzog Ulrich richtete.(31) Philipp riet dem Herzog, nicht einem der Theologen allein zu trauen, sondern den beiden Einigkeit und Verträglichkeit zu befehlen. "E. l. mus nit zu hart uf ein mentsch allein trawen, ... wiewol der man sunst frum, aber umb seins ernsten yfferns willen solt wol grosse zutrenung und verderben manichs fromen mans folgen." Der Landgraf schrieb auch noch am selben Tag an "Maister Erhardt"(32), den er ermahnte, er solle Blarer bei dem Bekenntnis lassen, dem Luther und Melanchthon zugestimmt hätten und nicht mehr von ihm verlangen, damit nicht sein "bawen mher brechen dan uffbawen mocht".

Die Vorstellungen der Straßburger bei Landgraf Philipp müssen so eindringlich gewesen sein, dass dieser offenbar fürchten musste, dass das Reformationswerk in Württemberg scheitern könnte. Knapp zwei Wochen später, am 12. September, wiederholte er seine Mahnungen beim Herzog wie bei Schnepf. Seinen Vetter Ulrich(33) bat der Landgraf "umb furderung und auspreitung willen gotlichs worts und seiner ehr ... bei Schnepfen und andern e. l. predicanten verfugen" zu wollen, dass diese hinsichtlich der Abendmahlslehre "bey der Sachsischen Confession pleiben und dijhenigen, so nit gestracks irer meynung sein wollen, uber dieselbige confession, so sie di annehmen und bekennen, nit dringen". Es ging also dem Landgrafen um nichts weniger als um die Anerkennung der "Confessio Augustana" als Lehrgrundlage der württembergischen Kirche, auf die der Herzog dann künftig die anzunehmenden Pfarrer verpflichten ließ.(34)

Bei Schnepf wiederholte der Landgraf die Mahnung(35), er möge darauf achten, daß er nicht zerbreche, wo er aufbauen sollte, und forderte ihn auf, von unnötigem Zank abzustehen. Schnepf sah sich aber, wie er es in seinem Antwortschreiben(36) an den Landgrafen ausdrückt, zu Unrecht verleumdet, da ihm die Blarersche Erklärung völlig genüge. Hingegen "hett ich mich mer zu beclagen dann villeicht andere, die mir das spil zugericht haben". Er bat den Landgrafen, den erdichteten Bezichtigungen weiter keinen Glauben mehr zu schenken. Auch Herzog Ulrich goß Öl auf die Wogen, er meinte, dass die Straßburger "des Schneppen halb den Nytthart zuvil mit unnder lauffen" ließen "unnd legen in mer uff, wann an im selbs sey, dann der Plarer unnd er habenn sich des sacraments halb freuntlich unnd woll in unsserm bysein vereiniget unnd verglichen".(37) Es ist deutlich, dass Herzog Ulrich damit die Diskussion um die Stuttgarter Konkordie beenden wollte. Im Übrigen scheint trotz dieser Nachhutgefechte das Verhältnis zwischen Schnepf und Blarer in der Folgezeit nicht mehr wesentlich getrübt worden zu sein. Hinzu kam, dass jeder in seinem Arbeitsgebiet(38) eine so große Aufgabe vorfand, dass keinem Zeit blieb, sich weiter mit Streitigkeiten zu befassen.

Schnepf hatte das Land unter der Steig, also nördlich der Stuttgarter Weinsteige, zugewiesen bekommen, Blarer das Land ob der Steig, die Oberdeutschland zugewandte Seite des Herzogtums. Bedauerlich ist, dass wir über das reformatorische Handeln der beiden nur wenig unterrichtet sind. Schnepf hat seine Aufgabe unter der Steig wohl kaum anders angepackt als Blarer ob der Steig. Hiernach hat auch er die Geistlichen in den Amtsstädten versammelt und sie befragt, ob sie bei der Reformation mitwirken wollten, und daraufhin die entsprechenden Anordnungen getroffen. Offen muss bleiben, wer von den beiden am meisten durch den Mangel geeigneter Geistlicher benachteiligt war, davon, daß die Ernte groß, der Arbeiter aber wenige waren, wie Schnepf es schon in seinem Abschiedsbrief an Georg von Kolmatsch, wenige Tage nach seinem Eintreffen in Stuttgart, ausgedrückt hatte.(39)

Man wird nicht sagen können, dass Schnepf durch den Herzog oder dessen Regierung gegenüber Blarer begünstigt worden wäre. Dem Herzog lag daran, die Oberdeutschen und ihren theologischen Exponenten – eben Blarer – nicht zu verprellen. Die Aufteilung des Landes in zwei Sprengel erfolgte nach praktischen Gesichtspunkten. Für Blarer stellte es sich freilich als erschwerend heraus, dass ihm damit auch die Aufgabe zugefallen war, die Reformation der Universität in Angriff zu nehmen, nachdem der Versuch, Melanchthon dafür zu gewinnen, keinen Erfolg gehabt hatte.(40) Es zeigte sich bald, dass dies eine Sonderaufgabe war, die ausgeklammert werden musste.(41) Stuttgart als Dienstsitz war für Schnepf nicht unbedingt von Vorteil. Er war auch nicht ständig am Ort, sondern viel unterwegs, andererseits weilte auch der Herzog mit seinem Hofe häufig an anderen Orten. Zudem hatte Schnepf am Hof und unter den Beamten der Regierung wohl nicht viele Freunde. Vielmehr gab es hier - wie sich Schnepf später erinnert(42) - anfänglich nur Altgläubige oder solche, die schwärmerische - gemeint sind wohl zwinglische oder schwenckfeldische - Neigungen hatten. Sicher hat Schnepf damit die Situation im Rückblick etwas überzeichnet dargestellt. Denn im Herbst 1534 berichtet Brenz, daß sich Schnepf allgemeiner Beliebtheit erfreue und auch beim Herzog in Gnade sei.(43) Dieser hatte zwar von Landgraf Philipp den Rat erhalten, weder Blarer noch Schnepf zu bevorzugen, doch er ging jeden zweiten Tag zu Schnepfs Predigten in die Stiftskirche und ließ sich von ihm auch im Mai 1535 nach Ladenburg zu einem Treffen mit dem Landgrafen begleiten, ebenso auf der Reise nach Wien im Sommer desselben Jahres.(44)

5: Konflikte mit der Rentkammer

In die allgemeine Zustimmung zu Schnepfs Tätigkeit mischten sich freilich auch gelegentlich andere Töne. Im Stuttgarter Magistrat gab es bis 1537 noch altgläubige Männer. Auf diese geht sicher ein Schmähbrief zurück, der heimlich an Schnepfs Haustüre geheftet worden war und in dem Schnepf vorgeworfen wurde, dass er sich den Garten des Predigerklosters zur Nutzung habe übergeben lassen. Da das Kloster zu einem Spital umgewidmet wurde, sollte der Garten nur diesem zustehen. Hinter diesem Vorwurf an Schnepf, der den Garten offenbar als Gehaltsbestandteil erhalten hatte, stand allerdings die Absicht der Stadt, den Garten für eigene Zwecke zu nutzen. Weil sich aber Schnepf diesen Garten angeeignet habe, hieß es in der Schmähschrift, würden wohl 200 Männer und Frauen nicht mehr in seine Predigt gehen.(45)

Auf einer anderen Ebene als der Streit um den Garten liegt ein weiterer Vorwurf, der von einer aus täuferischen Kreisen kommenden Schuhmachersfrau gegen Schnepf erhoben wurde. Diese wurde zur Rede gestellt, weil sie sich von Predigt und Abendmahl fernhielt, und gab als Grund dafür an, dass Schnepf kein exemplarisches Leben führe. Vielmehr herrsche in seinem Haus ein hoffärtiges Wesen, da seine Frau samtene Goller und goldene Ringe trage. Dies mag nicht unbegründet gewesen sein, da Margarete Schnepf, die Wimpfener Bürgermeistertochter, vermutlich nicht auf die ihrem Stand entsprechende Tracht verzichtet haben dürfte. Doch ist auch klar, dass die Schuhmachersfrau, die noch unter der österreichischen Regierung ihren täuferischen Glauben abgeschworen hatte, immer noch an ihren alten Prinzipien festhielt. Dies zeigt sich deutlich auch daran, dass sie Schnepf weiter zum Vorwurf machte, dass er nicht alle Bilder aus den Kirchen verbannt, sondern einen Teil darin gelassen habe.

Schwerwiegender ist, dass offenbar bei Hofe gegen Schnepf intrigiert wurde. Es sind noch zwei längere Klageschriften erhalten, wovon die erste 1537 von dem Kanzler Nikolaus Maier aufgenommen wurde, die zweite, die wahrscheinlich im folgenden Jahr entstand, stammt von der Hand des Hofkanzlers Dr. Johann Knoder 1485 oder 1491-1565 (46) Es ist nicht ersichtlich, daß auf diese Klageschriften eine Maßregelung von Schnepf erfolgt wäre, doch haben ihm dergleichen Dinge ohne Zweifel das Leben schwer gemacht. Vielleicht steht damit im Zusammenhang, dass Melanchthon im April 1539 davon wusste, dass sich Schnepf mit der Absicht trug, Württemberg zu verlassen.(47)

Bei diesen beiden Klageschriften ist wiederum anzumerken, dass es sich selbstverständlich um parteiisches Material handelt, das zudem nicht immer einen soliden Eindruck macht. Am schwerwiegendsten sind hier wohl die die Zusammenstöße, die Schnepf mit dem Rentkammermeister Philipp Syblin hatte.(48) Der erste trug sich zu in Gegenwart des Abts von Herrenalb, Lukas Götz gest. 1546 der sich bei dem Rentkammermeister darüber beschwerte, dass er den ebenfalls anwesenden Predigern der Klosterdörfer Simmozheim, Merklingen und Hausen an der Würm Besoldungszulagen zahlen sollte. Der Abt, der im Übrigen nur noch als Verwalter der Klostereinkünfte fungierte(49), brachte gegen den Prediger von Simmozheim verschiedene Klagen vor, worauf Syblin den Prediger tadelte. Hier schaltete sich Schnepf ein, der sich auf die Seite des Pfarrers stellte. Diesem warf nun der Abt vor, keine Kinderlehre zu halten, worauf ihn auch Schnepf tadelte. Dennoch sollte dieser Prädikant, der nach Syblins Angabe eine Zeitlang Famulus bei Schnepf gewesen war, eine Zulage von fünf Gulden erhalten.

Dem Prädikanten von Merklingen machte der Abt ebenfalls Vorwürfe, denen der Prädikant jedoch nicht widersprach; dennoch wurden ihm nach Erkenntnis der Visitatoren 15 fl. Besoldungszulage gewährt. Syblin jedoch empfahl, ihn zu entlassen und den Pfarrer von Hausen mit der Versehung beider Flecken zu beauftragen, was Schnepf aber nicht zulassen wollte. Ganz deutlich ist, daß sich der Kammermeister Syblin hier die Funktion eines theologischen Visitators anmaßte und Schnepf diese Kompetenzüberschreitung zurückweisen musste. Allerdings nahmen die Rentkammerbeamten bei der Reformation eine wichtige Funktion ein, da sie wegen des Fehlens einer kirchlichen Leitungsbehörde die wirtschaftlichen Angelegenheiten der Kirchen im Land zu regeln hatten, wodurch es zwangsläufig zu Meinungsverschiedenheiten kommen musste. Dies erklärt, warum sich Syblin darüber beschwerte, daß Schnepf jedesmal, wenn er mit ihm rede, zornig werde und kein Auskommen mit ihm sei.

Einen weiteren solchen Vorfall berichtet die zweite Klageschrift. Demnach kam Schnepf eines Tages zu Syblin in die Rentkammer und trug vor, dass man dem Prädikanten in Schorndorf etwas von seinem Gehalt abgezogen habe. Schnepf verlangte, dem Prädikanten den Abzug wieder zu ersetzen, was ihm Syblin abschlug. Schnepf und Syblin gerieten daraufhin in einen Wortwechsel, den Syblin dadurch beendete, dass er sich wieder seinen Rechnungen zuwandte und Schnepf weiterreden ließ, so dass sich dieser bald entfernte. Er erschien aber wieder nach dem Morgenimbiss um die Sache weiterzuverfolgen. Schnepf beschuldigte nun Syblin, zur Einnahme der geistlichen Gefälle nicht berechtigt zu sein. Jetzt wurde der Streit so heftig, dass Syblin - bevor die beiden voneinander getrennt wurden - Schnepf noch die Pest an den Kopf wünschte.

Die Zusammenstöße mit dem Rentkammermeister zeigen deutlich, dass Schnepf eifrig darauf bedacht war, die Rechte der Kirche und ihrer Diener gegenüber dem fiskalischen Interesse der Herrschaft zu verteidigen. Auf das Konto seines lebhaften Temperaments ist deshalb zu verbuchen, dass er seine Meinung unverblümt kundtat, wie es seinem offenen Charakter entsprach. Andererseits wussten die Pfarrer draußen, dass sie an Schnepf einen eifrigen Fürsprecher hatten.(50)

5.1: Der Uracher „Götzentag“

Die Verteidigung eines Freiraums für das kirchliche Handeln war auch Schnepfs Interesse bei dem in Urach am 10. September 1537 veranstalteten Gespräch über die Bilderfrage.(51) An dieser Disputation nahmen Brenz, der Tübinger Professor Paul Konstantin Phrygio um 1483-1549 der Herrenberger Pfarrer Kaspar Gräter ca. 1501-1557 der Uracher Wenzeslaus Strauß gest. 1553/3 der Reutlinger Prediger Matthäus Alber 1495-1570 und sein Helfer Johann Schradin gest. 1560 Blarer und Schnepf teil. Außer den Theologen waren auch der Landhofmeister Balthasar von Gültlingen um 1500-1563 der Erbmarschall Hans Konrad Thumb gest.1555 der Kanzler Dr. Johann Knoder und der Rat Dr. Philipp Lang 1501-1541 erschienen.

Die oben genannte zweite Klageschrift gegen Schnepf, verfasst von Dr. Knoder, der selbst am Bildergespräch teilnahm, vermag einige wichtige Einzelheiten beizusteuern, die das offizielle Protokoll nicht enthält. Zwar haben die Angaben Knoders nur die Tendenz, Schnepf als "hochmiettig unnd polderisch" darzustellen, doch wird ebenso klar, dass es Schnepf darum ging, die Einmischung der weltlichen Gewalt in kirchliche Angelegenheiten zurückzudämmen. Er legte deshalb eingangs dar, dass er in der Bilderfrage weder den Herzog noch seine Räte als Richter haben wolle, und stellte die Frage, ob die anwesenden weltlichen Räte als Richter oder als Berichterstatter am Gespräch teilnähmen. Strauß pflichtete Schnepf bei und die Beamten antworteten ihnen, dass es lediglich darum gehe, eine einheitliche Linie in der Bilderfrage zu finden. Schnepf und Strauß bestanden dennoch auf ihrer Meinung und erklärten alle Anwesenden - mit Ausnahme von Brenz - als parteiisch. Blarer, auf den die Bezeichnung dieser Disputation als "Götzentag" zurückgeht, berichtet, dass die Theologen keinen einheitlichen Beschluss fanden, so dass die Räte verlangten, dass jeder seine Meinung schriftlich abgebe. Blarer beklagte, dass man wegen der "stummen götzen" so viel Aufhebens mache.(52) Gleichwohl war er selbst keineswegs gesprächsbereit und forderte unnachgiebig die Abschaffung der Bilder.

Brenz, Schnepf und Strauß gaben daraufhin eine differenzierte Stellungnahme ab, mit der sie eine pauschale Abschaffung der Bilder ablehnten. Diese können demnach in alttestamentlichem Sinne durchaus Denkmale und Gedenkzeichen sein, zumal Menschen ohnehin auf Zeichen angewiesen seien. Der Herzog entschied daraufhin jedoch im Sinne Blarers und befahl, die Bilder - jedoch in zurückhaltender Weise - abzuschaffen.(53)

Bei den gegen Schnepf vorgebrachten Klagepunkten ist deutlich, dass es ihm darum ging, den Einfluss der Rentkammerbeamten, die sich ganz offenkundig auch in theologische Fragen einmischten, einzuschränken und eine klare Scheidung der Befugnisse herbeizuführen. Gewiss hat ihn dabei sein Temperament manchmal die notwendige Konzilianz vermissen lassen, doch ist ganz offensichtlich, daß er nur da, wo es um theologische Entscheidungen ging oder um die seiner Aufsicht anvertrauten Pfarrer, den Konflikt nicht gescheut hat. Bemerkenswert ist, dass Herzog Ulrich ihn diese mutige Sprache offenbar nicht hat entgelten lassen und die Anschwärzungen und Zuträgereien, die die beiden Klageschriften gegen Schnepf enthalten, soweit ersichtlich, ohne nachhaltige Wirkung geblieben sind.(54) 

5.2: Schnepf als Prediger

Ein noch deutlicheres Charakterbild von Schnepf ließe sich gewinnen, wenn wir seine Predigten kennen würden. Leider ist vollständig nur seine letzte Predigt, die er 1558, neun Tage vor seinem Tod hielt, überliefert. Sie wurde 1578 als "Cygnaea cantio", als Schnepfs Schwanengesang in Druck gegeben.(55) Daneben gibt es aber noch eine Reihe von Nachrichten, die es uns ermöglichen, ein hinlänglich klares Bild von Schnepfs Predigtweise zu zeichnen. Bekannt ist, daß Schnepf als "vir valde facundus"(56), als sehr beredter Mann galt. Ferner wissen wir, daß Herzog Ulrich, als er den jungen Jakob Andreae 1528-1590 1546 zum ersten Mal predigen hörte, diesen gleich als "Schnepfenküken" bezeichnete.(57) Es muß also Schnepfs Predigtweise etwas Charakteristisches an sich gehabt haben, sie war offenbar geprägt von einer bilderreichen, anschaulichen Sprache, die seine Predigten anziehend gemacht haben muss. Worum es sich hierbei handelte, zeigt uns die 1541 entstandene Sammlung von Abendmahlspredigten von Valentin Vannius, der seit 1537 in Stuttgart Schnepfs Mitarbeiter, 1544 schließlich sein Nachfolger geworden ist. In diesen Predigten finden sich auch Aussprüche von Schnepf, die offensichtlich dessen Predigten entstammen. Es handelt sich dabei ausschließlich um Gleichnisse, die Schnepf gebraucht hat.(58) So sagte er zu der Geschichte 2 Chron 31, der Zerstörung der Götzenbilder unter Hiskia, "man soll thun was gott befilcht, und nit was uns gutt dunckt" und bewies dies aus folgendem Gleichnis: "Alle amptleut müeßen nach befelch des fürsten regiren, die haußknecht nach befelch der haußhernn, die kinder nach bevelch der eltern, die kriegsknecht nach bevelch der hauptleut."

Obwohl Schnepf wenigstens wöchentlich, sicher aber häufiger gepredigt hat, werden seine Predigten in den Klageschriften nur wenig berührt. Ohne Zweifel ist dies als positives Zeichen zu werten. Denn ein anderer Vorfall, der in der Knoderschen Klageschrift weiter berichtet wird, hat Schnepfs Predigtdienst nur als äußerlichen Anlass. Es wird dort berichtet, dass während eines Gottesdienstes einige Müllerwagen an der Kirche vorbeigefahren seien, was etliche Gottesdienstbesucher veranlasste, aus der Kirche zu eilen. Schnepf soll bei dieser Gelegenheit die Disziplinlosigkeit seiner Predigthörer mit den Worten gestraft haben: "Sehet zu, die buben lauffen angesicht myner augen, sobald ich das evangelion gesagt, ausser der predig." Wahrscheinlich haben sich einige höher gestellten Personen unter den "Buben" befunden, die sich durch diese Bezeichnung peinlich berührt fanden, so daß dieser Vorfall Eingang in die Klageschrift fand.

Schnepfs deutliche Sprache führte 1541 zu einer vom Erbmarschall Hans Konrad Thumb im Namen des Herzogs veranlassten Untersuchung gegen ihn.(59) Schnepf hatte in einer Predigt am Matthiastag (24. Febr.) über Beruf und Leben der Apostel gepredigt und von ihrem Zeugnis von Christus. Dabei kam er auf die zu seiner Zeit amtierenden Bischöfe zu sprechen. Er sagte, dass man jetzt Gaukelmänner, die nichts wissen und können, zu Bischöfen mache. Unter den vier erst kürzlich erwählten Bischöfen sei einer, der zuvor mit aller Leichtfertigkeit, mit Essen, Trinken, Unzucht, Hurerei, Spielen und dergleichen umgegangen sei. Eben diese Leute verhinderten, daß es zu einem Gespräch oder Konzil zur Ausgleichung der anstehenden Fragen komme. Er selbst, sagte Schnepf, habe sich kürzlich nutzlos 12 Wochen lang in Worms aufgehalten, bis man zuletzt drei, vier Tage lang ein Gespräch gehalten habe.

Es ist nicht ganz deutlich, welchen Bischof Schnepf mit seinen Anschuldigungen meint.(60) Klar ist aber, dass er sich auf das kurz zuvor stattgefundene Religionsgespräch von Worms bezieht(61), das sich in der Tat in Geschäftsordungsfragen erschöpfte und dann nach Regensburg verlegt wurde. Die Enttäuschung Schnepfs über das fehlgeschlagene Gespräch ist zu verstehen, wenn man bedenkt, dass er neben seiner Tätigkeit in der württembergischen Kirche(62) diese auch nach außen zu vertreten hatte. Dies erforderte einen beträchtlichen Zeit- und Arbeitsaufwand, der sich daran ermessen lässt, dass Schnepf an allen Reichstagen teilgenommen hat, auf denen die Religionsfrage zur Debatte stand.(63)

Dem eben erwähnten Wormser Gespräch war kurz zuvor das in Hagenau vorausgegangen. Für den Schmalkaldischen Bundestag, auf dem das Hagenauer Gespräch vorbereitet werden sollte, hatte Schnepf ein Bekenntnis von den hauptsächlichsten strittigen Artikeln des Glaubens erstellt. Melanchthon hatte diese Ausarbeitung seinerzeit mit nach Wittenberg genommen, um sie zum Druck zu befördern. Er kam aber nicht dazu, denn er sandte das Manuskript am 21. Januar 1545(64) auf Veranlassung von Herzog Ulrich wieder an Schnepf zurück und forderte ihn auf, es in Tübingen drucken zu lassen.(65) In seinem Widmungsschreiben vom 7. Februar 1545, das an Herzogin Anna Maria 1526-1589 sup id="back-269-66">(66), die Gemahlin Herzog Christophs von Württemberg gerichtet ist, schreibt Schnepf, daß die vorliegende Arbeit für die Laien gedacht sei, die durch die Lektüre seiner Schrift zur Erkenntnis des evangelischen Glaubens kommen sollten. In der Tat enthält das Büchlein Darstellungen der wichtigsten Unterscheidungslehren, nämlich: Glauben und gute Werke, Heiligenverehrung, Messe und Abendmahl, Fegfeuer, Fasten, Klostergelübde, Priesterehe, Ohrenbeichte und Primat des Papstes. Die "Confession" ist die größte, im Druck erschienene Arbeit von Schnepf. Die Veröffentlichung wissenschaftlich-theologischer Schriften scheint er nämlich nicht als seine Aufgabe angesehen zu haben. Die Theologen sollten vielmehr, wie er in dem Widmungsschreiben an Herzogin Anna Maria sagt, lernen "von den theüren helden D. Martin Lauther/ Melanchthon/ Pomerano/ Brencio/ Justo Jona/ Crucigero/ Urbano Regio/ Bucero/ Osiandro/ Capitone/ Hedione/ und vilen anderen/ an allen orten frummen gelerten und hochverstendigen/ denen ich die schuch riemen auffzulösen nit wirdig bin".(67)

6: Professor an der Universität Tübingen

Man muss annehmen, dass Widerwärtigkeiten, wie die erwähnten Klageschriften und die Untersuchung wegen seiner Predigt, Schnepf Leben einigermaßen erschwert haben, so dass es verständlich ist, wenn er mit dem Gedanken umging, seinen schwierigen Posten mit einem anderen zu vertauschen. Da sein Verhältnis zu Blarer im Grunde korrekt war, ergab sich durch dessen Entlassung 1538 keine grundsätzliche Veränderung von Schnepfs Position. Allein die große Arbeitslast und die vielfältigen Anfeindungen dürften Schnepf veranlasst haben, sich anderwärts nach einer Stellung umzusehen. Die Gelegenheit ergab sich, als in Tübingen durch den Tod von Paul Konstantin Phrygio am 1. August 1543 ein Lehrstuhl frei wurde.(68) Am 1. Februar 1544 wurde Schnepf vom Senat der Universität auf Empfehlung des Herzogs als Ordinarius der Theologie an der Stelle von Phrygio angenommen.(69)

Der Senatsbeschluss war offensichtlich der Schlusspunkt längerer Verhandlungen, in deren Mittelpunkt wohl die Bedenken der Universität wegen der fehlenden Doktorpromotion Schnepfs standen. Schnepf hatte sich deswegen um Fürsprache bei der Universität an den Herzog gewandt(70) und dargelegt, dass er in Heidelberg nach der Promotion zum Magister artium fünf Jahre in der Theologie zum Doktorat vorbereitet und disputiert und alle erforderlichen Übungen absolviert habe und auch zum Bakkalaureus in der Theologie promoviert worden sei. Er konnte ferner auf seine sechsjährige Lehrtätigkeit in Marburg verweisen, wo er die Pflichten eines Ordinarius versehen hatte. In Anbetracht dieser Umstände bat Schnepf darum, da er "mit vil cleinen kindlin von got begabet" war und deshalb "mit geringerem kosten" den "gradum doctoralis" zu erlangen suchte, mit bereits vorhandenen Doktoranden in Kürze promoviert zu werden. Der Senatssitzung vom 1. Februar 1544 lag das erbetene Empfehlungsschreiben des Herzogs wegen Schnepfs Promotion bereits vor; Rektor und Ordinarien der Universität beschlossen daher, dass er mit einigen "doctorandis juris" demnächst promoviert werden solle. Diese Promotion Schnepfs fand dann am 19. Februar 1544 statt.(71)

Mit Schnepfs Promotion, d.h. mit dem vom Promovierten zu veranstaltenden Promotionsmahl hängt sehr wahrscheinlich ein Pasquill auf Schnepf zusammen, das den Titel trägt "Ein evangelisch fastenimbis, welchen ein evangelischer praedicant Er. Sch. zu Tüwingen in der fasten ettlichen evangelischen brüedern in ihrer evangelischen lieb gegeben hat, darvon ain gut exempel aines newen evangelischen haillosen lebens ein christenmensch abnemen mag".(72) Es steht wohl außer Zweifel, dass mit "Er. Sch." Erhard Schnepf gemeint ist; die Annahme, dass es sich bei dem "fastenimbis" um Schnepfs Promotionsmahlzeit gehandelt hat, gründet sich vor allem darauf, dass Schnepf, der mit einigermaßen beschränkten Mitteln haushalten musste, sicher nicht ohne Grund ein Essen mit sechs Gängen gegeben hat. Als Anlass dafür kommt während seiner vierjährigen Tübinger Tätigkeit eigentlich nur die Promotion in Frage, da eine solche Mahlzeit statutengemäß vorgeschrieben war(73) und Schnepfs Promotion tatsächlich in die Fasten fiel.

Auf Schnepfs Tübinger Lehrtätigkeit wird bereits durch jene Senatssitzung, bei der man seine Annahme als Professor beschloss, etwas Licht verbreitet. Es wurde damals nämlich seinem Antrag zugestimmt, aus den Nachlass seines Vorgängers Phrygio zwei Bände hebräischer Kommentare "iusto precio" erwerben zu dürfen.(74) Mit diesen Werken scheint sich Schnepf wohl eine Grundlage für seine Vorlesungen beschafft zu haben. Nach dem Beschluss des Senats war er nämlich verpflichtet, an allen Tagen, an denen gelesen wird, selbst Vorlesungen zu halten. Dieser Lehrverpflichtung dürfte Schnepf baldmöglichst nachgekommen sein, denn die Zahlung seines Gehalts sollte mit dem Quartal "cinerum", also am 17. Februar beginnen. Dieses Gehalt belief sich auf 160 Gulden, also erheblich weniger, als er in Stuttgart erhalten hatte.(75) Doch sind zu diesem Professorengehalt noch Einkünfte als Pfarrer an der Stiftskirche zu Tübingen hinzuzurechnen.

Schnepfs Tübinger Tätigkeit war wohl fast ebenso vielschichtig wie die in Stuttgart. Neben der Professur hatte er ja auch noch die Pfarrei zu versehen, außerdem war er einer der beiden Superattendenten oder Vorsteher des Stifts, das 1547 in das Augustinerkloster einziehen konnte.(76) Von Schnepfs Lehrtätigkeit ist ansonsten wenig bekannt. Gerühmt wird später seine Kenntnis des Hebräischen.(77) Als ein Nachklang von Schnepfs akademischer Tätigkeit ist deshalb wohl ein seit 1571 in Tübingen herausgegebener Psalmenkommentar(78) anzusehen, der vermutlich auf Vorlesungen zurückgeht, die Schnepfs Sohn Dietrich 1525-1586 gehalten hat, der seinerseits die Aufzeichnungen seines Vaters benutzte.

Auch von Tübingen aus hat Schnepf an kirchenpolitischen Aufgaben mitgewirkt. Am Vorabend des Schmalkaldischen Kriegs nahm er noch an dem Regensburger Religionsgespräch 1546 teil. Während dieses Gesprächs lief am 26. Februar die Nachricht vom Tode Luthers ein, worauf Georg Major 1502-1574 Brenz und Schnepf, wie ein Teilnehmer berichtet, durch Weinen offen ihren Schmerz über den Tod ihres Lehrers und Vaters zeigten, so dass an diesem Tage nichts beraten werden konnte.(79)

Auf das Religionsgespräch in Regensburg folgte der Reichstag(80), der ebenso ergebnislos blieb wie die Verhandlungen der Theologen. Die Gerüchte von den Rüstungen des Kaisers und des Schmalkaldischen Bundes hatten zu einem Spannungszustand geführt, der sich schließlich im Handstreich auf die Ehrenberger Klause entlud. Die Schmalkaldener nutzten freilich diesen Präventivschlag nicht aus, der Kaiser hatte Zeit, seine Rüstungen zu vervollständigen, und so begann der wochenlange ereignislose Abnützungsfeldzug an der Donau, der mit dem Abzug der hessischen und sächsischen Kontingente bei Einbruch des Winters sein Ende fand. Ganz Oberdeutschland stand nun dem Kaiser offen, dessen spanische Truppen Ende Dezember 1546 von Norden her Württemberg besetzten. In Marbach hausten die Soldaten des Kaisers in der Weihnachtszeit drei Tage lang auf so unmenschliche Weise, dass aus den südlicheren Landesteilen vor allem Pfarrer und Beamte flohen, da sie besonders der Grausamkeit der Spanier ausgesetzt waren.(81) Von den Stuttgarter Geistlichen blieb nur noch der junge Jakob Andreae zurück, wie er selber in seiner Lebensbeschreibung nicht ohne Stolz vermerkt.(82)

Erhard Schnepf floh mit anderen Angehörigen der Universität nach Konstanz, wo ihm Aufenthalt gewährt wurde: "Doctor Erhard Schnepff ist uff vorgestert herkommen von Tubingen, wartet all stund seiner weib und kind, begert hie underschloff, der ime ouch bewilliget worden, sagt von grossem jomer." Es ist Ambrosius Blarer, dem wir diese Nachricht verdanken, und er berichtet mit großem Mitgefühl von dem Unglück, das das Land Württemberg betroffen hatte.(83) Schnepf wird wohl nach Abschluss des Heilbronner Vertrags, durch den Anfang Januar 1547 die Unterwerfung Württembergs besiegelt wurde, wieder nach Tübingen zurückgekehrt sein.

Die nachfolgenden Monate waren eine Zeit der Ruhe, bevor sich ein neuer Sturm erhob. Auf dem Reichstag zu Augsburg hatte der Kaiser am 15./16.Mai 1548 den Ständen eine Kirchenordnung publizieren lassen, die alsbald die Bezeichnung Interim erhielt, weil sie interimistisch, bis zu einem Ausgleich des religiösen Zwiespalts, für die evangelischen Stände gelten sollte. In Wort und Schrift zogen die evangelischen Theologen gegen das Interim zu Felde. Auch Erhard Schnepf hat sich dabei an vorderster Stelle beteiligt, was alsbald an die Ohren des kaiserlichen Kanzlers Nicolas Perrenot de Granvelle 1484-1550 und seines Sohnes Antoine Perrenot de Granvelle 1517-1586 des Bischofs von Arras, drang, die sich in Augsburg bei den württembergischen Gesandten darüber beschwerten.(84) Der Herzog instruierte daraufhin seine Vertreter beim Reichstag am 26. Juli dahingehend, dass er allen Predigern, insonderheit Schnepf jegliches Schelten gegen das Interim verboten habe.

Wenige Tage zuvor, am 19./20. Juli, war ein Befehl an die Amtleute ergangen, am folgenden Sonntag das Interim auf den Kanzeln verkünden zu lassen, wobei sich die Prediger jeglicher Polemik dagegen enthalten sollten. Diese Verlautbarung änderte an den bestehenden Verhältnissen zunächst nichts, sie war lediglich darauf berechnet, den Kaiser zu beruhigen. Dieser gab sich aber damit nicht zufrieden, er wollte das Interim tatsächlich ins Werk gesetzt sehen. Der Bischof von Arras erklärte den herzoglichen Gesandten in Augsburg, die ihm die in Württemberg getroffenen Maßnahmen erläuterten, "solchs were nit gnug, sonder wa je e.f.g. und die ihre nitt widerumb zu der alten kirchen treten wölten, so were von nöten, das das interim würklich angericht und dem zu geleben durch die predicanten fleißig und mitt ernst geprediget werde"(85). Dies war deutlich genug. Schließlich wurde auf Sonntag 11. November 1548 für ganz Württemberg die Feier der Messe angeordnet und zugleich allen evangelischen Geistlichen, die dem Interim nicht folgen wollten, gekündigt. Diese allgemeine Entlassung von 300-400 Pfarrern betraf auch Erhard Schnepf, der am 11. November in Tübingen seine Abschiedspredigt hielt. Er konnte aber noch einige Wochen am Ort bleiben; der Herzog befahl am 24. November der Universität von Urach aus, Schnepf nur mit einer "stattlichen vererung", einer Abfindung also, zu entlassen.(86)

7: In Jena

Wie mancher andere auch, den dasselbe Schicksal betroffen hatte, bediente sich Schnepf jetzt alter Verbindungen, um einen Unterschlupf zu finden. Zunächst nahm ihn Eberhard von Gemmingen auf sein Schloß Bürg bei Neuenstadt am Kocher auf.(87) Die nächste Station war Lohr am Main in der Grafschaft Rieneck, wo er von Johann Ulmer, dem dortigen Pfarrer, für drei Monate freundlich aufgenommen wurde.(88) Dankbar dachte er später dankbar an die Zeit "in Francis" zurück.

Während Schnepf in Lohr weilte, hatte Melanchthon - wie schon zehn Jahre zuvor - sich um eine Stelle für ihn umgesehen. Am 9. Februar 1549 konnte er Schnepf Aussichten auf Anstellung in Zwickau, Rostock oder in Kopenhagen eröffnen.(89) Zudem lud er ihn ein, einstweilen in seinem Hause in Wittenberg Wohnung zu nehmen. Durch die Vermittlung des Grafen Philipp III. von Rieneck wurde Schnepf jedoch von den jungen sächsischen Herzögen aufgefordert, nach Jena zu kommen. Dort warteten neue Aufgaben auf ihn, die denen in Württemberg kaum nachstanden. Der in der Schlacht von Mühlberg 1547 in die Gefangenschaft des Kaisers geratene Kurfürst Johann Friedrich I. 1503-1554, reg. 1532-1547 aus der ernestinischen Linie des sächsischen Herzogshauses hatte mit der Kurfürstenwürde auch einen großen Teil seines Landes, darunter Wittenberg mit seiner Universität an den Vetter Moritz von der albertinischen Linie abtreten müssen. Die Söhne Johann Friedrichs, die für den gefangenen Vater die Regentschaft führten, strebten daher an, auf dem ihnen verbliebenen Territorium, in Jena, eine eigene Hochschule zu gründen. Der erfahrene Schnepf erschien ihnen der geeignete Mann, an dieser Aufgabe mitzuwirken. Schon im Sommer 1549 begann er als Lektor des Hebräischen und zog alsbald einen großen Hörerkreis an sich. Neben der Aufgabe eines Professors der Theologie wurde ihm schließlich noch das Pfarramt an der Stadtkirche St. Michael und die Superintendentur Jena übertragen.

Die Stellung Schnepfs in Jena war keinesfalls leicht, vielmehr war sie davon gekennzeichnet, daß sich der politische Gegensatz zwischen dem albertinischen und dem ernestinischen Sachsen je länger je mehr auch auf theologischem Gebiet auswirkte. Die Jenaer Theologen sahen sich als die wahren Erben Luthers, die die Wittenberger unter der Führung Melanchthons verdächtigten, namentlich in der Abendmahlslehre von Luther abzuweichen. Zwar hat sich Schnepf an den Streitigkeiten nicht in vorderster Linie beteiligt, doch konnte und wollte er sich auch nicht von seinen Kollegen und seinem Landesherrn distanzieren. Es trat so eine Entfremdung zwischen Melanchthon und Schnepf ein, die sich recht gut an dem immer geringer werdenden und schließlich aufhörenden Briefwechsel ablesen läßt.

Aber auch Schnepfs Verhältnis zu den Württembergern, zu dem alten Freund Brenz und seinem Schüler Andreae(90), kühlte sich ab. Auf dem Religionsgespräch zu Worms 1557(91), das eigentlich veranstaltet wurde, um Lutheraner und Katholiken zu vereinigen, kam es nämlich zu einer heftigen Auseinandersetzung unter den Lutheranern. In diesem Streit, der schließlich zum Abbruch des Kolloquiums führte, standen Schnepf und seine Kollegen auf der einen, sein Sohn Dietrich, Brenz, und Andreae auf der anderen Seite. Deutlicher kann die Vereinsamung, in die Erhard Schnepf auf seine alten Tage geraten war, nicht gekennzeichnet werden.

1557 war Schnepf Rektor der Jenaer Hochschule(92); am 1. Februar 1558 konnte er noch die feierliche Eröffnung der Universität miterleben, an der er als erster Dekan der Theologischen Fakultät wirkte. Schnepfs letzte Lebensmonate waren noch belastet durch die Berufung von Matthias Flacius nach Jena, der in seinem Eifer um die Reinhaltung der lutherischen Lehre auch nicht vor seinen Kollegen haltmachte. Fern von seinem "vatterlande" und "nach so vilfeltiger und beschwerlicher wandelung und raisung", um die Worte seines Schreibens nach Heilbronn aus dem Jahr 1532 zu gebrauchen, starb Schnepf am 1. November 1558, seinem 64. Geburtstag, und wurde am folgenden Tag in der Stadtkirche zu Jena beigesetzt. An ihn erinnern heute noch ein Grabstein und ein gemaltes Epitaph.

8: Resümee

Unter den Reformatoren nimmt Erhard Schnepf einen zweiten Rang ein; so hat er sich auch selber gesehen. Er war ein Mann des Wortes, nicht der Feder. Er wirkte deshalb unmittelbar durch seine Persönlichkeit, seine Predigt- und Lehrtätigkeit, nicht durch Schriften. Von seiner wissenschaftlichen Arbeit, seiner Kenntnis der Sprachen, namentlich der hebräischen, ist deshalb kein direktes Zeugnis überliefert. Seine Rednergabe wurde allgemein gerühmt, sie kam ihm in Predigt und Lehre zustatten. Es ist auch davon wenig auf die Nachwelt gekommen, so dass seine Theologie nur in Umrissen sichtbar ist. Seine Zugehörigkeit zu den Syngrammatisten und die Stuttgarter Konkordie kennzeichnen ihn als Lutheraner, der freilich auch zur Zusammenarbeit mit Blarer fähig und bereit war, wobei die Schaffung klarer Verhältnisse eine wichtige Voraussetzung darstellte. Damit hängt zusammen die Offenheit und Geradheit seines Charakters, die einherging mit der Loyalität gegenüber seinen Dienstherren und seinen jeweiligen Aufgaben. Dies ist der Grund dafür, dass ihn drei Fürsten über fast drei Jahrzehnte auf Reichstage und zu Religionsgesprächen sandten, weil er seinen Standpunkt klar, unmissverständlich und verlässlich zu vertreten wusste.

Trotz seiner Loyalität gegenüber seinen fürstlichen Dienstgebern war Schnepf im Zeitalter des beginnenden Staatskirchentums darauf bedacht, das eigene Recht des evangelischen Kirchenwesens gegenüber dem Landesherrn und seinen Beamten zu wahren, wobei er frei von Rücksichten auf der Trennung von theologischen und weltlichen Kompetenzen bestand. Offenbar sah er in seiner Jenaer Zeit dieses Anliegen bei den dortigen Gnesiolutheranern besser gewahrt, so daß er deren Partei ergriff, wenn es ihn auch sicher schmerzte, dass die alten Gefährten ihn offenbar in einem anderen Lager sehen mussten.

Die Bedeutung von Erhard Schnepf liegt in der Wichtigkeit der Aufgaben, die ihm gestellt, und in der Art, wie er sie gelöst hat. Als Lehrer und Prediger an drei Universitäten hat er ohne Zweifel einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung des evangelischen Pfarrstandes geleistet. In Marburg und Jena handelte es sich um eigens gegründete evangelische Universitäten, die er half in Gang zu bringen. In Tübingen war er in einer kritischen Phase der reformatorischen Umbildung von Universität und Fakultät. Als Schnepfs bedeutendstes Werk muss aber seine Mitwirkung bei der Reformation des Herzogtums Württemberg gesehen werden. Während er im Interim aus dem Lande weichen musste, wurde die junge evangelische Kirche Württembergs auf eine schwere Probe gestellt. Diese zu bestehen wäre nicht möglich gewesen, wenn der evangelische Glaube nicht schon in den Herzen Wurzeln gefasst hätte. Dies wiegt schwerer als die Tatsache, dass diese Kirche organisatorisch noch unfertig war und erst nach dem Interim ihre charakteristische Ordnung erhalten konnte. Darüber hinaus bildete die Reformation des Herzogtums Württemberg einen wichtigen Wendepunkt der Reformationsgeschichte insgesamt, der zu einem nicht geringen Teil das Werk von Erhard Schnepf war.

Aktualisiert am: 19.03.2018

Ambrosius Blarers Wirksamkeit im Herzogtum Württemberg

Von: Brecht, Martin

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Blarers Tätigkeit in Schwaben
  2. 2: Blarers Tätigkeit in schwäbischen Reichsstädten
  3. 3: Zwischenresümee
  4. 4: Blarer als Reformator Württembergs
  5. 5: Die Abendmahlsfrage
  6. 6: Blarers Wirksamkeit in Württemberg
  7. Blarers Entlassung
  8. 7: Nachtrag
  9. Anhang

In der reformationsgeschichtlichen Literatur wird Ambrosius Blarer immer wieder als Apostel Schwabens bezeichnet.(1) Schon die Zeitgenossen, etwa Martin Bucer und Telamonius Limburger, haben ihm diesen Titel beigelegt. Als Blarer 1532 nach Esslingen berufen wurde, schrieb ihm Bucer: So weit die Konstanzer Diözese reicht, hat Gott Schwaben deinem Apostolat zugesprochen. Limburger sah Blarer 1534 dazu bestimmt, das apostolische Amt in Württemberg auszuüben.(2)  Man wird diese Bezeichnung nicht pressen dürfen. Aber darin trifft sie schon die Sache, dass, wie Bucer es wieder sagt, der Treue Blarers die schwäbischen Kirchen anvertraut waren.(3)  Er hat in einer ausgedehnten Reisetätigkeit und mit der nimmermüden Beratung in seinen zahlreichen Briefen zwischen 1528 und 1539 die meisten der protestantischen Kirchen in Schwaben betreut. Im Blick auf seine Reisetätigkeit mit den langen Aufenthalten an den einzelnen Plätzen hat Blarer selbst einmal die Parallele zum Apostel Paulus gezogen.(4)  Nur wenige der Reformatoren haben so in der Breite gewirkt wie er, und in Schwaben ist ihm in der praktischen Tätigkeit außerhalb seiner Stadt keiner darin vergleichbar, auch Bucer nicht. Schon aus diesem Grunde gehört Blarer zu den einflussreichsten Männern der oberdeutschen Reformation. Er ist dabei immer der Mann seiner Heimatstadt Konstanz geblieben, hat nirgends außerhalb ein festes, dauerhaftes Amt angenommen, sondern ist in mehr oder weniger offizieller Form im Auftrag seiner Heimatstadt und -kirche den andern zur Verfügung gestanden. Der Konstanzer Rat hat Blarer jeweils beurlaubt und sich wieder und wieder dazu bereitgefunden, den Urlaub zu verlängern, damit seine Arbeit in Schwaben fortgesetzt werden konnte.(5)  Die Stadt Konstanz hat ein Jahrzehnt auf ihren ersten Theologen verzichtet. Gewiss nicht nur aus christlicher Nächstenliebe. Es kam für das exponierte Konstanz entscheidend darauf an, gegen Kaiser und Bischof einen Rückhalt an evangelischen Nachbarn zu haben. Die echte und bewusste Verantwortung für das Evangelium, wie sie sich in den Briefen des Rats an Blarer ausspricht, und das eigenste Interesse der Stadt deckten sich.

Blarer selbst wurde so aus der Enge der einzelnen Stadt hinausgeführt in einen größeren Wirkungskreis und vor schwerere Aufgaben gestellt. Freilich, das muss gleichfalls gesagt werden: die Bindung an Konstanz bedeutete auch eine gewisse Schranke. Die Problematik seiner Wirksamkeit in Schwaben 141 hängt damit zusammen, dass er immer nur auf Zeit den andern zur Verfügung stand. Für die Schaffung konsolidierter kirchlicher Verhältnisse konnte das nicht günstig sein.

1: Blarers Tätigkeit in Schwaben

Blarers Tätigkeit in Schwaben erstreckt sich auf einen ziemlich genau umrissenen Kreis von Plätzen. Es sind die Städte Memmingen, Isny, Kempten, Lindau, Ulm, Esslingen und das Herzogtum Württemberg. Die Wirksamkeit in Augsburg im Jahr 1539 - einen Ruf im Jahr 1531 hatte er auf Weisung des Konstanzer Rates abgelehnt - blieb Episode.

Auch zeitlich läßt sich diese Tätigkeit genau eingrenzen. Die Berufung Blarers nach Memmingen von November 1528 bis Februar 1529 war ein Vorspiel. Im Mai 1531 wurde er zusammen mit Bucer und Oekolampad zur Durchführung der Reformation nach Ulm geholt. Er blieb länger dort als die beiden andern, ging im September vom Ulmischen Geislingen direkt nach Esslingen, wo er sich bis Juni 1532 aufhielt. Über Geislingen und Ulm reiste er dann nach Memmingen und war dort bis Mitte September. Ein Aufenthalt in Isny von September 1532 bis Februar 1533 schloss sich an. Einen Monat verbrachte Blarer noch in Lindau, dann endete diese Reise, von der er selbst einmal dachte, er kehre überhaupt nimmer heim. Ein starkes Jahr später, im Juli 1534, erfolgte die Berufung nach Württemberg mit ihrem vierjährigen Dienst. Auf der Rückreise im Sommer 1538 hat Blarer wieder Isny besucht. Es sind also im Wesentlichen zwei Komplexe des Wirkens Blarers in Schwaben: die Reise durch die Städte 1531-1533 und die Tätigkeit in Württemberg 1534 bis 1538. Was später kam, war Nachspiel. Auf der Rückkehr von Augsburg im Dezember 1539 hat Blarer Kempten und Isny besucht. In den Jahren 1541, 1544 und 1545 ist er noch dreimal in Isny gewesen, aber diese Aufenthalte hatten nur lokale Bedeutung.

Damit, dass sich Blarers Wirksamkeit in Schwaben auf einen bestimmten räumlichen und zeitlichen Bereich festlegen lässt, deutet sich bereits an, dass diese stattfand unter ganz bestimmten zeitlichen, politischen und theologischen Bedingungen, ja dass es sich hier um eine eigene Epoche handelt. Der für die protestantischen Stände ungünstige Abschied des Augsburger Reichstags von 1530 führte am 31. Dezember 1530 zur Gründung des Schmalkaldischen Bundes, in dem sich die oberdeutschen Reichsstädte Straßburg, Ulm, Konstanz, Kempten, Memmingen, Heilbronn, Reutlingen, Biberach und Isny politisch mit den lutherischen Territorien zusammenschlossen. Was die lutherischen Fürsten und die oberdeutschen Städte miteinander verband, war das 142 Interesse, sich gegen den Kaiser zu behaupten. Was sie hingegen unterschied, war die theologische Position. Im oberdeutschen Raum begegneten sich der lutherische und der zwinglische Einfluss. Hier hatte sich eine mittlere Gruppe zwischen Zürich und Wittenberg gebildet, die sich weder nach der einen noch nach der andern Seite hin integrieren lassen wollte. Hier im oberdeutschen Gebiet wurden die Auseinandersetzungen zwischen den beiden protestantischen Lagern faktisch ausgetragen, und die Spannung war dauernd gegenwärtig. Die Städte wollten ihre Zwischenstellung nicht aufgeben, sie wollten sich nicht mit den Lutheranern gleichschalten lassen, wollten aber ebenso wenig auf den Vorteil des Protestantenbündnisses verzichten.

Auf Gleichschaltung bzw. Verdrängung aus dem Bündnis hatte es aber gerade jener Beschluss von Schmalkalden abgesehen, nach dem auf dem kommenden Bundestag im Frühjahr 1531 mit den Theologen über die Vereinheitlichung der Kirchenbräuche innerhalb des Schmalkaldischen Bundes verhandelt werden sollte.(6) Um den Tendenzen der lutherischen Seite zu begegnen und den oberdeutschen Städten ihre religiöse Freiheit zu bewahren, wurde auf dem Städtetag in Memmingen vom 26. bis 28. Februar 1531 mit den Predigern über den Beschluss von Schmalkalden verhandelt. Versammelt waren die Prediger Sam von Ulm, Gassner von Lindau, Schenk von Memmingen, Miller von Biberach, Frick von Isny, Alber von Reutlingen und Zwick und Blarer von Konstanz.(7) Der führende Kopf war Blarer, neben ihm Sam. Blarer hatte sich schon Mitte Februar gegenüber Bucer für die Freiheit in den Zeremonien und gegen eine Uniformierung ausgesprochen.(8) Aus den Zeremonien dürfe kein Gesetz gemacht werden wie bei den Papisten. Er befand sich hier theologisch in Übereinstimmung mit Luther, der 1526 den Reutlingern ihre eigenen Kirchenbräuche zugestanden hatte - dagegen freilich nicht mit den politischen Absichten der Lutheraner.

Der Memminger Tag entschied sich gleichfalls für die Freiheit der Zeremonien. Nur bei Taufe und Abendmahl sollte eine der Einsetzung Christi entsprechende Gleichförmigkeit geübt werden, was zugleich bedeutete, dass man nicht gesonnen war, die lutherische Messe zu übernehmen. Die Aufrichtung der Kirchenzucht, die der künftige Bundestag auch behandeln sollte, lag den Oberdeutschen sehr am Herzen. Gegen die Wiedertäufer empfahlen sie ein mildes Vorgehen.

2: Blarers Tätigkeit in schwäbischen Reichsstädten

3: Zwischenresümee

(9)  Daran ist so viel sicher richtig, daß die grundlegende Arbeit, die Blarer in den schwäbischen Städten geleistet hat, entscheidend zu einer dauerhaften Verwurzelung des Protestantismus in ihnen beigetragen hat. Das ist der bleibende Erfolg des Wirkens Blarers, auch wenn die spätere Entwicklung das meiste von Blarers eigensten Absichten rückgängig gemacht hat. Er war zumindest der Kärner der Reformation in den schwäbischen Städten und hat in ihr vielleicht die größte Last getragen.

4: Blarer als Reformator Württembergs

Ambrosius Blarer (1492-1564), Kuperstich

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung

Der bedeutendste Wirkungskreis, der sich für Blarer erschloss, waren aber nicht die Städte, sondern das Herzogtum Württemberg,in dem er länger als in den Städten insgesamt tätig war. Die Dimensionen und damit zugleich die Möglichkeiten und die Verantwortung seiner Tätigkeit waren hier ungleich größer. Durch sie sollte er vollends zu einer der bedeutenden Gestalten der süddeutschen Reformation werden.

Mit der Rückführung Herzog Ulrichs nach Württemberg im Mai 1534 und der damit ermöglichten Reformation des Herzogtums veränderte sich die politische und konfessionelle Situation im oberdeutschen Raum in einschneidender Weise. Nicht nur quantitativ: Es war nicht nur so, dass nunmehr ein beachtliches Territorium neben den einzelnen Städten zur protestantischen Seite gehörte. Vielmehr bot das Herzogtum den einzelnen Städten jetzt einen soliden politischen Rückhalt, und diese waren aus ihrer politischen Isolierung und Gefährdung befreit, indem es nun so etwas wie einen protestantischen Block in Oberdeutschland gab.(10) Die Überführung Württembergs auf die protestantische Seite brachte den Schmalkaldischen Bund in eine neue Lage. Gerade an Blarers Tätigkeit in Schwaben war sichtbar geworden, dass der Bund keine homogene Größe war. Als also die Reformation in Württemberg möglich wurde, das im Norden an die lutherische, im Süden aber an die oberdeutsche Einflusssphäre grenzte, lag allen Beteiligten daran, dieses Territorium ihrer Fraktion zu integrieren. Das erkannte Sachsen, als es im Frieden von Kaaden mit den Schwärmern auch die Zwinglianer von der württembergischen Reformation auszuschließen versuchte. Auf der andern Seite versuchte Bullinger auf Herzog Ulrich einzuwirken.(11)

(12)

Die oberdeutsche Lösung, wie sie die Straßburger wollten, war in dieser Weise nicht zu verwirklichen. Aus politischen Gründen mussten die Lutheraner an der württembergischen Reformation mindestens beteiligt werden. Herzog Ulrichs ehemaliger Hofprediger Geiling hat Brenz als Reformator vorgeschlagen. Anfang Juni wusste auch Frecht von einer bevorstehenden Berufung Brenzens zu berichten.(13) So kam es auch hier zu einem Kompromiss zwischen dem oberdeutschen und dem lutherischen Vorschlag. Berufen wurde von der oberdeutschen Seite Blarer, aber nicht der schärfere Grynaeus, und Brenz wurde ausgetauscht durch den etwas milderen Erhard Schnepf, damals Professor in Marburg, der sich immerhin 1530 in Augsburg zu brüderlicher Gemeinschaft mit den Oberdeutschen bereit erklärt hatte.(14)

Einen kleinen, aber entscheidenden Vorteil errang die lutherische Seite dadurch, dass der Kanzler Knoder Blarers beschlossene Berufung solange verzögerte, bis die von Schnepf gewiss war, und zwar so, dass Schnepf noch einen Tag vor Blarer eintraf. Es wird hier sofort die wesentliche Tatsache deutlich, daß Blarer nicht denselben starken Rückhalt an den Hofkreisen hatte wie Schnepf, denn diese waren im Wesentlichen lutherisch gesinnt. Bucer hat Blarer über die Situation am Hof instruiert und geraten, sich in den Hofkreisen gleichfalls geneigte Personen zu suchen. Aber Blarer war hier nicht so vom Glück der Umstände begünstigt wie Schnepf. Am 30. Juli 1534 traf Blarer, von einer Konstanzer Ratsbotschaft geleitet, in Stuttgart ein.(15)

5: Die Abendmahlsfrage

Der Prüfstein für die Möglichkeit eines Nebeneinanders von Lutheranern und Oberdeutschen in Württemberg war die Abendmahlsfrage. Schon das erste Zusammentreffen der Repräsentanten der beiden Richtungen machte deutlich, dass die Meinungsunterschiede schwerwiegender und tiefer waren, als die Oberdeutschen wahrhaben wollten. Schnepf ließ sich eben noch 156 herbei, Blarer zu seiner Ankunft in einem kurzen Satz zu beglückwünschen, aber dann brach es schon aus ihm heraus: "Wenn du mit mir in der Abendmahlsfrage nicht übereinstimmst, muss einer von uns beiden weichen."

In mühsamen Verhandlungen unter dem geduldigen Dabeisein Herzog Ulrichs einigten sich Blarer und Schnepf auf jene Formel, die nach Abschluss des Marburger Religionsgesprächs von 1529 zwar von Luther, aber nicht von den Schweizern angenommen worden war: "Wir bekennend, das uß vermögen diser wort: ,Diß ist min lib, diß ist min blut‘, der lib und das blut Christi warhafftiklich, hoc est essentialiter et substantive, non autem qualitative, vel quantitative vel localiter, im nachtmal gegenwirtig siend und geben werdind".(16) Bucer hatte Blarer diese Formel mit anderen Papieren zugeschickt. Blarer hätte ihr wohl nie zugestimmt, wenn nicht Bucer in ihm die Meinung erweckt hätte, diese Formel sei in Marburg auch von den Schweizern angenommen worden. Es war mindestens hier die Schwäche Blarers, dass er das von Bucer übersandte Papier ziemlich unkritisch übernahm.

Die Marburger Formel war keineswegs klar. Zwar wurde die Reichung des substanzialen Leibes Christi im Abendmahl bejaht, aber das Wesen dieser Substanz ausdrücklich offengelassen. Für Blarer selbst war die Formel insofern annehmbar, als sie auch spiritual verstanden werden konnte. Insbesondere musste Blarer nicht die manducatio impiorum aussagen. Er konnte sich darauf berufen, dass das "substantialiter" schon in der in Schweinfurt von den Oberdeutschen unterzeichneten Augsburger Konfession enthalten war. Er verstand also die von ihm mit Schnepf gefundene Einigung, die als Stuttgarter Konkordie bekannt geworden ist, im Sinn des alten, nicht weiter definierten Nebeneinanders von oberdeutschem und lutherischem Bekenntnis und konnte so ehrlich der Meinung sein, daß er keinen Fuß breit gewichen sei.(17) Zugleich war hier zum ersten Mal eine Formel gefunden, der die Oberdeutschen und die Lutheraner zugestimmt hatten. Sie war gewiss besser und ehrlicher als manche späteren Einigungsvorschläge Bucers. Sie ist historisch gesehen der Anfang eines gemeinsamen Redens der protestantischen Gruppen über das Abendmahl.

Die Reaktion auf die in Stuttgart geschlossene Konkordie sollte Blarer schwer zu schaffen machen. Er galt als der Verlierer. Er musste es erleben, dass Bucer selbst, obwohl er die Unterlagen beschafft hatte, Blarers Vergleich kritisierte. Ihm klang das "uß vermögen diser Wort" brenzisch-lutherisch, und das ,‘essentialiter et substantialiter‘ konnte leicht als massiver Sakramentsrealismus missverstanden werden. Bucer hat darum Blarer 157 geraten, die Konkordie in dem Sinn zu interpretieren, daß sie nicht über das Augsburger Bekenntnis hinausgehe. Bucer und die Straßburger Politiker setzten nun alles daran, um Schnepf zu mäßigen und zu verhindern, dass die Konkordie Lehrgrundlage für die württembergische Reformation wurde. Sie beschwerten sich bei Landgraf Philipp über Schnepfs scharfes Auftreten und die ihnen aufgedrängte Konkordie. Sie stellten die entscheidende Frage, ob Schnepf die Oberdeutschen als Sakramentierer deklarieren und damit auf Grund des Kaadener Friedens von der Reformation in Württemberg ausschließen wollte. Schließlich baten sie, Schnepf durch Melanchthon zu ersetzen.(18) Schnepf selbst hat die Konkordie als einen Sieg der Lutheraner über die Zwinglianer verstanden. Die durch Straßburg veranlassten Vorhaltungen des Landgrafen wollte er freilich nicht gelten lassen. Er habe sich mehr zu beklagen als die andern. Immerhin hat auch Melanchthon auf Bitten des Landgrafen Schnepf gemahnt, dass er Blarer maßvoll (moderate) behandle.(19) Die Straßburger erreichten dann beim Landgrafen und bei Herzog Ulrich, dass statt der "schwer verständlichen" Konkordie das Augsburger Bekenntnis in Württemberg Lehrgrundlage wurde, und damit hatten sich die Oberdeutschen politisch innerhalb der lutherischen Reformation Württembergs behauptet.(20) Immerhin fand Blarer in den Reihen seiner oberdeutschen Freunde auch vorsichtiges Verständnis. Otter meinte, Blarer habe nicht gesündigt. Frecht wies darauf hin, daß auch die Lutheraner Zugeständnisse gemacht hätten. Wolfgang Musculus und mit ihm die Augsburger Prediger waren mit der Konkordie einverstanden. Schließlich gelang es sogar dem beweglichen Bucer selbst, die Stuttgarter Konkordie als echten Ausdruck oberdeutscher Theologie zu interpretieren.(21)

Die Schweizer allerdings erklärten zunächst, die Konkordie decke sich nicht mit ihrer Ansicht. Oswald Myconius urteilte, Blarer habe sich verführen lassen. Blarer musste sich Bullinger gegenüber verteidigen, er habe nicht widerrufen. Die Proteste der Zürcher veranlassten Blarer zu einer Erklärung über seinen angeblichen Widerruf, die die Zürcher dann auch befriedigte. Auf der Gegenseite hörte Brenz nicht auf, Blarer als einen Zwinglianer zu verdächtigen. Brenz konnte wohl den Gegensatz aus der Esslinger Zeit nicht vergessen.(22)

Noch im September 1534 hatte es Blarer abgelehnt, seine Haltung in einer offiziellen Verteidigungsschrift zu rechtfertigen. Eine Äußerung von seiner Seite wurde jedoch notwendig, als von katholischer Seite, vermutlich von Johannes Eck, ein Flugblatt herauskam mit dem Titel "Ain widerruf Am-[158]brosi Blarers". Bucer hat die Entgegnung Blarers entworfen, die am 4. Januar 1535 in Tübingen erschien: "Bericht Ambrosii Blaurer von dem Widerruf." Blarer hat den Entwurf fast wörtlich übernommen und es somit auch hier Bucer überlassen, seine Sache zu führen.

Die Schrift ist ein typisches Dokument oberdeutsch-schwäbischer Theologie; denn sie will beweisen, wie Blarer in den Städten nicht anders gelehrt habe als in der Stuttgarter Konkordie. Die Schrift war gerade auch für die schwäbischen Städte, z. B. Kempten, gedacht, damit sie nicht an Blarer irre wurden. Bucer hatte daran gedacht, dass Blarer sich für seine Apologie um ein empfehlendes Vorwort von Schnepf und Herzog Ulrich bemühen sollte. Von Schnepf kam man wieder ab. Herzog Ulrich aber schlug Blarers Bitte ab, obwohl dieses Vorwort ein Beitrag zu der allgemeinen Konkordie sein sollte, die Bucer damals schon betrieb. Die Ablehnung sagte zugleich ganz schroff, dass kein Zwinglianer im Herzogtum geduldet werde. Der Entwurf des Ablehnungsschreibens stammt bezeichnenderweise wieder von dem Kanzler Knoder.(23) Schnepf selbst äußerte sich mindestens zunächst überhaupt nicht zu der von Blarer übersandten Apologie. Die Auseinandersetzung über das Abendmahl, die am ersten Tag Blarers in Württemberg ausgebrochen war, hat sich dann allmählich beruhigt. Luther war von Blarers Apologie befriedigt, sofern er es ehrlich meine. Melanchthon äußerte sich gegenüber Bucer positiv über Blarer. Über Brenzens Meinung widersprechen sich die Aussagen.(24)

Die allgemeine Atmosphäre zwischen Lutheranern und Oberdeutschen war durch Bucers Bemühungen um eine allgemeine Verständigung in der Abendmahlsfrage besser geworden. Über die Möglichkeiten einer solchen Einigung hat sich Blarer schon im September 1534 skeptisch geäußert. Er hatte seine Erfahrungen gemacht. An der Zusammenkunft der Oberdeutschen mit den Zürchern im Dezember 1534 vor Bucers Unionsgespräch mit Melanchthon in Kassel konnte Blarer nicht teilnehmen. Die Konstanzer standen dem Beginnen misstrauisch gegenüber, und Blarer selbst sah jetzt schärfer als Bucer, daß mindestens die Einbeziehung der Schweizer in die Konkordie unmöglich war. Er teilte die Bedenken seines Bruders Thomas, war aber eher geneigt, sie zu unterdrücken, und hat offenbar im September 1535 auf einer Zusammenkunft mit Bucer in Balingen die Konkordie auch akzeptiert.(25)

Die Wittenberger Konkordie vom Mai 1536 hat er aber dann nicht unterschrieben. Die manducatio indignorum ging ihm, der faktisch die erste derartige Konkordie zustande gebracht hatte, über das zu Verantwortende hinaus, obwohl er sie für interpretierbar im oberdeutschen Sinne hielt. Bucers und Blarers Wege gingen hier auseinander, wenn das auch zunächst noch nicht 159 offen sichtbar wurde. Blarer hat aus seiner Meinung über die Konkordie keinen Hehl gemacht. Er wusste auch, dass es in dieser Sache für ihn keine Verständigung mit Bucer mehr gab. Er legte darum auf ein Zusammentreffen mit Bucer keinen Wert, und als Bucer im Oktober 1536 schließlich in Herrenberg doch ein solches erzwang, war es kurz, unerfreulich und ohne Ergebnis. Von da an war Blarer weit mehr als bisher auf sich selbst gestellt und musste auf die starke sachliche und innere Unterstützung Bucers in seiner Arbeit in Württemberg verzichten. Zugleich war er jetzt innerhalb der oberdeutschen Fraktion, sofern es diese noch gab, weithin isoliert. Die politischen und theologischen Verhältnisse, unter denen Blarer seine Tätigkeit in den Städten und in Württemberg getan hatte, bestand nicht mehr, und er war nicht gewillt, sich einer neuen Situation anzupassen. So musste seine Stellung unhaltbar werden. Ganz offen trat dies dann zutage auf dem Schmalkaldener Tag im Februar 1537, wo Blarer sich wegen der Speisung der Unwürdigen weigerte, die Schmalkaldischen Artikel und die Wittenberger Konkordie zu unterschreiben. Zwar hat Bucer damals einen offenen Ausbruch des Streits geschickt zu verhindern gewusst. Aber es war offenbar geworden, daß Blarer so gut wie allein gegen alle andern Theologen des Schmalkaldischen Bundes stand und damit zugleich gegen die offizielle Richtung der württembergischen Reformation.(26)

6: Blarers Wirksamkeit in Württemberg

Es wurde oben gezeigt, dass Blarers gesamtes Wirken in den Städten durchgeprägt gewesen ist von seiner oberdeutschen Position. Die Abendmahlsfrage war dabei ein zentrales Problem, aber nicht das einzige. Die Probleme der Sittenzucht, der Zeremonien, der Besetzung der Pfarrstellen, der Abwehr der Schwärmer gehörten ebenso zu dieser einheitlichen Wirksamkeit. Am Modell der Abendmahlsfrage wurde bis jetzt das Schicksal von Blarers Wirken in Württemberg dargestellt. Es wird nunmehr zu zeigen sein, wie auch hier Blarers gesamte Tätigkeit wiederum eine Einheit bildet. Es war darum nicht eine Einzelfrage, die schließlich 1538 Blarers Stellung in Württemberg unhaltbar machte, sondern es war seine oberdeutsche Position im Ganzen.

Nachdem der Sturm um das Abendmahl sich Ende August 1534 etwas gelegt hatte und die konkrete Arbeit begann, wurde das Herzogtum in einen nördlichen und einen südlichen Bereich, "unter und ob der Steig", gemeint ist die Stuttgarter Weinsteige, geteilt, der erste Schnepf und der zweite Blarer zugewiesen. Man teilte also ungefähr der lutherischen und der oberdeutschen Einflusszone entsprechend auf. Blarer war dabei insofern im Nachteil, als er 160 nicht in der Residenz Stuttgart, sondern in Tübingen seinen Amtssitz hatte. Noch im Sommer 1535 hätte Blarer darum nach Bucers Meinung eine Predigerstelle in Stuttgart annehmen sollen, Der Herzog hat auch sonst gegenüber Blarer deutlich Distanz gehalten und nur die Predigten Schnepfens besucht, auch als Blarer noch in Stuttgart war. Seinen Grund hat das wohl wieder in den politischen Rücksichten gehabt.(27)

Im Herbst 1534 und im Frühjahr 1535 konnte Blarer gute Arbeit leisten, und auch die Zusammenarbeit mit dem Herzog, der sich damals häufig in Blarers Sprengel aufhielt, funktionierte ordentlich. Die Grundlage für die Reformation in den einzelnen Gemeinden war die Visitation, bei der die alten Pfarrer vorgeladen wurden und die Besetzung der einzelnen Pfarreien neu geordnet wurde. Den Anfang machte Blarer damit wohl in Tübingen Ende September 1534, vielleicht aber schon vorher in Urach. Zu seinem Leidwesen wurde sie nicht zügig durchgeführt, so dass er im März 1536 noch mit zwei Jahren Dauer rechnen musste. Seinen Plan, in Württemberg zu bleiben, bis die Visitation vollendet sei, konnte er nicht verwirklichen.(28)

Im Dezember 1534 hat Blarer mehrfach mit dem Herzog über einzelne reformatorische Maßnahmen, vor allem über Ordnungsfragen, beraten. Es war die Zeit, als Luther schrieb, der Herzog von Württemberg habe seine Lust an Blarer (habere in deliciis Blaurerum). Blarer seinerseits rühmte den reformatorischen Eifer des Herzogs. Zu Klagen über Schnepf hatte er damals keinen Anlass. Als der Konstanzer Rat ihn im April 1535 zurückrufen wollte, wollte sich Blarer dem mit Gottes Hilfe glücklich begonnenen Werk nicht entziehen.(29)

Das Herzogtum Württemberg hatte nach 1534 einen großen Bedarf an evangelischen Predigern. Es ist fast selbstverständlich, dass Blarer sich seiner oberdeutschen und schweizerischen Beziehungen bediente, um diesen Bedarf zu decken; denn das Land besaß zunächst nicht genug eigene Leute. Die Blarer nahestehenden Städte und Theologen haben ihn dabei in großem Maß unterstützt, obwohl ihnen der Verzicht auf ihre Leute nicht immer leicht gefallen ist. Schnepf hat von der lutherischen Seite bei weitem nicht dieselbe Unterstützung in personeller Hinsicht erfahren wie Blarer von seinen Freunden.(30) Der Charakter der württembergischen Reformation musste ja entscheidend durch die Pfarrer geprägt werden, und darum dienten die Städte und die Schweizer ihrer eigenen Sache, wenn sie Blarer beistanden.

So war sich Frecht schon zu Beginn der württembergischen Reformation bewusst, dass Ulm Prediger verlieren würde, und er hat Blarer immer wieder 161 Leute empfohlen, ebenso Otter in Esslingen. Die Basler und Zürcher Prediger schickten Prädikanten, ebenso Konstanz und Augsburg und nicht zuletzt Straßburg.(31) Auf der einen Seite wollte man verhindern, dass die Lutheraner die ersten Plätze im Herzogtum einnahmen, auf der andern Seite war man in den Städten natürlich auch froh, wenn man für Notleidende eine Unterbringung fand. Es gab auch viele, die sich von sich aus um eine Empfehlung an Blarer bemühten. Es ist für seine Art bezeichnend, daß gerade von Bucer die meisten problematischen Empfehlungen kamen. Unter den von ihm vorgeschlagenen Leuten befanden sich u. a. ein Lutheraner, ein Katholik, ein Greis, ein Armer oder auch ein Mann mit charakterlichen Fehlern wie Simprecht Schenk. Aber Bucer war es dann wieder, der Blarer Vorwürfe machte, daß er seine Empfehlungen nicht vorsichtiger behandle; er unterschied nämlich zwischen kühlen und anderen Empfehlungen.(32)

Man wird nicht sagen können, vorwiegend minderwertige Pfarrer seien damals nach Württemberg hereingeströmt. Sonst hätte Frecht nicht geklagt, Ulm verliere alle tüchtigen Prediger auf dem Land. Gewiss, es waren auch schwierige Leute darunter, und in Zürich hatte man später gewisse Bedenken, dass man Blarer so viele hamartyroi, fehlsame Geistliche, gesandt habe. Es war auch nicht so, daß Blarer jeden sofort nahm. Einmal sagte er den Zürchern, ein Prediger sei zur Unzeit gekommen. Ebenso beweisen die Besetzungsvorschläge an Herzog Ulrich, dass Blarer hier möglichst Umsicht walten ließ. Als Frecht für zwei Prediger ein Unterkommen suchte, lehnte er ab und bat ihn, mit Empfehlungen Maß zu halten. Er legte Wert darauf, dass die Prediger nicht sofort selbst kamen, sondern warteten, bis er sie rufe. Wegen ihrer Not standen sie allerdings schon oft mit der Empfehlung selbst vor der Tür. Einen Zürcher Prediger berief er, sobald die Besetzung in Lustnau geregelt war. Überhaupt scheint Blarer ein Verzeichnis geführt zu haben über die zur Verfügung stehenden Kandidaten, wobei das Angebot seine Nachfrage überstieg. Wenn er dann eine geeignete Stelle hatte, berief er diejenigen, die er vorher vertröstet hatte. Blarer konnte es sich z.B. auch leisten, einen Priester zuerst studieren zu lassen, ehe er ihn verwendete.(33)

Blarer hat auch nicht nur einfach darauf gewartet, was ihm geschickt wurde, sondern seinerseits einzelne Städte direkt um die Überlassung von Personen angegangen, so z. B. Esslingen. Von Straßburg wurde ihm einmal ein entsprechendes Begehren nicht erfüllt, ja sogar umgekehrt wieder Leute abberufen. Aus Memmingen hat er den Schulmeister Hans Cleber für die Lateinschule in Tübingen erbeten. Als die Memminger ihn nicht hergeben wollten, sagte er ihnen deutlich, dass der Mag. Cleber in Tübingen mehr Nutzen schaf-[162]fen könne als in Memmingen, und Memmingen gab schließlich nach. Man sieht hier, wie Blarer das Ganze der oberdeutschen Reformation im Auge hatte.(34)

Blarers Besetzungspolitik macht im Ganzen einen guten Eindruck. Als man ihm vorwarf, die Prediger in seinem Sprengel hätten einen schlechten Ruf, konnte er sagen, er wisse nur von zwei entsprechenden Personen. Tatsächlich hörte man auch nur selten von konkreten Anständen. Über den Calwer Pfarrer wurde geklagt, dass er in seinen Predigten nur die Laster der Leute vorbringe. Einen seiner Meinung nach wegen einer Ehesache ungerecht Bestraften musste Blarer nach Zürich weiterempfehlen. Einzelne Fehlgriffe mögen auch Blarer unterlaufen sein bei seinen Besetzungen, aber wenn ihn Bucer im September 1536 warnte, Vorsicht bei den Besetzungen walten zu lassen, damit er sich keinen Tadel zuziehe, dann hatte das bereits einen viel tieferen Grund. Seit dem April 1535 wurde gegen Blarers Besetzungspolitik der Vorwurf erhoben, ob der Steig gebe es nur Zwinglianer, und im Juni15 35 wurde bei einer Beratung in Stuttgart dieser Vorwurf offiziell ausgesprochen. Blarer hat z.B. einen Prediger, den Schnepf wegen seiner theologischen Haltung schlecht untergebracht hatte, in seinem Bereich in einer besseren Stellung verwendet. Während Schnepf die Zwinglianer verdrängte, zog sie Blarer ins Land. Es erleichterte Blarers Position nicht gerade, wenn verschiedene schweizerisch gesinnte Prediger beim Wein äußerten, sie würden die Kirchenordnung nicht annehmen (August 1535). Einmal hat Schnepf direkt in Blarers Gebiet hereingegriffen, indem er einen Pfarrer, sehr wahrscheinlich einen Lutheraner, nach Wildberg schickte.(35)

Hinsichtlich der Pfarrbesetzung haben sich die Dinge also ganz entsprechend dem Abendmahlsproblem entwickelt. Mit Blarer kamen die oberdeutschen und schweizerischen Prediger ins Land. Vom Sommer 1535 an spürt man auch hier den Versuch, den oberdeutschen Einfluss zurückzudrängen, diejenigen, »so durch Plaurern ufgestölt, usbeissen« zu wollen, wie Jakob Sturm sich im September ausdrückt. Wenn Blarer im Jahr 1538 noch in Württemberg aushielt, dann nur darum, weil er wusste, dass man bei der Visitation gerade die von ihm eingesetzten Pfarrer verdrängen würde. Es ging auch an diesem Punkt um die Erhaltung des oberdeutschen Charakters der württembergischen Reformation.(36)

Mit besonderem Ernst hat sich Blarer, der ehemalige Alpirsbacher Mönch, der Reformation der Klöster gewidmet. Es war wohl sein Vorschlag, dass die Klöster nicht einfach säkularisiert wurden, sondern dass der Herzog den Klosterpersonen das Wort Gottes predigen ließ und im Juli 1535 eine 163 entsprechende, von Blarer verfasste Klosterordnung erlassen wurde. Blarer war sich bewusst, dass er möglichst gute Theologen als Lesemeister in die Klöster schicken musste, und er hat sich sehr um solche bemüht. Unter ihnen befanden sich z.B. Pierre Toussaint, der spätere Reformator Mömpelgards, oder der tüchtige Magister Schmölz. Für die Pfullinger Nonnen versuchte Blarer, Konrad Pellikan aus Zürich zu gewinnen. Viel ausgerichtet haben die Lesemeister wohl nicht, was bei dem erklärten Widerstand der meisten Äbte und Ordensleute auch nicht verwunderlich war. Als im Oktober 1536 der wahrscheinlich von Blarer angeregte Befehl erging, die Ordensleute in einem Kloster zu konzentrieren, zog er sich neuen bitteren Hass zu.(37)

Eine der schwierigsten Aufgaben, die Blarer gestellt war, war die Reformation der Universität Tübingen. Schwierig deshalb, weil Blarer einmal nicht die nötige akademische Autorität besaß, um sich gegenüber den Professoren durchzusetzen, und weil sich der alte Geist an der Universität hartnäckig hielt. Weder Blarer, noch Grynaeus, noch Melanchthon, noch Brenz ist es in den folgenden Jahren gelungen, die Universität und besonders die theologische Fakultät zu neuer Blüte zu bringen. Aber man gab Blarer, sicher zu Unrecht, daran die Schuld. Bei der Besetzung der theologischen Professuren ging es mit den Kandidaten Grynaeus und Osiander wieder um den Gegensatz von oberdeutscher und lutherischer Theologie. Weder der ausgleichende Melanchthon noch Leo Jud oder Pellikan aus Zürich waren bereit, sich auf die unerquicklichen Verhältnisse in Tübingen einzulassen. Grynaeus kam zwar für ein knappes Jahr 1534/35, ließ aber Blarer dann trotz dessen dringlichstem Bitten um Stich, und Phrygio aus Basel war kein Ersatz für ihn. Ohne Grynaeus aber hatte Blarer an der Universität keinen rechten Einfluss mehr. Im August 1535 hieß es, Blarer sei für die Universität ungeeignet. Im Oktober 1536 äußerte der Herzog selbst gegen Melanchthon, Blarers Name schade der Universität. Auch hier wurde so die Basis für Blarers Wirken immer schmaler.(38)

Große Bedeutung kam bei der Gestaltung der württembergischen Reformation den Zeremonien und einzelnen Ordnungen zu. Bucer hatte vorgeschlagen, man solle die Zeremonien des lutherischen Reutlingen übernehmen, die mit den oberdeutschen verwandt waren. Im Dezember 1534 wurde Blarer und Grynaeus die Ausarbeitung der Abendmahlsordnung, Schnepf die der Kirchenzucht- und Eheordnung übertragen. Mit der von Schnepf vorgelegten Eheordnung war aber Blarer nicht zufrieden. "Er hängt ganz von Brenz ab", 164 urteilte er darüber; denn sie war ihm zu abergläubisch, d.h. zu abhängig vom seitherigen Eherecht, und damit zu unbarmherzig gegenüber dem Elend der Menschen. Blarer hätte die flexiblere Eheordnung Bucers vorgezogen, und er war mit der württembergischen Ehegerichtspraxis nicht immer zufrieden.(39) Obwohl Blarer und Grynaeus mit dem Entwurf der Abendmahlsordnung beauftragt waren, wurde die Messe im Februar 1535 zuerst in Schnepfs Bereich abgeschafft, d.h. Schnepf hat hier vorgegriffen. Die Gründe dafür sind nicht bekannt. Vielleicht hat Blarer nicht rechtzeitig eine Ordnung vorgelegt. Blarer hatte zwar gegen die Stuttgarter Liturgie nicht viel einzuwenden, aber er hat sie auch nicht einfach übernommen. Damit aber entstand eine neue Differenz zwischen Schnepfs und Blarers Bereich. Das Gerücht von der Verschiedenheit der Zeremonien im Herzogtum breitete sich alsbald aus, und man gab Blarer die Schuld daran, mindestens zum Teil zu Unrecht. Frecht und Bucer mahnten Blarer scharf und dringend, auf die Einheit der Zeremonien bedacht zu sein. Vom 10. April 1535 datiert ein Bedenken der Räte in Stuttgart über diese Angelegenheit, das nicht versäumt, darauf hinzuweisen, daß viel Gutherzige in Blarers Gebiet dieselben Zeremonien wie in Stuttgart wünschten. Auf jener Zusammenkunft im Juni 1535 in Stuttgart, bei der über Ordnungs- und Besetzungsfragen verhandelt wurde, fiel Schnepf in seiner abrupten Weise sofort nach dem Gruß über Blarer her, "warum er die von ihm eingerichteten Zeremonien nicht einhalte". Die damals festgelegte Lösung ließ für Blarer offenbar einiges zu wünschen übrig, und er hielt sich nicht an sie. Denn im August mahnte Bucer erneut, Blarer solle die Tübinger mit den Stuttgarter Zeremonien abstimmen oder wenigstens Phrygio und Käuffelin, seine Tübinger Kollegen, auf sie verpflichten. Im März 1536 schickte Blarer seinem Bruder Thomas dann die württembergische Kirchenordnung. Er war zwar mit einigen "abergläubischen" Bestandteilen, besonders in der Abendmahlsliturgie, nicht ganz einverstanden, meinte aber, die oberdeutsche Seite könne zufrieden sein; denn zahllose Zusätze, die Brenz angeflickt hatte, seien wieder entfernt worden. Blarer war sich bewusst, viel erreicht zu haben, und sein Bruder gesteht ihm zu, dass die Kirchenordnung unpassender hätte ausfallen können. Es ist interessant, dass Blarers Beitrag zur württembergischen Kirchenordnung vorwiegend ein kritischer ist, und dass er sich damit begnügt hat.(40)

Zur gleichen Zeit wurde auch an die Abschaffung der Bilder herangegangen, die in Tübingen allerdings, später als in Stuttgart, erst im Oktober/November 1536 durchgeführt wurde. Das Vorgehen war hier so wenig einheitlich wie bei den Zeremonien. Schnepf wollte nur die ärgerlichen Bilder abschaffen und 165 stellte sie zum Teil nach dem Tag in Schmalkalden im Februar 1537 wieder auf. Blarer dagegen trat nach der oberdeutschen Konzeption für die völlige Abschaffung der Bilder ein. Auf einer Beratung im Herbst 1537 in Urach, dem sogenannten Götzentag, sollte eine einheitliche Lösung gesucht werden. Aber die oberdeutsche und die lutherische Meinung ließen sich nicht vereinigen. Die Theologen mussten die Entscheidung dem Herzog überlassen, der dann im Sinne Blarers entschied. Blarer hat geseufzt, daß er sich mit solchem Kindswerk abgeben müsse. Trotz seines Erfolgs hat der Götzentag Blarers Stellung weiter geschwächt; denn der lutherischen Gegenseite waren erneut die tiefen Differenzen bewusst geworden.(41)

Die Auseinandersetzung Blarers mit Schwenckfeld setzte sich auch in der Zeit des württembergischen Wirkens fort. Man hat geradezu das Schlüsselproblem von Blarers Tätigkeit in Württemberg in seinem Verhältnis zu Schwenckfeld gesehen. Schwenckfelds Schwäger Friedrich und Hans Conrad Thumb hatten einflussreiche Posten im Herzogtum inne. Schwenckfeld selbst hatte Blarers Agitation gegen ihn im Frühjahr 1534 nicht vergessen. Andererseits hatte Blarer ein gutes Verhältnis zu Friedrich Thumb gehabt, als er in Esslingen war, und Bucer rechnete ihn zu Blarers Freunden am Hof. Blarer selbst hat bis zum Frühjahr 1535 nichts gegen Schwenckfeld unternommen. Erst als ihn der Herzog im April im Zusammenhang mit dem von Knoder veranlassten Reskript gegen die Wiedertäufer nach seiner Meinung über Schwenckfeld fragte, nannte Blarer ihn einen schädlichen Mann und Trenner der christlichen Einigkeit. Blarer hatte damit ein heißes Eisen angerührt. Alsbald fragte der Erbmarschall Hans Konrad Thumb bei Capito, Zell, Bucer und Blarer an, was sie gegen Schwenckfeld hätten. Blarer begründete seine Meinung ausführlich: Schwenckfeld sei zwar ein frommer Mann, aber seine Lehre sei schädlich. Er wolle aber, was Schwenckfeld anbetreffe, unbeschwert sein. Hinter Thumbs Anfrage stand Schwenckfeld selbst. Das zeigen die Briefe im Corpus Schwenckfeldianorum. Dieser wollte ein Religionsgespräch gegen Blarer führen. Er sah in Blarer nur den Gefangenen Bucers, hielt Grynaeus dagegen für unparteiisch. Von Blarers und Bucers Lehre hielt er nichts.

Schwenckfeld erreichte es tatsächlich, daß am 28. Mai 1535 in Tübingen ein Religionsgespräch mindestens offiziösen Charakters stattfand mit dem Obervogt Harter und Grynaeus als Vorsitzenden und Blarer, jedoch neben ihm auch Bucer und Frecht, als seinen Gesprächspartnern. Ohne den großen Einfluss Schwenckfelds am Hof ist weder das Zustandekommen noch das Ergebnis des Gesprächs zu erklären. Dieses sollte nach dem Willen des Herzogs ein Vergleich sein. Obwohl es weder bei der Kindertaufe, noch beim Abendmahl, 166 noch beim Amt, noch bei der Christologie eine Verständigung gab, wurde festgelegt, dass Schwenckfeld von den Predigern nicht mehr angegriffen werden sollte, und dass er seinerseits die Prediger nicht in ihrem Amt schmähen sollte. Schwenckfeld wusste sich von da an sehr geschickt der sogenannten Tübinger Konkordie in Schwaben zu bedienen.

Blarer hat sich korrekt an die Tübinger Abmachungen gehalten und sich später gewundert, dass Bucer, entgegen diesen Abmachungen, Schwenckfeld wieder angriff. Er scheint auch zu Friedrich Thumb weiterhin ein gutes Verhältnis gehabt zu haben. Somit kann die spätere Behauptung Bucers, die dann auch in die Literatur übergegangen ist, die schwenckfeldische Partei hätte Blarers Entlassung herbeigeführt, nur sehr zum Teil richtig sein. Die Gründe dafür lagen anderswo.(42)

Blarers Entlassung

Es ist gezeigt worden, wie sich fast auf allen Gebieten von Blarers Wirken seit dem 1. April 1535 Schwierigkeiten gegenüber der lutherischen Seite bemerkbar machten. Zum Ärger der andern behandelte der Herzog Blarer auf der Zusammenkunft in Stuttgart im Juni 1535 freundlich. Schon damals bat Bucer Blarer, für eine solide Verfassung der Kirche seines Sprengels zu sorgen; denn der Hass gegen ihn breite sich aus, und eine gefährliche Partei erhebe sich. Im August 1535 wurde er noch deutlicher: Eine Partei schiebe Blarer alle Schuld an den Missständen seines Sprengels zu, er werde als "unbrauchbar und wenig wachsam" verklagt, und Bucer sieht darin den ersten Schritt zur Verdrängung Blarers. Er solle sich in Acht nehmen. Er galt als ungeeignet für die Universität, seine Besetzungspolitik und die Haltung in der Zeremonienfrage machte man ihm zum Vorwurf. Dass der Tübinger Vogt Harter vor Dietrich von Plieningen und anderen Hofbeamten der lutherischen Seite geäußert hatte, "Luther habe den Teufel", wurde gleichfalls Blarer, der in Harters Haus wohnte, zur Last gelegt. Im Oktober 1536 hört man zum ersten Mal, dass am Hof Blarers Entfernung betrieben werde. Der Herzog sei jetzt willens, die zwinglische Meinung auszurotten, für die ihn Blarer früher eingenommen habe. Es sei Schnepf ein Entgegenkommen gegenüber Blarer vom Herzog verübelt worden, und der Herzog habe Melanchthon geschworen, nie das lutherische Lager zu verlassen. Man wird die Abwendung des Herzogs von Blarer mit dem Besuch Melanchthons in Württemberg in Verbindung bringen müssen. Dieser forderte damals Brenz auf, um des Heils der Kirche willen nach Tübingen zu kommen. Man habe in der Tübinger Gegend einen Abscheu vor dem Zwinglianismus. Musculus 167 in Augsburg spricht im November von der Agitation Melanchthons gegen Blarers Arbeit. Ähnliches nahm man in Esslingen an. Blarer selbst hat dem widersprochen. Er habe mit Melanchthon in Tübingen gut zusammengearbeitet und ein freundliches Verhältnis zu ihm gehabt. Dass Melanchthon falsch sei, wollte er nicht glauben. Er wusste auch nichts von einer Ungnade des Herzogs gegen ihn. Aber die Dinge lagen mindestens nicht so einfach, wie Blarer annahm. Dass die lutherische Seite damals wieder einen Vorstoß gegen Blarer unternommen hat, ist ziemlich eindeutig.(43)

Die Berufung, die Blarer im Februar 1538 nach Augsburg erhielt, hat er mit der Begründung abgelehnt, dass seine Tätigkeit in Württemberg bisher von Nutzen gewesen sei. Noch sei das Land nicht zur Hälfte visitiert, und ohne ihn würden die oberdeutschen Pfarrer verdrängt und über das Abendmahl gröber und fleischlicher gelehrt werden als bisher. Er wollte bleiben, um den oberdeutschen Charakter der württembergischen Reformation zu erhalten; denn nach ihm würde ein Lutheraner sein Amt einnehmen. Er blieb, obwohl jeder andere Dienst für ihn ersprießlicher und leichter gewesen wäre und die Last seines Amtes, wie er es immer wieder betont hat, fast untragbar war und nicht zu vergleichen mit den Aufgaben in den Städten. Ob er beim Herzog in Gnade oder Ungnade stand, wusste er selbst nicht. Aber den Abschied von sich aus zu nehmen, konnte er nicht verantworten. Kurz darauf erfährt man von einer Blarer vom Herzog oder andern widerfahrenen Schmach, ohne dass gesagt wird, worin diese bestand. Dann erfolgte, ohne dass die genauen Umstände bekannt sind, am 30. Mai die Entlassung Blarers in der Weise, dass ihm die Rentkammerräte 200 fl. als Abzahlung schickten zu seiner "ab- und hinwegfertigung".(44)

Blarer antwortete darauf in jenem würdigen Abschiedsbrief an Herzog Ulrich vom Ende Mai 1538. Er legte dar, dass jene Abzahlung nicht einmal das Kostgeld bei seinem Wirt Harter decke. Er habe außerdem von seinem Vermögen zugesetzt, um Geld für die Armen zu haben. Außerdem konnte er darauf verweisen, dass ihm, entgegen der Zusage, nicht das gleiche Gehalt wie Schnepf gereicht werde, sondern daß er statt 200 fl. nur 80 fl. im Jahr erhalten habe. Man darf die schäbige Entlohnung Blarers sicher nicht überbewerten. Ähnliches ist ihm auch früher in den Städten widerfahren. Blarer war sich keiner Verfehlung bewusst. Er hat seine Entlassung angenommen aber zugleich auf die Machenschaften gegen ihn hingewiesen und versucht das nunmehr drohende Vorgehen gegen die ober deutschen und schweizerischen Pfarrer abzuwenden. Er hat darum um einen gnädigen Abschied gebeten, damit nicht andere die Folgen tragen müssten. Außerdem wollte er mit einer 168 gnädigen Botschaft wieder an den Konstanzer Rat abgefertigt sein. Herzog Ulrich hat auf diesen Brief nie geantwortet. Die finanzielle Schuld, in der er Blarer gegenüber stand, hat erst später Herzog Christoph beglichen. Blarer aber ist um seines Werkes willen dabei geblieben, dass der Herzog ihn gnädig entlassen habe.(45)

Mit der Entlassung Blarers aus Württemberg zeigte es sich, dass das Nebeneinander von oberdeutscher und lutherischer Theologie auf die Dauer unmöglich war. Die Verhältnisse am württembergischen Hof, die politischen Verhältnisse im Schmalkaldischen Bund, die Entwicklung der Zeit überhaupt standen dem entgegen. Das Wirken Blarers in Schwaben in der Einheit seiner Bedingungen und seiner Konzeption blieb Episode. Man wird nicht sagen dürfen, Blarer sei seiner Aufgabe nicht gewachsen gewesen.(46) Das trifft allenfalls auf Teilgebiete seines Wirkens zu. Die Aufgabe, die ihm gestellt war, konnte nur eine vermittelnde Persönlichkeit ausfüllen, die es dennoch fertig brachte, sich treu zu bleiben. Blarer hat das vermocht. Er ist "ein echter Konstanzer"(47) anders als Bucer, ganz und gar beständig in seiner oberdeutschen Konzeption geblieben, auch dann noch, als diese zum Scheitern verurteilt war. Dieser Treue gegenüber sich selbst und seinem Wirken kann man den Respekt auch dann nicht versagen, wenn man die innere Unmöglichkeit von Blarers Position erkennt oder die lutherische Abendmahlslehre für tiefer als die der Oberdeutschen hält.

Die Bedeutung Blarers für die Geschichte der schwäbischen Kirchen liegt einmal in der mühsamen und hingebenden Aufbauarbeit, die er geleistet hat, die mit das bewirkte, dass diese Kirchen den Sturm des Schmalkaldischen Krieges und des nachfolgenden Interims bestehen konnten. Wesentlicher aber ist etwas anderes. Blarer ist zwar mit seiner eigenen Konzeption nicht durchgedrungen, aber die lutherischen Kirchen Schwabens haben den oberdeutschen Charakter, den sie von ihm erhalten haben, auch nie mehr verleugnen können. Es blieb eine offene Tür zum reformierten Protestantismus. Vielleicht sind wir heute wieder in der Lage, die Möglichkeit und die Aufgabe, die hier in unserer Geschichte liegt, wahrzunehmen. Das würde konkret heißen, dass die Protestanten sich heute allen Ernstes wieder um ein gemeinsames Reden über das Abendmahl bemühen, wie es damals die Stuttgarter Konkordie wollte und heute die Leuenberger Konkordie suchen.

Man hat Blarer den Apostel der schwäbischen Kirchen genannt. Er war es, was das Pflanzen anbetrifft, und wir sind nicht aus der Verpflichtung des Erbes entlassen, das er uns hinterlassen hat.

7: Nachtrag

Da sich dieser Beitrag ganz auf die Wirksamkeit Blarers in Württemberg konzentriert, sollen kurz die Lebensdaten nachgetragen werden:

Blarer wurde wohl am 4. April 1492 als Sohn einer Patrizierfamilie in der freien Reichsstadt Konstanz geboren. Erst mit seiner Immatrikulation am 17. Januar 1505 an der Universität Tübingen wird Blarer wieder greifbar. Nach seinem Eintritt in das Benediktinerkloster Alpirsbach setzte er seine Studien in Tübingen fort und wurde 1512 zum Magister promoviert. Er zählte zu einem Kreis humanistisch interessierter Studenten um Philipp Melanchthon, dem auch Alber angehörte. Nach seiner Rückkehr ins Kloster wurde Blarer rasch Lektor und Verweser der Pfarrei. Spätestens 1521 zum Prior aufgestiegen verließ Blarer bereits im folgenden Jahr das Kloster und wirkte ab 1525 in Konstanz als Prediger. Gemeinsam mit seinem Bruder Thomas 1499-1570 war er maßgeblich an der Einführung der Reformation in seiner Heimatstadt beteiligt. Zwischen 1528 und 1540 war er auf zahlreichen Reisen bei der Reformation oberdeutscher Reichsstädte beteiligt.

Nach seinem Abschied aus Württemberg kehrte Blarer nach Konstanz zurück, musste die Stadt jedoch im Gefolge des Interims 1548 verlassen und fand in der Eidgenossenschaft Aufnahme: von 1551 bis 1559 war er Pfarrer in der Stadt Biel. Am 6. Dezember 1564 verstarb Blarer in Winterthur. S.H.

Aktualisiert am: 19.03.2018

Johannes Brenz: Stiftspropst, Prediger, Reformator Württembergs und Rat Herzog Christophs

Von: Brecht, Martin

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Zur Person
  2. 2: Die Stellung des Stiftspropsts
  3. 3: Das Ordnungswerk
  4. 4: Die Aufgaben des leitenden Theologen
  5. 5: Das Testament und Vermächtnis des Propsts
  6. Anhang

1: Zur Person

Johannes Brenz (1499-1570), Ausschnitt aus dem Epitaph von Jonathan Sauter in der Stuttgarter Stiftskirche, 1584

Johannes Brenz ist unter den Reformatoren ein vergleichsweise langes Leben von 71 Jahren 1499-1570 beschieden gewesen, Zeit genug für ein reiches Lebenswerk.(1) Mit dem Herzogtum Württemberg hatte er von Hause aus nichts zu tun, war er doch der Sohn des Schultheißen der Reichsstadt Weil der Stadt und hatte nicht in Tübingen, sondern in Heidelberg studiert. Dort hat ihn nicht nur der Humanismus geprägt, dort ist es 1518 bei der Heidelberger Disputation anlässlich des Kapitels der observanten Augustinereremiten auch zu der für einige spätere südwestdeutsche Reformatoren entscheidenden Begegnungen mit Martin Luther 1483-1546 gekommen. Schon 1522 erlangte Brenz ein festes Amt als Prediger - nicht Pfarrer, das war sein Freund Johannes Isenmann ca. 1495-1574 - an der Michelskirche in Schwäbisch Hall, das er mehr als 25 Jahre versah, bis er wegen des Interim und der Verfolgung durch den Kaiser aus der Stadt weichen musste.

Auch wenn man die Möglichkeiten der städtischen Prediger nicht unterschätzen darf, war der Wirkungskreis in Schwäbisch Hall begrenzt. Und doch ist Brenz schon sozusagen als Mann der ersten Stunde zu einem der bedeutenderen Reformatoren des Luthertums geworden. Gelegenheit dazu gaben die Herausforderungen, denen er sich zu stellen hatte. Im Bauernkrieg 1525 beharrte er auf dem gebotenen Gehorsam gegen die Obrigkeit, aber er mahnte auch die fälligen sozialen Reformen der Herrschenden an und widersprach später der drakonischen Unterdrückung der besiegten Bauern. Im selben Jahr stellte er sich an der Spitze einiger befreundeter fränkischer Pfarrer der symbolischen Deutung des Abendmahls durch Ulrich Zwingli 1484-1531 seinen Lehrer Johannes Oekolampad 1482-1531 und seinen Freund Martin Bucer 1491-1551 entgegen. Der biblische Wortlaut ließ auch nach der Auffassung von Brenz solche Interpretationskünste von 'ist' zu 'bedeutet' nicht zu. Von jetzt an kannte man Brenz als einen der Gefolgsmänner der lutherischen Reformation. Hohe und dauerhafte Schätzung genossen zudem seine ursprünglich aus den Haller Wochenpredigten erwachsenen Auslegungen biblischer Schriften. Die exponierten Pfarrer und Prediger der frühen Reformationszeit mussten kreative Generalisten sein, die auf den verschiedensten Gebieten neue und zugleich prinzipientreue Problemlösungen anzubieten vermochten. Sie wurden um ihren Rat gefragt in für die Evangelischen prekären politischen Situationen. Ihre Gutachten wurden von nah und fern erbeten. Darunter finden sich auch Stellungnahmen, die Meilensteine in der Praxis von Recht und Politik darstellen. Die evangelischen Geistlichen mussten lavierende Politiker bei der Stange halten. Dafür bedurfte es der Festigkeit wie der Verbindlichkeit gleichermaßen. Es war einer der großen Vorzüge von Brenz, dass er beide Eigenschaften besaß. Es galt neue Rechtsnormen zu entwickeln, z.B. im Ehe- oder im Ketzerrecht. Man brauchte die ausgewiesenen evangelischen Theologen bei den interkonfessionellen Verhandlungen auf dem Parkett von Reichstagen und Religionsgesprächen und damit erlangten diese Experten auch auf den politischen Etagen Bekanntheit. Ausdrücklich zu erwähnen ist, dass Brenz 1530 auf dem Augsburger Reichstag zu den Vätern und Verteidigern der Confessio Augustana, des evangelischen Hauptbekenntnisses, gehörte. Mehr als jemals sonst bedurfte es ferner der Architekten neuer Ordnungen für die Kirche. Schnell war Brenzens Begabung auf diesem Gebiet in Hall, in den Reichstädten, bei den benachbarten Rittern und nicht zuletzt in der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach gefragt. Zu diesem Anforderungskatalog gehörten auch neue Medien für die christliche Unterweisung der Jugend, ein Fragen- und Antwortbüchlein oder Katechismus. Das Endresultat von Brenz war der erfolgreichste Katechismus im Luthertum nach dem Luthers und in Württemberg jahrhundertelang im Gebrauch. Insgesamt hatte Brenz in seiner Haller Zeit so viel geleistet, dass "der Prediger" oder "Ecclesiast von Schwäbisch Hall" den Vergleich mit anderen süddeutschen Reformatoren keinesfalls zu scheuen brauchte. Wie nicht anders zu erwarten, erhielt Brenz mehrfach Berufungen in größere Ämter, ohne sie allerdings anzunehmen.

Die Beziehungen von Brenz zum Herzogtum Württemberg wurden bereits mit der Einführung der Reformation 1534/1535 geknüpft. Zwar schien der profilierte Lutheraner Brenz in dem zwischen der lutherischen und der schweizerischen Einflusssphäre befindlichen Württemberg nicht der geeignete Reformator zu sein, aber als Ratgeber in Organisations- und Ordnungsfragen wurde er mehrfach geholt und konnte bereits bis hinein in den personellen Bereich entscheidende Weichen stellen. Herzog Ulrich 1487/1498-1550 war es dann auch, der unter eigenen riskanten Umständen den vom Kaiser Verfolgten 1548 zeitweilig versteckte.

Am 6. November 1550 starb Herzog Ulrich. Ihm folgte sein Sohn, der 35jährige Herzog Christoph 1515/1550-1568 den in seinen religiösen Anschauungen als evangelischer Fürst der damals eben erschienene und durchaus aktuelle Jesaiakommentar von Brenz nachhaltig geprägt haben dürfte, ließ er sich doch dieses Werk später in den Sarg mitgeben. Christoph hatte mehr politischen Spielraum als sein vom Makel des Aufruhrs gegen den Kaiser stigmatisierter Vater. Aber er musste auch zusehen, wie er die politische Knebelung durch die Habsburger und die kirchliche durch das 1548 vom Kaiser verordnete, die Rekatholisierung intendierende Interim los wurde. Christoph zog alsbald Brenz als seinen wichtigsten kirchlichen Ratgeber heran. Dieser konzipierte 1551 die Confessio Virtembergica, das Bekenntnis, das der Herzog 1552 dem Konzil von Trient vorlegen ließ und das in den folgenden Jahren neben der Confessio Augustana und als deren Repetition zum eigentlichen Landesbekenntnis des lutherischen Herzogtums wurde. An der Spitze der württembergischen Theologendelegation in Trient stand bereits Brenz. Er schrieb in den kommenden Jahren auch die erste, umfängliche Verteidigung des Bekenntnisses gegen den Dillinger Dominikaner Petrus a Soto 1494-1569 Schon 1551 hatte Brenz mit der zunächst lateinischen, aber alsbald auch ins Deutsche übersetzten Explicatio Erklärung seines Katechismus ein weiteres theologisches Grundlagenwerk geschaffen. Die Konzilsbeschickung und der für die Protestanten günstige Passauer Vertrag im selben Jahr eröffneten Christoph dann die Möglichkeit, das Interim abzuschaffen und eine umfassende kirchliche Neuordnung anzugehen. An die Spitze dieses weiten Tätigkeitsbereichs stellte der Herzog Brenz, der damit eine bedeutendere Stellung erhielt, als er sie je zuvor innegehabt hatte.

2: Die Stellung des Stiftspropsts

Die Belehnungsurkunde für die Anstellung als Stiftspropst ist noch vorhanden.(2) Sie wurde erst am 24. September 1554 ausgestellt, besagt aber selbst, Brenz sei schon am 10. Januar 1553 ernannt worden. Nach den Ortsangaben in den Briefen von Brenz zu schließen, hielt er sich bis in den den Sommer 1553 noch in Tübingen auf. Die neuen Einkünfte sollten ihm ab Pfingsten 13. Mai 1554 gereicht werden. Erst vom September 1553 wird er ständig in Stuttgart fassbar. Mit diesem Monat hat er auch seine Reihenpredigten über die Genesis aufgenommen. Erstmals unterschreibt er am 10. September 1554 ein Gutachten für den Herzog mit seinem neuen Titel. Die Stelle des Stiftspropstes war durch den Tod des früheren Amtsinhabers, Jacob von Westerstetten, freigeworden. Man muss sich klarmachen, daß die Stuttgarter Stiftskirche zwar die Hauptkirche der Hauptstadt war mit der alten Grablege der Dynastie, aber für die kirchliche Organisation des Landes hatte sie bisher keine herausragende Rolle gespielt und das Stift ließ sich auch kaum mit den großen Landesklöstern vergleichen. Dass der Stiftspropst nunmehr als erster Geistlicher des Herzogtums herausgestellt wurde, war die Entscheidung des Herzogs, mit dem früheren Episkopalsystem zugunsten eines Landeskirchentums zu brechen. Die Ernennung erfolgte demgemäß durch den Herzog unter Berufung auf dessen Patronatsrecht, nach dem er einen Kandidaten präsentieren konnte. Sonstige kirchliche Instanzen waren dabei nicht eingeschaltet. Der Herzog operierte praktisch aufgrund des schon bestehenden landesherrlichen Kirchenregiments. Brenz wird als gelehrt, geschickt und qualifiziert für das Amt bezeichnet.

Die Stiftskirche war jedoch nicht allein eine Eigenkirche des Herzogs. Mit dem Amt des Stiftspropstes war das Pfarramt "uber die gantze kurchen zu Stutgarten" - von der Leonhardskirche ist hier merkwüdigerweise nicht die Rede - , das der Propst mit zwei von ihm zu bezahlenden "Helfern" zu versehen hatte. Brenz war also jedenfalls nominell zugleich der erste Stuttgarter Pfarrer. Der Herzog hielt die Unterhaltung der Helfer für Brenz für beschwerlich, ließ sie darum direkt aus dem Stiftsvermögen bezahlen und legte das Einkommen von Brenz gesondert fest: 300 Gulden, dazu als Naturallieferung bestimmte Mengen an Roggen, Dinkel, Hafer, Gerste, Erbsen und Linsen, 3 Fuder Wein, alles ausdrücklich in guter Qualität, ferner Heu Stroh und 30 Klafter (auf eigene Kosten zu fällendes) Holz. Zu den Einkünften gehörte auch die Wohnung in der Propstei, Stiftstraße 5. Diese Einkünfte sollten bis ein Quartal nach dem Tod von Brenz gereicht werden.(3)

Brenz wurde vom Herzog jedoch nicht allein als Propst und Pfarrer angestellt, sondern daneben von vornherein auch lebenslänglich als Rat in Geschäften des Herzogs und der Kirche. Herzog Christoph kannte offensichtlich die besondere Begabung von Brenz als Glied eines leitenden Gremiums. Dafür wurden ihm als besondere, vom Stift (!) zu reichende Besoldung weitere 140 Gulden und zusätzliche beträchtliche Naturalien sowie zwei Hofkleider ausgesetzt Schließlich wurde er von Abgaben und Steuern freigestellt. Innerhalb der Kirche genoss Brenz nunmehr insgesamt eine Spitzenbesoldung, zu denen noch ein bescheidenes Vermögen in Schwäbisch Hall - 1553 hatte er dort 650 Gulden zu versteuern - hinzukam.(4) Der radikale Pietist Gottfried Arnold 1666-1714 hat sich in seiner Unparttheyische(n) Kirchen- und Ketzerhistorie über das politische Amt von Brenz mokiert(5), was dann von den württembergischen Apologeten von Brenz in der Württembergische(n) Unschuld des SuperintendentenCarolus entrüstet zurückgewiesen worden ist.(6) Unbestreitbar hat Arnold eine strukturelle Problematik wahrgenommen, die wesentlich zu der von Brenz wahrzunehmenden Funktion gehört. Ob der Kritiker ihr dabei ganz gerecht geworden ist, steht dahin. Dass Herzog Christoph seinem neuen Stiftspropst eine zentrale Rolle beim planvollen Ausbau der Landeskirche und damit des württembergischen Staatswesens überhaupt zugedacht hatte, wird sogleich darzulegen sein. Dass die Beziehung von Landesherr und führenden Theologen wohl über das bloß Dienstliche hinausging, deutet sich gelegentlich an. Jedenfalls schenkte Herzog Christoph Brenz bereits 1554 wenige Tage nach der Ernennung aus kirchlichen Pfründen einen Grundbesitz in Bulach im Schwarzwald, wo sich Brenz später auch gern und regelmäßig aufhielt.(7) 1561 konnte er ein weiteres Gut bei Bulach vom Herzog erwerben, das auch als Zukunftssicherung für die nach der zweiten Heirat noch junge Familie vorgesehen war.

Wie gesagt, war Brenz als Propst auch der Inhaber des Pfarramts an der Sitftskirche. Man wird annehmen müssen, dass er infolge anderer Beanspruchungen oder der nicht seltenen Abwesenheiten vieles von den laufenden pfarramtlichen Geschäften den erwähnten Helfern überlassen mußte und konnte. Während von seinen Stuttgarter Sonntagspredigten nur wenige noch nachweisbar sind, lässt sich belegen, dass Brenz sehr kontinuierlich Wochenpredigten, in denen fortlaufend einzelne biblische Bücher ausgelegt worden sind, gehalten hat. Diese Predigten waren bisweilen nur mäßig besucht. Brenz nahm es gelassen und selbstbewusst hin: "Die Brunnen geben auch Wasser, wenn keiner daraus trinkt." Aus den Wochenpredigten sind die Auslegungen von Genesis bis Josua (außer dem früher ausgelegten Leviticus), dazu die des Matthäus- und des Markusevangeliums entstanden.(8) Von 1568 an war der alte Brenz von seinem Predigtamt befreit. Den Stuttgarter Predigten lassen sich auch noch manche konkreten Anspielungen entnehmen.(9) Sogleich die erste ging auf die Übung des wöchentlichen Bet- und Bußtages ein. Der Sündenkatalog ist beträchtlich, aber vielleicht eher topisch als bereits der eigenen Erfahrung entnommen, die der neue Propst eigentlich gar nicht haben konnte: Abgötterei, Aberglauben, Gottlosigkeit, Fluchen und Schwören, ungenierte Trunkenheit, Unzucht als Scherz, Betrug im Handel, Verachtung von Gottes Wort. Brenz wollte sich jedoch nicht in der Gesetzlichkeit erschöpfen; wegen der Messiasverheißungen nannte er die Genesis einen liber euangelicissimus, ein ganz evangelisches Buch. Immer wieder wurde die Abgrenzung zu den Altgläubigen scharf markiert. Weil er das Fegfeuer als Zwischenzustand der Seelen der Verstorbenen nicht glaubte, hielt er auch nichts von angeblichen Poltergeistern. Auch gegen den Hexenglauben hat sich der alte Brenz prinzipiell gewandt, weil Gott die Geschicke in Händen hat. Die Bestrafung magischer Machenschaften schloss er deswegen jedoch nicht völlig aus

Brenz musste selbstverständlich dagegen sein, dass die Stuttgarter Jugend lieber zum Tanzen als zum Katechismusunterrricht ging, zumal er die groben Tanzsitten der Zeit ohnehin ablehnte. Scharf wandte er sich gegen die Trunksucht, die den Menschen für seine gesellschaftlichen Aufgaben untauglich mache und als Ursache mancher Sünde betrachtet wird. Die Auffassung von der Fürsorgepflicht der Obrigkeit für die Kirche, einer der Pfeiler der Ordnungsvorstellungen von Brenz, wurde von ihm auch von der Kanzel aus propagiert. Den Wiedertäufern wurde ihre Ablehnung der Obrigkeit, des Eides und natürlich der Kindertaufe zum Vorwurf gemacht.

Neben seinem pastoralen Amt ist Brenz zusammen mit dem Landhofmeister als höchstem weltlichem Beamten "die Superintendentz und Inspection" im sog. Kirchenrat, der für die Verwaltung der Kirche zuständigen Landesbehörde, zugewachsen. Im sich herausbildenden württembergischen Staatskirchentum war der Kirchenrat neben dem weltlichen Oberrat und der für die Finanzen zuständigen Rentkammer eine der Landesbehörden. Die kirchliche Verwaltung wurde zum Teil auch von weltlichen Beamten wahrgenommen und der weltliche Landhofmeister war eine der Spitzen des Kirchenrats. Aber mit Brenz als seinem Pendant war zunächst einmal für die Interessen der Kirche gesorgt. An gewichtigen Entscheidungen war er zu beteiligen. In der Tat ist Brenz von 1553 an vollends zu einem der maßgeblichen Architekten der württembergischen Kirchenordnung geworden.

3: Das Ordnungswerk

Das nach dem Interim wiederhergestellte evangelische Kirchenwesen bekam rasch, nämlich noch 1553, die sog. Kleine Kirchenordnung, wie es mit der Leere und Ceremonien im Fürstenthumb Wirtemberg angericht und gehalten werden soll. Lehrnorm waren die Confessio Augustana und (sozusagen als ihre Wiederholung) die Confessio Virtembergica. Es folgen sodann die Erläuterung der Taufe mit Abgrenzung gegen die Wiedertäufer und die Taufordnung, der Katechismus von Brenz, Buße und Absolution, die Ordnung des Nachtmahls, die kirchlichen Gebete, Kirchengesang (noch ohne Gesangbuch), Kirchenkleidung (mit Chorrock), die Ordnung der Feiertage, (erst jetzt) die (seit 1535 praktizierte) überaus schlichte Ordnung des Predigtgottesdienstes, die Trauungsordnung, Krankenbesuch und -kommunion und schließlich die Begräbnisordnung.

An der Entwicklung des württembergischen Systems der Kirchenleitung ist Brenz vielleicht schon 1551, mit Sicherheit jedoch 1553 zumindest entscheidend beteiligt gewesen. Er setzte dabei nicht auf zu wählende Dekane und Kapitelsynoden wie bisher, sondern in Fortentwicklung lutherischer Modelle auf Superintendenten und deren mehrfache Visitationen in ihren Bezirken im Jahr, wobei die sog. Spezialsuperintendenten ihrerseits von den insgesamt vier Generalsuperintendenten visitiert wurden. Die Generalsuperintendenten traten mit dem Kirchenrat zum Synodus - wohlgemerkt kein gewähltes oder repräsentatives Gremium - zusammen, der die Visitationsberichte auswertete und dann die entsprechenden Entscheidungen traf. Die Visitation vor Ort und die Entscheidung durch die Zentralbehörde waren, vom gewählten System aus betrachtet, ideal miteinander verbunden, und deshalb wurde nachher auch jahrhundertelang daran festgehalten. Das System der Beaufsichtigung von oben funktionierte so gut, dass es sogar auf die weltliche Verwaltung übertragen wurde. Schnell stellte sich jedoch das ohnedies für die Reformation schwer zu bewältigende Problem, ob man mit solcher weisungsgebenden Zentralisierung den Bedürfnissen der Seelsorge und der Kirchenzucht in den Gemeinden Genüge tun konnte.(10)

Den Gemeinden hatte Brenz ohnedies kaum Rechte und Selbständigkeit belassen. Pfarrwahlen waren nicht vorgesehen. Brenz hatte seit dem Bauernkrieg die Auffassung vertreten, wenn die Obrigkeit (!) einen geeigneten Kandidaten vorschlage, was sie z.B. als Patron schon längst praktizierte, habe die Gemeinde nichts einzuwenden. Bekanntlich sind jedoch Ablehnungen nur schwer triftig zu begründen. Auch wenn einem die Relativität und begrenzte Kompetenz von Pfarrwahlen bewusst ist und auch wenn man die schon von den Prüfungen herrührende eigentliche Personalkenntnis sowie übergeordnete Gesichtspunkte bei Personalentscheidungen anerkennt, muss man eingestehen, dass das Besetzungsrecht einseitig der Behörde zugefallen war.

Die Entmündigung der Gemeinden bestand gleichfalls im Bereich der Kirchenzucht. Dabei muss man sich klarmachen, dass eine eigene kirchliche Gerichtsbarkeit weder bei den politischen Instanzen noch in der Gesellschaft beliebt war. Die Kirche konnte jedoch um der Reinheit der Gemeinden willen offenkundige Sünder nicht zum Abendmahl oder als Paten zulassen. Sie musste deswegen auch gegen Trunkenbolde, Flucher usw. vorgehen, auch wenn solche Leute für die weltliche Justiz gar nicht auffällig waren. Ursprünglich hatte man diese Sittenaufsicht den Amtleuten überlassen, aber das funktionierte nicht. Eine presbyteriales Gremium gab es bei den Lutheranern nicht. Brenz war auch dagegen, die denkbare Zulassung oder Abweisung von Sündern den Pfarrern zu überlassen. Sie sollten die betreffenden Personen nach oben melden und dort, fern von der Basis (!), sollte entschieden werden. Bereits 1554 musste der Stiftspropst dem Herzog einen strittigen Fall unterbreiten.(11) Beeinflußt von calvinistisch-presbyterialen Vorstellungen hatte der Nürtinger Pfarrer Caspar Lyser 1526-1555 unter Berufung auf die Gemeindeordnung Mt 18 ein Exkommunikationsrecht auf Gemeindeebene gefordert. Brenz lehnte dies mit dem fadenscheinigen Argument ab, es müsse alles ordentlich zugehen. Die Kompetenz über Lehre, Sakramentsverwaltung und Gemeindeaufsicht, also auch über den Ausschluss vom Abendmahl stehe dem Gremium aus Generalsuperintendenten und Kirchenrat zu. Er wollte nicht einsehen, dass damit das System einen Fehler hatte und suchte die Schuld bei den weltlichen Beamten oder den Pfarrern. Brenz wollte großzügig und erstaunlich nachsichtig lieber eine Beeinträchtigung der Heiligkeit der Gemeinde in Kauf nehmen als eine neuerliche Klerikerherrschaft in der Kirche aufgerichtet wissen. Dementsprechend wurde vom Herzog entschieden. Auch der mit Lyser sympathisierende junge Jakob Andreae 1528-1590 der rasch im kirchlichen Dienst aufgestiegen war, konnte lediglich erreichen, daß den Pfarrer ein schwaches Abmahnungsrecht vom Abendmahl gegenüber offenbaren Sündern eingeräumt wurde, um einen Empfang des Sakraments zum Gericht zu vermeiden. Es konnte eigentlich nicht anders sein, als dass das Problem der Kirchenzucht in den folgenden Jahren immer wieder virulent wurde. Auch der Herzog wurde inne, dass es eigentlich einer gemeindeeigenen Kirchenzuchtinstanz bedurfte, ließ sich von seinen Ratgebern dann doch wieder davon abbringen, weil dies gesellschaftlich nicht realisierbar sei. Eine Korrektur des Systems erfolgte nicht. Man gab sich dem funktionierenden Beaufsichtigungsapparat zufrieden und nahm die damit nicht zu bewältigenden Unzulänglichkeiten auf Gemeindeebene hin.

Als weitere Ordnungsleistung lässt sich Brenz die konstruktive Verwendung der bisherigen großen Mannsklöster zuschreiben. Die Reformatoren waren der übereinstimmenden Meinung, die Klöster seien ursprünglich Schulen und Stätten der Schriftauslegung gewesen. Brenz hatte schon 1529 entsprechende Reformvorschläge für das ansbachische Kloster Heilsbronn gemacht. Auf ihn geht wohl auch die württembergische Klosterordnung von 1556 zurück, die die Klöster in auf die Universität vorbereitende Lateinschulen verwandelte, wobei die Stellen der Prälaten an ihrer Spitze samt der damit verbundenen Zugehörigkeit zum Landtag erhalten blieben und verdienten evangelischen Geistlichen eingeräumt wurden. Zum Teil wurden damit auch die Generalsuperintendenturen verbunden. In den Klosterschulen wurden Elemente eines monastischen Lebens weiterhin praktiziert. Die Klosterschüler waren faktisch Stipendiaten, finanziert aus dem Klostergut. In Verbindung mit dem Herzoglichen Stipendium in Tübingen war damit für die Finanzierung der Ausbildung des kirchlichen Nachwuchses großzügig, effizient und meist besser als anderswo gesorgt. Mit diesen personellen Ressourcen ließ sich alsbald erfolgreiche lutherische Konfessionspolitik machen. Das Bildungssystem hat sich auch nachhaltig auf die sich ausbildende lutherisch-ständische Gesellschaft des Herzogtums ausgewirkt. Wie sehr Brenz an der Entwicklung der Klosterschulen persönlich lag, erkennt man noch daraus, dass er deren Visitation, die selbstverständlich auch in diesem Bereich praktiziert wurde, zu seiner eigenen Aufgabe machte. Dafür gibt es noch ein literarisches Denkmal. Bei seinen Visitationen pflegte Brenz jeweils einen Psalm auszulegen. Dies hatte eine Beziehung zu dem in den Klöstern weiterhin geübten Psalmengesang, zu dem jedoch nach reformatorischer Auffassung unabdingbar die Auslegung gehörte. Von 1565 an ist die solide, kaum aktualisierende, gelegentlich aus der Kirchengeschichte illustrierende und manchmal auch trockene Auslegung dieser Psalmen im Druck erschienen, mit der Brenz immerhin bis zu Ps 107 gekommen ist.

Binnen vergleichsweise weniger Jahre war das kirchliche Ordnungswerk 1559 vollendet und wurde nunmehr nochmals insgesamt in einem stattlichen Band publiziert mit dem Titel Von Gottes gnaden unser Christoffs Hertzogen zuo Würtemberg und zuo Teckh / Graven zu Mümpelgart / etc. Summarischer und einfältiger Begriff / wie es mit der Lehre und Ceremonien in den Kirchen unsers Fürstenthumbs / auch derselben Kirchen anhangenden Sachen und Verrichtungen bisher geübt und gebraucht / auch fürohin mit verleihung Göttlicher gnaden gehalten und volzogen werden solle, häufig auch als württembergische Große Kirchenordnung bezeichnet. Genau besehen und genau entsprechend der obwaltenden Konzeption, wie sie auch das Vorwort nochmals entfaltet, gibt sich der Sammelband als das Ordnungswerk des Landesherrn für die Landeskirche auf der Grundlage der Confessio Virtembergica und der geltenden Landesordnung unter Einbeziehung der weiteren Ordnungen (Kirchendiener, Ausbildung, Kirchenzucht usw.) betreffend. Die ganzen kirchlichen Ordnungen sollten "in einem Werck verfaßt" zur Hand sein. Der Herzog betrachtete die Versorgung der "Undergebene(n) Landschaft mit der reinen Leer des heiligen Euangelii, so den rechten Frieden des Gewissens bringt unnd die hailsame Waid zuom ewigen hail unnd Leben ist", durchaus als Verantwortung der weltlichen Obrigkeit, obwohl der Vorrede bekannt war, daß es auch die Auffassung gab, die Regierung habe sich auf das Weltliche zu beschränken. Die Formulierungen stammen direkt oder indirekt von Brenz. Die einzelnen Ordnungen werden zwar nicht absolut gesetzt, gelten aber unter den gegebenen Umständen als optimal und darum verbindlich. Man sollte den Anhängern der Confesssio Augustana nicht nachsagen können, bei ihnen herrsche keine Ordnung. Deshalb werden auch keine Sekten und abweichende Meinungen geduldet. Um Gottes Gnade und Segen willen und zur Abwendung seines Zorns wird der Gehorsam gegen die Ordnung eingefordert.

4: Die Aufgaben des leitenden Theologen

Der pastorale Dienst an der Stiftskirche, die Verwaltungsarbeit in der Kirchenbehörde, die Visitationstätigkeit und das Ordnungswerk waren an sich schon mehr als genug für eine einzelne Person, zumal Brenz auch sonst noch theologisch arbeitete, wie sein Großer Kommentar zum Römerbrief (1564) beweist. Darüber hinaus war der Theologe noch durch die theologischen Auseinandersetzungen seiner Zeit gefordert, ging es doch jeweils um die Behauptung und Verteidigung der evangelischen Wahrheit und der reinen Lehre. Auch wenn 1555 der politische Religionsfriede erreicht worden war, ging die theologische Auseinandersetzung mit der katholischen Gegenseite weiter. Dazu kam die vielfache bittere Zerstrittenheit der Evangelischen untereinander. Es war die Zeit, als sich Melanchthon sehnte, allem Streit entnommen zu werden. Wer sich in leitender theologischer Stellung befand, konnte den Auseinandersetzungen kaum entgehen. Brenz war also in den letzten Jahren seiner Berufstätigkeit nicht allein äußeren Anstrengungen, sondern, wie bei kirchlichen Oberen nicht selten, Anfeindungen, Irrtümern und Ärger ausgesetzt. Er hat dies ohne allzu große Klagen als eine seiner Pflichten auf sich genommen und ist dabei in unterschiedlichen Rollen nochmals einer der aktiven Mitwirkenden an der Kirchen- und Theologiegeschichte seiner Zeit mit eigenen Beiträgen gewesen. Hier sollen lediglich die bedeutenderen Konfrontationen in den Blick gefasst werden, wobei jedoch zu erinnern ist, daß es deren noch mehr gegeben hat.

Schon als einer der Leiter des Kirchenrats hatte Brenz u.a. etwaige Sektierer - hauptsächlich Schwenckfelder und Wiedertäufer - zu examinieren, was beides nicht neu für ihn war. Die Ablehnung der lutherischen Sakramentslehre konnte sich bei ihnen mit der Kritik am sittlichen Zustand der Kirche verbinden.

Schon aufgrund seiner alten Bekanntschaft mit dem Nürnberger Reformator Andreas Osiander 1498-1552 war Brenz in die Auseinandersetzungen um dessen Rechtfertigungslehre verwickelt worden, die nach Osianders Wechsel nach Preußen dort aufgebrochen waren. Osiander war weniger an der zugerechneten Gerechtigkeit aufgrund der Genugtuung Christi als an der übereigneten (effektiven) göttlichen Gerechtigkeit interessiert, was sich mit dem herrschenden Wittenberger Frömmigkeitstypus kaum vereinbaren ließ und deshalb in Königsberg auch zu schwerem Streit führte. Osiander war dabei durch spekulative Vorstellungen der Renaissancephilosophie bestimmt, die sich theologisch schwerlich vermitteln ließen. Obwohl Brenz eigentlich mit Melanchthon einig ging, hielt er die Differenz lediglich für einen Wortstreit und suchte mit den württembergischen Theologen zu vermitteln. Nicht von ungefähr bot ihm Herzog Albrecht eines der preußischen Bistümer an. Offenkundig unterschätzte Brenz die Tiefe des Gegensatzes, dem er dann faktisch auch nicht beizukommen vermochte, weil sich die Wittenberger von seinen Verharmlosungen nicht überzeugen ließen. Immerhin fanden einige Schüler und Nachfahren des schon 1552 gestorbenen Osiander in Württemberg eine Bleibe.

Kein Streit hat die Evangelischen so tief und nachhaltig gespalten wie der über das Abendmahl, an dem Brenz von Anfang an auf der Seite Luthers in vorderer Linie beteiligt war. Auch die Wittenberger Konkordie von 1536 hatte die Gegensätze auf die Dauer nicht überbrücken können. Die Schweizer hatten sich ihr nicht angeschlossen, und mit dem mit Zürich liierten Calvinismus breitete sich in den 50er Jahren in Westeuropa und dann auch in Deutschland eine Richtung aus, die mit der lutherischen Lehre nicht übereinstimmte. Allerdings blieb es nicht verborgen, dass Melanchthon den calvinistischen Vorstellungen Sympathien entgegenbrachte. Schon die räumliche Nähe zur Schweiz und alsbald auch zu calvinistischen Territorien innerhalb des Reiches musste die württembergischen Lutheraner in ihrer Wachsamkeit sensibilisieren. Gegenüber dem 1556 nach Stuttgart gekommenen Johannes à Lasco 1499-1560 ehemals Vorsteher der Londoner und Emdener Fremdengemeinde, wahrten der Herzog und Brenz wegen seiner Nähe zu Johannes Calvin 1509-1564 Distanz. 1556 trat Brenz erneut in der Reihe der Verteidiger der realen Gegenwart von Leib und Blut Christi im Abendmahl und der damit verbundenen Christologie in Erscheinung. Es handelt sich dabei um den Sachverhalt, daß die menschliche Natur Christi teil hat an den Eigenschaften der göttlichen und umgekehrt. Dabei ergeben sich erhebliche zu bewältigende Denkschwierigkeiten, aber dahinter steht als respektables Frömmigkeitsinteresse, dass Gott sich in Christus ganz zu den Menschen begeben und sie angenommen hat.(12) Hier stand jenes theologische Profil auf dem Spiel, das kaum einer so treu wie Brenz von Luther übernommen und weitervermittelt hatte.

1559 wurde Bartholomäus Hagen gest. 1569 Pfarrer in Dettingen bei Kirchheim/T. und geistlicher Vertrauter der im benachbarten Nürtingen lebenden Mutter Herzog Christophs, auffällig mit calvinistischen Anschauungen über das Abendmahl. Auf Anweisung des Herzogs befassten sich die führenden Theologen mit dem Fall auf einer Art Synode in Stuttgart. Die Synode verpflichtete die württembergischen Geistlichen auf ein "Bekenntnis von der wahrhaftigen Gegenwärtigkeit des Leibes und Blutes Christi im heiligen Nachtmahl", was mit Ausnahmen (Matthäus Alber 1495-1570]) auch durchgesetzt wurde. Dieses energische Vorgehen hatte seinen Grund zunächst wohl darin, dass eben damals die Württemberger erkennen mussten, dass der alte Melanchthon von der Christologie Luthers abrückte und alsbald das Stuttgarter Bekenntnis abfällig als "Hechinger Latein", unverständliches Kauderwelsch, qualifizierte, für Brenz zweifellos die bittere Erfahrung eines Dissens, der nicht mehr ausgeräumt werden konnte. Dazu kam 1560 der Übertritt Kurfürst Friedrichs von der benachbarten Pfalz zum Calvinismus. Brenz und die Württemberger hatten mit ihren Gegenvorstellungen keinen Erfolg. Aus diesem Anlass entfaltete Brenz seine durch die württembergischen Theologen ausdrücklich wiederum Auffassung Von der persönlichen Einigung dere beiden Naturen in Christus... (1561), die auch die Realpräsenz erweisen sollte. Dies erweckte den entschiedenen Widerspruch der Zürcher Theologen Heinrich Bullinger [1505-1575 und Petrus Martyr Vermigli 1500-1562 die sich von Brenz völlig getrennt wußten. Die Kontroverse entwickelte sich zu einem bis in die letzten Jahre von Brenz andauernden Streitschriftenwechsel, dem immerhin die konsequente Entfaltung der späten Christologie von Brenz in dessen theologisch gewichtigsten Schriften zu verdanken ist. Eine Einigung mit den kurpfälzischen Theologen, wie sie 1564 mit dem Maulbronner Gespräch versucht wurde kam nicht mehr zustande. Damals überließ Brenz übrigens bereits die Wortführung dem jüngeren Jakob Andreae. Die Württemberger haben sich mit ihrem konsequent lutherischen Standpunkt auch die Kritik anderer Lutheraner zugezogen und haben die eckigen Positionen von Brenz im deutschen Luthertum lediglich abgeschwächt durchsetzen können, waren doch ihre Partner allesamt eben auch Schüler Philipp Melanchthons 1497-1560

Weder die wohl doch zu starke Vermittlungsbereitschaft im osianderschen Streit noch die Ausarbeitung einer überaus markanten Position in der Abendmahlslehre und Christologie kennzeichnen die theologische Linie von Herzog Christoph und Brenz zureichend. Die Württemberger mussten auch zu den heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Wittenberger Melanchthonianern und den sie wild bekämpfenden sog. Gnesiolutheranern unter der Führung von Matthias Flacius 1520-1575 Stellung nehmen, zumal sie wie z.B. im osiandrischen Streit gelegentlich selbst zwischen die Fronten und in die Schusslinien gerieten. An sich war man sich in Württemberg darüber bewusst, wie wichtig die Einigkeit des Luthertums auf Reichsebene und für die Auseinandersetzung mit dem Katholizismus war. Nachdem die Uneinigkeit des Protestantismus beim Wormser Religionsgespräch 1557 zur Genugtuung der Katholiken offenbar geworden war, ließ sich auch 1561 auf dem Naumburger Fürstentag keine Einigung herbeiführen. Die Streitigkeiten motivierten die Württemberger nach eine Beilegung zu suchen: Dies gelang zu den Lebzeiten von Brenz nicht mehr, aber später sollte man auf dieser Linie zum Ziel kommen.

5: Das Testament und Vermächtnis des Propsts

Bereits 1566 machte Brenz im mit 1. Kön 20,1 nüchtern formulierten Bewusstsein, dass er sein Haus zu bestellen habe, sein Testament, dessen offizieller Teil "das Predigtamt betreffend" nach seinem Tod auch veröffentlicht wurde.(13) Es beginnt mit der Bitte um die rechte Lebensgestaltung angesichts des bevorstehenden Todes, nicht in falscher Sicherheit, sondern in gottesfürchtiger, gehorsamer Erwartung des Ziels mit fröhlichem Gewissen. Eine Rückblende erwähnt die christlich verstorbenen Eltern, die ihm die Schulbildung hatten angedeihen lassen, sodann die beiden Stände des Predigtamts des heiligen Evangeliums Christi und der Ehe, in die Brenz durch göttliche Schickung gekommen sei. Dies sind dann auch die beiden Bereiche, mit denen sich das Testament befaßte, von denen jedoch die ökonomischen Verfügungen nicht erhalten sind.

Die Spitze bildet ein Glaubensbekenntnis zunächst hinsichtlich der Heiligen Schrift. Deren Bücher "seien ein wahrhafftige Schrifft des H. Geists, unnd ein gewisse Missiva, Epistola oder Sendtbrief des Allmechtigen, Barmhetzigen Gottes an das gantz menschlich Geschlecht", - der Prediger hebt charkteristische die Adressiertheit der Bibel hervor -; sie sei ausgewiesen durch Wunder, daß wer daran zweifle unter die verzweifelen Epicurer, Juden, Heiden und Türken zu zählen sei. In der Schrift lehre der Heilig Geist, "was von Gott, von dem Wesen Gottes und von dem Willen Gottes gegen dem menschlichen Geschlecht zu wissen, zu erkennen, zu halten, zu glauben, zu reden und zu predigen se, auch was der Mensch zu Gott sich zu versehen hab", samt dem entsprechenden Verhalten. Es wird erkennbar dass für Brenz der persönliche Glaube und die dem Prediger aufgetragene Botschaft zusammenfallen. Dies stimmt für ihn zugleich mit den drei altkirchlichen Bekenntnissen überein. Von den altkirchlichen Konzilsentscheidungen werden das trinitarische und, wie bei dem großen Christologen Brenz nicht anders zu erwarten, das christologische Dogma ausdrücklich übernommen. Alle anderen Konzilsentscheidungen haben sich an der Heiligen Schrift zu bewähren. Entsprechend dem Apostolicum bekennt sich Brenz zur Existenz einer auserwählten Kirche und deren Erhaltung, nicht ohne zugleich der Verunreinigung und Verdunklung, besonders auch mit dem Papsttum zu konstatieren. Unter den von Gott wiederfahrenen Guttaten wird besonders dafür gedankt, "daß er mir das zeitlich Leben eben zu dieser Zeit gegonnet und gegeben, da es seiner Barmhertzigkeit wolgefallen, den Greuel des Papstthums und das rechte Licht des Evangelions Christi der Christlichen Kirchen durch den Herrn Doctor Martin Luther, seliger Gedächtniß, meinen freundlichen lieben Praeceptorem zu offenbaren." Als Summa dieser Lehre wird die "Augsburgisch Confession" aufgeführt, zu der sich Brenz mit Herz und Mund bekennt und alle Lehre und Sekten verwirft, die sich wider sie erheben. Ausdrücklich und ausführlich werden hier die Zwinglianer mit ihrer Leugnung der Realpräsenz im Abendmahl und der Vereinigung der beiden Naturen in der Christologie genannt, besonders auch die (kurpfälzischen) Bemühungen den Zwinglianismus der Confessio Augustana unterzuschieben. Einer gewaltsamen Verfolgung der Zwinglianer sei jedoch damit nicht das Wort geredet. Von Irrtum oder verderblicher Lehre in seinen eigenen Schriften weiß Brenz nichts; etwaiges Ungereimtes sei nach der Norm der Heiligen Schrift zu beurteilen.

Dankbar gedenkt Brenz schließlich Herzog Christophs und des Hauses Württemberg wegen seiner Aufnahme, nachdem er durch das Interim verjagt worden war. Herzog Christoph habe ihm seine fürstliche Gnade liebevoll zugewendet und ihm mehr Guttaten erwiesen, als er je vergelten könne. Eine Fürbitte für den Herzog und sein Haus um Gottes Schutz und Erhaltung in der Erkenntnis des Evangeliums Christi schließt sich an, und Gleiches empfiehlt Brenz seinen Angehörigen. In sämtlichen Elementen läßt dieses Testament nochmals erkennen, was für den alten Brenz wesentlich war.

Der Tod Herzog Christophs Ende 1568 musst Brenz schwer treffen, beendete er doch ein nahezu einzigartiges Zusammenwirken. Ein Jahr später erlitt Brenz einen Schlaganfall, der seine Kraft brach. Am 31.August 1570 ließ er vor seinen Angehörigen und den Stuttgarter Geistlichen sein Testament als Bekenntnis verlesen und verband dies mit der Mahnung des Ps 133 zur Einigkeit. Für sein Grab hatte er den heute noch markierten Platz unter der Kanzel der Stiftskirche bestimmt, "damit, wenn etwa nach der Zeit Jemand von dieser Kanzel eine Lehre verkündigen sollte, entgegensetzt der, welche ich meinen Zuhörern vorgetragen, ich mein Haupt aus dem Grab erheben und ihm zurufen kann: Du lügst!"(14) Am 11. August ist Brenz gestorben.

Nachzutragen bleibt noch die Bitte der Witwe mit den unversorgten Kindern, ihr analog wie für die Prälaten vorgesehen nicht bloß eine Gnadenquartal, sondern ein ganzes Gnadenjahr zu belassen. Herzog Ludwig hat dieser Bitte umgehend stattgegeben.(15)

Das Epitaph, heute in der Sakristei der Stiftskirche, bezeichnet Brenz der Herkunft nach als Schwaben aus Weil der Stadt, qualifiziert ihn vorweg als hochberühmten Theologen und führt als berufliche Stellung Propst und Rat der württembergischen Herzöge an. Er habe zu den ersten Wiederherstellern der gereinigten Kirche gehört was zutraf die prophetischen und apostolischen Schriften auf Hohen Schulen, in Predigten, aber auch auf Reichstagen und in seinen Werken erhellt und verfochten, um des Bekenntnisses willen die Verbannung standhaft ertragen, mit seinem Rat die Kirche und das Vaterland unterstützt, durch sein unbescholtenes Leben seinem Beruf Ehre gemacht und über 50 Jahre zum großen Nutzen der Kirche gearbeitet. Das große organisatorische Werk von Brenz, das Spezifische seiner Theologie und ebenso seine Frömmigkeit werden damit nicht voll ausgeleuchtet.

Unter den führenden Geistlichen der Stiftskirche hat keiner mehr die Bedeutung von Brenz erlangt, die ihm in später Phase seines Lebens und vergleichsweise kurzen anderthalb Jahrzehnten in der eigentümlichen Beziehung mit seinem Herzog zuteil geworden ist. Man kommt nicht darum herum, sich mit dem Werk und Erbe auch kritisch auseinanderzusetzen. Aber Respekt und Dankbarkeit wird man der Gestaltung insgesamt schwerlich versagen können.

Aktualisiert am: 19.03.2018

Kaspar Huberinus und die Reformation in Hohenlohe

Von: Franz, Gunther

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Die Grafschaft Hohenlohe zur Reformationszeit
  2. 2: Das Leben von Huberinus vor seiner Berufung nach Öhringen
  3. 3: Kaspar Huberinus und die Reformation in Öhringen
  4. 4: Huberinus und das Interim in Augsburg und Hohenlohe
  5. 5: Der Tod von Huberinus 1553
  6. 6: Die endgültige Reformation der Grafschaft Hohenlohe 1556 und die Kirchenordnung von 1578
  7. Anhang

1: Die Grafschaft Hohenlohe zur Reformationszeit

Die Grafschaft Hohenlohe bildete das wichtigste Territorium des nordöstlichen fränkischen Teiles von Württemberg; die Herrschaft Schillingsfürst fiel 1810 an Bayern. Hohenlohe gehörte zum fränkischen Reichskreis und bis zur Reformation zum Bistum Würzburg. Das Geschlecht stammt aus dem Taubertal bei Weikersheim. Durch die 1250 erlangte Vogtei über das Öhringer Kollegiatstift St. Peter und Paul mit seinem umfangreichen Besitz verlagerte sich der Schwerpunkt in den Öhringer Raum mit den Residenzen Neuenstein und Waldenburg. Die Geschichte von Hohenlohe ist durch eine Fülle von Teilungen bestimmt. Für die Folgezeit am wichtigsten wurden die Erbeinigung von 1511 und die Hauptlandesteilung von 1553 bis 1555. Zur Neuensteiner Linie gehörten Ingelfingen, Langenburg und Weikersheim, zur Waldenburger Linie Pfedelbach, Bartenstein und Schillingsfürst. Öhringen blieb als "Hauptstadt" der Gesamtgrafschaft mit dem Stift und Spital weiter in gemeinsamer Verwaltung, was für die Reformationsgeschichte wichtig war.(1)

Graf Sigmund von Hohenlohe 1485-1534 war Domdechant in Straßburg, wandte sich aktiv der reformatorischen Lehre zu, veröffentlichte 1525 das "Kreuzbüchlein", paktierte mit König Franz I. von Frankreich 1494/1515-1547 und fiel in Reichsacht. Die regierenden Brüder Albrecht III. von Hohenlohe in Neuenstein 1478-1551 und Georg I. in Waldenburg 1488-1551 nahmen zunächst eine abwartende Haltung gegen die auch in ihrem Land spürbaren reformatorischen Gedanken ein und wurden durch den Bauernkrieg 1525, in dem sich die Grafen den Bauern unterwerfen mussten, zu einer aktiv antireformatorischen Haltung gebracht. Pfarrer Ewald Reuß in Pfitzingen wurde 1518 zum Studium nach Wittenberg beurlaubt; als er aber nach der Rückkehr die Messe abschaffte und sich verheiratete, wurde er ins Gefängnis geworfen. Die Wirksamkeit von Johannes Brenz 1499-1570 in der benachbarten Reichsstadt Schwäbisch Hall und die dortige Reformation hatte keinen Einfluß. Schwäbisch Hall suchte innerhalb der "Landwehr" als Schutz- und Rechtsgrenze ein geschlossenes Territorium zu bilden. Auf dem Untermünkheimer Tag mussten die Grafen von Hohenlohe am 1. Februar 1543 unter Vermittlung Landgraf Philipps von Hessen 1504-1567 zustimmen, daß die Pfarreien Jungholzhausen, Untermünkheim, Gailenkirchen, Braunsbach und die Kaplanei Enslingen mit evangelischen Pfarrern besetzt würden, um das Präsentationsrecht für diese Pfarreien nicht zu verlieren.(2) Graf Wolfgang I. gest. 1545 war der erste Graf von Hohenlohe, der in seiner Herrschaft Weikersheim evangelische Pfarrer bestellte. Er soll schon 1535 reformatorische Maßnahmen durchgeführt haben. Belegt ist, dass er 1544/45 evangelische Pfarrer nach Nassau (bei Weikersheim) und Schäftersheim berief, nachdem das Stift Neumünster in Würzburg als Patronatsherr seiner diesbezüglichen Aufforderung nicht nachgekommen war.

Gleichzeitig führte 1544 die Berufung eines evangelischen Predigers in Öhringen zur Reformation der Hauptstadt und schließlich nach der Zeit des Interims und dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 im folgenden Jahr 1556 zur Reformation der ganzen Grafschaft Hohenlohe. Mit Kaspar Huberinus 1500-1553 aus Augsburg gewann man einen profilierten lutherischen Theologen. Seine theologischen und religiösen Schriften gehören zu den meistgedruckten Büchern des 16. Jahrhunderts.

2: Das Leben von Huberinus vor seiner Berufung nach Öhringen

Kaspar Huber wurde am 21. Dezember 1500 in Stotzard im Kreis Aichach bei Augsburg geboren. Er veröffentlichte seine Schriften unter dem später ausschließlich geführten latinisierten Namen Huberinus, selten auch als Huober oder Hueber. Vielleicht war er ein Mönch; eine Priesterweihe hatte er nicht. Im Sommer 1522 wurde Huber in Wittenberg immatrikuliert ("Caspar Huber Augusten[sis]"), wo er ein treuer Schüler Luthers wurde und dessen persönliche Bekanntschaft machte. 1525 kam er nach Augsburg, wo er im folgenden Jahr die Benediktinerin Afra Seld heiratete. Dies geschah nach dem Vorbild Luthers, der 1525 die ehemalige Nonne Katharina Bora geheiratet hatte. Die Reichsstadt Augsburg war durch den Handel mit Venedig und dem Orient reich geworden und ein Zentrum der Renaissancekunst in Deutschland. Afras Vater Jörg II. Seld um 1454-1527 war der erste überragende Meister augsburgischer Goldschmiedekunst. Afra Selds Brüder, die wie der Vater katholisch blieben, wurden führende Juristen. Ihr jüngerer Halbbruder Georg Sigismund Seld 1516-1565 trat in die Dienste des Hauses Fugger, der Herzöge von Bayern und wurde 1547 Reichshofrat, 1551 Reichsvizekanzler.(3)

In Augsburg gab es drei Religionsparteien: Katholiken, Anhänger Luthers und Zwinglis. Huberinus bekleidete als Anhänger Luthers kein Kirchenamt, wurde aber vom Rat im Januar 1528 zur Berner Disputation abgeordnet, wo mit den Schweizern ein Einvernehmen über die Fragen des Abendmahls und der Bilder in den Kirchen gesucht wurde. Ab 1525 veröffentlichte Huberinus in Augsburg zahlreiche Schriften.(4) Neben einer Osterpredigt von der "Urstend" (Auferstehung) Christi (1525) erlangte die Trostschrift "Ein kurzer Auszug aus der Heiligen Schrift..." oder "Trost aus der Schrift für einen, der in Angst und Not zu Gott um Hilfe schreit" von 1525 bis 1578 19 verschiedene Auflagen! 1529 erschien das Buch "Vom Zorn und der Güte Gottes" mit der beigefügten Schrift "Wie man den Sterbenden trösten und ihm zusprechen soll", die in der Nachfolge der "Ars moriendi" einem großen Bedürfnis entgegenkam. Martin Luther gab ein empfehlendes Vorwort bei: Das Buch werde, wie ein Haus auf den Fels gebaut, sicheren Bestand haben.(5) Neben 23 hochdeutschen Drucken wurden zwölf niederdeutsche Auflagen herausgebracht. 1543 und 1548 folgte eine dänische Übersetzung und 1579 wurde das Buch "Vom Zorn und der Güte Gottes" als eines der ersten erhaltenen isländischen Bücher in Hólar in Nordisland gedruckt. Die Trostschrift wurde ab 1531 mehrfach in Antwerpen in den spanischen Niederlanden gedruckt und als häretische Schrift verfolgt. Der Drucker Jacob van Liesveld ca. 1490-1545 wurde sogar hingerichtet, weil der unter anderem die "Troostinghe der goddelycker scryft" gedruckt hatte.(6) Die Trostschrift von Huberinus wurde häufig mit der ähnlich beliebten "Seelenarznei" des Augsburger Theologen Urban Rhegius 1489-1541 zusammen veröffentlicht. Beide Schriften wurden ab 1542 ohne Nennung der Autoren in verschiedenen Sprachen den berühmten Totentanzbildern von Hans Holbein d.J. 1497-1543 beigefügt. Daß die Trostschrift von Huberinus (meistens ohne Nennung des Autors) mit etwa 125 verschiedenen Ausgaben in 50 Jahren (1529-1579) in fast einem Dutzend Sprachen eine der verbreitetsten Schriften im 16. Jahrhundert wurde, konnte der Autor nicht wissen und wurde durch eine bibliographische und druckgeschichtliche Untersuchung in den Jahren 1969-1971 entdeckt.

Da es in Augsburg von Seiten der Zwinglianer die wildesten Verleumdungen gegen die lutherische Partei gab, veröffentlichte Huberinus 1531 eine Schrift "Von bösen falschen Zungen". Er widmete sie den Brüdern Hans und Peter Hanold (Honold) gest. 1540 bzw. 1537 Hans Hanold, der Führer der lutherischen Partei, war ein reicher Privatmann, der Huberinus aus einer Stiftung finanzierte.(7)

Nach dem Augsburger Reichstag 1530, als die Stadt sich den Lutheranern nähern mußte, unterstützte Huberinus Johannes Frosch (Rana) um 1480-1533 und Stephan Agricola (Kastenpaur) 1491-1547 Die kritischen Berichte von Huberinus aus Augsburg veranlassten Luther 1532 und 1533 zu scharfen Briefen gegen die "zwinglianische" Stadt. Nach dem Tod Zwinglis in der Schlacht von Kappel 1531 erkannte der Rat der Stadt Augsburg, daß man gegenüber der kaiserlich-katholischen Partei Verbündete brauche. Da nur der Schmalkaldische Bund stark genug war, um der Reichsstadt Augsburg im Notfall zu helfen, musste man sich mit Luther aussöhnen und freute sich, in Huberinus einen Verbindungsmann zu haben. Martin Bucer (Butzer) 1491-1551 in Straßburg machte seinen Einfluss geltend. Huberinus reiste 1535 nach Wittenberg und Celle, um Urban Rhegius 1489-1541 für Augsburg zurückzugewinnen. Zusammen mit Gereon Sailer (Sayler) gest. 1563 erreichte er die Wittenberger Konkordie von 1536, die den Zwinglianern nur geringfügige Zugeständnisse machte. Auch andere oberdeutsche Städte schlossen sich an, so daß der Fortbestand des Luthertums in Oberdeutschland gesichert war. 1537 beschloss der Rat der Stadt Augsburg, die Reformation vollständig durchzuführen und den Katholiken den Dom und andere Kirchen zu nehmen.

Huberinus hatte 1535 ein Kirchenamt erhalten als Diakon(us), also 2. Pfarrer, 1542 als Pfarrer. Huberinus engagierte sich besonders für die Jugend. Aus den Jugendpredigten gestaltete er eine leicht verständliche Gesamtdarstellung der christlichen Lehre, die er 1537 unter dem Titel "Von der wahren Erkenntnis Gottes" ("Vom waren erkendtnuß Gottes") drucken ließ. Nach der Wittenberger Konkordie wollte er öffentlich dokumentieren, dass die Augsburger Theologie mit der in Norddeutschland übereinstimme. Das "Streitbüchlein" ("Streyt Büchlin") von 1541 stellte die lutherischen Ansichten als Bewährung im Leben dar und enthielt Polemik gegen die zwinglianischen Gegner. Aus dem Jugendunterricht erwuchs der (große) Katechismus von 1543 ("Der Catechismus. Mit viel schönen sprüchen und Historien der hailigen schrifft gegründet"). Er war vor allem für den häuslichen Unterricht der Hausväter bestimmt, die neben Schulmeistern und Predigern die Jugend unterrichten sollten. Auf Ersuchen vieler Bekannter verfasste Huberinus als Auszug einen "Kleinen Katechismus", dessen Vorrede vom 6. Januar 1544 datiert ist.

3: Kaspar Huberinus und die Reformation in Öhringen

Am 8. Januar 1544 richteten Schultheiß, Bürgermeister und Rat der Stadt Öhringen eine Bittschrift an die Grafen Albrecht 1478-1551 und Georg von Hohenlohe 1488-1551 wegen eines evangelischen Predigers und der Erlaubnis, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt (Brot und Wein) reichen zu dürfen. Am Stift Öhringen war 1506 eine Predigerstelle (Prädikatur) errichtete, weil die Aufgabe der Stiftsherren das Chorgebet war. Nachdem die Prädikatur längere Zeit vakant war, schrieb der Rat: "Denn wir sind mit Predigern und Pfarrern so belastet, dass jeder wegen ihrer gottlosen Lehre und ihres ärgerlichen Lebens ein Greuel und Abscheu hat. Die lassen auch zurzeit den Predigtstuhl ganz leer, dadurch das gemeine Volk so gottlos und grob wird, daß es schier anicht mehr zhu zähmen ist und wie das Vieh ohne alle geistliche Unterweisung und ohne Sakramente verscheiden."(8)

Der für die gemeinsame Stadt Öhringen zuständige hohenlohische Rat Dr. Ägidius (Gilg) Stem(b)ler war seit längerem evangelisch gesinnt und stand hinter der Initiative der Bürgerschaft. Mittelsmann zu Huberinus war der Buchhändler und Verleger Wolf Bräunlein (Präunlein) vor 1490-1558 in Augsburg, der aus Öhringen stammte. Auch der Württemberger Reformator Johannes Brenz wirkte mit.

In zwei Schreiben an Stemler im Januar und April 1544 gab Huberinus seiner Freude Ausdruck, dass die Grafen von Hohenlohe ebenfalls die zwinglianische, schwenckfeldische und andere aufrührerische Lehre verabscheuten. Den Altgläubigen in Hohenlohe wollte Huberinus dagegen mit Milde begegnen. Im Auftrag der Grafen verhandelte Stemler mit Huberinus. Er sollte "das rein, ware Wort Gottes, dem armen Volk zu erbauhung des rechten, waren Glaubens, auch christenlicher Lieb und eusserliche Zucht furtragen". Die Zeremonien sollten wie im ersten Ursprung in der Kirche erhalten werden, damit das Volk zur Andacht gezogen und nicht "hernider gerissen"(9) werde. Das Prädikaturhaus wurde für den neuen Prediger in Stand gesetzt (es ist bis heute erhalten). Huberinus predigte in der Stiftskirche evangelisch und es wurden Luthers Lieder gesungen.(10) Am Sonntagnachmittag hielt er Predigten aus dem Buch Jesus Sirach (Ecclesiasticus), um die Jugend an christliche Zucht zu gewöhnen. Das Abendmahl wurde aber noch nicht unter beiderlei Gestalt gereicht, so dass Huberinus 1545 in Augsburg "Siebzig Schlussreden Thesen dass beide Teile des Sakraments allen gläubigen Christen gereicht wollen werden" drucken ließ. Huberinus hatte ehrenvolle Rufe nach Württemberg an die Stuttgarter Stiftskirche als Nachfolger von Erhard Schnepf 1495-1559 und in die Reichsstädte Nördlingen und Rothenburg ob der Tauber erhalten und konnte den Grafen ein Ultimatum stellen. Sie genehmigten am 20. Juni 1546 die Reformation des Gottesdienstes und der Lateinschule in Öhringen und die Berufung eines evangelischen Pfarrers und Schulmeisters. Dies war die 1. Reformation in Öhringen. Ein Chronist schrieb hundert Jahre später, dass Öhringen seit 1546 "eine feine, löbliche und gesegnete Stadt gewesen, da der wahre Gottesdienst und alleinseligmachende Glaube floriert, Kirchen und Schulen erhalten, ..., ja eine rechte Schmalzgruben und Freudenstadt gewesen!"

Die Öhringer Stiftsschule war uralt; die erste nachweisbare Erwähnung erfolgte bereits 1234.(11) Im Zug der Reform wurde ein tüchtiger Lehrer, der Präzeptor Johannes Ruthenus gest. 1565 gewonnen. Er hatte in Wittenberg bei Luther studiert und war in Sachsen und in Augsburg Schulmeister. Eine Schulordnung von 1549 ist erhalten.(12) Verteilt auf morgens und abends sollte der ganze Katechismus von Johannes Brenz von den Schülern aufgesagt werden und die von Ruthenus verfassten Choräle gesungen werden. Der von den Grafen bewilligten zweite Pfarrer, den man aus Rothenburg kommen lassen wollte, sagte ab, und es gelang nicht, einen anderen evangelischen Geistlichen zu gewinnen, so dass Huberinus auf Hilfe einzelner Pfarrer aus der Nachbarschaft angewiesen war. Dennoch fand er in Öhringen Zeit zu umfangreicher schriftstellerischer Tätigkeit. "Vom christlichen Ritter. Ein wunderbarlicher Kampf der höllischen Bestien wider einen evangelischen Christen" war eine Trostschrift für die vom Katholizismus angefochtenen Christen. Diese zuerst in Neuburg an der Donau 1545 veröffentlichte Schrift erlebte 17 Ausgaben und wurde ins Dänische und Schwedische übersetzt. Eine Postille enthielt Predigten über alle sonntäglichen Evangelienlesungen, die heute sogenannten altkirchlichen Perikopen. Als Frucht seiner Predigttätigkeit in der Öhringer Stiftskirche veröffentlichte Huberinus zwei dicke Bände unter dem Titel "Postilla Teutsch über alle sonntägliche Evangelien". Die Vorrede vom 20. August 1545 ist an D. Stemler gerichtet.(13) Eine Widmung an die Grafen war nicht möglich, da diese sich nicht zur evangelischen Lehre bekannten. Zur Jugendunterweisung hielt Huberinus "Vierzig kurze Predigten über den ganzen Catechismum", die er 1550 veröffentlichte, damit danach die Hausväter ihr Gesinde in Hausandachten unterrichten könnten. 1552 folgten weitere Öhringer Predigten, die nach zehn Themen geordnet sind ("Zehnerlei kurze Form zu Predigen"): Taufe, Absolution, Abendmahl, Ehestand, Obrigkeit usw., außerdem eine Ermahnung an die Hebammen und Gebete, die einen interessanten Einblick in die gottesdienstliche Praxis in Öhringen geben. Die Jugendpredigten über das Buch Jesus Sirach veröffentlichte Huberinus 1552 für den häuslichen Unterricht durch die Hausväter unter dem Titel "Spiegel der Hauszucht, Jesus Sirach genannt". Huberinus war bewusst volkstümlich und brachte viele Sprichwörter, populäre Wendungen und Beispiele aus dem täglichen Leben. Dieser dicke Band erlebte 18 verschiedene deutsche Auflagen und sogar vier tschechische Ausgaben, gedruckt in Prag und Olmütz 1561 bis 1575. Einmalig ist, dass wir eine fast vollständige Dokumentation der Predigttätigkeit von Huberinus in Öhringen haben, und dass diese ein Interesse sowohl bei den Theologen wie bei den Laien und ein internationales Echo fand, wie es für heutige Predigtsammlungen gar nicht vorstellbar ist.

Neben evangelischer Predigt und evangelischem Unterricht blieb der Gottesdienst der Stiftsherren in Öhringen unverändert bestehen. Ruthenus wurde mit seinen Schülern verpflichtet, unter anderem den Marienhymnus "Salve regina coeli" zu singen, der erst 1553 in evangelischem Sinne umgedichtet wurde. Als der Stiftsdekan Peter Denner in der Stiftskirche neue Altäre mit Bildern oder Heiligenfiguren, die von evangelischer Seite teilweise als "Götzen" betrachtet wurden, aufrichtete, griff Huberinus die Stiftsherren an und zeigte aus der Heiligen Schrift ihre "Übertretung und Laster" an. Schließlich wurde der Chor durch eine Mauer vom Schiff, in dem der Gemeindegottesdienst stattfand, getrennt.

4: Huberinus und das Interim in Augsburg und Hohenlohe

Nach dem Sieg Kaiser Karls V. 1500-1558 über den lutherischen schmalkaldischen Bund wurde am 30. Juni 1548 das Interim zum Reichsgesetz erhoben. Diese Zwischenlösung der Konfessionsfrage sollte auf Wunsch des Kaisers die Einheit bringen. Sie bedeutete für die Protestanten die weitgehende Rückkehr zu den alten Zeremonien in der Liturgie, war aber für die katholischen Territorien nicht von Belang. Huberinus, der mehrere Jahre darunter gelitten hatte, dass die Kirche der Grafschaft Hohenlohe zweigeteilt war, verteidigte in zwölf Thesen die Annahme des Interims, da das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, evangelische Predigt und evangelischer Glaube freigegeben und die Priesterehe zugelassen sei. Diese Thesen sind anscheinend nicht im Druck verbreitet worden.(14)

Der entschiedenste Gegner des Interims war in Magdeburg der gelehrte Matthias Flacius (Vlacich), der nach seiner Heimat Illyricus genannt wurde 1520-1575 Magdeburg war der Hauptsitz des protestantischen Widerstandes ("Unsers Herrgotts Kanzley"). Flacius lehnte es ab, daß es "Adiaphora", nicht glaubensentscheidende Zeremonien, die man zugestehen könne, gebe. Er veröffentlichte um 1550 eine polemische Flugschrift "Contra quaedam interimistica et adiaphoristica scripta, quae a multis Gasparo Huberino tribuuntur" ("Gegen irgendwelche interimistischen und adiaphoristischen Schriften, die von vielen Leuten Kaspar Huberinus zugeschrieben werden"). Wegen seiner radikalen Ansichten - besonders über die Erbsünde - und fortwährenden Streitigkeiten wurden Flacius und seine Anhänger verfolgt und in der Konkordienformel von 1577 verurteilt.(15)

Als Graf Georg I. von Hohenlohe in Waldenburg am 16. März 1551 gestorben war, hielt der Prior des Klosters Goldbach (südlich von Waldenburg) das Seelenamt und Huberinus in der Öhringer Stiftskirche die Leichenpredigt, in der er betonte, dass Graf Georg freie öffentliche Predigt des Gotteswortes und im vergangenen Jahr 1550 allen seinen Untertanen den Empfang des Abendmahls unter beiderlei Gestalt erlaubt habe, wie er es sich auch selber habe reichen lassen. Nachdem die Grafen von Hohenlohe in der Religionsfrage die Entscheidung des Kaisers abwarten wollten, diente das Interim, das eigentlich gar nicht für altgläubige Gebiete bestimmt war, als Grundlage für - wenn auch bescheidene - Reformen. In ritterschaftlichen Orten in Franken nördlich von Hohenlohe lässt sich dasselbe beobachten.

1550 veröffentlichte Huberinus als dritten Teil seiner Postille Predigten über die Lesungen aller Festtage und allgemeinen Feiertage der Heiligen durch das ganze Kirchenjahr. Er wollte damit ein öffentliches Bekenntnis gegen Widertäufer, Zwinglianer und Calvinisten ablegen. Die Notwendigkeit der Reichung von beiden Elementen des Abendmahls rechtfertigte er ausführlich. Zum Fronleichnamsfest, das im Interim vorgesehen war, schrieb Huberinus, "wie man sich doch in dieser schweren Zeit mit gutem Gewissen in die Ceremonien und Kirchenordnung richten möchte", besonders da das Gewissen der Christen unverletzt bleiben solle. Huberinus forderte eine "starke Reformation" dieses Festes, ging aber nicht auf die Problematik ein, sondern predigte über den Evangelientext. Das ist kennzeichnend: ihm ging es um die Predigt und den Glauben auf Grundlage der Schrift, weniger um äußere Formen.

In der Reichsstadt Augsburg war die Situation ganz anders als in Hohenlohe. Nach dem Sieg über den Schmalkaldischen Bund hatte Kaiser Karl V. auf dem "geharnischten Reichstag" in Augsburg 1548 das Interim verkünden und eine Verfassungsänderung der Stadt vornehmen lassen. Die überwiegend protestantische Stadt sollte paritätisch von Katholiken und Protestanten regiert werden.(16) Eine Anzahl Kirchen, darunter der Dom, wurde wieder katholischem Gottesdienst eingeräumt. Da sich das Interim auf den beschränkten Schutz des Luthertums bezog, wurden Prediger ursprünglich zwinglianischer Färbung entlassen.

Der Kaiser und sein Kanzler Antoine Perrenot de Granvelle, Bischof von Arras, 1517-1586 bemühten sich bei Graf Ludwig Casimir von Hohenlohe-Neuenstein 1517-1568 der im August 1551 zur Regierung gekommen war, um seinen Prediger Huberinus für die Reichsstadt Augsburg. Mittelsmann war sicher dessen Schwager, der Reichsvizekanzler Georg Sigismund Seld. Der Graf antwortete, er habe sich des Huberini zur Erhaltung des Interims in Hohenlohe nicht wenig getröstet gehabt, wolle aber dem Kaiser gefällig sein.

Nach den jahrelangen Kämpfen gegen zwinglianische Prediger in Augsburg hat es Huberinus sicher gereizt, dass er unter allerhöchster Protektion als führender Theologe in seine Heimatstadt zurückkehren sollte. Huberinus wollte der bedrängten Bevölkerung durch Predigt und Seelsorge helfen. Er berichtete: "Also hat man zu predigen angefangen am heiligen Weinächttag, da ist Christus wider new geboren worden, und Psalmen deutsch angefangen zu singen, das ein solch Freud nach grosser Traurigkeit so schnell geschehen ist unter Reichen und Armen, das derglichen in Augspurg bey menigklich nit erhoret worden ist." Die von Huberinus benutzte Augsburgische Kirchenordnung lehnte sich stark an die konservative lutherische Kirchenordnung von Pfalz-Neuburg an. Huberinus verfaßte auch eine Schrift über den Gebrauch des Chrisams bei der Taufe. Chrisam ist Öl, dem etwas Balsam beigemischt wird, und wurde unter anderem in der Pfalz-Neuburger Kirchenordnung beibehalten. Dieser alte Brauch war keine Glaubensfrage.

Von den wahrscheinlich zwinglianischen Gegnern wurde Huberinus als "Buberinus" (Bube = Schurke) und Verräter beschimpft. An der Kirchentür wurde ein Schmähgedicht angeheftet, dessen Anfangsbuchstaben "Caspar Huberinus" ergeben:

 

"Christus Wort hat er bekannt lauter und klar

Anno 1529 nach und vor,

Sein Büchle "Vom Zorn und Güte Gottes" zeuget das.

Pfui dich, du elender Madensack! Was

Aber hebst du jetzund an zu reden? ..."(17)

 

Diese Beleidigung ergab eine größere Untersuchung. Die evangelischen Fürsten hatten sich unter Führung von Moritz von Sachsen 1521-1553 nach einem Vertrag mit dem französischen König im Fürstenkrieg erhoben und zogen in Augsburg ein. Am 2. August einigte sich König Ferdinand mit den Fürsten auf die Aufhebung des Interims und einen Religionsfrieden. Es sollte freie Religionsausübung bis zum Reichstag gestattet sein, der dann 1555 in Augsburg stattfand.

Huberinus kehrte nach Hohenlohe zurück und brachte zwei weitere Interimsgeistliche, die in Augsburg entlassen worden waren, mit. Hieronymus Hertel (Härtel) gest. 1556 wurde Pfarrer in der Residenzstadt Neuenstein, Thomas Wiedmann (Wiedenmann, Salicetus) geb. 1500 in Untermünkheim bei Schwäbisch Hall. 1553 verfaßte Huberinus, wohl unter Mitwirkung von Hertel, die handschriftliche "Christliche Kirchenordnung der Graveschaft Hohennloe".(18) Sie ist in der Frage der deutschen Gottesdienstsprache und der Ordnung der evangelischen Messe, die auf Luther zurückgeht, sehr konservativ. In der Vorrede wird begründet, dass die Obrigkeit gegenüber Gott schuldig sei, auch die Gebote der ersten Tafel der Zehn Gebote zu bewahren und dafür zu sorgen, dass die Untertanen in reiner Lehre und rechtem Glauben erhalten werden. Die Reformen werden ausführlich gerechtfertigt. Es findet sich auch ein Kapitel "Von den großen Mißbreuchen der Meß". Die Messgewänder wurden beibehalten. Nach der Vorrede ist die Kirchenordnung allen Pfarrern der Grafschaft zu halten befohlen worden, nachdem im größeren Teil der Gemeinden noch die alten ärgerlichen Missbräuche gehalten würden. Aus dem Visitationsprotokoll von 1556 lässt sich aber entnehmen, dass die Ordnung außerhalb Öhringens wahrscheinlich nur in den benachbarten Pfarreien und im Amt Ingelfingen gehalten wurde. So konnte ein hohenlohischer Schultheiß aussagen, er sei "nit päpstlich, nit lutherisch, er sei alleweg gut hohenlohisch gewest"!(19)

5: Der Tod von Huberinus 1553

Caspar Huberinus starb am 6. Oktober 1553 an einer Infektion, die er sich bei einem Krankenbesuch geholt hatte. An seinem 50. Geburtstag am 21. Dezember 1550 hatte Huberinus besonders an den Tod gedacht und eine Grabschrift verfasst, die er in seinem Band "Zehnerlei kurze Form zu Predigen" veröffentlichte:

 

"Ein Grabschrift Caspars Huberini.

Ach ein Sünd,

Geborn, gelebt, gestorben bin ich.

Christe mein Herr,

Erneu, vergib, auferwecke mich.

Ich bin gläubig,

Erhalt, verklär, mache mich selig."

 

Das Epitaph ist in der Öhringer St. Annakapelle erhalten. Es zeigt in der Mitte das Wappen von Huberinus, ein Kreuz im Dreieck (Christus als eine Person der göttlichen Trinität) mit den Anfangsbuchstaben CH. Dieses Wappen hatte er mit seinem Motto "Summa sapientia stulticia" (Die höchste menschliche Weisheit ist Torheit vor Gott, nach 1. Kor. 1, 20) als Markenzeichen auf den Titelblättern zahlreicher seiner Schriften veröffentlicht.(20)

Die Betonung der evangelischen Predigt und des Glaubens, des Gemeindegesangs und der christlichen Erziehung ("Hauszucht") gegenüber den äußeren Zeremonien muß heute neu bewertet werden. War Huberinus in seinem Bemühen um eine gemäßigte Reform des Gottesdienstes und die Bewahrung der Einheit ein Vorläufer der Ökumene? Besondere Bedeutung hatte er mit seinen deutschsprachigen Schriften für die Ausbreitung und Festigung der reformatorischen Lehre und Lebenshaltung. Von seinen Liedern hat das "Benedicite" (Tischgebet) "Herr Gott Vatter im Himelreich, Wir deine Kinder allzugleich"(21) in eine lange Reihe von Gesangbüchern Aufnahme gefunden und sich bis in unsere Zeit im bayerischen Gesangbuch gehalten.

Sein Sohn David Huberinus 1540-1598 wurde Domprediger in Verden an der Aller (Bistum Bremen), nahm 1573 an der Visitation zur Einführung der Reformation im Stift Verden teil und wurde der erste evangelischer Superintendent. Vater und Sohn als führende Prediger in einem altgläubigen Territorium und Reformatoren, eine erstaunliche Parallelität.(22)

6: Die endgültige Reformation der Grafschaft Hohenlohe 1556 und die Kirchenordnung von 1578

Eine gemeinsame Einführung der Reformation in Hohenlohe war nicht möglich, solange der erbitterte Streit um die Waldenburger Vormundschaft, der vor die kaiserlichen Gerichte ging, die Gemüter erregte. In Stuttgart erreichte Herzog Christoph von Württemberg 1515-1568 als kaiserlicher Kommissar den Teilungsvertrag vom 20. Juni 1555. Dabei machte er seinen Einfluss zu Einführung der Reformation geltend. Durch den Augsburger Religionsfrieden hatte die neue Konfession die reichsrechtliche Billigung, auf die die Grafen von Hohenlohe gewartet hatten. Herzog Christoph ließ den Pfarrer von Güglingen, Johann Hartmann gest. 1575 zunächst für ein Jahr zur Einführung der Reformation nach Öhringen gehen. Von Nürnberg wurde David Pythonius (Büttner, Püttner) gest. 1572 für ein Jahr zur Durchführung der Reformation geholt. Johann Hartmann holte seinen Bruder Gallus Hartmann 1530-1585 aus Esslingen als Stadtpfarrer und Hofprediger in Neuenstein nach. Am Dienstag nach Pfingsten, den 26. Mai 1556, wurde den nach Öhringen zusammengerufenen Geistlichen aus 41 Gemeinden mitgeteilt, dass eine "neue Reformation" gemacht und die Messe abgeschafft würde. Im Juni sollten sie zusammen mit den Schultheißen, Gemeindevertretern und Schulmeistern zum Examen und zur Befragung wieder nach Öhringen kommen. Es handelte sich um eine Generalvisitation am zentralen Ort.(23) Es wurde die gedruckte Brandenburg-Nürnbergische Kirchenordnung von 1528 eingeführt. So wirkten die Einflüsse des Herzogtums Württemberg im Süden und der Markgrafschaft Brandenburg sowie der Reichsstadt Nürnberg im Osten zusammen.

Am 10. September 1556 folgte die Reformation des Öhringer Stifts.(24) Jeder Stiftsherr erhielt statt der Pfründe wie ein Pfarrer oder Beamter ein Gehalt: 60 Gulden, Wein und Getreide. Das Stundengebet wurde nicht abgeschafft. Vielmehr mussten die Stiftsherren die nach evangelischer Lehre reformierten "Hora canonica" täglich singen und die Predigten hören. Der Umbau des Stiftskirchenchores 1581 setzte ein Ende des besonderen Gottesdienstes voraus. Das Stiftsvermögen wurde ab 1556 für gemeinsame Kirchen- und Schulsachen der ganzen Grafschaft verwendet und nicht etwa zur Bereicherung der Grafen: die Schaffung von vier Pfarrstellen, das Gymnasium und Stipendien zum Besuch des Gymnasiums oder auswärtiger Universitäten.

Graf Wolfgang II. von Hohenlohe 1546-1610 der zunächst in Neuenstein und Langenburg und seit 1586 in Weikersheim regierte und dort das Renaissanceschloss erbaute, war ein tüchtiger Landesvater, der sich um gute Ordnung des geistlichen und weltlichen Regiments bis in alle Einzelheiten kümmerte. Da durch Vormundschaften eine Art Personalunion bestand, konnte sich Graf Wolfgang 1576 bis 1583 eine Neuordnung der Kirche in der ganzen Grafschaft in Angriff nehmen. 1578 wurde die "Kirchenordnung, wie es mit der Lehre und Ceremonien in der löblichen Grafschaft Hohenlohe soll gehalten werden" gedruckt.(25) 1581 führte man unter Beteiligung von Jakob Andreae aus Württemberg eine Generalvisitation durch und verfasste handschriftliche Ordnungen für alle Bereiche des Kirchen- und Schulwesens.(26) Später nannte man dies etwas übertrieben die "zweite Reformation" der Grafschaft. Die gedruckte Kirchenordnung prägte bis ins 19. Jahrhundert die besondere Form des hohenlohischen Gottesdienstes mit seiner gegenüber Württemberg reicheren Liturgie.

Aktualisiert am: 21.06.2017

Jakob Andreae und die Reformation in Wiesensteig, Öttingen und Wachendorf

Von: Raeder, Siegfried

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Zur Person
  2. 1.1: Die Größe von Andreaes Lebenswerk
  3. 1.2: Der geschichtliche Rahmen seines Wirkens
  4. 1.3: Biographische Quellen
  5. 1.4: Biographische Daten
  6. 2: Die Reformation in Öttingen
  7. 2.1: Ihr Verlauf
  8. 2.2: In Öttingen gehaltene Predigten
  9. 3: Die Reformation in Wiesensteig
  10. 4: Die Reformation in Wachendorf
  11. 4.1: Ihr Verlauf
  12. Die Wachendorfer Predigten
  13. 5: Abschließende Würdigung
  14. Anhang

1: Zur Person

1.1: Die Größe von Andreaes Lebenswerk

Jakob Andreae (1528-1590), Kupferstich

Reproduktion des Kupferstichs. Landeskirchliches Archiv stuttgart, Bildersammlung, Nr. 2534.

Als der Tübinger Theologieprofessor und Kanzler der Universität Jakob Andreae am 7. Januar 1590 gestorben war, sah sich sein Kollege Jakob Heerbrand 1521-1600 der ihm die Leichenrede halten sollte, vor eine schwierige Aufgabe gestellt: Wie konnte er in der gebotenen Kürze das Lebenswerk eines Mannes würdigen, der in allen wichtigen Dingen die Kirchengeschichte Deutschlands fast ein halbes Jahrhundert hindurch begleitet und maßgeblich mitgestaltet hatte?(1)

In diesem Beitrag ist nicht beabsichtigt, das weitgespannte Wirken Andreaes darzustellen. Nur um einen sehr kleinen Ausschnitt geht es hier: um seine reformatorische Tätigkeit in drei politisch eng begrenzten Gebieten: in der Grafschaft Öttingen und in den Herrschaften Wiesensteig und Wachendorf. Dennoch spiegeln sich gleichsam wie in einem Wassertropfen auch in diesen unscheinbaren reformatorischen Bemühungen die bestimmenden Bedingungen und Entwicklungen jener Zeit.

1.2: Der geschichtliche Rahmen seines Wirkens

Der Augsburger Religionsfriede von 1555 gestand allein den reichsunmittelbaren weltlichen Obrigkeiten das Recht zu, die kirchlichen Verhältnisse in ihren Territorien auf der Grundlage des lutherischen Bekenntnisses von Augsburg neu zu gestalten. Zwinglianer und andere reformatorische Gruppen blieben vom Reichsfrieden ausgeschlossen. Den geistlichen Reichsständen wurde die Abkehr vom alten Glauben durch das Reservatum ecclesiasticum verwehrt. Sie sollten ein Bollwerk gegen die sich ausbreitende Reformation bilden und den Bestand der römischen Kirche im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation sichern. Neben den katholisch gebliebenen weltlichen Obrigkeiten erwiesen sie sich als eine Basis für die gegenreformatorische Offensive. Der Augsburger Religionsfriede beruhte auf der Voraussetzung, dass es nur "eine heilige katholische Kirche" gebe, dass aber deren Lehre und Riten strittig seien. Dennoch verpflichteten sich beide Seiten, nach Wegen zur Überwindung des Zwiespalts in der Religion zu suchen. Der Augsburger Religionsfriede knüpfte also in zweifacher Hinsicht an die mittelalterliche Tradition an: 1. Die Obrigkeit verstand sich als Beschützerin der - wie auch immer interpretierten - una sancta et apostolica ecclesia einen, heiligen und apostolischen Kirche 2. An der Einheit der Kirche wurde prinzipiell festgehalten. Beide Gesichtspunkte bestimmten auch das Lebenswerk Jakob Andreaes.

Das Zentrum seines vielseitigen Wirkens war das Herzogtum Württemberg, wo schon 1534 Herzog Ulrich 1503-1519; 1534-1550 unmittelbar nach der Vertreibung der Habsburger aus seinem Land die Reformation eingeführt hatte, indem er einen Ausgleich zwischen der lutherischen und der oberdeutschen Richtung suchte. Die durchgreifend lutherische Neugestaltung der kirchlichen Verhältnisse, zunächst durch die Kirchenordnung von 1553 und in umfassender Weise durch die Große Kirchenordnung von 1559, war das Werk seines Nachfolgers Herzog Christoph 1550-1568 Dessen maßgeblicher Berater in allen kirchlichen Dingen war Johannes Brenz 1499-1570 ein entschiedener Anhänger Luthers, der gleichwohl ein ausgeprägtes eigenes theologisches Profil zeigte: 1. Sein Verständnis der Rechtfertigung schließt - ähnlich wie bei Luther - das Moment der Gemeinschaft des Gläubigen mit Christus ein. 2. In seiner späteren Form der Abendmahlslehre entwickelt Brenz, Gedanken Luthers spekulativ weiterführend, die Lehre von der Teilhabe der menschlichen Natur Christi an der göttlichen Allgegenwart seit der Inkarnation. 3. Brenz unterscheidet nicht wie Luther prinzipiell zwischen dem an sich weltlichen Amt des Fürsten und seiner auf dem Christsein beruhenden Liebespflicht, sich der Not der Kirche anzunehmen, sondern orientiert sich, in der Tradition des Humanismus und der Reichsstädte stehend, an dem Ideal der theokratischen Könige Alt-Israels.

Der Mann nun, der württembergische Theologie, Kirchenpolitik und kirchliche Ordnung nach außen vermittelte, war Jakob Andreae. Zu weitreichender Entfaltung kam sein Wirken freilich erst unter Christophs Sohn und Nachfolger Herzog Ludwig 1568-1593

1.3: Biographische Quellen

Über seinen Lebensweg bis zum Jahre 1562 hat Andreae eine Autobiographie hinterlassen. Sein Enkel Johann Valentin Andreae 1586-1654 hat sie neben anderen Dokumenten im Jahre 1630, als der Dreißigjährige Krieg Deutschland verwüstete und das Schicksal des Protestantismus sehr ungewiss schien, veröffentlicht. Das Sammelwerk trägt den Titel: "Fama Andreana reflorescens" Der wieder aufblühende Ruhm des Andreae Die Lebensbeschreibung umfaßt 153 Seiten in Octavo. Sie trägt die Überschrift: "Vita Jacobi Andreae, theol[giae] doctoris, ab ipso ad annum usque Christi 1562. magna fide et ingenuitate descripta" Das Leben des Jakob Andreae, des Doktors der Theologie, von ihm selbst bis zum Jahre Christi 1562 mit großer Treue und Aufrichtigkeit beschrieben Die Autobiographie schließt mit der Bemerkung des Herausgebers: "Reliqua desiderantur" das übrige wird vermisst

Eine weitere biographische Quelle ist die Leichenrede Jakob Heerbrands, die im Druck 67 Seiten in Quarto umfaßt und unter dem Titel erschien: "Oratio funebris de vita et obitu ... D. Iacobi Andreae ..., habita a Iacobo Heerbrando" Leichenrede über das Leben und den Heimgang ... des Doktor Jakob Andreae ..., gehalten von Jakob Heerbrand Sowohl Andreaes Autobiographie als auch Heerbrands Leichenrede berichten von Andreaes reformatorischem Wirken in Wiesensteig, Öttingen und Wachendorf. Ferner hat Andreae die in Öttingen und Wachendorf gehaltenen Predigten drucken lassen.

1.4: Biographische Daten

Jakob Andreae (1528-1590), Porträtminiatur

Original in Steiermärkisches Landesarchiv Graz. Postkarte. Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, Nr. 2432.

Jakob Andreaes Vater, Jakob Endriss aus Meckenlohe im Bistum Eichstätt, hatte sich in Waiblingen als Schmied niedergelassen und Anna Weißkopf geheiratet. Der dort am 25. März 1528 geborene Jakob ließ sich später in Tübingen unter der latinisierten Namensform Andreae d. h. Sohn des Endriss = Andreas in Tübingen immatrikulieren. Nach Abschluss des Theologiestudiums wurde der erst Achtzehnjährige 1546 als Diaconus, d. h. Hilfsprediger, nach Stuttgart berufen. Im selben Jahr heiratete er in Tübingen Johanna Entringer. Seine Standfestigkeit bewies Andreae in der Zeit des Interims 1548-1552 Durch dieses Religionsgesetz, das bis zur Entscheidung eines allgemeinen Konzils gelten sollte, versuchte Kaiser Karl V., in den evangelischen Territorien und Reichsstädten die wesentlichen Elemente des alten Kirchenwesens durchzusetzen. Andreae, der als Gegner des Interims kein Pfarramt ausüben durfte, wurde in Tübingen als "Katechist", d. h. als ein im christlichen Glauben "Unterrichtender", eingesetzt. Priestertum und Messopfer standen nach herkömmlichem Urteil hoch über der katechetischen Unterweisung des Volkes. Der Passauer Vertrag von 1552 setzte dem Interim ein Ende. 1553 wurde Andreae zum Pfarrer und Superintendenten in Göppingen ernannt und im selben Jahr zum Doktor der Theologie promoviert, was sogleich zu seiner Aufnahme in den Kreis der vier Generalsuperintendenten des Landes führte. 1562 wurde Andreae von Herzog Christoph zum Kanzler der Universität Tübingen ernannt. Institutionell verbunden waren damit die Stelle des ersten Ordinarius an der theologischen Fakultät und das Amt des Propstes an der Stiftskirche.

Von 1553 bis 1589, kurz vor seinem Tode, unternahm Andreae, zumeist im Auftrag seines Landesherrn, zahlreiche Reisen, um an verschiedenen Orten Deutschlands die Reformation einzuführen, zu fördern und zu sichern, um theologische Auseinandersetzungen beizulegen und um die Glaubenseinheit des Luthertums voranzubringen. Er war einer der Hauptverfasser der Konkordienformel von 1577. Der Enkel Johann Valentin Andreae hat in seinem Sammelwerk "Fama Andreana reflorescens" auch ein sechs Seiten umfassendes Verzeichnis der Reisen seines Großvaters zusammengestellt, "die er alle zur Ehre Gottes, zur Verbreitung seines Wortes und zum Heil der Kirche unternommen hat". In der langen Zeitspanne zwischen 1553 bis 1589 werden lediglich für sechs Jahre keine Reisen verzeichnet. Allein für das Jahr 1577 werden 18 verschiedene auswärtige Aufenthalte genannt. Das Gebiet, das Andreae im Laufe jener 36 Jahre bereiste, erstreckte sich von Paris bis nach Prag und von Dänemark bis nach Bern.

2: Die Reformation in Öttingen

2.1: Ihr Verlauf

Die Grafschaft Öttingen im Ries war seit dem 16. Jahrhundert in Öttingen-Wallerstein und Öttingen-Öttingen geteilt.(2) Das letztgenannte Territorium war seit 1522 wiederum aufgeteilt unter die Grafen Karl Wolfgang und Ludwig XV. Karl Wolfgang war spätestens seit 1529 der Reformation zugeneigt, später auch Ludwig. Dagegen blieb Öttingen-Wallerstein stets katholisch. Die beiden Grafen von Öttingen-Öttingen, die gute Verbindung zu Herzog Ulrich von Württemberg hatten, führten im Jahre 1539 die Reformation in ihren Territorien ein. Sie orientierten sich dabei an der Brandenburg-Nürnbergischen Kirchenordnung. Leiter der jungen Landeskirche war Georg Karg 1512-1576 Im Schmalkaldischen Krieg 1547-1548 stellten sich die beiden Grafen auf die Seite der Gegner des Kaisers. Nach dessen Sieg mussten sie sich ins Exil begeben, das sie u. a. in Württemberg verbrachten. In ihren früheren Herrschaftsgebieten wurde das Interim durchgeführt. Der Passauer Vertrag bereitete ihm ein Ende. Ludwig XV. wurde wieder in seine Rechte eingesetzt und übernahm auch das Territorium seines bereits verstorbenen Bruders Karl Wolfgang.

Jakob Andreae erwähnt in seiner Autobiographie zum Jahre 1553 seine Ernennung zum Generalsuperintendenten mit Sitz in Göppingen und berichtet unmittelbar darauf, wie er von Göppingen aus bei der Reformation der Grafschaft Öttingen mitgewirkt hat:(3) "Als Graf Ludwig XVI. von Öttingen, der Sohn des älteren Grafen Ludwig XV., gest. 1557 mit seinen Brüdern dem Vater im Erbe jenes Teiles der Grafschaft nachfolgte, die jenem nach erfolgter Versöhnung mit Kaiser Karl V. geschuldet wurde, rief er einige Male Doktor Jakob von Göppingen zu sich auf das Schloß Alerheim, das heißt nach Nördlingen."(4)

Andreae beschreibt darauf - im Rückblick - die durch den Schmalkaldischen Krieg eingetretenen Verhältnisse in der Grafschaft: "Da sich nämlich der Vater mit dem Sohn Ludwig XV. im sogenannten Schmalkaldischen Krieg mit den Fürsten verbündet hatte, die sich Karl V. widersetzten, übergab er d. h. der Vater als der Kaiser den Sieg behauptete, die Hälfte des berühmten Öttingen, die er vorher besessen hatte, den beiden Söhnen Friedrich und Wolfgang, weil sie sich noch zur päpstlichen Religion bekannten. Von diesen verhielt sich vor allem Friedrich ruchlos gegen seine frommen Eltern.(5) Während sie sich nämlich im Exil aufhielten, das ihnen Herzog Ulrich in Calw als Herberge zugestanden hatte, warf Friedrich der sehr verwirrten Mutter auf unschickliche und ruchlose Art die Religion vor, derentwegen sie aller Güter entblößt sei. Diese falsche Religion ließ er ihr melden, solle sie doch auf ihre Zähne schmieren, um Hunger und Bedürftigkeit zu vertreiben.(6) Einen Untergebenen aber ließ er enthaupten, weil dieser den Vater über Nacht beherbergt hatte."

Darauf berichtet Andreae, wie Graf Ludwig XVI. als Regent die Reformation mit Unterstützung der benachbarten Fürsten einführte: "Nachdem also dem Vater gest. 1557 der Sohn Ludwig gefolgt war, der nach der Geburt der älteste unter den übrigen Brüdern, Karl Ludwig Wilhelm und Otto, war, berief er mit Zustimmung der betreffenden Fürsten dieser Länder aus der Oberpfalz, der zu jener Zeit Herzog Otto Heinrich vorstand(7), Magister Bartholomäus Wolfart(8), den Superintendenten von Neuburg, aus der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach Magister Georg Karg(9) und aus dem Herzogtum Württemberg Doktor Jakob, dass sie das Papsttum, das seine Brüder Wolfgang und Friedrich, während die Eltern sich im Exil aufhielten, eingeführt hatten, abschafften und die wahre Verehrung Gottes sowohl in den Gemeinden ecclesiis als auch in den Klöstern einführten."

Von seinem Landesherrn war Andreae vor allem instruiert, eine Zweckentfremdung der kirchlichen Güter zu verhindern: "Es hatte aber der Herzog von Württemberg, Christoph, der Beste und Frömmste, in einem gesonderten Schreiben scheda die Anordnung signatum gegeben, dass, wenn Herzog Ludwig gedächte, die kirchlichen Güter der Klöster vor allem an sich zu ziehen und in seinen Gebrauch zu übertragen, Doktor Jakob an keiner Beratung mehr teilnähme, sondern sich sofort nach Hause begäbe. Dieses Schreiben, das in dem vom H[erzog] Christoph an D[oktor] Jakob verfassten Brief eingeschlossen war, wurde dem Grafen Ludwig durch den älteren Kanzler Wilhelm N. überreicht, unter Hinzufügung einer sehr ernsten Ermahnung, dass er seine Hände nicht durch Entweihung kirchlicher Güter beflecke. Auf welche Weise Graf Ludwig mit seinen Nachkommen dessen eingedenk gewesen ist, bezeugen deren Gewissen. Denn durch kein Recht, weder göttliches noch menschliches, können diejenigen ihr Gewissen rein bewahren, die Güter der Kirche, die Gott einmal und für immer geweiht worden sind, in ihren privaten Gebrauch übertragen, seien es Obrigkeiten oder Untertanen. Dazu hat Doktor Jakob an allen Orten, an denen ihm die Erneuerung reformatio der Gemeinden anvertraut worden war, immer sorgfältig und ernst ermahnt." Es folgt ein vernichtendes Urteil über die kirchlichen Zustände in der Grafschaft zur Zeit des Interims: "Es läßt sich aber nicht beschreiben (dici), eine wie große Unbildung und Unkenntnis der Heiligen Schrift auf Schritt und Tritt bei den Opferpriestern (sacrificulis) aufgedeckt worden ist, die zur Ausbreitung der päpstlichen Religion die Brüder überall an die Spitze der Gemeinden der Grafschaft gestellt hatten."

Im Rückblick beschreibt Andreae den Kummer des älteren Grafen Ludwig über die Unterdrückung der Reformation durch das Interim und die Haltung seiner altgläubigen Söhne Wolfgang und Friedrich: "Von der Unwürdigkeit dieser Verhältnisse war in erster Linie der ältere Graf Ludwig bewegt, als er dem Hof Herzog Ulrichs folgte, und bewegt wegen der auf Grund des kaiserlichen Interims festgesetzten Beschlüsse oder: Beratungen, deliberationes als Magister Kaspar Greter(10), ein sehr gelehrter Mann, als Hofprediger in Stuttgart festgehalten wurde, Doktor Jakob aber, der damals Diakon der Stuttgarter Gemeinde war, an dessen Stelle in Böblingen und Bebenhausen durch Abhaltung von Predigten am Hofe aushalf. Diesem sagte der ältere Graf Ludwig]: 'Hätte ich doch dafür gesorgt, daß meine Söhne Wolfgang und Friedrich im ersten Bade erstickt wären! Dadurch wäre besser für ihr ewiges Heil verfahren worden.' Vor allem aber bereitete es dem besten Grafen Schmerz, dass so viele tausende Seelen seiner Untertanen wegen der Gottlosigkeit dieser zwei gräflichen Söhne in eine so große Gefahr ihrer Seelen geführt waren. Diese Tatsache vergrößerte ihm heftig das Unglück der Verbannung. Wenn er darüber nachdachte, vergaß er beinahe sein eigenes Elend."

Andreae gibt dann einen summarischen Ausblick auf seine weiteren Bemühungen um die Gestaltung der kirchlichen Verhältnisse in Öttingen nach württembergischem Vorbild: "Da also die Überlegung, wie die Reformation der Gemeinden und der Klöster auf fromme Weise aufzunehmen sei, glücklich fortgeschritten war, wurde Doktor Jakob von Graf Ludwig, dem Sohn, nach dem Tod des Vaters, oft in die Grafschaft gerufen, wo durchgehend dieselbe Art und Weise des Kirchenrates, der Visitationen der Gemeinden und der sechsmonatigen Schulen sowie der Klöster und Synoden festgesetzt wurde, die im Herzogtum Württemberg zu Anfang der Herrschaft Herzog Christophs eingeführt worden ist. Sooft er also in die Grafschaft oder auf das Schloss Alerheim oder in das Kloster Zimmern bei Nördlingen zu Synoden gerufen wurde, sagte er mit reinem Gewissen [ex conscienta seine Meinung und richtete seine Bemühungen darauf, dass in erster Linie in den Gemeinden der Grafschaft die Reinheit der himmlischen Lehre vorgetragen, die Eintracht in ihr bewahrt und eine des Evangeliums würdige Zucht eingeführt und fortgepflanzt werde."

Zum Jahr 1559 berichtet Andreae über eine in Alerheim abgehaltene Synode, in der die Ergebnisse einer Visitation besprochen und die Auseinandersetzung mit den Täufern aufgenommen wurde:(11) "Im selben Jahr, im Monat Oktober, wurde Doktor Jakob zu einer Synode von Theologen und Räten in der Grafschaft Öttingen gerufen. Diese Synode wurde in Alerheim abgehalten. Dort wurden nicht nur Leben und Sitten der Pfarrer nach vorangegangener sorgfältiger Visitation geprüft, sondern es wurde auch nachgeforscht exploratum erat in welchem Maße sie durch ihr Amt Fortschritte gemacht hatten, so dass, nachdem gebessert wäre, was in der Lehre und den Sitten der Pfarrer und der Hörer zu bessern ist, die Gemeinde Gottes zunähme und die Lehre des Evangeliums reiche Frucht brächte. Und da im Grenzgebiet und innerhalb des Verwaltungsbezirks Göppingen nicht wenige Wiedertäufer wirkten, setzte Doktor Jakob einige Gespräche mit ihnen fest, um sie von den Irrtümern, in denen sie lebten, zurückzurufen."

Auf Grund eines Mandates vom 25. Juni 1558 wurden die Täufer im Göppinger Amt zu einem Gespräch vorgeladen, über das Andreae und der Obervogt am 5. September 1558 berichteten. Darauf könnte sich Andreae in seiner Vita beziehen, obwohl die zeitliche Einordnung "der Gespräche" ungenau ist.(12)

Am 4. Oktober 1559 visitierte Andreae die Öttinger Klöster Roth und Zimmern(13): "Am 4. Oktober (1559) wurde Doktor Jakob zu Graf Ludwig von Öttingen zur Visitation der Klöster Roth und Zimmern gerufen. In einem dieser wurden nach der Art der Lehre und Studien, die in den Klöstern des Herzogtums Württemberg eingehalten wurde, Schüler (studiosi) ausgebildet und unterhalten. Da im Kloster Zimmern in großer Zahl Jungfrauen unterhalten wurde, die dennoch fast alle zu unserer Religion hinzutraten, ermahnte Doktor Jakob Graf Ludwig fleißig, er solle nicht die Güter des Klosters zum persönlichen Gebrauch umwandeln. Dies zu sagen hatte ihm Herzog Christoph von Württemberg befohlen."

Das Zisterzienserinnenkloster Zimmern war 1558 aufgehoben worden, und im selben Jahr wurde in der Kartause Christgarten eine lateinische Schule eingerichtet.

1561 begab sich Andreae abermals zu einer Synode und Visitation nach Öttingen:(14) "Im Februar desselben Jahres wurde Doktor Jakob von Graf Ludwig von Öttingen zu einer Synode und zur Visitation der Klöster nach Harburg gerufen. Als dies erledigt war, kehrte er am 15. März (calendis Martii) nach Göppingen zur Familie zurück." Wahrscheinlich hängt mit dieser Visitation die Errichtung einer Schule in der Benediktinerabtei Mönchsroth zusammen.(15)

Andreaes Werk in Öttingen hatte Bestand. Graf Gottfried von Öttingen unterzeichnete ebenso wie die Kirchendiener seines Territoriums das Konkordienbuch von 1580.

2.2: In Öttingen gehaltene Predigten

Das eigentliche Mittel zur Reformation der Gemeinden war für Jakob Andreae stets die Predigt. Von ihm in Öttingen gehaltene Predigten liegen uns in gedruckter Form vor unter dem Titel: "Vier christlicher Predigen: vom Leiden Christi, vom Fußwaschen, von der Auferstehung Christi, von der Meß und Gebrauch einer Gestalt des Sacraments." Gewidmet ist das Werk, das 99 Seiten in Quarto umfasst, mit apostolischer Grußformel der Gräfin Susanna von Öttingen: "Der wohlgebornen Frauen, Frauen Susanna, Gräfin zu Öttingen, gebornen Gräfin und Frauen zu Mansfeld etc., seiner gnädigen Frauen, wünschet Jacobus Andreae D[octor] Gnad und Fried in Christo Jhesu, unserm Herrn."(16)

Aus der Vorrede erfahren wir, dass in der kleinen, nicht volkreichen Herrschaft gleichwohl drei Religionen existieren: "Dann offentlich werden getrieben dreierlei Religion oder Glauben: die bäpstisch, die jüdisch und die recht, wahr evangelische Religion." Über die Juden heißt es (S.4): "Von den Juden daselbsten wird unser Herr Christus täglich auf das heftigest gelöstert, geschändt und verflucht, den sie einen gehenkten, verfluchten Galgensprissel etwa: Galgenfrüchtlein nennen, der sein Lehr und Wunderwerk durch den Teufel fürgetrieben und ausgebracht habe. Diese Leut sollen under den Christen Platz, Schutz und Schirm haben?"

Andreae beschreibt die drei in Öttingen geübten Religionen. An der päpstliche Religion hebt er hervor die Anrufung der Heiligen, das Messopfer, die Laienkommunion unter nur einer Gestalt und die Ablehnung der Heilsgewissheit: "In der Bäpstischen Kirchen wird wider das Wort, Willen und Befehl Christi die abgöttische Anrufung der Heiligen geübet, das heilig Nachtmahl in ein Versöhnopfer verkehret, dar

durch den Lebendigen und den Toten für Schuld und Peen Pein, d. h. Strafe zu helfen. Dem armen Laien wird des Herrn Nachtmahl nicht nach der Stiftung Christi gereichet, und sie werden endlich (vermög des Concilii zu Trient Ausspruch(17)) in eim steten Zweifel gehalten, ob sie in der Zahl der Auserwählten begriffen, ob ihnen ihre Sünd verziegen d. h. verziehen oder nicht, ob sie ein gnädigen Gott haben oder nicht, unangesehen, was und wieviel Guts sie im Leben geton oder nach ihrem Tod ihnen nachzutun gestiftet haben. Welche also neben und mit den Juden in ungewisser Hoffnung dahinsterben" (S.2).

Die Charakteristika der evangelischen Religion sind: Sündenerkenntnis, Glaube, Wandel im Licht, Gebrauch der Sakramente nach dem Befehl Christi und Gebet: "In der dritten Kirchen oder Versammlung wird das rein, heilig und ungefälscht Euangelium geprediget, welchs lehret ein rechte, wahrhaftige, lebendige Erkanntnus der Sünden und herzliche Reu, ein festen, beständigen, wahrhaftigen, lebendigen Glauben, der allein auf den Verdienst des Gehorsams und Kreuzopfers Christi sich verlaßt, dardurch vollkommene Vergebung aller Sünden und Versöhnung mit Gott ohn allen seinen oder auch der lieben Heiligen Verdienst zu erlangen. Desgleichen lehret es auch vermög des ewigen Gesetzes Gottes, nach dem Exempel Christi im Licht wandeln, alle Finsternis der Sünden zu fliehen und also zu leben, dass durch den Schein der rechten Werck, so aus dem Licht des Glaubens fließen, andere zum Lob Gottes gereizet werden. Da werden auch die heilig Sacrament einfaltig nach der Lehr, Befehl Christi und dem Exempel der lieben Apostel gehandelt, da wird allein Gott im Namen unsers Herrn Jhesu Christi für alles Anliegen der ganzen Christenheit angerufen" (S.4 f.).

Zudem setzt sich Andreae kritisch mit dem Judentum und dem Papsttum auseinander: Der Messias, auf den die Juden warten, hätte nach der Heiligen Schrift schon vor 1500 Jahren geboren sein müssen. Die Ausrede der Juden, ihrer Sünde wegen sei der Messias bisher noch nicht erschienen, gelte nicht. Denn Gottes Verheißung sei von menschlichem Verhalten ganz unabhängig, wie Dan. 9 zeige. Aber die Juden seien gegenüber klaren Schriftbeweisen blind und verstockt, und die Päpstischen würden sie noch durch falsche Nachgiebigkeit in ihrem Starrsinn bestärken.

Bei der Kritik der päpstischen Religion stellt Andreae deren Ähnlichkeit mit dem Judentum in den Vordergrund. Nicht nur in den Zeremonien komme dies zum Ausdruck, sondern auch im Glauben: "In dem Hauptartikel, daran unser Seligkeit stehet, ist zwischen Juden und rechten Papisten nur ein Wortstreit, im Grund aber einerlei Glauben. Denn obwohl die Juden laugnen d. h. leugnen daß unser Herr Christus der rechte Messias seie, welches die Bäpstischen widersprechen, so lehren und glauben sie doch zugleich, daß eim Menschen müglich sei, die Gebot Gottes vollkummenlich zu halten." Mit ihrer Lehre von den "evangelischen Räten" consilia evangelica gehen die Päpstischen sogar über die jüdische Auffassung hinaus: "In diesem Artikel sind sie nicht allein den Juden gleich, sonder auch über die Juden, da sie lehren und glauben von ihren Ordensleuten, sie könnten nicht allein Gottes Gebot[e] erfüllen, sonder auch noch viel guter Werk ton, die sie nit schuldig sind und überig haben, anderen Leuten mitzuteilen" (S.8f.). Juden und Papisten würden stimmen im Glauben an ein Fegfeuer übereinstimmen. Daß die Päpstischen im Unterschied zu den Juden die Dreinigkeit Gottes lehren, sei ohne Bedeutung. Denn die Erkenntnis der Gottheit Christi helfe ohne die Erkenntnis des Amtes Christi nicht im geringsten zur Seligkeit.

Während Andreae in der Vorrede heftig gegen das Judentum und das Papsttum polemisiert, nimmt er den Text der vierten Predigt über die Emmausjünger Lk 24,13-35 zum Anlass, auf eine überraschend irenisch erscheinende Art über die Erlangung der Glaubenseinheit zu reden. Wie jene beiden Jünger auf dem Wege nach Emmaus in Gegenwart des von ihnen noch unerkannten Jesus miteinander über die jüngsten Ereignisse, die sich in Jerusalem zugetragen haben, disputiert hätten, so könnten ehrliche Menschen aus den beiden religiös getrennten Lagern versuchen, gemeinsam das wahrhaft Katholische zu ermitteln. Seine Anregung zum "ökumenischen Gespräch", wie wir heute sagen würden, kleidet Andreae in die Worte: "Darumb ist kein Zweifel, es kommen oft und viel gutherzige Christen zusammen, da je zween und zween miteinander reden, was der Weg zu der Seligkeit seie und was d. h. wie doch einer in dieser Spaltung sich verhalten solle. Und da der Herr Christus solchem Gespräch mit der Gnade seines heiligen Geists beiwohnet, kommen endlich die rechten, einfältigen Christen dahin, dass sie alle Menschen beider Religion aus den Augen setzen und suchen herfür, das beide Teil für die Wahrheit halten und bekennen müssen; nämlich, daß eines zum andern sagt: 'Lieber, warauf bistu getauft? auf des Bapsts oder des Luthers Namen?' Antwort das ander: 'Wir seind weder auf des Bapsts noch auf des Luthers, sonder auf den Namen Gottes, des Vaters und des Sohns und des heiligen Geists, getaufet worden, der uns zugesagt und verheißen hat, wer glaubt und getauft werde, der werde selig werden'" (S.80f.). So könnte man sich unter Absehen von Menschen und menschlichen Traditionen auch über die anderen "Hauptstuck christlicher Lehr" einigen, nämlich den "christlichen, catholischen Glauben" auf Grund des Apostolikums, das "catholische, christliche Gebet" Vaterunser die "christlichen, catholischen guten Werke" Eph. 1 das "catholische, christliche Sakrament des Altars" und die "christlichen, catholischen Schlüssel zum Himmelreich" (S.85). Wenn es den Gesprächspartnern nicht an Gottesfurcht fehlt, "wird gewißlich Christus mitten under ihnen sein und sie in seiner Erkenntnis stärken, so daß sie gewißlich selig werden, wie er diesen beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus zugesaget und ein lang Predig geton, auch endlich sich ihnen im Brotbrechen zu enkennen sic! [ge]geben hat" (S.86).

Andreaes "ökumenische" Methode überzeugt insofern, als er den Rückgang auf das Ursprüngliche, d. h. die biblische Botschaft, fordert. Daß die Reformation aber nicht nur durch die Berufung allein auf die Heilige Schrift, sondern auch durch eine spezifische Interpretation derselben gekennzeichnet ist, die von Altgläubigen nicht akzeptiert wird, ist ein hermeneutisches Problem, das Andreae zu seiner Zeit noch nicht in voller Schärfe erkannt hat.

3: Die Reformation in Wiesensteig

Anders als in Öttingen war Andreae bei seinen reformatorischen Bemühungen in der Herrschaft Wiesensteig(18) kein bleibender Erfolg beschieden. Wiesensteig im oberen Filstal befand sich im Besitze der Grafen von Helfenstein und grenzte an das Gebiet der Freien Reichsstadt Ulm, eines oberdeutschen Zentrums der Reformation. Die Grafen von Helfenstein unterhielten auch Beziehungen zum evangelischen Württemberg. Graf Sebastian 1521-1564 war Obervogt in Blaubeuren. Er bat 1555 Herzog Christoph, ihm und seinem Bruder Ulrich XVII. 1524-1570 einen Prediger zu schicken, der die Herrschaft reformieren sollte.

Über die Reformation in Wiesensteig schreibt Andreae:(19)"Im Jahr des Herrn 1556(20) ereignete sich auch die Reformation der Gemeinden der Grafschaft Helfenstein. Zu ihrer Einführung wurde Doktor Jakob von Graf Ulrich von Helfenstein nach Wiesensteig gerufen, als er noch der Gemeinde von Göppingen vorstand."(21)

Die Bemühungen des Grafen Ulrich stießen innerhalb der Familie, nämlich bei seinem Bruder Georg 1518-1573 seiner Mutter und seiner Ehefrau, auf heftigen Widerstand: "Obwohl er aber einen Bruder hatte, Sebastian, Graf von Helfenstein, der vor allem auch dieses Werk eifrig betrieb, stellten sich dennoch nicht leichte Hindernisse in den Weg, durch welche der Satan dieses fromme Beginnen abzubrechen versuchte. Ein anderer Bruder namens Graf Georg, der am Hofe Kaiser Ferdinands in höchster Gunst stand und der die päpstliche Religion hartnäckig verteidigte, leistete zusammen mit der Mutter und der Ehefrau des Grafen Ulrich, einer Tochter des Grafen von Montfort, nach Kräften Widerstand, und sie bemühten sich, beide, Graf Sebastian und Graf Ulrich, von ihrem Vorhaben abzubringen."

Ein weiteres Zentrum der reformationsfeindlichen Kräfte war das reiche Chorherrenstift Wiesensteig: "Dazu kam als Zuwachs das Collegium der Opferpriester in der Stadt Wiesensteig, dessen jährliche Einkünfte die jährlichen Einkünfte der Grafen, wie man glaubt, übertreffen. Diese widersetzten sich mit großer Kraft dank der Bemühung, Hilfe und Autorität des Kardinals und Bischofs von Augsburg, Otto Truchseß von Waldburg, 1514-1573 (22)"

Andreae musste zuerst unter widrigen und entwürdigenden Umständen dem zahlreich versammelten Volk das Evangelium predigen: "Daher kam es, dass Doktor Jakob, der zur Reformation gerufen war, gezwungen war die erste Predigt nicht in der Kirche zu halten, welche die Opferpriester für sich beanspruchten, sondern im Burghof, wo das fromme Volk versammelt war, das nach der Lehre des Evangeliums dürstete. Er stand auf einer Treppe (scala) an einem erhöhten Ort, damit er vom Volk gesehen werden konnte. Das wiederholte sich später einige Male. Diesen Doktor Jakob zusammen mit Graf Ulrich und einer zahlreichen Volksmenge verspottete ruchlos dessen d.h. Ulrichs Gattin mit dem Frauenzimmer d. h. ihrer weiblichen Dienerschaft indem sie aus dem Fenster auf den freien Platz schaute, wie einst Michal den König David verspottete als er vor der Lade des Herrn spielte.(23) Da aber bei der Kirche der Opferpriester auch eine Kapelle errichtet worden war, besetzte diese der Graf mit den Untertanen, die Hörer des Evangeliums waren, bis die Sache mit den Opferpriestern erledigt würde. Da die Kapelle allzu eng war, so dass sie eine so große Menge nicht aufnehmen konnte, besetzte er schließlich die Kirche selbst gegen den Willen der Opferpriester. Fortan lehrten in ihr nicht nur Doktor Jakob, sondern alle seine Nachfolger, Magister Leonhard Culmann(24), Doktor Laurentius(25) und Magister Jakob Dachtler."(26)

Der eigenmächtige Eifer, mit dem Graf Ulrich Bilder und Altäre zerstören ließ, steigerte den Zorn seiner am alten Glauben festhaltenden Gattin: "Gewaltig aber war der Eifer Graf Ulrichs. Da dessen Herz den päpstlichen Götzendienst verabscheute, sorgte er dafür, daß alle Bilder und Altäre niedergerissen wurden (destrui). Er hatte dabei nicht den Rat und die Rückkehr Doktor Jakobs abgewartet, da dieser anderer Geschäfte wegen einige Wochen abwesend war. Durch diese Tat wurde seine Gattin zu noch größerer Wut gegen die Lehre des Evangeliums entzündet. Ihr Blick, wie auch ihr Gesicht[sausdruck] war neiderfüllt und voll satanischen Hasses gegen Doktor Jakob, den sie nach dem Willen des Grafen Ulrich, ihres Gemahls, gezwungen war, mit ausgestreckter Hand zu begrüßen und auch bei Tische gegen ihren Willen zu ertragen."

Die Grafen besoldeten die drei Prediger aus eigenen Mitteln, weil das Chorherrenstift über die geistlichen Einkünfte verfügte. Herzog Christoph riet den Grafen, nach württembergischem Vorbild die Verwaltung des Stifts zu übernehmen, den Stiftsherren ihren Unterhalt zu gewähren und aus dem übrigen Vermögen für die Prediger zu sorgen. Die Stiftsherren lehnten diese Lösung ab. Sie wandten sich an den Bischof von Augsburg, Kardinal Otto Truchseß von Waldburg, der die Sache vor das Reichskammergericht brachte. Auf die Seite des Grafen stellten sich Herzog Christoph, Kurfürst Ottheinrich und Markgraf Karl von Baden 1529-1577 Nachdem Graf Sebastian 1564 gestorben war, verstärkte sich der Druck auf Graf Ulrich. Schließlich ließ er sich durch seine Frau, den Bischof von Augsburg und den Jesuiten Petrus Canisius 1521-1597 den ersten deutschen Jesuiten, dazu bewegen, zur römischen Kirche zurückzukehren. Jakob Andreae und Herzog Christoph von Württemberg bemühten sich vergeblich, Graf Ulrich umzustimmen. Andreae und ein württembergischer Rat wurden am 7. Mai 1567 nach Wiesensteig zu Graf Ulrich geschickt, um ihm einen Brief Herzog Christophs zu überbringen und seine Rückkehr zum Papsttum zu verhindern. Als Grund seiner Entscheidung nannte der Graf vor allem die Spaltungen unter den Evangelischen und seine Pietät gegenüber dem schon mehr als 700 Jahre bestehenden Chorherrenstift, das er nicht auflösen wolle. Schließlich versuchte Andreae zu erreichen, dass wenigstens die evangelischen Prediger in Wiesensteig bleiben durften. Sie wurden aber 1567 entlassen.(27) Damit endete die kurze reformatorische Periode der Herrschaft Wiesensteig.

Im Zusammenhang mit Andreaes Bemühungen, dieses kleine Gebiet und seinen unsicher gewordenen Landesherrn dem Evangelium zu erhalten, steht eine umfangreiche Mahnschrift astrologisch-biblischen Charakters. Sie ist veranlasst durch eine für den 9. April 1567 erwartete Sonnenfinsternis.(28) Der Titel lautet: "Christliche, notwendige und ernstliche Erinnerung, nach dem Lauf der irdischen Planeten gestellt, daraus ein jeder einfältiger Christ zu sehen, was für Glück oder Unglück Teutschland dieser Zeit zu gewarten."

Andreae hat das Werk mit apostolischer Grußformel Graf Ulrich von Helfenstein gewidmet: "Dem wohlgebornen Herrn, Herrn Ulrichen, Grafen zu Helfenstein, Freiherrn zu Gundelfingen etc., seinem gnädigen Herrn, wünschet Jacobus Andreae Gnad und Fried in Christo, unserm einigen Heiland." Andreae setzt sich der Vorrede seelsorgerlich mit den Anstößen auseinander, die Graf Ulrich an unerfreulichen Begleiterscheinungen der Reformation genommen hat: an der Verachtung der "guten Ordnung" durch einige Prediger und vor allem ein sektiererisches Unwesen. Wiedertäufer und Schwenckfeldianer werden u. a. genannt. Diesen "Anstößen vom leidigen Teufel"(29) könne nur durch ein enges Zusammenwirken der christlichen Obrigkeit und der Prediger des Evangeliums begegnet werden. Schließlich will Andreae mit diesen Predigten dem Grafen seine tiefe Verbundenheit mit der Kirche seines Herrschaftsgebietes bekunden und appelliert zugleich an dessen Verantwortung für das Schicksal der Reformation, zu der er selbst als Landesherr den Auftrag gegeben hat. Er deutet zart an, dass Gott zuletzt sogar gegen die Absicht des Grafen das Werk der Reformation erhalten habe und künftig erhalten wolle: "Ich hab auch hiemit anzeigen wöllen, daß E[uer] G[naden] Kirchen mir sowohl heutigs Tags und für und für, als den ersten Tag, mit christlicher Sorg angelegen und E[uer] G[naden] christliche Reformation fürgenommen. Und demnach den Allmächtigen bitte d. h. bitte ich den Allmächtigern er wöll dies angefangen Werk mit Gnaden erhalten und vollführen, welcher mit E[uer] G[naden] bis daher wunderbarlich gehandelt und das angefangen Werk wider E[uer] G[naden] selbst eigne Gedanken erhalten, gesegnet und gebenedeiet hat "(30) Die Thematik der Predigten soll alle Leser und vor allem den unsicher gewordenen Grafen an Gottes apokalyptisches Strafgericht "erinnern", das nur durch Gehorsam gegen das Evangelium abgewendet werden könne. Der Fehlschlag der Reformation in Wiesensteig hat Andreae persönlich schwer getroffen.(31)

4: Die Reformation in Wachendorf

4.1: Ihr Verlauf

Wachendorf war eine kleine Herrschaft in der Nähe von Rottenburg, im habsburgischen Gebiet gelegen. Der Augsburger Religionsfriede bot auch kleinsten reichsunmittelbaren Obrigkeiten das Recht, in ihrem Bereich die lutherische Reformation einzuführen. Über Andreaes reformatorisches Wirken in Wachendorf in Jahren 1564/65 berichtet Heerbrand in seiner Grabrede. Er erwähnt zuerst Johannes von Au, den Herrn von Wachendorf, und die Personen, die ihn an Jakob Andreae verwiesen, damit dieser den Adligen und seine Gemeinde gründlich in der Lehre des Evangeliums unterrichte: "Es lebte hier in der Nachbarschaft von Tübingen etwa zwei Meilen entfernt, ein Mann, hervorragend durch Adel des Geschlechts, durch Tugend, Weisheit, Frömmigkeit und Großmütigkeit, Johannes von Au zu Wachendorf. Er wurde von dem verehrungswürdigen Arzt Doktor Gabler, mit dem er hier sehr freundschaftlich verkehrte, über die katechetischen Grundlagen unserer Religion unterrichtet. Bevor dieser Gabler von unserer Religion abfiel, veranlasste er jenen, auch mit einem anderen, dem Rechtsgelehrten Magister Johannes Bietigheim, unseren Kanzler zu sich zu rufen, um von ihm vollständiger mit seiner Gemeinde unterwiesen zu werden. Sie wüßten, daß er sich nicht unzugänglich erweisen werde."(32)

Dann wird Andreaes reformatorisches Wirken in Wachendorf beschrieben: "Da sich diese Gelegenheit bot, erwies unser Doktor Jakob Andreae nachdem er die Angelegenheit mit dem durchlauchtigsten Fürsten Christoph besprochen hatte, jenem seine Hilfe. Er tat es auf diese Weise, dass er an den Samstagen nach Wachendorf hinaufzog und danach an den Sonntagen dort öffentlich anstelle der Predigt (pro concione) den Katechismus überlieferte und erklärte. Unterdessen fehlten diejenigen nicht, die ihn hier in Tübingen im Gottesdienst vertraten. Er leistete dies etwa ein Jahr oder mehr, indem er am 8. November des Jahres 1564 anfing und seine erste katechetische Predigt hielt. So pflanzte er diese Kirche, nachdem allmählich der päpstliche Götzenwahn abgeschafft worden war. Diese Predigten sind später hier in Tübingen gedruckt worden. Obwohl der Adlige auf verschiedene Weise in Versuchung geführt wurde, blieb er dennoch bei der erkannten Wahrheit standhaft bis zum Ende." Die evangelische Gemeinde von Wachendorf erlosch im Dreißigjährigen Krieg.

Die Wachendorfer Predigten

Die in Wachendorf gehaltenen Predigten gab Andreae in gedruckter Form unter dem Titel heraus: "Christliche, getreue Anleitung, welcher Gestalt die rein Lehr des heiligen Euangelions in den Kirchen, so bisher unter dem Papsttum gewesen, ... gründlich und fruchtbarlich gepflanzt ... werden mögen."(33) Die erste der 31 Predigten wurde am 8. Oktober 1564 und die letzte am Martinstag, den 11. November 1565 gehalten. Die Vorrede ist an Hans von Au gerichtet: "Dem edlen und festen Hansen von Ow zu Wachendorf etc., seinem günstigen, lieben Junkern, wünschet Jacobus Andreae D. Gnad und Fried in Christo Jhesu."

Andreae beschreibt in der Vorrede die der Obrigkeit auferlegte Pflicht, für die rechte Gottesverehrung zu sorgen. Er vertritt dieselbe Auffassung, die auch in der Großen Württembergischen Kirchenordnung von 1559 ausgesprochen ist:(34) "Dargegen aber, so sie d.h. eine Herrschaft mit Ernst und Fleiß betrachtet, wie ernstlich allen Menschen, besonders aber eines jeden Orts Oberkeit und Herrschaft, von Gott auferlegt und eingebunden, daß sie über dem rechten, wahrhaftigen Gottesdienst halten und, was demselben zuwider, abschaffen soll, so haben sich alle christliche Regenten wohl zu erinnern, wie ein schwere Rechenschaft sie Gott am jüngsten Tag geben müssen, da sie ihrer Untertonen sich in geistlichen Dingen nichts angenommen und nach dem reinen Gottesdienst nicht mit allem Fleiß und Ernst getrachtet und also wenig geachtet, ob sie selig oder verdammt werden, wann sie allein die Rent und Gülten d. h. Abgaben ordenlich bezahlen und sunst ihre Dienst leisten." Andreae tadelt ungestüme Prediger, welche die Reformation mit der gewaltsamen Beseitigung der Bilder beginnen und dadurch die Einfältigen und noch Irrenden für immer dem Evangelium entfremden: "Es wird auch nit wenig gesündiget durch etlich Prediger, die der Kirchen Reformation mit der Axt und Pflegel anfahen, stürmen gleich wider die Bilder und raumen sie dem unverständigen Volk aus den Augen hinweg, darvon es noch gar keinen oder doch nit genugsamen Bericht hat, durch welch ungestüm Wesen die Einfältigen und noch Irrenden für den Kopf gestoßen und um diese Weis willen auch die d. h. der Predigt des Worts Gottes anfangen feind zu werden und sich hernach nit mehr lehren noch unterweisen lassen wollen, an welcher Verderben solche ungestüme Reformatores schuldig werden."

Anders ist Andreae in Wachendorf vorgegangen. Er hat sich seiner schlichten Gemeinde angepasst und ihr aus der Bibel das katechetische Grundwissen vermittelt: Ich habe mich erstlich erinnert, was ich für Zuhörer haben wurde, die weder schreiben noch lesen konnten, sonder ihrer Arbeit und Beruf gelernet auszuwarten. Und demnach habe ich mit ihnen aus ihrer Bibel gered't, die ihnen so wohl bekannt sein mocht als mir. Dann welcher Baursmann sollt die zehen Gebot, den christlichen Glauben, das Vaterunser, sein Tauf, das Sacrament des Leibs und Bluts Christi und die Schlüssel zum Himmel nicht wissen? Und also aus denselben Stücken habe ich ihnen einfältig angezeigt, warauf unser Seelenheil und Seligkeit stehet, und wie sie nicht allein den Menschen Rechenschaft ihres Glaubens geben, sonder auch im letzten Kampf und Todesnöten des bösen Feinds sich erwehren und ihn gewaltiglich überwinden könnten, da gleich an ihrem letzten Ende kein Mensch um oder bei ihnen sein werde."

Die letzte Predigt trägt die Überschrift: "Von dem Inhalt der ganzen Lehr zu Wachendorf geprediget und des Pfarrherrs Pflichten, so er seim Bischof geton hat" (S.454). Andreae zeigt den Wachendorfern, wie sie ihren Glauben und ihren evangelischen Pfarrer gegen Vorwürfe der reformationsfeindlichen Nachbarn verteidigen sollen. Zunächst erfahren wir, wessen man die Wachendorfer beschuldigt: "Ich setze ganz und gar kein Zweifel, es seien von euch zu Wachendorf, beides, dem Prediger und Zuhörern, diese Zeit über bei den Nachbarn ringsweis umbher allerlei Reden ergangen, nämlich als sollten d. h. solltet ihr zu Wachendorf vom christlichen Glauben abgefallen und ein neuen ketzerischen Glauben angenommen haben. Von euerm Pfarrherr aber sagt man daß er über solchem treulos und meineidig an seim Bischof worden, dem er bisher als ein Priester verpflicht gewesen, außerhalb dem Ehestand zu leben, Meß zu lesen und alle Kirchenbräuch nach der römischen Kirchen und seines Bischofs Befehl zu verrichten" (S.454). Zuerst setzt sich Andreae mit der Anschuldigung auseinander, die Wachendorfer seien vom christlichen Glauben abgefallen und hätten eine Irrlehre angenommen. Er erinnert die Gemeinde in katechismusartiger Gliederung an den wesentlichen Inhalt seiner Predigten. Dabei hebt er immer wieder das Moment der Gewißheit durch die einleitenden Worte "Ihr wisset" hervor: "Nun wißt ihr euch zu erinnern, daß ich auch von keim andern Tauf gesagt hab, dann den ihr im Namen des Vaters, Sohns und Heiligen Geists als Brief und Siegel empfangen haben, daß euch Gott für seine Kinder halten und ewiglich selig machen wöllen. Ihr wisset, daß ich euch kein andern Glauben gelehrt hab, denn euern alten, catholischen, christlichen Glauben in Gott Vater, der euch erschaffen hat, in Gott Sohn, der euch mit seinem Blut erlöset hat von allen euern Sünden, Tod, Teufel, Höll und ewiger Verdammnus, in Gott Heiligen Geist, der euch den Glauben in Gott Vater und Sohn wirket, der euch heiliget, der euch versichert des Ablaß d. h. der Vergebung euerer Sünden, der Auferstehung des Fleischs und ewigen Lebens. Ihr wisset, daß ich euch das alt Vaterunser erklärt habe, welches unser Herr Christus seine Jünger gelehrt und uns allen fürgeschrieben hat, und wie wir in allen unsern Nöten allein zu Gott schreien, rufen und laufen sollen. Ihr wisset, daß ich euch gelehrt hab die alten zehen Gebot, wie sie Gott vom Himmel herabgegeben und unser Herr Christus selbst ausgelegt und erkläret hat, in welchen beschrieben seind die rechte, wahrhaftige, gute Werk, an welchen wir unser Leben lang zu tun haben, uns gegen dem himmlischen Vater, dem Herrn Christo und H[eiligen] Geist für alle seine Guttaten dankbar zu erzeigen. Ihr wisset, daß ich euch gelehrt und gegeben hab das hochwirdig Sacrament des Leibs und Bluts Christi, wie es unser Herr Christus eingesetzt und seinen Jüngern gegeben hat, der Gestalt auch seine Jünger allen Christen und nicht anderst gegeben, dann wie sie es von Christo empfangen haben. Ihr wisset, daß ich euch kein andern Schlüssel zum Himmelreich gelehrt hab dann eben den Schlüssel, welchen S. Peter und alle Apostel von Christo empfangen und allen rechtschaffenen Kirchendienern samt der ganzen christlichen Kirchen hinter ihnen auf Erden verlassen haben d. h. ihnen hinterlassen haben nämlich die gnadenreiche Zusagung unsers Herrn Christi, daß er allen bußfertigen und glaubigen Christen mit seinem Blut all ihr Sünd zugedeckt habe und daß uns dieselbige so wahrhaftig verziegen d. h. verziehen und vergeben seien, so gewiß wir sein Wort von dem Diener der Kirchen nach Laut seiner Zusagung gehört haben: 'Wer euch höret, der höret mich, und welchem ihr die Sünde vergeben, dem seind sie vergeben' Lk 10,16 (S.456-458). Dies sei der Inhalt der ganzen Bibel. Auf diese Artikel sollen die Wachendorfer ihre päpstischen Ankläger in aller Bescheidenheit hinweisen.

Dann nimmt Andreae zu dem Vorwurf Stellung, der Pfarrer sei durch den Eintritt in den Ehestand und durch die Unterlassung des Messelesens und anderer Zeremonien gegenüber seinem Bischof meineidig geworden. Was den ersten Punkt betrifft, so werde in der Bibel keinem Priester oder Pfarrer die Ehe verboten. Im Gegenteil: Paulus befehle allen, die nicht enthaltsam leben können, zu heiraten 1. Kor. 7, 2 Das Eheverbot sei nach 2. Tim. 4, 3 ein Teufelsgebot. Nach 1. Tim. 3, 2 und Tit. 1, 6 stehe jedem Pfarrer die Ehe frei. Die Anhänger des Papsttum würden aber bestreiten, daß der Priesterzölibat schriftwidrig sei: "Ja, sprechen sie, man zwingt niemand, daß er muß ein Priester werden, so verbeut man auch keinem den Ehestand; dann es steht in eines jeden freien Willen, geistlich zu werden oder nit und demnach auch zu geloben oder nicht; was aber einer mal gelobet, das ist er schuldig zu halten" (S.462). Diesen Einwand hält Andreae für eine Ausflucht. Der Papst habe ein strenges Gebot auf den bischöflichen und Priesterstand gelegt. "Wo steht aber dies Gebot in Heiliger Schrift?" (S.463). Besonders schlimm findet es Andreae, daß nur die Ehelosigkeit der Priester, aber nicht ihre Verpflichtung zu keuschem Lebenswandel streng durchgesetzt wird. Denn die Priester brauchen nur zu geloben, "nit weiter die Keuschheit zu halten, dann soviel menschliche Blödigkeit d. h. Schwachheit leiden möge" (S.463). Der unkeusche Priester brauche seinem Bischof nur den "Milchzins" zu zahlen, wenn er etwa seine Magd geschwängert habe, dürfe aber sein Amt ohne jede Einschränkung weiterhin ausüben (S.464). Als "Milchzins" wurde nicht nur die Steuer bezeichnet, welche die Bischöfe von ihren Geistlichen unkeuschen Lebens wegen erhoben, sondern auch die jährliche Abgabe gewerbsmäßiger Huren.(35)

Darauf wendet sich Andreae der zweiten gegen den evangelischen Pfarrer von Wachendorf erhobenen Beschuldigung zu, er lese nicht mehr die Messe und halte nicht die päpstlichen Zeremonien. Andreae wendet dagegen ein, daß der Pfarrer durchaus die Messe halte, allerdings nicht nach päpstlicher Weise, sondern nach apostolischer Norm: "Dann einmal, so hält euer Pfarrherr Meß aller Maß und Gestalt, wie Sant Peter und alle Apostel Meß gehalten haben" (S.466). Es sei wohl wahr, dass der Pfarrer gelobt hat, den römischen Ritus zu zelebrieren, zugleich aber habe er auch gelobt, das Evangelium zu predigen. Beides widerspreche sich jedoch: "Was aber belangt den Anhang der Meß und andere viel mehr Ceremonien, die er unterläßt, hat es die Gestalt d. h. verhält es sich folgendermaßen]: Da euer Pfarrer zu einem Priester geweihet worden, ist nicht weniger [geschehen, als daß ihm sein Weihbischof alle bäpstliche Ceremonien auferlegt und befohlen hat zu halten. Er hat ihm aber zugleich und zumal auch auferlegt und befohlen, das heilig Evangelium zu predigen. Da nun das heilig Evangelium und die Bäpstischen Ceremonien widereinander seien und nebeneinander nicht bestehen könnten, ist die Frag, wie er sich in diesen widerwärtigen d. h. sich widersprechenden Dingen verhalte, die er aus Unverstand und Einfalt zu halten zugleich zugesagt und versprochen hat" (S.466 f.). Andreae zeigt durch ein Gleichnis, wie das Problem zu lösen sei: Ein Sohn verspricht zugleich, seinen Vater zu töten und ihn am Leben zu lassen. Tötet er ihn, bricht er sein Versprechen, ihn am Leben zu lassen. Lässt er ihn am Leben, bricht er sein Versprechen, ihn zu töten. Bei gesunder Vernunft kann sich der Sohn nur so entscheiden, dass er den Vater leben lässt. Ebenso verhalte es sich mit dem in sich widersprüchlichen Gelübde, das der Priester bei seiner Weihe aus Unverstand abgelegt hat. Die Rechte Entscheidung könne nur für das Evangelium und gegen die Opfermesse und die päpstlichen Zeremonien fallen. Der Pfarrer der Gemeinde Wachendorf habe früher aus Unverstand bei der Priesterweihe das widersprüchliche Gelübde abgelegt (S.467). Denn die "dicke Finsternis des Papsttums" habe nicht jeder sogleich erkannt (S.469). Zuletzt ermahnt Andreae seine Gemeinde, Obrigkeit und Untertanen, die Anschuldigungen der Nachbarn friedfertig und zugleich entschieden zurückzuweisen und am Evangelium festzuhalten (S.471).

5: Abschließende Würdigung

Bewundernswert ist, wie Andreae, eine Gestalt von großer kirchengeschichtlicher Bedeutung, bei der unglaublichen Fülle seiner Verpflichtungen dennoch auch auf kleinstem Raum mit größter Hingabe für die Ausbreitung und Erhaltung des Evangeliums und evangelischer Gemeinden gearbeitet hat. Seine Bemühungen hatten ein einziges Zentrum: die Predigt des Evangeliums. Von dieser Mitte her ist auch seine Beteiligung an Synoden und Visitationen zu verstehen, wo es um die Ordnung der Gemeinden, die Amtsführung der Pfarrer und die Bildung der Jugend durch Einrichtung von Schulen ging.

Andreaes Appell an die Pflicht der Obrigkeit, das Evangelium und die Gemeinden zu fördern und zu schützen, hatte keineswegs die geistliche Entmüdigung des Volkes zur Folge. Die Predigten zeigen, zu welcher geistlichen Urteilsfähigkeit Andreae mit schlichten, treffenden Worten sogar Analphabeten wie die Bauern von Wachendorf zu erziehen wußte. Von Fürstendienerei kann bei diesem Mann, der freilich ganz in den politischen und gesellschaftlichen Ordnungen jener Zeit lebte, nicht die Rede sein. Dagegen sprechen die vielfältigen Ermahnungen, die hohe Herren - bei allem geschuldeten Respekt - aus seinem Munde zu hören bekamen. In der Art des Apostels Paulus wußte er sich mit den Gemeinden verbunden, und nichts schmerzte ihn mehr als deren Gefährdung durch die Obrigkeit, sei es, daß sie sich an Kirchengut zu bereichern trachtete oder im Glauben wankend wurde. Unverkennbar ist schließlich die wahrhaft katholische Gesinnung dieses Mannes. Sie gründet sich nicht auf vieldeutige Kompromißformeln, sondern auf das Zeugnis der Apostel und Propheten, das er in einheitlichem, evangeliozentrischen Sinne versteht.

Aktualisiert am: 19.03.2018

Gescheiterte Reformationen: Andreas Althamer in Schwäbisch Gmünd, Konrad Stücklin in Rottweil und Theobald Billican in Weil der Stadt

Von: Köhler, Joachim

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Schwäbisch Gmünd
  2. 2: Rottweil
  3. 3: Weil der Stadt
  4. Anhang

Wer die Feststellung trifft, die "Reformation" in einer Stadt sei gescheitert, wie dies üblicherweise in den Reichsstädten des deutschen Südwestens Schwäbisch Gmünd, Rottweil und Weil der Stadt geschieht, der wird sich schwer tun, dies einzelnen Personen oder Akteuren anzulasten..(1)

Einfacher ist es, den Erfolg oder wenigstens den Durchbruch der Reformation in den Städten mit einzelnen Personen in Verbindung zu bringen. So können viele Städte auf ihren Reformator hinweisen.

Dadurch aber treten die vielfältigen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und religiösen Ursachen oft in den Hintergrund. Um das Scheitern zu ergründen, muss auf diese Verflechtungen aufmerksam gemacht werden. Der Verweis allein auf den Akteur, der gescheitert ist, wird den vielfältigen Gegebenheiten nicht gerecht. Noch sind in den Städten, in denen die Reformation gescheitert ist, bestimmte Namen im Bewusstsein jener Minderheit, die der herrschenden Schicht unterlegen ist, gleich ob sie in der katholischen Stadt überlebt oder aus ihr vertrieben wurde. Die Funktion des Erinnerns war für die Bewusstseinsbildung und damit für die Bestärkung des Glaubens von großer Bedeutung.

So stehen die Namen Andreas Althamer um 1500-1539 für Schwäbisch Gmünd, Konrad Stücklin für Rottweil und Theobald Billican um 1490-1554 für Weil der Stadt. Althamer und Billican haben sich nur kurze Zeit in Schwäbisch Gmünd bzw. in Weil der Stadt aufgehalten. Ihr Leben und Wirken nahm erst nach deren Wechsel in die Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach bzw. nach Nördlingen greifbare Strukturen an. Nicht in diesen Städten des deutschen Südwestens wurde ihr Ruhm als Reformatoren begründet. Doch fiel ein wenig von ihrem späteren Glanz auf die Städte ihres früheren Wirkens zurück. Nach dem Urteil von Martin Brecht und Hermann Ehmer war Stücklin in Rottweil "wohl keine allzu starke Persönlichkeit".(2) Die Tatsache, dass Stücklin nach seinem Weggang aus Rottweil 1532 dem evangelischen Glauben abgeschworen hatte, und seine protestantischen Zeitgenossen der Meinung waren, dass er "des evangelischen Kreuzes müde geworden sei"(3), nahm ihm den Nimbus eines Reformators, den er zuvor aufgrund seiner Ausstrahlungskraft durch seine Predigt erzeugt hatte.

Die Erinnerung an die "Reformatoren", die gescheitert sind, mag deutlich machen, dass im Hinblick auf die sozialen und religiösen Belange ein neues Denken in den Städten weit verbreitet war. Der Durchbruch oder gar eine Wende hing von anderen Faktoren ab. Wenn wir die Geschichte nicht so sehr von Ideen her beurteilen, sondern das Umfeld der Menschen und die Verhältnisse, die zu neuem Denken führten oder die Neuerungen ablehnten, werden wir auf ein Netzwerk sozialer wirtschaftliche und politische Faktoren verwiesen, die allein den Sieg oder das Scheitern der Reformation in den einzelnen Städten erklären können.

1: Schwäbisch Gmünd

Die Frage, warum Schwäbisch Gmünd zäher und zuletzt auch erfolgreicher an dem alten Glauben festgehalten hat, ist insofern problematisch, als diese Stadt im Gegensatz zu anderen südwestdeutschen Reichsstädten am stärksten unter dem Einfluß der Zünfte stand und dementsprechend eine recht schwache Obrigkeit besaß. Das konservative Gegengewicht eines städtischen Patriziats, das anderwärts den Fortgang der Reformation spürbar gehemmt hat, fehlte

Beide Faktoren würden für eine Begünstigung der Reformation sprechen. Man darf deshalb die Vorgänge zum Beginn der Reformation nicht aus der Sicht konfessioneller Auseinandersetzungen späterer Jahrhunderte beurteilen. Aufgrund der vorliegenden Äußerungen und Entscheidungen des Rates lässt es sich zeigen, "wie weit noch ins 16. Jahrhundert hinein, weniger religiöse Motive, sondern vornehmlich die Linie eines unbedingten Gehorsams dem Kaiser gegenüber bestimmend blieben; vielleicht geschah dies gerade deshalb, weil ohne diese Rückendeckung die Behauptung der obrigkeitlichen Position gegenüber der Bürgerschaft unmöglich erschien".(4) Die zünftischen Kreise, die innerhalb des Stadtregiments eine Vorherrschaft anstrebten, waren aufgeschlossen für das neue Denken, das um die Verkündigung des "reinen Gotteswortes" bemüht war. Deshalb war es verständlich, dass der Rat Maßnahmen ergriff, die eine Regelung der Predigt und die Disziplin der Geistlichkeit umfassten. Als aber im Zuge der Bauernbewegungen Ruhe und Sicherheit der Stadt bedroht waren, war es für die zünftischen Kreise klar, dass sie sich nicht mit den Bauern verbanden. Bürgermeister Egen aber, das Haupt der altgläubigen Partei, forderte zum Schutz der Stadt beim Schwäbischen Städtebund Truppen an. Diese Maßnahme verhinderte die Ziele der zünftischen und der reformatorischen Bewegung.

In diesem sozialen und politischen Geflecht stand Andreas Althamer, der als die zentrale Figur der reformatorischen Bewegung in Schwäbisch Gmünd gilt. Er stammte aus Brenz bei Heidenheim, war vor 1500 geboren, studierte in der Zeit von 1516 bis 1520 in Leipzig und Tübingen, wurde vom Humanismus geprägt und hatte, ehe er nach Schwäbisch Gmünd kam, an mehreren Orten als Schulmeister gewirkt. 1524 hatte er die Stelle eines Helfers (Kaplan) des Pfarrers erhalten. Die Stellung des Pfarrhelfers war eine denkbar unsichere. Der Pfarrer als Vorgesetzter hatte das Recht, den Helfer jederzeit zu entlassen. Da die spätere Entlassung Althamers dem Rat gelegen kam, sah er sich nicht veranlasst, gegen die Entscheidung des Pfarrers einzuschreiten.

Althamer wäre gern nach dem Tod des Pfarrers Thomas Köllin im Juli 1524 dessen Nachfolger geworden, aber das Domkapitel von Augsburg, das über die Pfarrkirche das Patronatsrecht inne hatte, setzte auf Empfehlung des Rates einen anderen, vermutlich den Gmünder Ulrich Schleicher, als Nachfolger ein, was die Konfliktsituation zwischen Pfarrer und Pfarrhelfer erklärt.

Innerhalb kürzester Zeit war es Althamer gelungen, mit der Art seiner Predigt Einfluss auf die Zunfträte zu nehmen, die "aber in ihrer Hinwendung zur neuen Lehre noch keinen Gegensatz zu der auch von ihnen anerkannten Obrigkeit empfanden".(5)

Am 15. November 1524 reichten fünf Gmünder Bürger dem Rat eine Bittschrift ein, in der sie die Errichtung einer Predigerstelle, wie sie in vielen anderen Städten seit der Mitte des 15. Jahrhunderts üblich war und aus der Stadtkasse finanziert wurde.

Der Eingang der Bittschrift wurde durch den Rat bestätigt, die Antwort aber durch "Reformmaßnahmen" verzögert bzw. dadurch negativ beschieden. In einem Dekret vom 19. Dezember 1524 wurden die kaiserlichen Mandate und das Wormser Edikt in Erinnerung gebracht, in denen unter Verlust der Freiheiten lutherisches Gedankengut zu verbreiten verboten wurde. Am Tag darauf verpflichtete Egen die Räte auf diese Mandate und stellte dabei die Vertrauensfrage. Auch dem Pfarrer und seinem Helfer wurden die Mandate eigens verlesen. Die Antwort an die Bittsteller konnte nun negativ beschieden werden: Der Rat habe verfügt, daß die Prediger der Stadt "das hailig euangelium mit seiner geburenden außlegung solten predigen und ander disputierlich sachen, so zu widerwillen, veintschaft und aufruren mochten dienen, underlassen".(6) Der Rat setzte den Wunsch nach einem Prediger mit einer Verletzung des Bürgereids und mit Aufruhr gleich und war gewillt, das Zuwiderhandeln zu bestrafen.

Althamer wurde von seinem Pfarrer entlassen. Beim Rat fand er keine Unterstützung. Daraufhin richtete der evangelische Teil der Bürgerschaft am 2. Februar 1525 erneut eine Bitte um einen Prediger an den Rat. Gleichzeitig versicherten sie ihre Treue als Bürger.

Offensichtlich war die Zahl der Bürger, die einen Prediger forderten so groß, dass der Rat sie nicht mehr übergehen konnte. Es wurde ihnen ein Predigtgottesdienst zugestanden, der sogar mit einer kleinen Glocke eingeläutet werden durfte. Auch die Besoldung Althamers, der von den Bittstellern angestellt wurde, übernahm die Stadtkasse. Allerdings war die Bürgerschaft gespalten. Althamer wurde einmal auf dem Weg zur Predigt tätlich angegriffen. Als Revanche störte er mit seinen Anhängern die Predigt eines bekannten Dominikaners in der Dominikanerkirche.

Tumulte, die in der Osternacht vom 15. auf 16. April 1525 ausgebrochen waren und in der Plünderung der Vorratskammern des Dominikanerklosters eskalierten, sind eher auf das Konto der Auseinandersetzungen um die Macht im Rat zu interpretieren. Die Verhaltung eines angeblichen Unruhestifters durch den Rat wurde von der Bevölkerung, die durch die Bauernunruhen in Spannung gehalten wurde, als Provokation gedeutet. Die Plünderung des Dominikanerklosters war ein "revolutionärer Vorgang"(7), durch den dokumentiert werden sollte, dass die Machtverhältnisse sich verändert hatten und die neuen, die zünftischen Mehrheiten einen Zugriff auf die Klöster riskieren konnten.

"Die städtische Bewegung in Gmünd, die sich im Gemeindeausschuß verkörperte, sah ... offensichtlich keine Gemeinsamkeit mit der bäuerlichen Bewegung draußen auf dem Land und wollte ihre Sache allein durchführen".(8) Und wir können zu der Feststellung Hermann Ehmers hinzufügen: sie tat dies durch jene demonstrativen Zeichen, die die neuen Machtverhältnisse signalisieren sollten.

Die Klärung der politischen Verhältnisse in der Stadt war nur die Voraussetzung, für eine Veränderung der kirchlichen Zustände. So kam es zu einer Übereinkunft am 27. April 1525: Die Geistlichkeit versicherte dem Rat und dem Gemeindeausschuß ihre Loyalität. Beide Gremien übernahmen die Garantie für die Sicherheit der Geistlichkeit.

Althamer, "der geistliche Führer der Reformpartei"(9), der bei den tumultuarischen Vorgängen eher eine untergeordnete Rolle gespielt hatte, war bemüht, eine Kirchenordnung aufzustellen. Er regte an, daß Rat und Gemeindeausschuß Gesandtschaften nach Nördlingen, Dinkelsbühl und Nürnberg schicken sollten, um anzufragen, wie dort die Fragen der Kirchenordnung gelöst würden. Althamer selbst richtete neben den offiziellen Anfragen persönliche Schreiben an die drei Prediger dieser Städte.

Zur Abfassung einer evangelischen Kirchenordnung ist es nicht gekommen. Die Truppen des Schwäbischen Städtebundes, die zum Schutz gegen die Bauern vom Bürgermeister Egen angefordert worden waren, haben zunächst auf die innerstädtischen Machtverhältnisse keinen Einfluss gehabt. Anfang Juni 1525 konnte unter dem Druck des Gemeindeausschusses der Rat neu besetzt werden. Althamer hielt die Zeit für gegeben durch eine öffentliche Verheiratung mit einer Gmünder Bürgerstochter die letzte Konsequenz evangelischen Denkens für sich einzulösen. Gleichzeitig bat er den Rat, ihn als Bürger aufzunehmen. Rat und Gemeindeausschuss billigten es nicht, diese Neuerung zu akzeptieren.

Eine Predigt, in der er sein Vorgehen rechtfertigte und die im Druck erschienen ist, konnte die Gmünder nicht umstimmen. Am 4. Juli 1525 wurde er entlassen, weil er sich "wider die christlichen Ordnung verheyrat".(10)

Gleichzeitig wurden Stimmen laut, die forderten, den Kleinen und Großen Gemeindeausschuss aufzulösen. Durch Zuzug der Bundestruppen wurde Althamer bedroht. Nur durch eine Flucht aus Schwäbisch Gmünd konnte er sich retten. Über Wittenberg begab er sich nach Nürnberg. 1527 wurde er Pfarrer in Eltersdorf bei Nürnberg, Anfang 1528 Diakon an St. Sebald in Nürnberg und im Mai 1528 Stadtpfarrer in Ansbach, wo er im Sinne der Reformation wirkte.

In Schwäbisch Gmünd war es der zünftischen Bewegung nicht gelungen, sich gegen die konservativen Kräfte durchzusetzen. Da die Zünfte sich auch nicht mit den Bauern verbünden wollten, haben letztlich die "Schutztruppen" des Schwäbischen Städtebundes die zünftische und reformatorische Bewegung verhindert.

2: Rottweil

Martin Brecht nennt die gescheiterte Reformation in Rottweil "eines der einschneidendsten und dunkelsten Ereignisse in der Geschichte"(11) der Stadt. Die kurze Phase, in der sich diese Vorgänge abspielten, endete mit der Ausweisung von 80 bis 100 Familien, insgesamt etwa 400 Personen, die Unterschlupf in Baden, Straßburg, Konstanz und in der Schweiz suchen mussten. Die Heftigkeit, mit der die Auseinandersetzungen auch innerhalb der Bürgerschaft ausgetragen wurde, läßt sich nur erklären, wenn die besonderen Gegebenheiten der Stadt berücksichtigt werden. Die innerstädtische Verfassung könnte als autoritär und antidemokratisch bezeichnet werden. Seit 1500 wurden die Mitglieder des Rates auf Lebenszeit gewählt. Sie kamen aus dem Patriziat und aus Familien zünftischer Herkunft, die es zu Reichtum und Ansehen gebracht hatten.

Der Sprecher jener Städte, die 1529 auf dem Reichstag von Speyer den Reichstagsabschied annahmen und nicht "protestierten" war Konrad Mock, der aus einer angesehenen und konservativ geprägten Familie aus Rottweil stammte.

Außenpolitisch musste Rottweil immer um seine Selbständigkeit kämpfen. Von Österreich und Württemberg bedroht, gelang Rottweil seit 1463 durch ein Bündnis mit den Eidgenossen, das 1519 erneuert wurde, sich zu schützen. Die vielfältigen Beziehungen zur Schweiz hatten insofern verhängnisvolle Wirkungen, da durch die reformatorische Bewegung die Schweiz selber in zwei Lager zerfiel. Deshalb waren die Ansätze reformatorischen Denkens in Rottweil von der oberdeutschen-schweizerischen Bewegung geprägt. Rückhalt erhielten die Rottweiler Patrizier von den katholischen Kantonen der Schweiz. Die Spaltung der Schweiz wurde im Zusammenhang mit der Reformation auf die Stadt Rottweil übertragen.

Ausschlaggebend war die Tatsache, dass in Rottweil das kaiserliche Hofgericht angesiedelt und deshalb eine enge Bindung an Österreich einfach gegeben war. Österreich und die Stadt Rottweil sahen in dieser Bindung lebenswichtige Interessen. Als Machtinstrument österreichischer Politik war es undenkbar, das Stadtgericht in protestantische Hände zu geben. Die Stadt hätte ihre Bedeutung verloren, wäre das Hofgericht verlegt worden.

Durch die Bildungseinrichtung, eine Lateinschule, die im Geiste des Humanismus geführt wurde, konnte man den Rottweilern eine gewisse Weltoffenheit nicht absprechen.

Zu ihnen gehören Schüler der Rottweiler Lateinschule Berthold Haller 1492-1536 aus dem württembergischen Aldingen, der 1513 mit seinem ehemaligen Lehrer Michael Röttlin als Schulgehilfe nach Bern ging, dort Prediger und Chorherr wurde und an führender Stelle die Reformation in Bern betrieben hat. Auch Melchior Volmar 1497-1561 war 1510 bereits mit Röttlin nach Bern übergesiedelt. Er wurde in Bourges in Frankreich Lehrer der späteren Reformatoren Johannes Calvin 1509-1564 und Theodor Beza 1519-1605 Der Schweizer Humanist Heinrich Glareanus 1488-1563 und der spätere Basler Reformator Oswald Myconius 1488-1552 hatten die Rottweiler Lateinschule besucht. Der Rottweiler Johannes Spreter vor 1490-1549 war 1522 im Dienst des Konstanzer Bischofs, 1523 wurde er Pfarrer von St. Stephan in Konstanz. Nachdem er sich 1525 für die Reformation entschieden hatte, kam mit Ambrosius Blarer 1492-1564 nach Württemberg und wurde Pfarrer in Trossingen, wo er bereits vor dem Weggang nach Konstanz altgläubiger Pfarrer war. Er und Valerius Anshelm 1475/80-1547 haben unmittelbar in die Vorgänge in Rottweil eingegriffen. Anshelm war zwischen 1475 und 1480 in Rottweil geboren, hatte 1492 oder 1493 sein Studium in Krakau begonnen, in Basel und Tübingen fortgesetzt und als Doktor der Medizin in Lyon abgeschlossen. 1505 wurde er erst als Schulmeister später als Mediziner in Bern angestellt. 1525 kehrte er nach Rottweil zurück, weil er wegen seines Einsatzes für die Reformation in Bern Schwierigkeiten bekommen hatte.

Die Anfänge reformatorischen Lebens liegen in Rottweil relativ spät, etwa 1520, vermutlich hängen sie mit dem Auftreten Anshelms zusammen, der Hauskreise, in denen die Bibel gelesen und besprochen wurde, anregte.

Konrad Stücklin aus Sigmaringen, der 1526 als Pfarrer angestellt wurde, hat, vermutlich von Anshelm beeinflusst, im Sinne reformatorischer Schriftauslegung gepredigt. Stücklin hatte 1495 in Tübingen studiert und war, ehe er nach Rottweil kam, Pfarrer in Pfullendorf.

Da auch der Pfarrhelfer Wolf Biedermann (oder Penzlin) und der Pfarrer der Altstadt in evangelischem Sinne gepredigt haben und sie alle von der Mehrheit der Gemeinde akzeptiert wurden, wird man diese Phase als ein offene bezeichnen können, in der Konfessionsgrenzen noch nicht festgelegt waren. Gestört wurde diese Entwicklung von Scharfmachern, die auf Abgrenzung drängten.

Der Lesemeister des Dominikanerklosters Georg Neudorfer mischte sich 1526 literarisch in einen theologischen Streit ein, der zwischen den theologischen Richtungen der Konstanzer Geistlichkeit ausgetragen wurde. Die altgläubige Seite hatte Johannes Eck 1486-1543 und Tübinger Professoren um Unterstützung gebeten. Neudorfer wurde in seinen Schriften ausfällig und polemisch, so dass der Konstanzer Rat sich beim Rottweiler Rat beschwerte. Der Streit wurde direkt in die Stadt Rottweil getragen, als der obengenannte Johann Spreter Einfluss auf die Verhältnisse seiner Vaterstadt nahm, in dem er 1527 eine "Christlich instruction und frintlich ermanung, Göttlichs Wort anzunehmen" zuschickte. Der Überbringer dieser Schrift wurde durch den Rat gefangengesetzt. Die Schrift Spreters wurde öffentlich auf dem Marktplatz verbrannt. Die Replik auf Spreters Schrift wurde Neudorfer übertragen, der Spreter vorwarf, Aufruhr zu schüren.

Erste Maßnahmen gegen Rottweiler Bürgerinnen und Bürger, die der Neuerung verdächtigt wurden, wurden ergriffen. Sie wurden gefangen genommen.

1528 meldete sich Neudorfer mit einer neuen Schrift zu Wort, um in eine Disputation in Bern einzugreifen, die von evangelischer Seite als Reaktion auf katholische Disputationen in Konstanz und in Baden (Schweiz) angeregt wurden. 

Eine Einladung, die von den Berner Theologen an die süddeutschen Städte ergangen war, wurde vom Rottweiler Rat nicht angenommen. Stattdessen ergingen bischöfliche Aufforderungen an die Stadt, die Geistlichen, die im evangelischen Sinne predigten, nach Konstanz zu schicken oder über sie zu berichten. Der österreichische Regent, Erzherzog Ferdinand I. 1503-1564 drohte mit Entzug des Hofgerichts. Evangelische Bürgerinnen und Bürger wurden überwacht. Pfarrer Stücklin wurde, weil er einer Vorladung nach Konstanz nicht nachkam, mit dem Kirchenbann belegt. Eine Gemeindeversammlung forderte den Rat auf, sich einzusetzen, daß der Bann aufgehoben würde. "Der Pfarrer solle das Alte und Neue Testament pur und rein predigen".(12)

Da der Rat gegen Stücklin nichts ausrichten konnte, kündigte er vorzeitig den Vertrag, den er mit dem Arzt Anshelm geschlossen hatte. Dieser bemühte sich um Intervention Schweizer protestantischer Städte. Da aber mit den protestantischen Gesandten gleichzeitig Vertreter der katholischen Kantone eintrafen, wurden diese Bemühungen neutralisiert. Inzwischen wurden die Mehrheiten bei den Vertretern der Zünfte zu Gunsten des alten Glaubens entschieden worden. Hausdurchsuchungen nach reformatorischen Schriften wurden durchgeführt. Neudorfer benützte die Kanzel der Dominikanerkirche zu antievangelischer Agitation und beschimpfte prominente Reformatoren als Ketzer. Stücklin reagierte ebenso heftig und bezeichnete die Altgläubigen als Ketzer. Anfang 1529 wurden beide Agitatoren aus der Stadt verwiesen.

Der Nachfolger Stücklins musste sich - ob berechtigt oder nicht - die übliche Kritik an der Geistlichkeit gefallen lassen. Die Anhänger der neuen Lehre besuchten seine Gottesdienste nicht, sondern die in der Altstadt, wo noch evangelisch gepredigt wurde. Dem Pfarrhelfer Wolf Biedermann wurde die Kanzel verboten. Die Kirche blieb leer. Biedermann fand eine Anstellung als Prädikant in Schaffhausen.

Eine Bittschrift von zwanzig evangelischen Bürgern verfasst, die am 18. Juli 1528 dem Rat durch neun Vertreter der Zünfte vorgelegt wurde, wäre geeignet gewesen, einen modus vivendi der zerstrittenen Parteien herbeizuführen, jedoch war die Stimmung in der Stadt so gereizt, dass die einzelnen Gruppen eine Auseinandersetzung mit Waffengewalt nicht ausschlossen. Die Altgläubigen rotteten sich am 23. und 24. Juli 1528 unter der Leitung Neudorfers, der in die Stadt zurückgekehrt war, im Dominikanerkloster zusammen und forderten Sanktionen gegen die Bittsteller. Die Evangelischen scharten sich am 25. Juli 1528 in Waffen in zwei Häusern der Stadt zusammen. Am 27. Juli zog der Rat zur Verstärkung bewaffnete Landbevölkerung in die Stadt. Als die Bittsteller eine Antwort auf deren Vorschlag des friedlichen Zusammenlebens verlangten, eröffnete ihnen der Rat, daß sie wegen ungebührlichen Verhaltens eine Strafe von 100 Gulden zu zahlen hätten. Die Evangelischen erbaten sich Bedenkzeit. Man wollte eine friedliche Lösung. Es schien, als ob beide Parteien einlenken wollten. Die Evangelischen waren bereit, unter bestimmten Bedingungen die Summe der auferlegten Strafe zu entrichten. Der Friede wurde von den Altgläubigen in der Pfarrkirche zum Heiligen Kreuz beschworen, die Evangelischen taten Gleiches auf dem Marktplatz, jedoch der Rat hielt sich nicht an die Abmachungen. Die Evangelischen wurden aus den Ämtern der Stadt entlassen, darunter zwölf Ratsmitglieder. 18 Personen wurden verhaftet und gefangen gesetzt. Stücklin, der sich inzwischen in Konstanz aufhielt, versuchte Hilfe aus Zürich und Bern zu erhalten. Die endgültige Entscheidung wurde durch die vorderösterreichische Regierung Anfang August 1528 herbeigeführt, die eine Aufhebung des Hofgerichts androhte, falls die evangelische Bewegung in der Stadt sich festige und ausbreite. Der Rat könne mit militärischer Unterstützung aus der vorderösterreichischen Stadt Rottenburg rechnen, wenn es nicht gelingen würde, führende Köpfe aus der Stadt zu vertreiben. Offensichtlich war die Lage der Evangelischen so verzweifelt, dass sie sich in der Hochbrücker Vorstadt versammelten und diese besetzt hielten.

Der Rat hatte am 26. August 1528 von einer Verschwörung der Schneiderzunft gegen den Rat an Erzherzog Ferdinand berichtet. Somit war das Vorgehen mit Unterstützung des bewaffneten Landvolkes gegen die Evangelischen und deren Ausweisung aus Rottweil nach außen hin gerechtfertigt. Vermittlungen von Schweizer Städten führten zu keiner Zurücknahme des Ausweisungsbefehls.

In Rottweil hat Habsburg-Österreich eine kompromisslose Machtpolitik betrieben, der sich der Rat der Stadt unterordnen musste, wollte er die Stadt als solche nicht gefährden. Einzelschicksale konnten in dieser Politik nicht den Ausschlag geben, wenngleich einzelne, wie der Bürgermeister Konrad Mock, der auf dem Reichstag von Augsburg 1530 geadelt wurde, aus dieser Machtpolitik auch ihre Vorteile zogen. Die Flüchtlingsschicksale der Evangelischen, die aus Rottweil vertrieben wurden, der Kampf um Wiedergewinnung von Hab und Gut, die Unsicherheit, in fremden Städten aufgenommen zu werden, ist die eine Seite, die auf dem Hintergrund der "gescheiterten Reformation" ins Bewusstsein heutiger Zeitgenossen drängt. Nicht die Politik, nicht die Lehre, nicht Institution interessieren heute, sondern wie einzelne Menschen Politik oder Lehre oder Institution erfahren haben.

Auch die andere Seite der "gescheiterten Reformation" darf heute ins Bewusstsein gehoben werden. Das Beispiel Rottweil zeigt relativ viel freie Entscheidungsräume, Möglichkeiten zur Entscheidung, offene Situationen. Man wird auch damit rechnen müssen, dass auf der Seite der Altgläubigen nicht alle die politische Lösung der religiösen Fragen gutgeheißen haben. Existenzsicherung und soziale Verflechtungen haben die Gewissensentscheidung unterdrückt. Wer will darüber urteilen?

Und schließlich muss Konrad Stücklin nochmals erwähnt werden, der sich nach seiner Vertreibung am Bodensee, in der Nähe von Konstanz aufgehalten hat. 1532 hat er dem evangelischen Glauben abgeschworen. Daraufhin hat er die katholische Pfarrei von Kreuzlingen als neues Betätigungsfeld erhalten. Was in ihm vorgegangen ist, wissen wir nicht.

3: Weil der Stadt

Die konfessionellen Veränderungen, wie sie sich in der Reichsstadt Weil angedeutet haben, sind mit dem Namen Theobald Billican verbunden. Billican (ursprünglich Gerlacher) stammte aus Billigheim in der Pfalz, studierte seit 1520 in Heidelberg, wo er auf den Studiengenossen Johannes Brenz 1499-1570 stieß, der aus Weil der Stadt gebürtig war.

Eine Freundschaft fürs Leben verband diese Männer, die von dem gemeinsamen Interesse einer Neuorientierung der Theologie geprägt war, und deshalb mit Luther u. a. persönliche Kontakte pflegte. Als Billican 1522 sich um die Predigerstelle in Weil der Stadt bewarb, hatte er durch eine Publikation die Aufmerksamkeit zumindest jener einflussreichen Familien, die der neueren Theologie gegenüber offen waren, auf sich gelenkt.

Der Titel war unverfänglich: "Perornata eademque verissima D. Christophori decriptio", eine "Abhandlung über den viel verehrten heiligen Christophorus", die aber einen Angriff auf den volkstümlichen Heiligen darstellte und die Priester, die den Volksglauben verbreiteten, massiv kritisierte. Billican stellte fest, dass es einen Heiligen mit Namen Christophorus nie gegeben habe. Es sei eine allegorische Darstellung des Christenlebens. Einige Sätze aus dieser Schrift wurden unter die 404 Artikel aufgenommen, die Johannes Eck als reformatorische Irrtümer aus Anlass des Augsburger Reichstages 1530 zusammengestellt hatte. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb die katholische Kirche erst im Zuge der Reform des Liturgischen Kalenders durch das Zweite Vatikanische Konzil die Ungeschichtlichkeit des hl. Christophorus bestätigt hat.

Die Bürger von Weil der Stadt wussten, wen sie als Prediger berufen. Als Mann, der die herrschenden Missstände anzugreifen wagte, fand Billican Unterstützung auch durch den Prior Sebastian Rapp vom Augustinerchorherrenstift in Weil der Stadt. Die Kritik an den Heiligen, einschließlich der Verehrung Mariens als Mittlerin (mediatrix) aller Gnaden zielt auf Christus den einzigen Mittler zwischen Gott und Mensch und auf die Ablehnung der Lehre vom Fegfeuer. Die Zustimmung bei weiten Kreisen der Bevölkerung zeigt, dass die Bereitschaft, den Glauben zu reflektieren, größer war, als dies von den meisten Vertretern der Kirche zugestanden wurde.

Die österreichische Regierung, die infolge der Reichsacht, die über Herzog Ulrich 1487/1498-1550 verhängt worden war, auch in Stuttgart das Sagen hatte, übte auf den Rat der Reichsstadt solch einen massiven Druck aus, daß Billican sich nicht lange in Weil der Stadt halten konnte.

Ende Oktober 1522 wurde Billican vom Rat der Stadt Nördlingen für zehn Jahre als Prediger dorthin berufen. "Daß sich Billican die Reform als innerkirchliche Aufgabe unter ausdrücklicher Anerkennung der kirchlichen Hierarchie vorstellte, machte ihn für den Nördlinger Posten erst geeignet".(13)

Am 1. November richtete Billican ein Sendschreiben an seine bisherige Gemeinde in Weil der Stadt. Auch in diesem Schreiben ließ Billican noch erkennen, dass eine Reform innerhalb der Kirche dringend nötig sei und die Art und Weise, wie er in diesem Sendschreiben Luther zitiert, ließ die Deutung zu, dass er auch Luther in diesem Sinne interpretierte. Offensichtlich haben die politischen Maßnahmen von Habsburg-Österreich diesen Freiraum im Falle Billican nicht mehr zugestanden.

Billican behielt zunächst den mehr offenen Standpunkt in seiner theologisch-kirchlichen Position bei. Die Kirchenordnung für Nördlingen von 1525 war ein Ausdruck davon. Als er sich in Heidelberg um die Doktorwürde bemühte, legte er 1529 ein Bekenntnis in diesem Sinne ab. Als er damit zurückgewiesen wurde, heiratete er. Als er durch den Häresieverdacht, den Johannes Eck gegen ihn richtete, gezwungen wurde, vor dem Mainzer Inquisitor Michael Vehus ein Bekenntnis abzulegen, sprach er sich gegen die Lehren der Lutheraner, Zwinglianer und Widertäufer aus. Das löste Unruhe in der Nördlinger Gemeinde aus. Er konnte das Dienstverhältnis bis 1535 verlängern, war aber danach zu einem unsteten Leben mit seiner Familie gezwungen, das er mit einem Jurastudium und Lehraufträgen verbrachte. Das Urteil zur Nördlinger Tätigkeit lautet, dass Billican dort die Reformation eher behindert als gefördert hat.

Irgendwie scheint diese Unentschlossenheit auch jene Kreise in Weil der Stadt beherrscht zu haben, die als evangelische Minderheit angesprochen werden konnten. Im Jahre 1534 wäre Gelegenheit gewesen, sich der Reformation anzuschließen. Das aber hätte eine Eingliederung der Reichsstadt in württembergisches Territorium zur Folge gehabt. Die Entscheidung für kommunale Selbständigkeit war eine Entscheidung für den Katholizismus. Eine nicht unbeträchtliche evangelische Minderheit wurde erst im Dreißigjährigen Krieg verdrängt.

Aktualisiert am: 29.11.2016

Gesamtbibliographie

Gesamtbibliographie

Sämtliche Abkürzungen nach:

Siegfried Schwertner: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Berlin / New York 2. Aufl. 1994.

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Andreae, Jakob: Leben des Jakob Andreae, Doktor der Theologie, von ihm selbst mit großer Treue und Aufrichtigkeit beschrieben, bis auf das Jahr 1562. Lateinisch und deutsch. Eingeleitet, herausgegeben und übersetzt von Hermann Ehmer. Stuttgart 1991.

Andreae, Jakob: Vier christlicher Predigen: vom Leiden Christi, vom Fußwaschen, von der Auferstehung Christi, von der Meß und Gebrauch einer Gestalt des Sacraments. Zu Öttingen gehalten durch Jacobum Andreae, D[octorem], Propst und Kanzler der Universität zu Tübingen. Tübingen 1565.

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[Schnepf, Erhard]: CYGNAEA CANTIO:| Das ist:| Die letzte Predig/ des| Ehrwirdigen un- Hochgelehrte- Herrn| Erhardi Schnepffij/ der H. Schrifft Doctoren| Superintendenten, und Professoren zu Jhena/ Welche| er den 9. tag vor seinem Christlichen unnd seligen ab=|schied von diser Welt/ uber das Euangelium/ Mat=|thei 22. Von des Königs Hochzeit am 20.| Sontag nach Trinitatis/ zu Jhena| gethan hat/ 1558.| Ist erstlich ohn alle verfelschung andern fromen|Christen zu guot in den Truck verfertiget.| Durch M.Esaiam Preiser.| ...| Getruckt zu Tübingen/ bey Alexander Hock/| an der Burcksteig/ im Jar 1578.| 4° 12 ungez. Bll.

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Aktualisiert am: 22.06.2017