Reformationsjubiläen

Alljährlich gedenken die evangelischen Kirchen des Beginns der Reformation im Jahre 1517 in einer doppelten Weise, am Reformationstag, dem 31. Oktober, und am darauf folgenden Sonntag.

Reformationsjubiläen in Württemberg

Von: Ehmer, Hermann

Reformationsgedenken

Alljährlich gedenken die evangelischen Kirchen des Beginns der Reformation im Jahre 1517 in einer doppelten Weise, am Reformationstag, dem 31. Oktober, und am darauf folgenden Sonntag. Der 31. Oktober 1517 als Beginn der Reformation geht unmittelbar auf Martin Luther zurück. Der Thesenanschlag freilich, der sich stets mit diesem Datum verbindet, wird von Luther nicht ausdrücklich erwähnt, sondern wurde erst später von Philipp Melanchthon berichtet. Allerdings hat sich Luther am 31. Oktober 1517 wegen der Ablaßfrage brieflich an Erzbischof Albrecht von Mainz und Bischof Hieronymus Schulze von Brandenburg gewandt und nur wenig später mit den bekannten 95 Thesen zu einer Disputation eingeladen, wofür der Anschlag an einem öffentlich zugänglichen Ort üblich war. In Luthers Erinnerung verbanden sich daher die Briefe, von denen derjenige an den Mainzer Erzbischof erhalten ist, und mit denen er die Diskussion um den Ablaß in Gang gebracht hatte, mit dem Thesenanschlag. Luthers eigene Überzeugung, daß der 31. Oktober 1517 der Tag war, an dem der Ablaß zu Boden getreten wurde, ist dann von Johannes Sleidan, der 1555 die erste Geschichte der Reformation veröffentlichte, als Termin des Beginns der Reformation in die Geschichtsschreibung eingeführt worden. Damit hat Sleidan eine Tradition in Gang gesetzt, die bis zum heutigen Tag maßgebend ist.

Neben dem Reformationstag und dem Reformationssonntag gab es noch andere Termine des Reformationsgedenkens, nämlich die Übergabe des Augsburger Bekenntnisses an Kaiser Karl V. am 25. Juni 1530, und den Abschluß des Augsburger Religionsfriedens am 25. September 1555. Das alljährliche Gedächtnis der Übergabe des Augsburger Bekenntnisses mit Verlesung  dieses Bekenntnisses am Sonntag nach dem 25. Juni wurde 1739 in der württembergischen Kirche angeordnet und wurde als Reformationsfest bezeichnet. Eine besondere Bedeutung hatte das Reformationsgedenken am 25. Juni für die Reichsstädte, besonders für Reutlingen, wo alljährlich am Vorabend des Jahrestags der Übergabe des Augsburger Bekenntnisses, am Festtag Johannes des Täufers, in der Stadtkirche ein Schüler das sogenannte Ehrenzeugnis sprach: Das ist diese Stadt, welche sich zur Stadt Nürnberg getan und 1530 die Augsburger Konfession unterschrieben, von welcher sie hernach nicht abgewichen ist; hat aber doch inmittelst dem Kaiser schuldigen Gehorsam und gebührende Ehr beharrlich zu erweisen sich niemals geweigert. Es ist hier in einem Satz die Spannung zwischen Bekenntnistreue und Reichstreue ausgedrückt, in der die evangelischen Reichsstädte unter dem katholischen Kaiser standen.

Die drei genannten Termine, der 31. Oktober 1517, der 25. Juni 1530 und der 25. September 1555 als Tag des Abschlusses des Augsburger Religionsfriedens, wurden in der Folgezeit jeweils im Jahrhundertabstand besonders gefeiert. Als jährliches Reformationsgedenken hat sich seit dem 19. Jahrhundert der 31. Oktober mit dem darauf folgenden Sonntag durchgesetzt. Die württembergische Kirchenleitung genehmigte 1853, daß künftig zunächst in den größeren Städten eine Betstunde am Abend des 31. Oktobers mit abwechselndem Gesang, Gebet und einem erbaulichen, historischen Vortrag veranstaltet werde. Die badische und die württembergische Landeskirche waren damit die beiden letzten, die sich dem Brauch in den übrigen deutschen Landeskirchen anschlossen. Die Feier des 31. Oktober 1517 und des darauffolgenden Sonntags hat somit die anderen Traditionen des Reformationsgedenkens überflügelt. Es soll also hier auf die Reformationsjubiläen in Württemberg 1617, 1717, 1817 und 1917 geblickt werden. Insbesondere soll hier dargestellt werden, in welchem Zusammenhang diese vier zurückliegenden Jahrhundertjubiläen der Reformation standen.

1617

Die 100-Jahrfeier 1617 wurde in allen Kirchen mit Jubel- und Dankespredigten begangen.

Das Jubiläum von 1617 hat einen doppelten Ursprung. Eine Initiative ging von der Evangelischen Union aus, einem 1608 geschlossenen Bündnis evangelischer Reichsstände unter Führung der Kurpfalz, gegen die im folgenden Jahr die katholische Liga gegründet wurde. Bei einer Zusammenkunft der in der Union verbündeten Stände in Heilbronn wurde am 23. April 1617 festgestellt, daß vor nun bald hundert Jahren Gott der Allmechtige das Liecht seines Hayligen Euangelii inn Teutschlandt durch weilandt D. Luther seeligen herfür gebracht. Man einigte sich deshalb darauf, daß am Sonntag, den 2. November 1617 in allen der Union zugehörigen Gebieten dafür danckhsagung und gebett verrichtet werden solle. Es war ursprünglich wohl nur an ein besonderes Gebet nach der Predigt gedacht, das schließlich doch zum Iubilaeum oder Frewden- oder Jubil Fest wurde, wie es in dem einschlägigen württembergischen Ausschreiben heißt.

Die Entwicklung zum Jubiläum ist besonders bedeutsam, weil dieser Begriff aus der katholischen Kirche übernommen worden ist und neu besetzt wurde. Als Jubiläum war im Jahre 1300 der vollkommene Ablaß bezeichnet worden, der von Papst Bonifatius VIII. ausgeschrieben worden war und allen denen zuteil werden sollte, die in jenem Jahr nach Rom wallfahrteten. Ein vollkommener Ablaß war ganz ungewöhnlich, weil die sonstigen Ablässe wesentlich geringer waren. Der Ablaß war ursprünglich ein Nachlaß der Sündenstrafen, die auch durch Gebet, Wallfahrten und gute Werke, schließlich aber auch mit Geld abgegolten werden konnten. Erst später wurde im Ablaß auch ein Nachlaß der göttlichen Sündenstrafen gesehen. Jedenfalls war der Ablaß der Kern des 1300 ausgeschriebenen Jubiläums.

Der vollkommene Ablaß wurde 1350 erneut ausgeschrieben, wobei man sich auf das alttestamentliche Sabbat- oder Jubel-Jahr bezog. Nach 3. Mose 25, 10-13 sollten in jedem fünfzigsten Jahr die Schulden nachgelassen und jeder wieder zu dem Seinen kommen. Während Luther die hebräische Bezeichnung jobel für dieses Jahr mit Halljahr übersetzte, vom Schall der Posaune, die am Versöhnungstag geblasen werden sollte, hatte die Vulgata, die lateinische Bibel, den hebräischen Begriff unübersetzt gelassen und sprach vom annus jubilaeus. Von dort kam also, erstmals 1300, der Begriff des Jubiläums in die lateinische Sprache, womit jener vollkommene Ablaß gemeint war. In der Folgezeit gab es auch außerhalb des 50-Jahres-Rhytmus noch etliche Jubiläen. Seit 1500 geschieht dies im 25-Jahr-Takt. Das letzte „Heilige Jahr“ in dieser Art war 2000.

Für die erste Jahrhundertfeier der Reformation im Jahre 1617 wurde der Begriff Jubiläum übernommen, ausgerechnet als Erinnerung an den 31. Oktober 1517, als  den Tag, an dem der Ablaß zu Boden getreten wurde. Dem römischen Jubiläum wurde somit ein evangelisches Jubiläum entgegengesetzt. Überdies übernahm man auch den ursprünglichen Hundert-Jahr-Takt. Dies war übrigens der erste Schritt zur Säkularisierung des Begriffs Jubiläum, der heute, auch in wesentlich kürzeren Abständen für alles Mögliche, für Dienst-, Ehe-, Firmenjubiläen und dergleichen gebraucht wird.

Herzog Johann Friedrich von Württemberg (1608-1628) sollte den Kurfürsten von Sachsen, der nicht Mitglied der Union war, auf das geplante Jubiläum aufmerksam machen. In Sachsen war aber unabhängig davon schon früh der Gedanke an ein Reformationsjubiläum am 31. Oktober 1617 aufgekommen, wobei die Initiative von der Universität Wittenberg ausging. Das Dresdener Oberkonsistorium versandte deshalb eine Schrift, datiert vom 1. September 1617 an die lutherischen Kirchen und Theologen, in der dargestellt wurde, wie man in Kursachsen das Jubiläum zu begehen gedenke. Es fanden daher 1617 im evangelischen Deutschland zweierlei Reformationsjubiläen statt, nämlich nach dem sächsischen Vorschlag am 31. Oktober und nach dem Beschluß der Union am Sonntag, 2. November.

Nach dem herzoglich württembergischen Ausschreiben vom 18. Oktober 1617 sollte also das Evang. Iubilaeum, Lob: und Danckfest am Sonntag, 2. November, begangen werden. Der Ablauf des Gottesdienstes wurde vorgeschrieben. Nach dem Te Deum sollten die auch heute noch üblichen Reformationslieder gesungen werden. In der Predigt über das Sonntagsevangelium  oder einen sonst passenden Text sollte die Gemeinde über die Mißstände unter dem Papsttum und die Reformation durch Luther unterrichtet werden, der das klare Liecht seines heiligen Evangelii (welches Anno 1534. auch in Unserm Hertzogthumb durch GOttes sonderbare gnad und schickung auffgangen) wieder hervorgebracht hat. Dieses ist bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben, weshalb die Gemeinde ermahnt werden sollte, dabei zu bleiben, dafür dankbar zu sein und Gott um Schutz und Erhaltung des Evangeliums zu bitten. Die Gottesdienste waren mit einem vorformulierten Gebet, weiteren Liedern und der Feier des Abendmahls zu schließen.

Man gab auch Drucke einer kurzen Historie der Reformation in Auftrag, wovon   in jede Schule einer gehen sollte. Diese Reformationsgeschichte konnte auch statt der Predigt verlesen werden. Zugleich erging ein Befehl an die Amtleute, die Schützenhäuser und Trinkstuben zu schließen, damit der Gottesdienst nicht versäumt werde. In den Städten waren während der Gottesdienste die Tore zu schließen, in den Dörfern sollte eine Wache umgehen, weil ja jedermann in der Kirche war.

Die in Stuttgart gehaltenen Predigten sind im Druck überliefert. Der 1618 erschienene Band trägt den Titel Würtembergisch Jubel Jahr und zeigt Luther als Frontispiz. Demnach wurden in der Stiftskirche drei Predigten gehalten, in der Hof- oder Schloßkirche zwei, in der Hospital- und Leonhardskirche je eine. In der Stiftskirche bot Stiftspropst Erasmus Grüninger (1566-1632) eine Predigt in zwei Teilen, am Vorabend und am Jubiläum selber über Mt. 22, 1-14, das Gleichnis von der königlichen Hochzeit. In dieser Predigt behandelte er drei Fragen:

1. Ob es nicht schon vor der Reformation eine Kirche mit Wort und Sakrament gegeben hat?

2. Ob es nicht auch unter dem Papsttum Leute gegeben hat, die zum hochzeitlichen Mahl luden?

3. Wozu dann die Reformation nötig war?

Grüninger bietet hier die Lehre von den Wahrheitszeugen Hus, Waldenser und Savonarola, womit die Notwendigkeit der Reformation bewiesen ist. Die Sonntagspredigt, die unter Ps. 89, 16 stand, Wohl dem Volk das jauchzen kann, klingt aus mit einem Lob Luthers, dem wir die Kirchenlieder und die deutsche Bibel zu verdanken haben.

Der 314 Seiten in Quart umfassende Band hat als Zugabe noch lateinische Gedichte, darunter auch eine lateinische Übersetzung von Ein’ feste Burg, die mit den Versen beginnt:

                                               Jehova turris unica

                                               Asylon expetendum

Die Predigt Grüningers hatte geschlossen mit Bitte zu Gott um Schutz und Erhaltung des Evangeliums. Dies taten zweifellos auch andere Prediger, denn der Spannungszustand im Reich entlud sich im folgenden Jahr im Böhmischen Krieg, dem gescheiterten Versuch des pfälzischen Kurfürsten, die böhmische Königskrone zu behaupten. Im weiteren Verlauf des Dreißigjährigen Ringens ging es alsbald nicht mehr um konfessionelle Streitigkeiten, vielmehr entwickelte sich ein europäischer Krieg auf deutschem Boden, der endlich 1648 im Westfälischen Frieden sein Ende fand. Dieser Frieden bestätigte nicht nur den Religionsfrieden von 1555 sondern auch den territorialen und konfessionellen Stand Württembergs nach dem „Normaljahr“ 1624.

1717

Hundert Jahre später mußte man das zweite Reformationsjubiläum ebenfalls unter wenig guten Vorzeichen begehen. Der Grund waren vor allem konfessionelle Veränderungen in den regierenden Häusern des Reichs. Kurfürst August der Starke von Sachsen war 1697, um die polnische Krone zu erlangen, zum Katholizismus konvertiert. Ein gleiches tat später der Kurprinz, der nachmalige sächsische Kurfürst und polnische König August II., dessen Übertritt erst kurz vor dem Jubiläum bekannt gemacht wurde. Die Kurpfalz hatte durch Erbfolge seit 1685 einen katholischen Fürsten. Überdies hatte der von Ludwig XIV. von Frankreich begonnene Erbfolgekrieg 1697 mit dem Frieden von Rijswijk geendet, der bestimmte, daß der während der französischen Besetzung der Pfalz eingeführte katholische Gottesdienst erhalten bleiben sollte. Dies war ein klarer Bruch der Bestimmungen des Westfälischen Friedens von 1648. Darüber hinaus wurden die Katholiken in der Kurpfalz durch die nunmehr katholische Dynastie offen begünstigt. Im übrigen hatte es neben der Konversion des Kurfürsten von Sachsen in dieser Zeit auch noch Konversionen anderer Fürsten und Herren gegeben, so auch bei den Grafen von Hohenlohe und selbst im Haus Württemberg. Herzog Karl Alexander (1584-1737), der 1733 regierender Herzog von Württemberg wurde, war 1712 in habsburgischen Diensten katholisch geworden. Eben diese Übertritte waren es, die der katholischen Polemik schon im Vorfeld des Jubiläums erwünschten Stoff lieferten. Dadurch hatte aber das konfessionelle Klima im Reich eine merkliche Abkühlung erfahren.

Die erste Anregung einer Feier des zweiten Jubiläums wurde durch Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt gegeben. Diese wurde von dem Corpus Evangelicorum, den evangelischen Ständen auf dem Reichstag in Regensburg aufgegriffen und beschlossen, nach dem Vorbild der Feierlichkeiten im Jahre 1617 nicht nur am 31. Oktober, sondern auch an den beiden darauf folgenden Tagen, dem 1. und dem 2. November, das Jubiläum zu begehen. Ebenso wie 1617 hatte das zweite Jubiläum somit einen politischen Aspekt, da dadurch die  Geschlossenkeit der evangelischen Reichsstände dargestellt werden sollte, weshalb man darauf bedacht war, das Jubiläum in möglichster Konformität zu feiern.

In Württemberg erging am 27. September 1717 ein herzoglicher Befehl, das Jubiläum am Sonntag, 31. Oktober zu feiern. Am Donnerstag zuvor, dem Feiertag Simonis und Judae, sollte der Lebenslauf Luthers statt der Morgenpredigt verlesen werden. Am Freitag war der monatliche Bußtag, an dem nur eine Betstunde gehalten wurde. Am Samstagabend war eine Bußpredigt über Offb. 2, 5, Gedenke wovon du gefallen bist und tue Buße und tue die ersten Werke zu halten. Der Predigttext für den Sonntagvormittagsgottesdienst war Ps. 87, 1-3 Sie ist gegründet auf dem Heiligen Berge und der Herr liebt die Tore Zion über alle Wohnungen Jakobs. Herrliche Dinge werden in dir gepredigt, du Stadt Gottes. Am Sonntagnachmittag war über Kol. 1, 12-14 zu predigen: Danksaget dem Vater, der uns tüchtig gemacht hat zu dem Erbteil der Heiligen im Licht, welcher uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes, an welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden.

Die bei diesen Gottesdiensten gesungenen Lieder entsprechen denen beim Jubiläum hundert Jahre zuvor. Jeweils nach den Predigten waren die vorgeschriebenen Gebete zu verlesen. Im übrigen war darauf zu sehen, daß das Jubiläum nicht nur würdig, sondern in Bußgesinnung zu begehen war. Die damit verbundenen Ermahnungen zeigen den Einfluß des frühen Pietismus, wenn geklagt wird: Der Welt-Geist hat unsere Gemeinde heutiges Tags leyder fast gantz eingenommen; daß wir zwar die alte Evangelische Religion noch in unsern Büchern und auf denen Cantzeln haben; die Krafft aber derselbigen fast in allem unserm Thun und Lassen verlaugnen.

Auch die Feier des Jubiläum 1717 in beiden württembergischen Hauptstädten wurde durch einen Predigtband dokumentiert: Celebrirung | Des zweyten Evangelischen | Jubel-Festes | Den 31. Octobr. MDCCXVII.| Zu Ludwigsburg und Stuttgardt, Stuttgart 1719. Er enthält nunmehr 14 Predigten auf 570 Seiten in Quart. Vertreten sind auch hier illustre Prediger, wie der Hofprediger Samuel Urlsperger (1685-1772),  und der später als Prediger zu Berühmtheit gelangte Georg Konrad Rieger (1687-1743), damals noch Vikar an der Hofkapelle.

Zur Erinnerung an das zweite Jubiläum wurden in den wohlhabenderen Reichsstädten, in Ulm und Esslingen, Medaillen geschlagen, die an die Schulkinder verteilt wurden. In Bopfingen erhielten die Schulkinder immerhin einen Wecken als Denkzeichen, die Esslinger Bürger bekamen je eine Maß Wein und ein zweipfündiges Brot zur Ergötzlichkeit. In Ulm wurde die Speisung der Armen im Hospital, im Waisenhaus und anderen dergleichen Einrichtungen durch eine extraordinaire Spendung an Victualien aufgebessert.

1817

Nachbildung des Eherings der Katharina von Bora "Catharina v Boren - D. Martino Luthero", 1817 Zum Jubiläum 1817 wurden solche Ringe als Kopien hergestellt.

Das Jubiläum 1817 fand in einer veränderten Welt statt, verändert zunächst durch die Französische Revolution und die  napoleonischen Kriege, die die politische Landschaft in Südwestdeutschland völlig umgestaltet hatten. Stuttgart war nun die Hauptstadt des Königreichs Württemberg, das seit 1816 von König Wilhelm I. regiert wurde. Das geistige und konfessionelle Klima war vor allem durch die Aufklärung verändert, die territoriale Umgestaltung hatten Württemberg zu einem paritätischen Staat gemacht, in dem Evangelische und Katholiken gleiche Rechte besaßen. Das „Jahr ohne Sommer“ 1816 war ein Fehljahr gewesen, wobei der nahezu vollständige Ausfall der Ernte in dem immer noch agrarisch bestimmten Württemberg, das ohnehin durch die zurückliegenden napoleonischen Kriege geschwächt war, zu einer Hungersnot führte, unter der besonders die ärmeren Schichten zu leiden hatten.

Dennoch sollte 1817 ein Reformationsgedenken stattfinden, wofür von der Obrigkeit ausführliche Anweisungen erteilt wurden. Der paritätische Staat war nämlich kein säkularer Staat, vielmehr war auch der König das oberste Glied der evangelischen Kirche und versuchte auch über die katholische Kirche seines Landes Herrschaft auszuüben. Ein Erlaß des Innenministeriums befahl den evangelischen Gemeinden, Baumängel an den Kirchen zu beheben, die Kirchen auszuweißeln und überhaupt die Kirchen und Kirchplätze zu reinigen, um diesen Versammlungs-Orten ... eine anständige und das Gemüth erfreuende Gestalt ... zu geben.

Die evangelische Kirche im neuen Königreich hatte auch die Aufgabe, als verbindendes Element der verschiedenen Landesteile zu dienen. Das Reformationsjubiläum sollte deshalb in gleicher Weise im ganzen Land, von Isny bis Schwäbisch Hall, gefeiert werden. Es waren deshalb ausführliche Bestimmungen für die Feier des 31. Oktober erlassen worden. Unter Berufung auf die “Vorgänge” war man auch um den Schutz dieses Feiertags besorgt, indem werktägliche Arbeiten, aber auch geräuschvolle Lustbarkeiten untersagt wurden. Neu an diesem Jubiläum war, daß im evangelisch-katholischen Verhältnis die gegenseitige Rücksichtnahme gefordert wurde. Dies war zwar schon 1717 der Fall gewesen, doch ging es jetzt um die konfessionelle Rücksichtnahme im gemeinsamen Staat.

Auch 1817 wurden die Predigttexte vorgeschrieben. Vormittags sollte über Joh. 8, 31f. gepredigt werden: So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen. Der Text für die Nachmittagspredigt war Kol. 2, 6f.: ... seid fest im Glauben. Auch 1817 wurde die Notwendigkeit der  Unterrichtung der Jugend in Schule und Konfirmandenunterricht über die Reformation für besonders wichtig erachtet.

Das Reformationjubiläum sollte zwei Sonntage zuvor ankündigt werden, wobei der dafür vorgeschriebene Text ausführliche Zitate aus den 95 Thesen enthielt. Die Kanzelabkündigung am Feiertag selber bot eine Geschichte der Reformation und deren Erhaltung bis auf den heutigen Tag. Dabei wurde auch die württembergische Reformation 1534 erwähnt und auch die eigenständige Reformation in den Reichsstädten kam noch zur Sprache. Selbstverständlich wurden auch noch längere Gebete vor und nach der Predigt vorgeschrieben.

Dieses dritte Jubiläum sollte in Württemberg als Bibelfest gefeiert werden. Wenige Jahre zuvor, 1812 war in Stuttgart im Haus Lotter am Markt (Marktplatz 5) die Württembergische Bibelanstalt gegründet worden, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Bibel unter den ärmeren Volksklassen zu verbreiten. Das Jubiläum bot der Bibelanstalt die Gelegenheit, an die Öffentlichkeit zu treten. 7.000 Exemplare des Neuen Testaments waren hergestellt worden um im ganzen Land verteilt zu werden. In den Stuttgarter Kirchen wurden diese Neuen Testamente nach der Predigt vor dem Altar vor allem an arme Schulkinder ausgegeben. Natürlich wurde in den Predigten auf die Lutherbibel hingewiesen und diese ausdrücklich als Unterscheidungsmerkmal zu den Katholiken herausgestellt. In Sulz am Neckar bildete sich im Reformationsjubeljahr ein Bibelverein, der sich nicht nur die Verbreitung der Bibel, sondern auch die Förderung des Bibellesens zur Aufgabe machte.

1917

Erinnerungen an die Konfirmation 1917. Das 400. Jubiläum fiel ins Kriegsjahr 1917. Um die Jugend zu ertüchtigen, wurde Luther zum tatkräftigen deutschen Helden stilisiert– selbst auf Konfirmationsgedenkblättern. Auf sein Lied „Ein‘ feste Burg ist unser G

Beim vierten Reformationjubiläum stand man im vierten Jahr eines mörderischen Weltkriegs. Nach den Anstrengungen von 1916 mit dem erfolglosen deutschen Angriff auf Verdun und den Offensiven der Westalliierten an der Aisne und in der Champagne, die auch auf der deutschen Seite große Verluste gebracht hatten, war eine gewisse Ermüdung eingetreten. Doch der Kriegseintritt der USA 1917, der von Deutschland mit dem unbeschränktem U-Boot-Krieg beantwortet wurde, brachte eine Ausweitung des Krieges, die noch größere Anstrengungen erforderte. Es ist kein Wunder, daß man in dieser Lage einen Moment daran dachte, das Reformationsjubiläum zu verlegen, etwa auf 1921. Doch hielt man an 1917 fest. Schon früh, Ende 1916, erging eine Anweisungen des Konsistoriums an die Pfarrämter, mit den Vorbereitungen für das Jubiläum trotz der Kriegszeit zu beginnen und im Unterricht und in der Christenlehre darauf hinzuweisen und den Gottesdiensten eine reichere liturgische Gestaltung zu geben.

Zunächst sicher unbeabsichtigt erhielt dieses Jubiläumsjahr eine eigene württembergische Note durch die Einweihung des württembergischen Reformationsdenkmals an der Südseite der Stuttgarter Hospitalkirche. Aus den Lutherfeiern, die seit dem Lutherjubiläum 1883 jährlich in der Stuttgarter Liederhalle abgehalten wurden, war die Anregung zur Errichtung eines Stuttgarter Lutherdenkmals erwachsen. Hierfür wurden die bei diesen Veranstaltungen angefallenen Opfer zurückgelegt, ohne daß aber zunächst konkrete Schritte unternommen wurden. Mit dem Blick auf die vierte Säkularfeier der Reformation 1917 wurden daraus Pläne für ein württembergisches Reformationsdenkmal in Stuttgart. Auf Vorschlag des Architekten Theodor Fischer (1862-1938) wurde nach längerer Suche 1903 der Platz bei der Hospitalkirche für die Aufstellung dieses Denkmals bestimmt. Doch erst im Herbst 1910 bildete sich ein Denkmalausschuß, der mit einem Aufruf An das evangelische Volk Württembergs! an die Öffentlichkeit trat. In dem Aufruf wurde bereits angegeben, wie das Denkmal aussehen sollte: Unter dem Kreuz Christi soll Martin Luther, der deutsche Reformator, stehen, ihm zur Seite der Reformator Württembergs, Johannes Brenz. In einem Wettbewerb, an dem 71 Künstler teilnahmen, fiel die Wahl auf den Stuttgarter Bildhauer Jakob Brüllmann (1872-1938).

Die öffentliche Diskussion über das Denkmal führte schließlich zu dem Ergebnis, daß nicht der Gekreuzigte, sondern der Auferstandene die Mitte des Denkmals bilden, und die beiden Reformatoren sitzend dargestellt werden sollten. Die auch nach dieser Grundsatzentscheidung weitergehende und z. T. recht scharf geführte Diskussion befaßte sich in erster Linie mit der Darstellung des Auferstandenen und der Figur Luthers. Die Figur von Brenz als württembergisches Pendant zum deutschen Luther wird in der Diskussion nicht erwähnt, blieb also unbestritten. Bei der Gestaltung der Figur Luthers ergab sich eine interessante Parallele zu dem von Thorwaldsen geschaffenen Stuttgarter Schillerdenkmal von 1838, das ja seinerzeit deswegen enttäuschte, weil der Dichter nicht mit heroisch erhobenem Haupt, sondern mit nachdenklich gesenktem Kopf dargestellt ist. Deshalb mußte Luther aufblickend, im Augenblick der reformatischen Erkenntnis über dem Römerbrief gezeigt werden. Brenz auf der linken Seite, dem Propheten Luther gegenüber, ist hingegen dargestellt als der treufleißige Jünger, als Mann, der einer Landeskirche Recht und Ordnung auf Jahrhunderte gegeben hat.

Das Denkmal wurde am Sonntag, 24. Juni 1917, im Beisein von König Wilhelm II., Königin Charlotte, sämtlicher Minister und zahlreicher anderer Würdenträger eingeweiht.   Das königliche Württemberg, mit dem es knapp 1½ Jahre später zu Ende ging, erschien hier ein letztes Mal im Festtagsgewand. Die Feier fand damit am Vortag des alten württembergischen Reformationsfesttermins statt. Vor allem aber war es der Geburtstag von Brenz, wie ausdrücklich bemerkt wird, den man eigens dafür ausgewählt hatte. Nach dem Festgottesdienst in der Hospitalkirche fand die Denkmalweihe statt, bei der Prälat Johannes Merz (1857-1929), der dann 1924 der erste Kirchenpräsident wurde und somit Kirchenoberhaupt anstelle des Königs, die Ansprache hielt. In wohlabgewogenen Formulierungen sprach Merz über Luther und Brenz. Interessant ist die Bedeutung, die er Brenz als Integrationsfigur des evangelischen Württemberg zumißt: Du gehörst dem Schwaben- wie dem Frankenland zu, dem Kreis der Reichsstädte wie dem fürstlichen Gebiet von Württemberg, das eben damals unter Herzog Christoph sich anschickte, das Herz des protestantischen Südens zu werden. Wir feiern heute deinen Geburtstag: in allweg werde neu unter uns geboren ein ehrenfester Biedersinn, deine männliche Klugheit, deine Furchtlosigkeit und Treue!

Brenz war damit ein angemessener Platz im württembergischen Reformationsgedenken zugewiesen worden, wobei freilich auch eine Rollenverteilung vorgenommen wurde: Luther als der Prophet, Brenz als der treufleißige Jünger - aber doch auf gleicher Stufe. Reformation war damit als konkretes Geschehen in den Städten und Territorien des deutschen Südwestens begriffen worden. Obwohl in den Festreden die Tatsache anklingt, daß man im dritten Jahr des entsetzlichsten Krieges steht und die Friedenssehnsucht offen ausgesprochen wurde, ist dies nicht ein Zeichen für einen etwaigen württembergischen Partikularismus. Vielmehr ist das Bewußtsein einer eigenen Reformationsgeschichte zweifellos ein Ergebnis der intensiven historischen Forschungen der zurückliegenden Jahre.

Am 31. Oktober, einem Mittwoch, fanden in den Kirchen am späten Vormittag oder am frühen Nachmittag liturgische Festgottesdienste statt. In der dicht besetzten Stuttgarter Stiftskirche wurde um 11 Uhr eine Bachkantate aufgeführt. In der Schloßkirche war um 4 Uhr eine Predigt von Prälat Hoffmann, an der die Majestäten teilnahmen. Es gab keine Abendveranstaltungen. Seit 1915 bestand Luftgefahr, verschiedene Luftangriffe auf Stuttgart, zuletzt am 16. September 1917, hatten Tote und Verwundete unter der Zivilbevölkerung gefordert.

Das Reformationsfest wurde am Sonntag, 4. November gefeiert, König und Königin nahmen an dem Gottesdienst in der Schloßkirche teil. Für die Predigten war als Richtlinie herausgegeben worden, daß kein Gegensatz zwischen evangelisch und katholisch herausgestellt werden sollte. Vielmehr mußte das deutsche Volk in der gegenwärtigen Lage einig sein und bleiben. Das war ein wichtiger Unterschied zu früher.

Wie in früheren Jahrhunderten gab es 1917 im ganzen Land auch Schulfeiern. Die Stuttgarter Gymnasien und die Realschulen begingen ihre Feier am 31. Oktober in der Stiftskirche, die Volksschulen in den übrigen Kirchen, jeweils mit Ansprachen der Lehrer, die sich mit Luther befaßten.

Eine Besonderheit war, daß im Großen Haus der Staatstheater in mehreren Vorstellungen ein Stück aufgeführt wurde: Luther. Ein deutsches Schauspiel in 5 Akten. Der Verfasser des Stücks war David Koch (1869-1920), Pfarrer an der Heslacher Matthäuskirche, der sonst als Kunstschriftsteller hervorgetreten war. Der Erlös der Aufführungen war bestimmt für den Kaiser- und Volksdank für Heer und Flotte. Weihnachtsgabe 1917. König und Königin, die am Vormittag an einer Treibjagd im Schönbuch teilgenommen hatten, besuchten die erste Vorstellung.

Die Universität Tübingen nahm Ehrenpromotionen verdienter Kirchenmänner und Geistlicher vor, darunter der Präsident des Konsistoriums Hermann Zeller (1849-1937), der Stuttgarter Stadtdekan Theodor Traub (1860-1942) und der Prälat und Stiftsprediger Christian Römer (1854-1920). Im Landesgewerbemuseum wurde eine Reformationsjubiläumsausstellung gezeigt, die von der Landesbibliothek bestritten wurde.

Insgesamt waren die Feierlichkeiten 1917 würdig aber bescheiden. Von Chauvinismus, den man diesem Jubiläum gerne nachsagt, war nichts zu verspüren. Im Ergebnis kann man sagen, daß die vier Reformationjubiläen gewiß jeweils einen eigenen Charakter trugen. Allen gemeinsam ist aber, daß es keine ausgelassene Festfreude gab, sondern eine ernste Bußgesinnung vorherrschte, weil Reformation nicht als Besitz betrachtet wurde, dessen man sich unbefangen freute, sondern als Gabe, die zugleich eine Aufgabe darstellte.

Aktualisiert am: 31.10.2020