Karlshöhe Ludwigsburg

Die Idee der Gründung einer Ausbildungsanstalt für Diakone ging aus dem 1869 in Stuttgart stattfindenden Kongress der Inneren Mission hervor.

Karlshöhe Ludwigsburg

Von: Dorothea Besch

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Die Gründung der Karlshöhe
  2. 2: Die drei Grundpfeiler der Karlshöhe
  3. 2.1: Die „Brüder“ und ihre diakonische Ausbildung
  4. 2.2: Das Kinderheim der Karlshöhe
  5. 3: Die interne Organisation der Evangelischen Brüder- und Kinderanstalt Karlshöhe
  6. 3.1: Männerheim und Männerkrankenhaus
  7. 3.2: Verwaltungsrat und Vorstand
  8. 3.3: Die geschäftsführende Leitung durch Inspektoren und Direktoren
  9. Anhang

1: Die Gründung der Karlshöhe

Ansicht der Karlshöhe

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, U 437, Nr. 1.

Die Idee der Gründung einer Ausbildungsanstalt für Diakone ging aus dem 1869 in Stuttgart stattfindenden Kongress der Inneren Mission hervor.(1) Zu dieser Zeit herrschte auf vielen Gebieten der evangelischen Wohlfahrtspflege ein akuter Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Diesem sollte mit der Einrichtung einer speziellen Ausbildungsstätte für "Brüder" begegnet werden.(2) Diese neu zu gründende "Brüderanstalt" hatte das von Johann Hinrich Wichern betriebene "Rauhe Haus" in Hamburg zum Vorbild. Dort war die "Erziehungsanstalt" mit einem "Gehilfeninstitut" verbunden, um den auszubildenden Diakonen ein praktisches Übungs- und Lernfeld zu bieten.

Karlshöhe Gebäude

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, U 477, Nr. 1.

In Ludwigsburg wurde daher nach Wicherns Vorbild eine "Brüderanstalt" zusammen mit einer "Kinderanstalt" gebaut. Ihre Einweihung fand am 6. November 1876 statt.(3) Die "Evangelische Brüder- und Kinderanstalt Karlshöhe" bestand aus zwei Mädchen- und zwei Knabenhäusern, einem Betsaal mit Inspektorwohnung, einem Schulhaus mit Hauselternwohnung, einem Back- und Waschhaus sowie einem landwirtschaftlichen Gebäude.(4) Die Kinder- und Brüderanstalt stand namentlich unter dem Protektorat des württembergischen Königs Karl (5) und seiner Ehefrau, Königin Olga, die die neue Einrichtung auch finanziell unterstützten.

2: Die drei Grundpfeiler der Karlshöhe

2.1: Die „Brüder“ und ihre diakonische Ausbildung

Krankenpflegerausbildung um 1910

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, U 448, Nr. 51.

In der „Brüderanstalt" wurden junge Männer, die überwiegend aus pietistischen Kreisen Württembergs stammten, ausgebildet.(6) Sie sollten befähigt werden, in den verschiedenen Einrichtungen der Inneren Mission ihren Dienst zu versehen. Für den auf der Karlshöhe neu entstehenden Beruf des Diakons wurden daher Lehr- und Ausbildungspläne entwickelt. Sie sollten das Diakonenamt in der Evangelischen Kirche neu beleben und in der kirchlichen Verfassung verankern. Dieses vor allem unter Inspektor Adolf Schlitter anvisierte Ziel wurde allerdings erst 1944 per Diakonengesetz erreicht.(7)

Die zur Ausbildung aufgenommenen Brüder sollten sich nicht nur als eine Arbeitsgemeinschaft wahrnehmen, sondern auch als eine geistliche Gemeinschaft, die sich in der Form des Brüderverbandes manifestierte. In der Brüderordnung von 1921 hieß es: „Die in Brüderanstalt Karlshöhe ausgebildeten und in verschiedenen Arbeitsgebieten der Inneren Mission entsandten Männer bilden den Karlshöher Brüderverband, der in der Liebe Jesu Christi seine Wurzel und im Mutterhaus seinen Mittelpunkt hat."(8) Die Leitung der Brüderschaft oblag dem Inspektor. Ihm zu Seite stand der „Brüderrat", der u.a. über Ausschluss und Wiederaufnahme von Brüdern entschied, den Brüdertag vorbereitete und notwendige Änderungen der Brüderordnung vorab beriet. Diese Ordnung regelte sowohl die persönliche Lebensführung als auch die berufliche Arbeit. Individuelle Wünsche und Entscheidungen mussten den Regeln der Gemeinschaft untergeordnet werden.(9) Über die Entsendung zu möglichen Arbeitsstellen entschied der Inspektor, auch lagen die Gehaltsregelungen und Altersvorsorge in seiner Zuständigkeit. Bei privaten Anliegen, sei es der Zeitpunkt von Verlobung oder Heirat, hatte er ebenfalls ein Mitspracherecht.(10) Die Brüderordnung wurde auf verschiedenen Brüdertagen rege diskutiert und in unregelmäßigen Abständen überarbeitet. Neben dem gemeinschaftlichen Lernen und Leben bildete vor allem die praktische diakonische Arbeit ein weiteres Fundament der Brüderarbeit.(11) Durch die Gründung einer eigenen Krankenpflegeschule 1908 wurde der Bereich der Krankenpflege neben der Erziehungsarbeit zu einem Schwerpunkt der Ausbildung, welche sechs Jahre später, mit Beginn des 1. Weltkriegs, eine besondere Bedeutung erfahren sollte. Aufgrund von Verträgen mit dem Roten Kreuz musste die Karlshöhe schon in den ersten Augusttagen 1914 einen Teil der Brüder als Krankenpfleger und Felddiakone zur Verfügung stellen.(12) Bereits 1916 standen rund 60% der Brüder im Kriegsdienst.(13) Der dadurch hervorgerufene Personalnotstand auf der Karlshöhe konnte Dank der Diakonenfrauen, die den Dienst ihrer eingezogenen Männer übernahmen, weitgehend behoben werden.(14) Nach Kriegsende startete 1919 ein neu strukturierter Ausbildungskurs für die Karlshöher Brüder, in denen sie für die Friedensarbeit in verschiedenen diakonischen Aufgabengebieten wie der Krankenpflege, der Erziehungs-; Sucht-, und Obdachenlosenhilfe ausgebildet wurden. Anschließend traten viele Diakone ihren Dienst in Württemberg, Bayern, im Rheinland, der Pfalz und sogar in Palästina an.(15) Zum 50 jährigen Jubiläum der Karlshöhe 1926 konnte ein neues Brüderhaus eingeweiht werden. Der Brüderhausneubau war mit den zunehmenden Bewerbungen um eine diakonische Ausbildung notwendig geworden. Durch die Erweiterung der Ausbildung für die neu geschaffenen Arbeitsfelder Jugendpflege, Gemeinschaftspflege und den Dienst als Gemeindehelfer in der evangelischen Landeskirche, konnte ein regelrechter Andrang auf die Brüderausbildung verzeichnet werden.(16) Dadurch war auch der Betsaal der Karlshöhe für die Einsegnungsfeiern und Gottesdienste bei den Jahresfesten zu klein geworden. Ein Neubau wurde beschlossen und zum 55jährigen Jubiläum konnte die Einweihung im September 1931 gefeiert werden. Die danach folgenden Jahre während des Nationalsozialismus waren zunächst durch „einen Kurs der Kooperation"(17) mit dem Regime gekennzeichnet, der sich durch die Gründung eines SA-Trupps auf der Karlshöhe deutlich zeigte. Allerdings wurde die Arbeit der Karlshöhe bedroht durch zunehmende staatliche Eingriffe wie Sammlungsverbote, Steuergesetze und „eine(r) Politik der Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens."(18) Direktor Fritz Mössner, der nach anfänglicher Begeisterung für den Nationalsozialismus aufgrund des Kirchenkampfs in Württemberg zum Umdenken gelangte, sorgte für eine Annäherung an den kirchenpolitischen Kurs der württembergischen Landeskirche.(19)

Die diakonische Ausbildung musste mit Beginn des Zweiten Weltkriegs eingestellt werden, da die Brüder zur Wehrmacht eingezogen wurden. Nicht wenige der eingezogenen Diakone meldeten sich bei Pfarrer Johannes Länge, (Lehrer an der Heim- und Diakonenschule, Leiter des Kinderheims) per Feldpostbrief(20) und hielten so die Verbindung zur Karlshöhe aufrecht.

Die Versorgungslage auf der Karlshöhe wurde mit zunehmenden Kriegsjahren prekärer. Es fehlte an Nahrungsmitteln, Kohlen und Mitarbeitenden, die durch polnische Zwangsarbeiterinnen in der Küche und durch russische Kriegsgefangene vor allem in der Landwirtschaft auf dem Rappenhof ersetzt wurden.(21) Der Bombenangriff im Februar 1944 richtete großen Schaden an, mehrere landwirtschaftliche Gebäude und zwei große Häuser des Männerheims brannten ab.(22) Nach Kriegsende wurden alle Kräfte für den Wiederaufbau und Fortbestand der Karlshöhe eingesetzt. Der erste Diakonenkurs nach dem Krieg startete 1946, die Wohlfahrtsschule nahm 1947 wieder ihren Betrieb auf. Zwischen 1950 und 1970 legten jährlich etwa 25 Personen die Gemeindediakonen- und Katechetenprüfung ab.(23)

Mit dem Leitungswechsel auf der Karlshöhe 1971 wurde aus der Diakonenschule eine „Kirchliche Ausbildungsstätte für Diakonie und Religionspädagogik". Sie hatte zum Ziel, Mitarbeitende so auszubilden, „dass sie in der Lage sind, pädagogische, sozialwissenschaftliche und theologische Gesichtspunkte in ihrer gegenseitigen Beziehung zu verstehen und in der Praxis ihres persönlichen Lebens und Arbeitens anzuwenden. Ausbildungsziel ist die kirchliche Berufung zum Diakon/zur Diakonin."(24) Erstmals konnten nun auch Frauen die „Kirchliche Ausbildungsstätte für Diakonie und Religionspädagogik" auf der Karlshöhe besuchen. Eine neue Ära der Karlshöhe nahm ihren Anfang.

2.2: Das Kinderheim der Karlshöhe

Kinderheim Karlshöhe

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, U 23, Nr. 2.

Die im Oktober 1876 in die Karlshöhe aufgenommenen 47 Kinder(25) entstammten dem „Mathildenstift" in Ludwigsburg, das 1825 gegründet worden war. Bisher wurden „arme, verlassene Kinder im Ludwigsburger Stadt-Spital erzogen".(26) Auf Initiative von Königin Mathilde von Württemberg konnten die Kinder, die im Spital unter Alten und Kranken leben mussten, nun ein eigenes Haus erhalten. Königin Mathilde war somit die Namensgeberin als auch Förderin des Stifts und ließ ihm jährlich eine großzügige Unterstützung zukommen. 1834 wurde das Mathildenstift einem Privatverein übergeben, zu dessen Vorstand auch der Ludwigsburger Kinderarzt August Hermann Werner gehörte. Werner war der Hausarzt des Mathildenstifts und „einer der Männer, die die Karlshöhe zu ihren Gründern und treuesten Freunden und Wohltätern zählen durfte."(27) Um keine Konkurrenz zwischen den Einrichtungen aufkommen zu lassen, beschloss der Vorstand des Mathildenstiftsvereins unter Generalleutnant Karl Friedrich von Baur-Breitenfeld, das Mathildenstift in die neugegründete Karlshöhe einzugliedern.

 

 

3: Die interne Organisation der Evangelischen Brüder- und Kinderanstalt Karlshöhe


Mädchen des Kinderheims bei ihren Tätigkeiten mit Betreuerin

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, U 423, Nr. 12.

Die Kinderanstalt Karlshöhe sollte laut Statuten der „Fortführung der Aufgabe des früheren Mathildenstiftsvereins in Ludwigsburg der Erziehung armer, verwahrloster oder der Verwahrlosung entgegengehender Kinder dienen, welche in die Anstalt selbst aufgenommen oder auch durch deren Vermittlung in geeigneten Familien untergebracht werden."(28) Nach dem Prinzip der Familienerziehung des „Rauhen Hauses", das in Württemberger Kinderheimen lange Zeit nur auf der Karlshöhe praktiziert wurde(29), lebten die Karlshöher Kinder unter der Leitung eines sogenannten Familienbruders oder einer Familienschwester in Gruppen von jeweils 12 - 15 Jungen bzw. Mädchen im Alter von 6 bis 14 Jahren in vier kleinen Häusern zusammen. „Der Familienbruder hat sich seinen Zöglingen ganz hinzugeben und in einer Geist und Gemüth belebenden u. fördernden Weise unter ihnen zu walten. Er wohnt unter ihnen, betet, ißt u. trinkt mit ihnen, leitet ihre Arbeiten und Spiele und wird überhaupt durch seine persönliche Fürsorge ihnen Vater und Mutter zu ersetzen haben."(30) Neben der Fürsorge des Familienbruders bzw. der Familienschwester für die zu betreuenden Mädchen und Jungen, waren aber auch die Reglementierungen vorgegeben: „Der Familienbruder darf kleinere Vergehen selbst bestrafen, wenn nöthig mit dem Stock, jedoch nur auf die Hände oder das Gesäß. Doch soll er nicht im Zorn strafen, nicht schimpfen, auch nicht unnöthig drohen. Schwere Vergehen, z.B. geschlechtliche Sünden, Diebstahl, Unbotmäßigkeit, sind dem Hausvater sogleich anzuzeigen. Einem faulen Knaben darf der Familienbruder das Vesperbrot entziehen, Bettnässern abends flüssige Speisen versagen."(31)

Knaben des Kinderheims beim Schuheputzen

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, U 423, Nr. 10.

Der Heimalltag war geprägt von täglicher Arbeit. Den Tisch decken und abräumen, Wohn- und Schlafzimmer reinigen und Treppen putzen gehörten zu den selbstverständlichen Aufgaben der Kinder. Zusätzlich waren sie zur Mithilfe in der heimeigenen Landwirtschaft verpflichtet. Bei jahreszeitbedingten Erntearbeiten wie Heuen oder Äpfel und Kartoffeln aufsammeln war ihr Einsatz unverzichtbar.(32) Neben diesen Arbeitseinsätzen und dem Besuch der heimeigenen Schule blieb den Kindern nicht viel freie Zeit zum Spielen oder für andere, selbst gewählte Freizeitgestaltung. Die Kritik der späten 1960er Jahre an der praktischen Ausgestaltung von Heimerziehungsarbeit machte sich auch auf der Karlshöhe bemerkbar und führte in der Folgezeit zu vielfältigen Veränderungen im Erziehungsgeschehen.(33)

3.1: Männerheim und Männerkrankenhaus

Karlshöhe Männerkrankenhaus

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, U 448, Nr. 55.

Zur Brüder- und Kinderanstalt kam 1879 ein Männerheim für Alte, Kranke und Pflegebedürftige hinzu, denn nach Auffassung Theodor Fliedners, dem Gründer der Kaiserswerther Diakonissenanstalt, sollte eine weitere Grundlage der Diakonie die Krankenpflege sein. Daher wurde das Männerheim Salon ebenfalls zu einer Ausbildungsstätte der Karlshöher Diakone.(34) Das Salon-Gebäude befand sich vor Gründung der Karlshöhe im Besitz der Witwe Beate Paulus, nach der noch heute ein Haus auf der Karlshöhe benannt ist. Ihre vier Söhne hatten 1837 eine christlich-humanistisch ausgerichtete Bildungsanstalt im Flurgebiet „Salon", dessen Name sie für ihr Bildungsinstitut wählten, gegründet.(35) Das neue Männerheim warb mit der Lage des „reizenden Salonwaldes mit einer lieblichen Aussicht auf die Stuttgarter Berge, die Alb, den Schurwald und einen Teil des Neckarthales. Auch den Leidenden ist der Genuß der köstlichen Natur innerhalb des Gebäudes selbst durch Verandas’s und Plattformen und im Garten durch geschützte Sitzplätze und breite, für den Rollsessel fahrbare Wege möglich."(36)

 


Männerheim Salon, Eingang Neubau

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, U 437, Nr. 11.

Je nach finanziellen Möglichkeiten konnte eine Unterbringung in der ersten bis zur dritten Klasse, in Mehrbettzimmern, erfolgen. Das Männerheim nahm „alleinstehende, pflegebedürftige Männer jeden Standes, mit Ausnahme Geisteskranker und Epileptischer, auf und gewährt denselben vollständige Verpflegung".(37) Der Hinweis auf die Exklusion von Geisteskranken und Epileptikern bekam vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus eine besondere Bedeutung. Denn in einem Schreiben Fritz Mössners an das württembergische Innenministerium vom 5. Oktober 1940 über „die Erhebung von Schwachsinnigen, Epileptischen und Geisteskranken" machte Mössner seine Bedenken deutlich: „Die Aufforderung zur Einreichung einer Liste der Schwachsinnigen, Epileptischen und Geisteskranken in unserem Männerheim Salon macht uns schwere Bedenken. (…) Wir dürfen nicht die Namen der Herren, die freiwillig zu uns gekommen sind, um bei uns Fürsorge und Pflege zu finden, auf eine solche Liste setzen, die ihr Leben gefährden kann."(38) Mössner verweigert die Auskunft und teilt dem Innenministerium mit, dass „wir uns in diesem Fall gezwungen (sehen), der geplanten Maßnahme unsere Mitwirkung aus Gewissensgründen zu versagen."(39) Tatsächlich wurde kein Bewohner des Männerheims Salon Opfer der sogenannten T 4 Aktion zur Ermordung behinderter Menschen. Allerdings wurde der ehemalige Diakon, Wilhelm Breier(40), der stationär in der Psychiatrie in Weissenau untergebracht war, ermordet. Ein „Stolperstein" auf der Karlshöhe erinnert an ihn.(41)

 

3.2: Verwaltungsrat und Vorstand

Verwaltungsgebäude, auf der Treppe Adolf und Mathilde Schlitter (1904)

Landeskirchliches Archiv, Bildersammlung, U 437, Nr. 1

Die Karlshöhe war seit ihrer Gründung durch ihre Rechtsform als Stiftung von der Evangelischen Landeskirche in Württemberg unabhängig. Die Leitung der Anstalt übernahm ein auf fünf Jahre gewähltes Komitee, das 1903 nach einer Statutenänderung in Verwaltungsrat umbenannt wurde.(42) Er bestand aus mindestens zwölf Mitgliedern und einem Vorstand. Die Aufgaben des Verwaltungsrates erstreckten sich von der Berufung des Inspektors, dem die unmittelbare Leitung der Anstalt oblag, über finanzielle Angelegenheiten wie dem Erwerb von Grundstücken, bis zu Überlegungen zur Erweiterung der Einrichtung, die mit einer regen Bautätigkeit einhergingen. Zu den Gründungsmitgliedern und späteren Vorständen des Verwaltungsrats gehörten der Geschäftsführer der Zentralleitung für Wohltätigkeit, Oberregierungsrat Friedrich von Clausnizer, und Generalleutnant Karl Friedrich von Baur-Breitenfeld, der bereits Vorsitzender des Mathildenstiftskomitees gewesen war.(43)

3.3: Die geschäftsführende Leitung durch Inspektoren und Direktoren

Wilhelm Rupp

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, U 438, Nr. 2a.

Die Stiftung Karlshöhe wurde von Anbeginn durch die jeweiligen Inspektoren bzw. Direktoren und deren persönlichen Führungsstil und theologische Ausrichtung geprägt. Der erste Inspektor, Pfarrer Wilhelm Rupp, legte von 1876 bis 1890 die Grundstruktur der Karlshöhe fest. Seine Aufgabe war es, die Karlshöhe als eine Ausbildungsstätte für hauptamtliche Mitarbeiter der Inneren Mission zu errichten und das Berufsbild des Diakons zu entfalten.(44)

Sein Nachfolger, Pfarrer Michael Hahn, wirkte von 1890 bis 1904 und legte seinen Schwerpunkt auf die Erweiterung der Karlshöhe. In seine Dienstzeit fällt der Neubau des Männerheims Salon, das Verwaltungsgebäude mit Speisesaal, Bau der Wäscherei und Bäckerei, sowie die Errichtung des Aussichtsturms Salon, der allerdings 1952 dem Ausbau der Bundesstraße 27 weichen musste.

Adolf Schlitter

Landeskirchliches Archiv stuttgart, Bildersammlung, U 438, Nr. 8

Mit Adolf Schlitter nahm 1904 die „Ära Schlitter"(45) ihren Anfang und endete erst nach 25 Jahren Dienst auf der Karlshöhe. Schlitter galt als ein engagierter Theologe und Pädagoge und reformierte die Diakonenausbildung grundlegend. Er entwickelte eine Ausbildungsordnung, in der die theoretische Ausbildung mit einer pflegerischen Ausbildung nach staatlichen Richtlinien kombiniert wurde. In seiner Amtszeit wurde 1925 der Deutsche Diakonentag auf der Karlshöhe gefeiert(46) und 1926 das neue Brüderhaus eingeweiht. Adolf Schlitter war der erste Herausgeber des Deutschen Diakonenblatts(47) und ein gern gesehener Prediger in anderen Diakonenhäusern, vor allem zu Themen der männlichen Diakonie.(48)


Fritz Mössner

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, U 438, Nr.9.

Ähnlich lange wie sein Vorgänger wirkte Fritz Mössner als Direktor auf der Karlshöhe. Als enger Mitarbeiter Schlitters übernahm er dessen Amt von 1929 bis 1950. Als Pfarrer war Mössner bereits 1908 auf die Karlshöhe gekommen und dort sowohl für die Seelsorge im Männerheim als auch für die Leitung des Kinderheims zuständig.(49) Einer seiner Schwerpunkte war die Jugendfürsorge, auch setzte er sich für die Erweiterung der diakonischen Ausbildung ein. Unter seiner Ägide wurde 1930 eine staatlich anerkannte Wohlfahrtspflegerschule in den Ausbildungsplan der Karlshöhe eingegliedert. Darüber hinaus fallen in seine Amtszeit 1931 die Einweihung der Karlshöher Kirche und der Kauf des Rappenhofs 1936 bei Schwäbisch Gmünd, der als Pflegeheim für Schwerkriegsbeschädigte eine Filiale des Männerheims war.(50) Der Nationalsozialismus wurde 1933 auf der Karlshöhe nach Mössners Ansicht „freudig begrüßt", aber „bald spürte man den Gegensatz, in dem wir uns zum innersten Wesen des Dritten Reiches befanden."(51) Dieses Spannungsfeld wurde auch in anderen Diakonenhäusern spürbar und in den Brüderhausvorsteherkonferenzen zum Ausdruck gebracht.(52) Fritz Mössner gelang es, den Betrieb der Karlshöhe während des 2. Weltkrieges aufrecht zu erhalten, obwohl viele Diakone eingezogen wurden und es in allen Bereichen an Arbeitskräften fehlte. Ein Bombenangriff im Februar 1944 richtete großen Schaden an, mehrere landwirtschaftliche Gebäude und zwei große Häuser des Männerheims brannten ab.(53) Nach den Wiederaufbauarbeiten verabschiedete sich Fritz Mössner 1950 mit 71 Jahren in den Ruhestand. 

Theodor Lorch (1955)

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, U 440, Nr. 31.

Die Geschäftsleitung übernahm im April 1950 bis in den Herbst 1971 Theodor Lorch, der die Karlshöhe bereits von 1930-1933 als Vikar kennengelernt hatte und maßgeblich an der Entstehung der Wohlfahrtspflegerschule beteiligt war. Während seiner Dienstzeit wurde die kirchliche Ausbildungsstätte für Katecheten und Gemeindehelfer in die Diakonenschule integriert.(54) Ausgebildet wurden nun auch Katecheten, die nicht in die Karlshöher Brüderschaft aufgenommen werden wollten. Für sie gab es die Möglichkeit, einen Status als Gastschüler zu erhalten.(55) Somit konnten sie dem sogenannten Freundeskreis angehören, brauchten aber nicht in die Brüderschaft eintreten.(56) Auch Theodor Lorchs Amtszeit ist durch die Erweiterung der Karlshöhe, einhergehend mit einer regen Bautätigkeit, gekennzeichnet. So entstand 1955 das nach August Hermann Werner benannte Körperbehindertenheim „Wernerhaus" mit seinem bürotechnischen Institut als Vorläufer der heutigen kaufmännischen Ausbildung für Körperbehinderte. Im gleichen Jahr kam das Fritz-Mössner-Haus als Sonderschule für körperbehinderte Kinder hinzu, das im Sommer als Ferientagheim genutzt wurde. Mit dem Erwerb des Kinderkurheims Carola 1961 in Berchtesgaden hatten vor allem Berliner Kinder die Möglichkeit, sich in der Natur zu erholen.(57) Der Erholung sollte auch das Ferienheim „Lauchbühl" in Grindelwald dienen, das mit Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau einen hervorragenden Ausgangspunkt für Wandertouren bietet und 1962 erworben wurde. Mit Vergrößerung der Aufgabengebiete wuchs zugleich die Anzahl der Mitarbeitenden, die auch Wohnraum auf der Karlshöhe benötigten. So wurde im gleichen Jahr das Beate-Paulus-Haus als Mitarbeiterinnenwohnheim gebaut. Sechs Jahre später, 1968, erfolgte die Einweihung des Hauses auf der Wart als Anlaufstation für resozialisierungsbedürftige Menschen. Diese Arbeit mit Menschen, die obdachlos waren oder aus dem Gefängnis kamen und wieder in der Gesellschaft Fuß fassen wollten, lag Theodor Lorch besonders am Herzen, was sich durch seine erhaltene Korrespondenz mit den zu betreuenden Mitarbeitenden zeigt.(58)

Ende der 1960er Jahre zeichneten sich grundsätzliche gesellschaftliche Änderungen ab, die sich auch auf der Karlshöhe bemerkbar machten. Theodor Lorch beschrieb diese Entwicklung folgendermaßen: „Volk und Kirche sind reich und deren Söhne und Töchter anspruchsvoll geworden; in Kirche und Diakonie können die Mitarbeiter so gut bezahlt werden wie anderswo; Kirche und Staat kommen für die Kosten sozialer Ausbildung auf; Koedukation in der Erziehung und Ermöglichung früher Verlobung und Verheiratung setzten sich durch; die Bildungsreform drängte auf Spezialisierung und Methodisierung; die sozialen und pädagogischen Tätigkeiten wurden immer stärker in das sozialpolitische Gesellschaftsgefüge eingebaut; die charakterlich-geistlichen Werte werden geringer und die Technik wird höher eingeschätzt. Lorch hätte das Schiff gerne auf dem bisherigen Kurs gehalten, doch das wäre nur möglich gewesen, wenn ihn der überwiegende Teil der Mitarbeiterschaft und ein größerer Teil des Nachwuchses darin unterstützt hätte."(59) Offensichtlich war dies nicht der Fall.

Der Leitungswechsel zu Beginn der 1970er Jahre war mit bahnbrechenden Veränderungen verbunden. Erstmals konnten nun auch Frauen die „Kirchliche Ausbildungsstätte für Diakonie und Religionspädagogik" auf der Karlshöhe besuchen. Damit nahm die Modernisierung der Diakon(inn)enausbildung nun ihren Lauf.

Aktualisiert am: 19.03.2018