Kaspar Huberinus und die Reformation in Hohenlohe

Von: Franz, Gunther

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Die Grafschaft Hohenlohe zur Reformationszeit
  2. 2: Das Leben von Huberinus vor seiner Berufung nach Öhringen
  3. 3: Kaspar Huberinus und die Reformation in Öhringen
  4. 4: Huberinus und das Interim in Augsburg und Hohenlohe
  5. 5: Der Tod von Huberinus 1553
  6. 6: Die endgültige Reformation der Grafschaft Hohenlohe 1556 und die Kirchenordnung von 1578
  7. Anhang

1: Die Grafschaft Hohenlohe zur Reformationszeit

Die Grafschaft Hohenlohe bildete das wichtigste Territorium des nordöstlichen fränkischen Teiles von Württemberg; die Herrschaft Schillingsfürst fiel 1810 an Bayern. Hohenlohe gehörte zum fränkischen Reichskreis und bis zur Reformation zum Bistum Würzburg. Das Geschlecht stammt aus dem Taubertal bei Weikersheim. Durch die 1250 erlangte Vogtei über das Öhringer Kollegiatstift St. Peter und Paul mit seinem umfangreichen Besitz verlagerte sich der Schwerpunkt in den Öhringer Raum mit den Residenzen Neuenstein und Waldenburg. Die Geschichte von Hohenlohe ist durch eine Fülle von Teilungen bestimmt. Für die Folgezeit am wichtigsten wurden die Erbeinigung von 1511 und die Hauptlandesteilung von 1553 bis 1555. Zur Neuensteiner Linie gehörten Ingelfingen, Langenburg und Weikersheim, zur Waldenburger Linie Pfedelbach, Bartenstein und Schillingsfürst. Öhringen blieb als "Hauptstadt" der Gesamtgrafschaft mit dem Stift und Spital weiter in gemeinsamer Verwaltung, was für die Reformationsgeschichte wichtig war.(1)

Graf Sigmund von Hohenlohe 1485-1534 war Domdechant in Straßburg, wandte sich aktiv der reformatorischen Lehre zu, veröffentlichte 1525 das "Kreuzbüchlein", paktierte mit König Franz I. von Frankreich 1494/1515-1547 und fiel in Reichsacht. Die regierenden Brüder Albrecht III. von Hohenlohe in Neuenstein 1478-1551 und Georg I. in Waldenburg 1488-1551 nahmen zunächst eine abwartende Haltung gegen die auch in ihrem Land spürbaren reformatorischen Gedanken ein und wurden durch den Bauernkrieg 1525, in dem sich die Grafen den Bauern unterwerfen mussten, zu einer aktiv antireformatorischen Haltung gebracht. Pfarrer Ewald Reuß in Pfitzingen wurde 1518 zum Studium nach Wittenberg beurlaubt; als er aber nach der Rückkehr die Messe abschaffte und sich verheiratete, wurde er ins Gefängnis geworfen. Die Wirksamkeit von Johannes Brenz 1499-1570 in der benachbarten Reichsstadt Schwäbisch Hall und die dortige Reformation hatte keinen Einfluß. Schwäbisch Hall suchte innerhalb der "Landwehr" als Schutz- und Rechtsgrenze ein geschlossenes Territorium zu bilden. Auf dem Untermünkheimer Tag mussten die Grafen von Hohenlohe am 1. Februar 1543 unter Vermittlung Landgraf Philipps von Hessen 1504-1567 zustimmen, daß die Pfarreien Jungholzhausen, Untermünkheim, Gailenkirchen, Braunsbach und die Kaplanei Enslingen mit evangelischen Pfarrern besetzt würden, um das Präsentationsrecht für diese Pfarreien nicht zu verlieren.(2) Graf Wolfgang I. gest. 1545 war der erste Graf von Hohenlohe, der in seiner Herrschaft Weikersheim evangelische Pfarrer bestellte. Er soll schon 1535 reformatorische Maßnahmen durchgeführt haben. Belegt ist, dass er 1544/45 evangelische Pfarrer nach Nassau (bei Weikersheim) und Schäftersheim berief, nachdem das Stift Neumünster in Würzburg als Patronatsherr seiner diesbezüglichen Aufforderung nicht nachgekommen war.

Gleichzeitig führte 1544 die Berufung eines evangelischen Predigers in Öhringen zur Reformation der Hauptstadt und schließlich nach der Zeit des Interims und dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 im folgenden Jahr 1556 zur Reformation der ganzen Grafschaft Hohenlohe. Mit Kaspar Huberinus 1500-1553 aus Augsburg gewann man einen profilierten lutherischen Theologen. Seine theologischen und religiösen Schriften gehören zu den meistgedruckten Büchern des 16. Jahrhunderts.

2: Das Leben von Huberinus vor seiner Berufung nach Öhringen

Kaspar Huber wurde am 21. Dezember 1500 in Stotzard im Kreis Aichach bei Augsburg geboren. Er veröffentlichte seine Schriften unter dem später ausschließlich geführten latinisierten Namen Huberinus, selten auch als Huober oder Hueber. Vielleicht war er ein Mönch; eine Priesterweihe hatte er nicht. Im Sommer 1522 wurde Huber in Wittenberg immatrikuliert ("Caspar Huber Augusten[sis]"), wo er ein treuer Schüler Luthers wurde und dessen persönliche Bekanntschaft machte. 1525 kam er nach Augsburg, wo er im folgenden Jahr die Benediktinerin Afra Seld heiratete. Dies geschah nach dem Vorbild Luthers, der 1525 die ehemalige Nonne Katharina Bora geheiratet hatte. Die Reichsstadt Augsburg war durch den Handel mit Venedig und dem Orient reich geworden und ein Zentrum der Renaissancekunst in Deutschland. Afras Vater Jörg II. Seld um 1454-1527 war der erste überragende Meister augsburgischer Goldschmiedekunst. Afra Selds Brüder, die wie der Vater katholisch blieben, wurden führende Juristen. Ihr jüngerer Halbbruder Georg Sigismund Seld 1516-1565 trat in die Dienste des Hauses Fugger, der Herzöge von Bayern und wurde 1547 Reichshofrat, 1551 Reichsvizekanzler.(3)

In Augsburg gab es drei Religionsparteien: Katholiken, Anhänger Luthers und Zwinglis. Huberinus bekleidete als Anhänger Luthers kein Kirchenamt, wurde aber vom Rat im Januar 1528 zur Berner Disputation abgeordnet, wo mit den Schweizern ein Einvernehmen über die Fragen des Abendmahls und der Bilder in den Kirchen gesucht wurde. Ab 1525 veröffentlichte Huberinus in Augsburg zahlreiche Schriften.(4) Neben einer Osterpredigt von der "Urstend" (Auferstehung) Christi (1525) erlangte die Trostschrift "Ein kurzer Auszug aus der Heiligen Schrift..." oder "Trost aus der Schrift für einen, der in Angst und Not zu Gott um Hilfe schreit" von 1525 bis 1578 19 verschiedene Auflagen! 1529 erschien das Buch "Vom Zorn und der Güte Gottes" mit der beigefügten Schrift "Wie man den Sterbenden trösten und ihm zusprechen soll", die in der Nachfolge der "Ars moriendi" einem großen Bedürfnis entgegenkam. Martin Luther gab ein empfehlendes Vorwort bei: Das Buch werde, wie ein Haus auf den Fels gebaut, sicheren Bestand haben.(5) Neben 23 hochdeutschen Drucken wurden zwölf niederdeutsche Auflagen herausgebracht. 1543 und 1548 folgte eine dänische Übersetzung und 1579 wurde das Buch "Vom Zorn und der Güte Gottes" als eines der ersten erhaltenen isländischen Bücher in Hólar in Nordisland gedruckt. Die Trostschrift wurde ab 1531 mehrfach in Antwerpen in den spanischen Niederlanden gedruckt und als häretische Schrift verfolgt. Der Drucker Jacob van Liesveld ca. 1490-1545 wurde sogar hingerichtet, weil der unter anderem die "Troostinghe der goddelycker scryft" gedruckt hatte.(6) Die Trostschrift von Huberinus wurde häufig mit der ähnlich beliebten "Seelenarznei" des Augsburger Theologen Urban Rhegius 1489-1541 zusammen veröffentlicht. Beide Schriften wurden ab 1542 ohne Nennung der Autoren in verschiedenen Sprachen den berühmten Totentanzbildern von Hans Holbein d.J. 1497-1543 beigefügt. Daß die Trostschrift von Huberinus (meistens ohne Nennung des Autors) mit etwa 125 verschiedenen Ausgaben in 50 Jahren (1529-1579) in fast einem Dutzend Sprachen eine der verbreitetsten Schriften im 16. Jahrhundert wurde, konnte der Autor nicht wissen und wurde durch eine bibliographische und druckgeschichtliche Untersuchung in den Jahren 1969-1971 entdeckt.

Da es in Augsburg von Seiten der Zwinglianer die wildesten Verleumdungen gegen die lutherische Partei gab, veröffentlichte Huberinus 1531 eine Schrift "Von bösen falschen Zungen". Er widmete sie den Brüdern Hans und Peter Hanold (Honold) gest. 1540 bzw. 1537 Hans Hanold, der Führer der lutherischen Partei, war ein reicher Privatmann, der Huberinus aus einer Stiftung finanzierte.(7)

Nach dem Augsburger Reichstag 1530, als die Stadt sich den Lutheranern nähern mußte, unterstützte Huberinus Johannes Frosch (Rana) um 1480-1533 und Stephan Agricola (Kastenpaur) 1491-1547 Die kritischen Berichte von Huberinus aus Augsburg veranlassten Luther 1532 und 1533 zu scharfen Briefen gegen die "zwinglianische" Stadt. Nach dem Tod Zwinglis in der Schlacht von Kappel 1531 erkannte der Rat der Stadt Augsburg, daß man gegenüber der kaiserlich-katholischen Partei Verbündete brauche. Da nur der Schmalkaldische Bund stark genug war, um der Reichsstadt Augsburg im Notfall zu helfen, musste man sich mit Luther aussöhnen und freute sich, in Huberinus einen Verbindungsmann zu haben. Martin Bucer (Butzer) 1491-1551 in Straßburg machte seinen Einfluss geltend. Huberinus reiste 1535 nach Wittenberg und Celle, um Urban Rhegius 1489-1541 für Augsburg zurückzugewinnen. Zusammen mit Gereon Sailer (Sayler) gest. 1563 erreichte er die Wittenberger Konkordie von 1536, die den Zwinglianern nur geringfügige Zugeständnisse machte. Auch andere oberdeutsche Städte schlossen sich an, so daß der Fortbestand des Luthertums in Oberdeutschland gesichert war. 1537 beschloss der Rat der Stadt Augsburg, die Reformation vollständig durchzuführen und den Katholiken den Dom und andere Kirchen zu nehmen.

Huberinus hatte 1535 ein Kirchenamt erhalten als Diakon(us), also 2. Pfarrer, 1542 als Pfarrer. Huberinus engagierte sich besonders für die Jugend. Aus den Jugendpredigten gestaltete er eine leicht verständliche Gesamtdarstellung der christlichen Lehre, die er 1537 unter dem Titel "Von der wahren Erkenntnis Gottes" ("Vom waren erkendtnuß Gottes") drucken ließ. Nach der Wittenberger Konkordie wollte er öffentlich dokumentieren, dass die Augsburger Theologie mit der in Norddeutschland übereinstimme. Das "Streitbüchlein" ("Streyt Büchlin") von 1541 stellte die lutherischen Ansichten als Bewährung im Leben dar und enthielt Polemik gegen die zwinglianischen Gegner. Aus dem Jugendunterricht erwuchs der (große) Katechismus von 1543 ("Der Catechismus. Mit viel schönen sprüchen und Historien der hailigen schrifft gegründet"). Er war vor allem für den häuslichen Unterricht der Hausväter bestimmt, die neben Schulmeistern und Predigern die Jugend unterrichten sollten. Auf Ersuchen vieler Bekannter verfasste Huberinus als Auszug einen "Kleinen Katechismus", dessen Vorrede vom 6. Januar 1544 datiert ist.

3: Kaspar Huberinus und die Reformation in Öhringen

Am 8. Januar 1544 richteten Schultheiß, Bürgermeister und Rat der Stadt Öhringen eine Bittschrift an die Grafen Albrecht 1478-1551 und Georg von Hohenlohe 1488-1551 wegen eines evangelischen Predigers und der Erlaubnis, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt (Brot und Wein) reichen zu dürfen. Am Stift Öhringen war 1506 eine Predigerstelle (Prädikatur) errichtete, weil die Aufgabe der Stiftsherren das Chorgebet war. Nachdem die Prädikatur längere Zeit vakant war, schrieb der Rat: "Denn wir sind mit Predigern und Pfarrern so belastet, dass jeder wegen ihrer gottlosen Lehre und ihres ärgerlichen Lebens ein Greuel und Abscheu hat. Die lassen auch zurzeit den Predigtstuhl ganz leer, dadurch das gemeine Volk so gottlos und grob wird, daß es schier anicht mehr zhu zähmen ist und wie das Vieh ohne alle geistliche Unterweisung und ohne Sakramente verscheiden."(8)

Der für die gemeinsame Stadt Öhringen zuständige hohenlohische Rat Dr. Ägidius (Gilg) Stem(b)ler war seit längerem evangelisch gesinnt und stand hinter der Initiative der Bürgerschaft. Mittelsmann zu Huberinus war der Buchhändler und Verleger Wolf Bräunlein (Präunlein) vor 1490-1558 in Augsburg, der aus Öhringen stammte. Auch der Württemberger Reformator Johannes Brenz wirkte mit.

In zwei Schreiben an Stemler im Januar und April 1544 gab Huberinus seiner Freude Ausdruck, dass die Grafen von Hohenlohe ebenfalls die zwinglianische, schwenckfeldische und andere aufrührerische Lehre verabscheuten. Den Altgläubigen in Hohenlohe wollte Huberinus dagegen mit Milde begegnen. Im Auftrag der Grafen verhandelte Stemler mit Huberinus. Er sollte "das rein, ware Wort Gottes, dem armen Volk zu erbauhung des rechten, waren Glaubens, auch christenlicher Lieb und eusserliche Zucht furtragen". Die Zeremonien sollten wie im ersten Ursprung in der Kirche erhalten werden, damit das Volk zur Andacht gezogen und nicht "hernider gerissen"(9) werde. Das Prädikaturhaus wurde für den neuen Prediger in Stand gesetzt (es ist bis heute erhalten). Huberinus predigte in der Stiftskirche evangelisch und es wurden Luthers Lieder gesungen.(10) Am Sonntagnachmittag hielt er Predigten aus dem Buch Jesus Sirach (Ecclesiasticus), um die Jugend an christliche Zucht zu gewöhnen. Das Abendmahl wurde aber noch nicht unter beiderlei Gestalt gereicht, so dass Huberinus 1545 in Augsburg "Siebzig Schlussreden Thesen dass beide Teile des Sakraments allen gläubigen Christen gereicht wollen werden" drucken ließ. Huberinus hatte ehrenvolle Rufe nach Württemberg an die Stuttgarter Stiftskirche als Nachfolger von Erhard Schnepf 1495-1559 und in die Reichsstädte Nördlingen und Rothenburg ob der Tauber erhalten und konnte den Grafen ein Ultimatum stellen. Sie genehmigten am 20. Juni 1546 die Reformation des Gottesdienstes und der Lateinschule in Öhringen und die Berufung eines evangelischen Pfarrers und Schulmeisters. Dies war die 1. Reformation in Öhringen. Ein Chronist schrieb hundert Jahre später, dass Öhringen seit 1546 "eine feine, löbliche und gesegnete Stadt gewesen, da der wahre Gottesdienst und alleinseligmachende Glaube floriert, Kirchen und Schulen erhalten, ..., ja eine rechte Schmalzgruben und Freudenstadt gewesen!"

Die Öhringer Stiftsschule war uralt; die erste nachweisbare Erwähnung erfolgte bereits 1234.(11) Im Zug der Reform wurde ein tüchtiger Lehrer, der Präzeptor Johannes Ruthenus gest. 1565 gewonnen. Er hatte in Wittenberg bei Luther studiert und war in Sachsen und in Augsburg Schulmeister. Eine Schulordnung von 1549 ist erhalten.(12) Verteilt auf morgens und abends sollte der ganze Katechismus von Johannes Brenz von den Schülern aufgesagt werden und die von Ruthenus verfassten Choräle gesungen werden. Der von den Grafen bewilligten zweite Pfarrer, den man aus Rothenburg kommen lassen wollte, sagte ab, und es gelang nicht, einen anderen evangelischen Geistlichen zu gewinnen, so dass Huberinus auf Hilfe einzelner Pfarrer aus der Nachbarschaft angewiesen war. Dennoch fand er in Öhringen Zeit zu umfangreicher schriftstellerischer Tätigkeit. "Vom christlichen Ritter. Ein wunderbarlicher Kampf der höllischen Bestien wider einen evangelischen Christen" war eine Trostschrift für die vom Katholizismus angefochtenen Christen. Diese zuerst in Neuburg an der Donau 1545 veröffentlichte Schrift erlebte 17 Ausgaben und wurde ins Dänische und Schwedische übersetzt. Eine Postille enthielt Predigten über alle sonntäglichen Evangelienlesungen, die heute sogenannten altkirchlichen Perikopen. Als Frucht seiner Predigttätigkeit in der Öhringer Stiftskirche veröffentlichte Huberinus zwei dicke Bände unter dem Titel "Postilla Teutsch über alle sonntägliche Evangelien". Die Vorrede vom 20. August 1545 ist an D. Stemler gerichtet.(13) Eine Widmung an die Grafen war nicht möglich, da diese sich nicht zur evangelischen Lehre bekannten. Zur Jugendunterweisung hielt Huberinus "Vierzig kurze Predigten über den ganzen Catechismum", die er 1550 veröffentlichte, damit danach die Hausväter ihr Gesinde in Hausandachten unterrichten könnten. 1552 folgten weitere Öhringer Predigten, die nach zehn Themen geordnet sind ("Zehnerlei kurze Form zu Predigen"): Taufe, Absolution, Abendmahl, Ehestand, Obrigkeit usw., außerdem eine Ermahnung an die Hebammen und Gebete, die einen interessanten Einblick in die gottesdienstliche Praxis in Öhringen geben. Die Jugendpredigten über das Buch Jesus Sirach veröffentlichte Huberinus 1552 für den häuslichen Unterricht durch die Hausväter unter dem Titel "Spiegel der Hauszucht, Jesus Sirach genannt". Huberinus war bewusst volkstümlich und brachte viele Sprichwörter, populäre Wendungen und Beispiele aus dem täglichen Leben. Dieser dicke Band erlebte 18 verschiedene deutsche Auflagen und sogar vier tschechische Ausgaben, gedruckt in Prag und Olmütz 1561 bis 1575. Einmalig ist, dass wir eine fast vollständige Dokumentation der Predigttätigkeit von Huberinus in Öhringen haben, und dass diese ein Interesse sowohl bei den Theologen wie bei den Laien und ein internationales Echo fand, wie es für heutige Predigtsammlungen gar nicht vorstellbar ist.

Neben evangelischer Predigt und evangelischem Unterricht blieb der Gottesdienst der Stiftsherren in Öhringen unverändert bestehen. Ruthenus wurde mit seinen Schülern verpflichtet, unter anderem den Marienhymnus "Salve regina coeli" zu singen, der erst 1553 in evangelischem Sinne umgedichtet wurde. Als der Stiftsdekan Peter Denner in der Stiftskirche neue Altäre mit Bildern oder Heiligenfiguren, die von evangelischer Seite teilweise als "Götzen" betrachtet wurden, aufrichtete, griff Huberinus die Stiftsherren an und zeigte aus der Heiligen Schrift ihre "Übertretung und Laster" an. Schließlich wurde der Chor durch eine Mauer vom Schiff, in dem der Gemeindegottesdienst stattfand, getrennt.

4: Huberinus und das Interim in Augsburg und Hohenlohe

Nach dem Sieg Kaiser Karls V. 1500-1558 über den lutherischen schmalkaldischen Bund wurde am 30. Juni 1548 das Interim zum Reichsgesetz erhoben. Diese Zwischenlösung der Konfessionsfrage sollte auf Wunsch des Kaisers die Einheit bringen. Sie bedeutete für die Protestanten die weitgehende Rückkehr zu den alten Zeremonien in der Liturgie, war aber für die katholischen Territorien nicht von Belang. Huberinus, der mehrere Jahre darunter gelitten hatte, dass die Kirche der Grafschaft Hohenlohe zweigeteilt war, verteidigte in zwölf Thesen die Annahme des Interims, da das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, evangelische Predigt und evangelischer Glaube freigegeben und die Priesterehe zugelassen sei. Diese Thesen sind anscheinend nicht im Druck verbreitet worden.(14)

Der entschiedenste Gegner des Interims war in Magdeburg der gelehrte Matthias Flacius (Vlacich), der nach seiner Heimat Illyricus genannt wurde 1520-1575 Magdeburg war der Hauptsitz des protestantischen Widerstandes ("Unsers Herrgotts Kanzley"). Flacius lehnte es ab, daß es "Adiaphora", nicht glaubensentscheidende Zeremonien, die man zugestehen könne, gebe. Er veröffentlichte um 1550 eine polemische Flugschrift "Contra quaedam interimistica et adiaphoristica scripta, quae a multis Gasparo Huberino tribuuntur" ("Gegen irgendwelche interimistischen und adiaphoristischen Schriften, die von vielen Leuten Kaspar Huberinus zugeschrieben werden"). Wegen seiner radikalen Ansichten - besonders über die Erbsünde - und fortwährenden Streitigkeiten wurden Flacius und seine Anhänger verfolgt und in der Konkordienformel von 1577 verurteilt.(15)

Als Graf Georg I. von Hohenlohe in Waldenburg am 16. März 1551 gestorben war, hielt der Prior des Klosters Goldbach (südlich von Waldenburg) das Seelenamt und Huberinus in der Öhringer Stiftskirche die Leichenpredigt, in der er betonte, dass Graf Georg freie öffentliche Predigt des Gotteswortes und im vergangenen Jahr 1550 allen seinen Untertanen den Empfang des Abendmahls unter beiderlei Gestalt erlaubt habe, wie er es sich auch selber habe reichen lassen. Nachdem die Grafen von Hohenlohe in der Religionsfrage die Entscheidung des Kaisers abwarten wollten, diente das Interim, das eigentlich gar nicht für altgläubige Gebiete bestimmt war, als Grundlage für - wenn auch bescheidene - Reformen. In ritterschaftlichen Orten in Franken nördlich von Hohenlohe lässt sich dasselbe beobachten.

1550 veröffentlichte Huberinus als dritten Teil seiner Postille Predigten über die Lesungen aller Festtage und allgemeinen Feiertage der Heiligen durch das ganze Kirchenjahr. Er wollte damit ein öffentliches Bekenntnis gegen Widertäufer, Zwinglianer und Calvinisten ablegen. Die Notwendigkeit der Reichung von beiden Elementen des Abendmahls rechtfertigte er ausführlich. Zum Fronleichnamsfest, das im Interim vorgesehen war, schrieb Huberinus, "wie man sich doch in dieser schweren Zeit mit gutem Gewissen in die Ceremonien und Kirchenordnung richten möchte", besonders da das Gewissen der Christen unverletzt bleiben solle. Huberinus forderte eine "starke Reformation" dieses Festes, ging aber nicht auf die Problematik ein, sondern predigte über den Evangelientext. Das ist kennzeichnend: ihm ging es um die Predigt und den Glauben auf Grundlage der Schrift, weniger um äußere Formen.

In der Reichsstadt Augsburg war die Situation ganz anders als in Hohenlohe. Nach dem Sieg über den Schmalkaldischen Bund hatte Kaiser Karl V. auf dem "geharnischten Reichstag" in Augsburg 1548 das Interim verkünden und eine Verfassungsänderung der Stadt vornehmen lassen. Die überwiegend protestantische Stadt sollte paritätisch von Katholiken und Protestanten regiert werden.(16) Eine Anzahl Kirchen, darunter der Dom, wurde wieder katholischem Gottesdienst eingeräumt. Da sich das Interim auf den beschränkten Schutz des Luthertums bezog, wurden Prediger ursprünglich zwinglianischer Färbung entlassen.

Der Kaiser und sein Kanzler Antoine Perrenot de Granvelle, Bischof von Arras, 1517-1586 bemühten sich bei Graf Ludwig Casimir von Hohenlohe-Neuenstein 1517-1568 der im August 1551 zur Regierung gekommen war, um seinen Prediger Huberinus für die Reichsstadt Augsburg. Mittelsmann war sicher dessen Schwager, der Reichsvizekanzler Georg Sigismund Seld. Der Graf antwortete, er habe sich des Huberini zur Erhaltung des Interims in Hohenlohe nicht wenig getröstet gehabt, wolle aber dem Kaiser gefällig sein.

Nach den jahrelangen Kämpfen gegen zwinglianische Prediger in Augsburg hat es Huberinus sicher gereizt, dass er unter allerhöchster Protektion als führender Theologe in seine Heimatstadt zurückkehren sollte. Huberinus wollte der bedrängten Bevölkerung durch Predigt und Seelsorge helfen. Er berichtete: "Also hat man zu predigen angefangen am heiligen Weinächttag, da ist Christus wider new geboren worden, und Psalmen deutsch angefangen zu singen, das ein solch Freud nach grosser Traurigkeit so schnell geschehen ist unter Reichen und Armen, das derglichen in Augspurg bey menigklich nit erhoret worden ist." Die von Huberinus benutzte Augsburgische Kirchenordnung lehnte sich stark an die konservative lutherische Kirchenordnung von Pfalz-Neuburg an. Huberinus verfaßte auch eine Schrift über den Gebrauch des Chrisams bei der Taufe. Chrisam ist Öl, dem etwas Balsam beigemischt wird, und wurde unter anderem in der Pfalz-Neuburger Kirchenordnung beibehalten. Dieser alte Brauch war keine Glaubensfrage.

Von den wahrscheinlich zwinglianischen Gegnern wurde Huberinus als "Buberinus" (Bube = Schurke) und Verräter beschimpft. An der Kirchentür wurde ein Schmähgedicht angeheftet, dessen Anfangsbuchstaben "Caspar Huberinus" ergeben:

 

"Christus Wort hat er bekannt lauter und klar

Anno 1529 nach und vor,

Sein Büchle "Vom Zorn und Güte Gottes" zeuget das.

Pfui dich, du elender Madensack! Was

Aber hebst du jetzund an zu reden? ..."(17)

 

Diese Beleidigung ergab eine größere Untersuchung. Die evangelischen Fürsten hatten sich unter Führung von Moritz von Sachsen 1521-1553 nach einem Vertrag mit dem französischen König im Fürstenkrieg erhoben und zogen in Augsburg ein. Am 2. August einigte sich König Ferdinand mit den Fürsten auf die Aufhebung des Interims und einen Religionsfrieden. Es sollte freie Religionsausübung bis zum Reichstag gestattet sein, der dann 1555 in Augsburg stattfand.

Huberinus kehrte nach Hohenlohe zurück und brachte zwei weitere Interimsgeistliche, die in Augsburg entlassen worden waren, mit. Hieronymus Hertel (Härtel) gest. 1556 wurde Pfarrer in der Residenzstadt Neuenstein, Thomas Wiedmann (Wiedenmann, Salicetus) geb. 1500 in Untermünkheim bei Schwäbisch Hall. 1553 verfaßte Huberinus, wohl unter Mitwirkung von Hertel, die handschriftliche "Christliche Kirchenordnung der Graveschaft Hohennloe".(18) Sie ist in der Frage der deutschen Gottesdienstsprache und der Ordnung der evangelischen Messe, die auf Luther zurückgeht, sehr konservativ. In der Vorrede wird begründet, dass die Obrigkeit gegenüber Gott schuldig sei, auch die Gebote der ersten Tafel der Zehn Gebote zu bewahren und dafür zu sorgen, dass die Untertanen in reiner Lehre und rechtem Glauben erhalten werden. Die Reformen werden ausführlich gerechtfertigt. Es findet sich auch ein Kapitel "Von den großen Mißbreuchen der Meß". Die Messgewänder wurden beibehalten. Nach der Vorrede ist die Kirchenordnung allen Pfarrern der Grafschaft zu halten befohlen worden, nachdem im größeren Teil der Gemeinden noch die alten ärgerlichen Missbräuche gehalten würden. Aus dem Visitationsprotokoll von 1556 lässt sich aber entnehmen, dass die Ordnung außerhalb Öhringens wahrscheinlich nur in den benachbarten Pfarreien und im Amt Ingelfingen gehalten wurde. So konnte ein hohenlohischer Schultheiß aussagen, er sei "nit päpstlich, nit lutherisch, er sei alleweg gut hohenlohisch gewest"!(19)

5: Der Tod von Huberinus 1553

Caspar Huberinus starb am 6. Oktober 1553 an einer Infektion, die er sich bei einem Krankenbesuch geholt hatte. An seinem 50. Geburtstag am 21. Dezember 1550 hatte Huberinus besonders an den Tod gedacht und eine Grabschrift verfasst, die er in seinem Band "Zehnerlei kurze Form zu Predigen" veröffentlichte:

 

"Ein Grabschrift Caspars Huberini.

Ach ein Sünd,

Geborn, gelebt, gestorben bin ich.

Christe mein Herr,

Erneu, vergib, auferwecke mich.

Ich bin gläubig,

Erhalt, verklär, mache mich selig."

 

Das Epitaph ist in der Öhringer St. Annakapelle erhalten. Es zeigt in der Mitte das Wappen von Huberinus, ein Kreuz im Dreieck (Christus als eine Person der göttlichen Trinität) mit den Anfangsbuchstaben CH. Dieses Wappen hatte er mit seinem Motto "Summa sapientia stulticia" (Die höchste menschliche Weisheit ist Torheit vor Gott, nach 1. Kor. 1, 20) als Markenzeichen auf den Titelblättern zahlreicher seiner Schriften veröffentlicht.(20)

Die Betonung der evangelischen Predigt und des Glaubens, des Gemeindegesangs und der christlichen Erziehung ("Hauszucht") gegenüber den äußeren Zeremonien muß heute neu bewertet werden. War Huberinus in seinem Bemühen um eine gemäßigte Reform des Gottesdienstes und die Bewahrung der Einheit ein Vorläufer der Ökumene? Besondere Bedeutung hatte er mit seinen deutschsprachigen Schriften für die Ausbreitung und Festigung der reformatorischen Lehre und Lebenshaltung. Von seinen Liedern hat das "Benedicite" (Tischgebet) "Herr Gott Vatter im Himelreich, Wir deine Kinder allzugleich"(21) in eine lange Reihe von Gesangbüchern Aufnahme gefunden und sich bis in unsere Zeit im bayerischen Gesangbuch gehalten.

Sein Sohn David Huberinus 1540-1598 wurde Domprediger in Verden an der Aller (Bistum Bremen), nahm 1573 an der Visitation zur Einführung der Reformation im Stift Verden teil und wurde der erste evangelischer Superintendent. Vater und Sohn als führende Prediger in einem altgläubigen Territorium und Reformatoren, eine erstaunliche Parallelität.(22)

6: Die endgültige Reformation der Grafschaft Hohenlohe 1556 und die Kirchenordnung von 1578

Eine gemeinsame Einführung der Reformation in Hohenlohe war nicht möglich, solange der erbitterte Streit um die Waldenburger Vormundschaft, der vor die kaiserlichen Gerichte ging, die Gemüter erregte. In Stuttgart erreichte Herzog Christoph von Württemberg 1515-1568 als kaiserlicher Kommissar den Teilungsvertrag vom 20. Juni 1555. Dabei machte er seinen Einfluss zu Einführung der Reformation geltend. Durch den Augsburger Religionsfrieden hatte die neue Konfession die reichsrechtliche Billigung, auf die die Grafen von Hohenlohe gewartet hatten. Herzog Christoph ließ den Pfarrer von Güglingen, Johann Hartmann gest. 1575 zunächst für ein Jahr zur Einführung der Reformation nach Öhringen gehen. Von Nürnberg wurde David Pythonius (Büttner, Püttner) gest. 1572 für ein Jahr zur Durchführung der Reformation geholt. Johann Hartmann holte seinen Bruder Gallus Hartmann 1530-1585 aus Esslingen als Stadtpfarrer und Hofprediger in Neuenstein nach. Am Dienstag nach Pfingsten, den 26. Mai 1556, wurde den nach Öhringen zusammengerufenen Geistlichen aus 41 Gemeinden mitgeteilt, dass eine "neue Reformation" gemacht und die Messe abgeschafft würde. Im Juni sollten sie zusammen mit den Schultheißen, Gemeindevertretern und Schulmeistern zum Examen und zur Befragung wieder nach Öhringen kommen. Es handelte sich um eine Generalvisitation am zentralen Ort.(23) Es wurde die gedruckte Brandenburg-Nürnbergische Kirchenordnung von 1528 eingeführt. So wirkten die Einflüsse des Herzogtums Württemberg im Süden und der Markgrafschaft Brandenburg sowie der Reichsstadt Nürnberg im Osten zusammen.

Am 10. September 1556 folgte die Reformation des Öhringer Stifts.(24) Jeder Stiftsherr erhielt statt der Pfründe wie ein Pfarrer oder Beamter ein Gehalt: 60 Gulden, Wein und Getreide. Das Stundengebet wurde nicht abgeschafft. Vielmehr mussten die Stiftsherren die nach evangelischer Lehre reformierten "Hora canonica" täglich singen und die Predigten hören. Der Umbau des Stiftskirchenchores 1581 setzte ein Ende des besonderen Gottesdienstes voraus. Das Stiftsvermögen wurde ab 1556 für gemeinsame Kirchen- und Schulsachen der ganzen Grafschaft verwendet und nicht etwa zur Bereicherung der Grafen: die Schaffung von vier Pfarrstellen, das Gymnasium und Stipendien zum Besuch des Gymnasiums oder auswärtiger Universitäten.

Graf Wolfgang II. von Hohenlohe 1546-1610 der zunächst in Neuenstein und Langenburg und seit 1586 in Weikersheim regierte und dort das Renaissanceschloss erbaute, war ein tüchtiger Landesvater, der sich um gute Ordnung des geistlichen und weltlichen Regiments bis in alle Einzelheiten kümmerte. Da durch Vormundschaften eine Art Personalunion bestand, konnte sich Graf Wolfgang 1576 bis 1583 eine Neuordnung der Kirche in der ganzen Grafschaft in Angriff nehmen. 1578 wurde die "Kirchenordnung, wie es mit der Lehre und Ceremonien in der löblichen Grafschaft Hohenlohe soll gehalten werden" gedruckt.(25) 1581 führte man unter Beteiligung von Jakob Andreae aus Württemberg eine Generalvisitation durch und verfasste handschriftliche Ordnungen für alle Bereiche des Kirchen- und Schulwesens.(26) Später nannte man dies etwas übertrieben die "zweite Reformation" der Grafschaft. Die gedruckte Kirchenordnung prägte bis ins 19. Jahrhundert die besondere Form des hohenlohischen Gottesdienstes mit seiner gegenüber Württemberg reicheren Liturgie.

Aktualisiert am: 21.06.2017