Ambrosius Blarers Wirksamkeit im Herzogtum Württemberg

Von: Brecht, Martin

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Blarers Tätigkeit in Schwaben
  2. 2: Blarers Tätigkeit in schwäbischen Reichsstädten
  3. 3: Zwischenresümee
  4. 4: Blarer als Reformator Württembergs
  5. 5: Die Abendmahlsfrage
  6. 6: Blarers Wirksamkeit in Württemberg
  7. Blarers Entlassung
  8. 7: Nachtrag
  9. Anhang

In der reformationsgeschichtlichen Literatur wird Ambrosius Blarer immer wieder als Apostel Schwabens bezeichnet.(1) Schon die Zeitgenossen, etwa Martin Bucer und Telamonius Limburger, haben ihm diesen Titel beigelegt. Als Blarer 1532 nach Esslingen berufen wurde, schrieb ihm Bucer: So weit die Konstanzer Diözese reicht, hat Gott Schwaben deinem Apostolat zugesprochen. Limburger sah Blarer 1534 dazu bestimmt, das apostolische Amt in Württemberg auszuüben.(2)  Man wird diese Bezeichnung nicht pressen dürfen. Aber darin trifft sie schon die Sache, dass, wie Bucer es wieder sagt, der Treue Blarers die schwäbischen Kirchen anvertraut waren.(3)  Er hat in einer ausgedehnten Reisetätigkeit und mit der nimmermüden Beratung in seinen zahlreichen Briefen zwischen 1528 und 1539 die meisten der protestantischen Kirchen in Schwaben betreut. Im Blick auf seine Reisetätigkeit mit den langen Aufenthalten an den einzelnen Plätzen hat Blarer selbst einmal die Parallele zum Apostel Paulus gezogen.(4)  Nur wenige der Reformatoren haben so in der Breite gewirkt wie er, und in Schwaben ist ihm in der praktischen Tätigkeit außerhalb seiner Stadt keiner darin vergleichbar, auch Bucer nicht. Schon aus diesem Grunde gehört Blarer zu den einflussreichsten Männern der oberdeutschen Reformation. Er ist dabei immer der Mann seiner Heimatstadt Konstanz geblieben, hat nirgends außerhalb ein festes, dauerhaftes Amt angenommen, sondern ist in mehr oder weniger offizieller Form im Auftrag seiner Heimatstadt und -kirche den andern zur Verfügung gestanden. Der Konstanzer Rat hat Blarer jeweils beurlaubt und sich wieder und wieder dazu bereitgefunden, den Urlaub zu verlängern, damit seine Arbeit in Schwaben fortgesetzt werden konnte.(5)  Die Stadt Konstanz hat ein Jahrzehnt auf ihren ersten Theologen verzichtet. Gewiss nicht nur aus christlicher Nächstenliebe. Es kam für das exponierte Konstanz entscheidend darauf an, gegen Kaiser und Bischof einen Rückhalt an evangelischen Nachbarn zu haben. Die echte und bewusste Verantwortung für das Evangelium, wie sie sich in den Briefen des Rats an Blarer ausspricht, und das eigenste Interesse der Stadt deckten sich.

Blarer selbst wurde so aus der Enge der einzelnen Stadt hinausgeführt in einen größeren Wirkungskreis und vor schwerere Aufgaben gestellt. Freilich, das muss gleichfalls gesagt werden: die Bindung an Konstanz bedeutete auch eine gewisse Schranke. Die Problematik seiner Wirksamkeit in Schwaben 141 hängt damit zusammen, dass er immer nur auf Zeit den andern zur Verfügung stand. Für die Schaffung konsolidierter kirchlicher Verhältnisse konnte das nicht günstig sein.

1: Blarers Tätigkeit in Schwaben

Blarers Tätigkeit in Schwaben erstreckt sich auf einen ziemlich genau umrissenen Kreis von Plätzen. Es sind die Städte Memmingen, Isny, Kempten, Lindau, Ulm, Esslingen und das Herzogtum Württemberg. Die Wirksamkeit in Augsburg im Jahr 1539 - einen Ruf im Jahr 1531 hatte er auf Weisung des Konstanzer Rates abgelehnt - blieb Episode.

Auch zeitlich läßt sich diese Tätigkeit genau eingrenzen. Die Berufung Blarers nach Memmingen von November 1528 bis Februar 1529 war ein Vorspiel. Im Mai 1531 wurde er zusammen mit Bucer und Oekolampad zur Durchführung der Reformation nach Ulm geholt. Er blieb länger dort als die beiden andern, ging im September vom Ulmischen Geislingen direkt nach Esslingen, wo er sich bis Juni 1532 aufhielt. Über Geislingen und Ulm reiste er dann nach Memmingen und war dort bis Mitte September. Ein Aufenthalt in Isny von September 1532 bis Februar 1533 schloss sich an. Einen Monat verbrachte Blarer noch in Lindau, dann endete diese Reise, von der er selbst einmal dachte, er kehre überhaupt nimmer heim. Ein starkes Jahr später, im Juli 1534, erfolgte die Berufung nach Württemberg mit ihrem vierjährigen Dienst. Auf der Rückreise im Sommer 1538 hat Blarer wieder Isny besucht. Es sind also im Wesentlichen zwei Komplexe des Wirkens Blarers in Schwaben: die Reise durch die Städte 1531-1533 und die Tätigkeit in Württemberg 1534 bis 1538. Was später kam, war Nachspiel. Auf der Rückkehr von Augsburg im Dezember 1539 hat Blarer Kempten und Isny besucht. In den Jahren 1541, 1544 und 1545 ist er noch dreimal in Isny gewesen, aber diese Aufenthalte hatten nur lokale Bedeutung.

Damit, dass sich Blarers Wirksamkeit in Schwaben auf einen bestimmten räumlichen und zeitlichen Bereich festlegen lässt, deutet sich bereits an, dass diese stattfand unter ganz bestimmten zeitlichen, politischen und theologischen Bedingungen, ja dass es sich hier um eine eigene Epoche handelt. Der für die protestantischen Stände ungünstige Abschied des Augsburger Reichstags von 1530 führte am 31. Dezember 1530 zur Gründung des Schmalkaldischen Bundes, in dem sich die oberdeutschen Reichsstädte Straßburg, Ulm, Konstanz, Kempten, Memmingen, Heilbronn, Reutlingen, Biberach und Isny politisch mit den lutherischen Territorien zusammenschlossen. Was die lutherischen Fürsten und die oberdeutschen Städte miteinander verband, war das 142 Interesse, sich gegen den Kaiser zu behaupten. Was sie hingegen unterschied, war die theologische Position. Im oberdeutschen Raum begegneten sich der lutherische und der zwinglische Einfluss. Hier hatte sich eine mittlere Gruppe zwischen Zürich und Wittenberg gebildet, die sich weder nach der einen noch nach der andern Seite hin integrieren lassen wollte. Hier im oberdeutschen Gebiet wurden die Auseinandersetzungen zwischen den beiden protestantischen Lagern faktisch ausgetragen, und die Spannung war dauernd gegenwärtig. Die Städte wollten ihre Zwischenstellung nicht aufgeben, sie wollten sich nicht mit den Lutheranern gleichschalten lassen, wollten aber ebenso wenig auf den Vorteil des Protestantenbündnisses verzichten.

Auf Gleichschaltung bzw. Verdrängung aus dem Bündnis hatte es aber gerade jener Beschluss von Schmalkalden abgesehen, nach dem auf dem kommenden Bundestag im Frühjahr 1531 mit den Theologen über die Vereinheitlichung der Kirchenbräuche innerhalb des Schmalkaldischen Bundes verhandelt werden sollte.(6) Um den Tendenzen der lutherischen Seite zu begegnen und den oberdeutschen Städten ihre religiöse Freiheit zu bewahren, wurde auf dem Städtetag in Memmingen vom 26. bis 28. Februar 1531 mit den Predigern über den Beschluss von Schmalkalden verhandelt. Versammelt waren die Prediger Sam von Ulm, Gassner von Lindau, Schenk von Memmingen, Miller von Biberach, Frick von Isny, Alber von Reutlingen und Zwick und Blarer von Konstanz.(7) Der führende Kopf war Blarer, neben ihm Sam. Blarer hatte sich schon Mitte Februar gegenüber Bucer für die Freiheit in den Zeremonien und gegen eine Uniformierung ausgesprochen.(8) Aus den Zeremonien dürfe kein Gesetz gemacht werden wie bei den Papisten. Er befand sich hier theologisch in Übereinstimmung mit Luther, der 1526 den Reutlingern ihre eigenen Kirchenbräuche zugestanden hatte - dagegen freilich nicht mit den politischen Absichten der Lutheraner.

Der Memminger Tag entschied sich gleichfalls für die Freiheit der Zeremonien. Nur bei Taufe und Abendmahl sollte eine der Einsetzung Christi entsprechende Gleichförmigkeit geübt werden, was zugleich bedeutete, dass man nicht gesonnen war, die lutherische Messe zu übernehmen. Die Aufrichtung der Kirchenzucht, die der künftige Bundestag auch behandeln sollte, lag den Oberdeutschen sehr am Herzen. Gegen die Wiedertäufer empfahlen sie ein mildes Vorgehen.

2: Blarers Tätigkeit in schwäbischen Reichsstädten

3: Zwischenresümee

(9)  Daran ist so viel sicher richtig, daß die grundlegende Arbeit, die Blarer in den schwäbischen Städten geleistet hat, entscheidend zu einer dauerhaften Verwurzelung des Protestantismus in ihnen beigetragen hat. Das ist der bleibende Erfolg des Wirkens Blarers, auch wenn die spätere Entwicklung das meiste von Blarers eigensten Absichten rückgängig gemacht hat. Er war zumindest der Kärner der Reformation in den schwäbischen Städten und hat in ihr vielleicht die größte Last getragen.

4: Blarer als Reformator Württembergs

Ambrosius Blarer (1492-1564), Kuperstich

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung

Der bedeutendste Wirkungskreis, der sich für Blarer erschloss, waren aber nicht die Städte, sondern das Herzogtum Württemberg,in dem er länger als in den Städten insgesamt tätig war. Die Dimensionen und damit zugleich die Möglichkeiten und die Verantwortung seiner Tätigkeit waren hier ungleich größer. Durch sie sollte er vollends zu einer der bedeutenden Gestalten der süddeutschen Reformation werden.

Mit der Rückführung Herzog Ulrichs nach Württemberg im Mai 1534 und der damit ermöglichten Reformation des Herzogtums veränderte sich die politische und konfessionelle Situation im oberdeutschen Raum in einschneidender Weise. Nicht nur quantitativ: Es war nicht nur so, dass nunmehr ein beachtliches Territorium neben den einzelnen Städten zur protestantischen Seite gehörte. Vielmehr bot das Herzogtum den einzelnen Städten jetzt einen soliden politischen Rückhalt, und diese waren aus ihrer politischen Isolierung und Gefährdung befreit, indem es nun so etwas wie einen protestantischen Block in Oberdeutschland gab.(10) Die Überführung Württembergs auf die protestantische Seite brachte den Schmalkaldischen Bund in eine neue Lage. Gerade an Blarers Tätigkeit in Schwaben war sichtbar geworden, dass der Bund keine homogene Größe war. Als also die Reformation in Württemberg möglich wurde, das im Norden an die lutherische, im Süden aber an die oberdeutsche Einflusssphäre grenzte, lag allen Beteiligten daran, dieses Territorium ihrer Fraktion zu integrieren. Das erkannte Sachsen, als es im Frieden von Kaaden mit den Schwärmern auch die Zwinglianer von der württembergischen Reformation auszuschließen versuchte. Auf der andern Seite versuchte Bullinger auf Herzog Ulrich einzuwirken.(11)

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Die oberdeutsche Lösung, wie sie die Straßburger wollten, war in dieser Weise nicht zu verwirklichen. Aus politischen Gründen mussten die Lutheraner an der württembergischen Reformation mindestens beteiligt werden. Herzog Ulrichs ehemaliger Hofprediger Geiling hat Brenz als Reformator vorgeschlagen. Anfang Juni wusste auch Frecht von einer bevorstehenden Berufung Brenzens zu berichten.(13) So kam es auch hier zu einem Kompromiss zwischen dem oberdeutschen und dem lutherischen Vorschlag. Berufen wurde von der oberdeutschen Seite Blarer, aber nicht der schärfere Grynaeus, und Brenz wurde ausgetauscht durch den etwas milderen Erhard Schnepf, damals Professor in Marburg, der sich immerhin 1530 in Augsburg zu brüderlicher Gemeinschaft mit den Oberdeutschen bereit erklärt hatte.(14)

Einen kleinen, aber entscheidenden Vorteil errang die lutherische Seite dadurch, dass der Kanzler Knoder Blarers beschlossene Berufung solange verzögerte, bis die von Schnepf gewiss war, und zwar so, dass Schnepf noch einen Tag vor Blarer eintraf. Es wird hier sofort die wesentliche Tatsache deutlich, daß Blarer nicht denselben starken Rückhalt an den Hofkreisen hatte wie Schnepf, denn diese waren im Wesentlichen lutherisch gesinnt. Bucer hat Blarer über die Situation am Hof instruiert und geraten, sich in den Hofkreisen gleichfalls geneigte Personen zu suchen. Aber Blarer war hier nicht so vom Glück der Umstände begünstigt wie Schnepf. Am 30. Juli 1534 traf Blarer, von einer Konstanzer Ratsbotschaft geleitet, in Stuttgart ein.(15)

5: Die Abendmahlsfrage

Der Prüfstein für die Möglichkeit eines Nebeneinanders von Lutheranern und Oberdeutschen in Württemberg war die Abendmahlsfrage. Schon das erste Zusammentreffen der Repräsentanten der beiden Richtungen machte deutlich, dass die Meinungsunterschiede schwerwiegender und tiefer waren, als die Oberdeutschen wahrhaben wollten. Schnepf ließ sich eben noch 156 herbei, Blarer zu seiner Ankunft in einem kurzen Satz zu beglückwünschen, aber dann brach es schon aus ihm heraus: "Wenn du mit mir in der Abendmahlsfrage nicht übereinstimmst, muss einer von uns beiden weichen."

In mühsamen Verhandlungen unter dem geduldigen Dabeisein Herzog Ulrichs einigten sich Blarer und Schnepf auf jene Formel, die nach Abschluss des Marburger Religionsgesprächs von 1529 zwar von Luther, aber nicht von den Schweizern angenommen worden war: "Wir bekennend, das uß vermögen diser wort: ,Diß ist min lib, diß ist min blut‘, der lib und das blut Christi warhafftiklich, hoc est essentialiter et substantive, non autem qualitative, vel quantitative vel localiter, im nachtmal gegenwirtig siend und geben werdind".(16) Bucer hatte Blarer diese Formel mit anderen Papieren zugeschickt. Blarer hätte ihr wohl nie zugestimmt, wenn nicht Bucer in ihm die Meinung erweckt hätte, diese Formel sei in Marburg auch von den Schweizern angenommen worden. Es war mindestens hier die Schwäche Blarers, dass er das von Bucer übersandte Papier ziemlich unkritisch übernahm.

Die Marburger Formel war keineswegs klar. Zwar wurde die Reichung des substanzialen Leibes Christi im Abendmahl bejaht, aber das Wesen dieser Substanz ausdrücklich offengelassen. Für Blarer selbst war die Formel insofern annehmbar, als sie auch spiritual verstanden werden konnte. Insbesondere musste Blarer nicht die manducatio impiorum aussagen. Er konnte sich darauf berufen, dass das "substantialiter" schon in der in Schweinfurt von den Oberdeutschen unterzeichneten Augsburger Konfession enthalten war. Er verstand also die von ihm mit Schnepf gefundene Einigung, die als Stuttgarter Konkordie bekannt geworden ist, im Sinn des alten, nicht weiter definierten Nebeneinanders von oberdeutschem und lutherischem Bekenntnis und konnte so ehrlich der Meinung sein, daß er keinen Fuß breit gewichen sei.(17) Zugleich war hier zum ersten Mal eine Formel gefunden, der die Oberdeutschen und die Lutheraner zugestimmt hatten. Sie war gewiss besser und ehrlicher als manche späteren Einigungsvorschläge Bucers. Sie ist historisch gesehen der Anfang eines gemeinsamen Redens der protestantischen Gruppen über das Abendmahl.

Die Reaktion auf die in Stuttgart geschlossene Konkordie sollte Blarer schwer zu schaffen machen. Er galt als der Verlierer. Er musste es erleben, dass Bucer selbst, obwohl er die Unterlagen beschafft hatte, Blarers Vergleich kritisierte. Ihm klang das "uß vermögen diser Wort" brenzisch-lutherisch, und das ,‘essentialiter et substantialiter‘ konnte leicht als massiver Sakramentsrealismus missverstanden werden. Bucer hat darum Blarer 157 geraten, die Konkordie in dem Sinn zu interpretieren, daß sie nicht über das Augsburger Bekenntnis hinausgehe. Bucer und die Straßburger Politiker setzten nun alles daran, um Schnepf zu mäßigen und zu verhindern, dass die Konkordie Lehrgrundlage für die württembergische Reformation wurde. Sie beschwerten sich bei Landgraf Philipp über Schnepfs scharfes Auftreten und die ihnen aufgedrängte Konkordie. Sie stellten die entscheidende Frage, ob Schnepf die Oberdeutschen als Sakramentierer deklarieren und damit auf Grund des Kaadener Friedens von der Reformation in Württemberg ausschließen wollte. Schließlich baten sie, Schnepf durch Melanchthon zu ersetzen.(18) Schnepf selbst hat die Konkordie als einen Sieg der Lutheraner über die Zwinglianer verstanden. Die durch Straßburg veranlassten Vorhaltungen des Landgrafen wollte er freilich nicht gelten lassen. Er habe sich mehr zu beklagen als die andern. Immerhin hat auch Melanchthon auf Bitten des Landgrafen Schnepf gemahnt, dass er Blarer maßvoll (moderate) behandle.(19) Die Straßburger erreichten dann beim Landgrafen und bei Herzog Ulrich, dass statt der "schwer verständlichen" Konkordie das Augsburger Bekenntnis in Württemberg Lehrgrundlage wurde, und damit hatten sich die Oberdeutschen politisch innerhalb der lutherischen Reformation Württembergs behauptet.(20) Immerhin fand Blarer in den Reihen seiner oberdeutschen Freunde auch vorsichtiges Verständnis. Otter meinte, Blarer habe nicht gesündigt. Frecht wies darauf hin, daß auch die Lutheraner Zugeständnisse gemacht hätten. Wolfgang Musculus und mit ihm die Augsburger Prediger waren mit der Konkordie einverstanden. Schließlich gelang es sogar dem beweglichen Bucer selbst, die Stuttgarter Konkordie als echten Ausdruck oberdeutscher Theologie zu interpretieren.(21)

Die Schweizer allerdings erklärten zunächst, die Konkordie decke sich nicht mit ihrer Ansicht. Oswald Myconius urteilte, Blarer habe sich verführen lassen. Blarer musste sich Bullinger gegenüber verteidigen, er habe nicht widerrufen. Die Proteste der Zürcher veranlassten Blarer zu einer Erklärung über seinen angeblichen Widerruf, die die Zürcher dann auch befriedigte. Auf der Gegenseite hörte Brenz nicht auf, Blarer als einen Zwinglianer zu verdächtigen. Brenz konnte wohl den Gegensatz aus der Esslinger Zeit nicht vergessen.(22)

Noch im September 1534 hatte es Blarer abgelehnt, seine Haltung in einer offiziellen Verteidigungsschrift zu rechtfertigen. Eine Äußerung von seiner Seite wurde jedoch notwendig, als von katholischer Seite, vermutlich von Johannes Eck, ein Flugblatt herauskam mit dem Titel "Ain widerruf Am-[158]brosi Blarers". Bucer hat die Entgegnung Blarers entworfen, die am 4. Januar 1535 in Tübingen erschien: "Bericht Ambrosii Blaurer von dem Widerruf." Blarer hat den Entwurf fast wörtlich übernommen und es somit auch hier Bucer überlassen, seine Sache zu führen.

Die Schrift ist ein typisches Dokument oberdeutsch-schwäbischer Theologie; denn sie will beweisen, wie Blarer in den Städten nicht anders gelehrt habe als in der Stuttgarter Konkordie. Die Schrift war gerade auch für die schwäbischen Städte, z. B. Kempten, gedacht, damit sie nicht an Blarer irre wurden. Bucer hatte daran gedacht, dass Blarer sich für seine Apologie um ein empfehlendes Vorwort von Schnepf und Herzog Ulrich bemühen sollte. Von Schnepf kam man wieder ab. Herzog Ulrich aber schlug Blarers Bitte ab, obwohl dieses Vorwort ein Beitrag zu der allgemeinen Konkordie sein sollte, die Bucer damals schon betrieb. Die Ablehnung sagte zugleich ganz schroff, dass kein Zwinglianer im Herzogtum geduldet werde. Der Entwurf des Ablehnungsschreibens stammt bezeichnenderweise wieder von dem Kanzler Knoder.(23) Schnepf selbst äußerte sich mindestens zunächst überhaupt nicht zu der von Blarer übersandten Apologie. Die Auseinandersetzung über das Abendmahl, die am ersten Tag Blarers in Württemberg ausgebrochen war, hat sich dann allmählich beruhigt. Luther war von Blarers Apologie befriedigt, sofern er es ehrlich meine. Melanchthon äußerte sich gegenüber Bucer positiv über Blarer. Über Brenzens Meinung widersprechen sich die Aussagen.(24)

Die allgemeine Atmosphäre zwischen Lutheranern und Oberdeutschen war durch Bucers Bemühungen um eine allgemeine Verständigung in der Abendmahlsfrage besser geworden. Über die Möglichkeiten einer solchen Einigung hat sich Blarer schon im September 1534 skeptisch geäußert. Er hatte seine Erfahrungen gemacht. An der Zusammenkunft der Oberdeutschen mit den Zürchern im Dezember 1534 vor Bucers Unionsgespräch mit Melanchthon in Kassel konnte Blarer nicht teilnehmen. Die Konstanzer standen dem Beginnen misstrauisch gegenüber, und Blarer selbst sah jetzt schärfer als Bucer, daß mindestens die Einbeziehung der Schweizer in die Konkordie unmöglich war. Er teilte die Bedenken seines Bruders Thomas, war aber eher geneigt, sie zu unterdrücken, und hat offenbar im September 1535 auf einer Zusammenkunft mit Bucer in Balingen die Konkordie auch akzeptiert.(25)

Die Wittenberger Konkordie vom Mai 1536 hat er aber dann nicht unterschrieben. Die manducatio indignorum ging ihm, der faktisch die erste derartige Konkordie zustande gebracht hatte, über das zu Verantwortende hinaus, obwohl er sie für interpretierbar im oberdeutschen Sinne hielt. Bucers und Blarers Wege gingen hier auseinander, wenn das auch zunächst noch nicht 159 offen sichtbar wurde. Blarer hat aus seiner Meinung über die Konkordie keinen Hehl gemacht. Er wusste auch, dass es in dieser Sache für ihn keine Verständigung mit Bucer mehr gab. Er legte darum auf ein Zusammentreffen mit Bucer keinen Wert, und als Bucer im Oktober 1536 schließlich in Herrenberg doch ein solches erzwang, war es kurz, unerfreulich und ohne Ergebnis. Von da an war Blarer weit mehr als bisher auf sich selbst gestellt und musste auf die starke sachliche und innere Unterstützung Bucers in seiner Arbeit in Württemberg verzichten. Zugleich war er jetzt innerhalb der oberdeutschen Fraktion, sofern es diese noch gab, weithin isoliert. Die politischen und theologischen Verhältnisse, unter denen Blarer seine Tätigkeit in den Städten und in Württemberg getan hatte, bestand nicht mehr, und er war nicht gewillt, sich einer neuen Situation anzupassen. So musste seine Stellung unhaltbar werden. Ganz offen trat dies dann zutage auf dem Schmalkaldener Tag im Februar 1537, wo Blarer sich wegen der Speisung der Unwürdigen weigerte, die Schmalkaldischen Artikel und die Wittenberger Konkordie zu unterschreiben. Zwar hat Bucer damals einen offenen Ausbruch des Streits geschickt zu verhindern gewusst. Aber es war offenbar geworden, daß Blarer so gut wie allein gegen alle andern Theologen des Schmalkaldischen Bundes stand und damit zugleich gegen die offizielle Richtung der württembergischen Reformation.(26)

6: Blarers Wirksamkeit in Württemberg

Es wurde oben gezeigt, dass Blarers gesamtes Wirken in den Städten durchgeprägt gewesen ist von seiner oberdeutschen Position. Die Abendmahlsfrage war dabei ein zentrales Problem, aber nicht das einzige. Die Probleme der Sittenzucht, der Zeremonien, der Besetzung der Pfarrstellen, der Abwehr der Schwärmer gehörten ebenso zu dieser einheitlichen Wirksamkeit. Am Modell der Abendmahlsfrage wurde bis jetzt das Schicksal von Blarers Wirken in Württemberg dargestellt. Es wird nunmehr zu zeigen sein, wie auch hier Blarers gesamte Tätigkeit wiederum eine Einheit bildet. Es war darum nicht eine Einzelfrage, die schließlich 1538 Blarers Stellung in Württemberg unhaltbar machte, sondern es war seine oberdeutsche Position im Ganzen.

Nachdem der Sturm um das Abendmahl sich Ende August 1534 etwas gelegt hatte und die konkrete Arbeit begann, wurde das Herzogtum in einen nördlichen und einen südlichen Bereich, "unter und ob der Steig", gemeint ist die Stuttgarter Weinsteige, geteilt, der erste Schnepf und der zweite Blarer zugewiesen. Man teilte also ungefähr der lutherischen und der oberdeutschen Einflusszone entsprechend auf. Blarer war dabei insofern im Nachteil, als er 160 nicht in der Residenz Stuttgart, sondern in Tübingen seinen Amtssitz hatte. Noch im Sommer 1535 hätte Blarer darum nach Bucers Meinung eine Predigerstelle in Stuttgart annehmen sollen, Der Herzog hat auch sonst gegenüber Blarer deutlich Distanz gehalten und nur die Predigten Schnepfens besucht, auch als Blarer noch in Stuttgart war. Seinen Grund hat das wohl wieder in den politischen Rücksichten gehabt.(27)

Im Herbst 1534 und im Frühjahr 1535 konnte Blarer gute Arbeit leisten, und auch die Zusammenarbeit mit dem Herzog, der sich damals häufig in Blarers Sprengel aufhielt, funktionierte ordentlich. Die Grundlage für die Reformation in den einzelnen Gemeinden war die Visitation, bei der die alten Pfarrer vorgeladen wurden und die Besetzung der einzelnen Pfarreien neu geordnet wurde. Den Anfang machte Blarer damit wohl in Tübingen Ende September 1534, vielleicht aber schon vorher in Urach. Zu seinem Leidwesen wurde sie nicht zügig durchgeführt, so dass er im März 1536 noch mit zwei Jahren Dauer rechnen musste. Seinen Plan, in Württemberg zu bleiben, bis die Visitation vollendet sei, konnte er nicht verwirklichen.(28)

Im Dezember 1534 hat Blarer mehrfach mit dem Herzog über einzelne reformatorische Maßnahmen, vor allem über Ordnungsfragen, beraten. Es war die Zeit, als Luther schrieb, der Herzog von Württemberg habe seine Lust an Blarer (habere in deliciis Blaurerum). Blarer seinerseits rühmte den reformatorischen Eifer des Herzogs. Zu Klagen über Schnepf hatte er damals keinen Anlass. Als der Konstanzer Rat ihn im April 1535 zurückrufen wollte, wollte sich Blarer dem mit Gottes Hilfe glücklich begonnenen Werk nicht entziehen.(29)

Das Herzogtum Württemberg hatte nach 1534 einen großen Bedarf an evangelischen Predigern. Es ist fast selbstverständlich, dass Blarer sich seiner oberdeutschen und schweizerischen Beziehungen bediente, um diesen Bedarf zu decken; denn das Land besaß zunächst nicht genug eigene Leute. Die Blarer nahestehenden Städte und Theologen haben ihn dabei in großem Maß unterstützt, obwohl ihnen der Verzicht auf ihre Leute nicht immer leicht gefallen ist. Schnepf hat von der lutherischen Seite bei weitem nicht dieselbe Unterstützung in personeller Hinsicht erfahren wie Blarer von seinen Freunden.(30) Der Charakter der württembergischen Reformation musste ja entscheidend durch die Pfarrer geprägt werden, und darum dienten die Städte und die Schweizer ihrer eigenen Sache, wenn sie Blarer beistanden.

So war sich Frecht schon zu Beginn der württembergischen Reformation bewusst, dass Ulm Prediger verlieren würde, und er hat Blarer immer wieder 161 Leute empfohlen, ebenso Otter in Esslingen. Die Basler und Zürcher Prediger schickten Prädikanten, ebenso Konstanz und Augsburg und nicht zuletzt Straßburg.(31) Auf der einen Seite wollte man verhindern, dass die Lutheraner die ersten Plätze im Herzogtum einnahmen, auf der andern Seite war man in den Städten natürlich auch froh, wenn man für Notleidende eine Unterbringung fand. Es gab auch viele, die sich von sich aus um eine Empfehlung an Blarer bemühten. Es ist für seine Art bezeichnend, daß gerade von Bucer die meisten problematischen Empfehlungen kamen. Unter den von ihm vorgeschlagenen Leuten befanden sich u. a. ein Lutheraner, ein Katholik, ein Greis, ein Armer oder auch ein Mann mit charakterlichen Fehlern wie Simprecht Schenk. Aber Bucer war es dann wieder, der Blarer Vorwürfe machte, daß er seine Empfehlungen nicht vorsichtiger behandle; er unterschied nämlich zwischen kühlen und anderen Empfehlungen.(32)

Man wird nicht sagen können, vorwiegend minderwertige Pfarrer seien damals nach Württemberg hereingeströmt. Sonst hätte Frecht nicht geklagt, Ulm verliere alle tüchtigen Prediger auf dem Land. Gewiss, es waren auch schwierige Leute darunter, und in Zürich hatte man später gewisse Bedenken, dass man Blarer so viele hamartyroi, fehlsame Geistliche, gesandt habe. Es war auch nicht so, daß Blarer jeden sofort nahm. Einmal sagte er den Zürchern, ein Prediger sei zur Unzeit gekommen. Ebenso beweisen die Besetzungsvorschläge an Herzog Ulrich, dass Blarer hier möglichst Umsicht walten ließ. Als Frecht für zwei Prediger ein Unterkommen suchte, lehnte er ab und bat ihn, mit Empfehlungen Maß zu halten. Er legte Wert darauf, dass die Prediger nicht sofort selbst kamen, sondern warteten, bis er sie rufe. Wegen ihrer Not standen sie allerdings schon oft mit der Empfehlung selbst vor der Tür. Einen Zürcher Prediger berief er, sobald die Besetzung in Lustnau geregelt war. Überhaupt scheint Blarer ein Verzeichnis geführt zu haben über die zur Verfügung stehenden Kandidaten, wobei das Angebot seine Nachfrage überstieg. Wenn er dann eine geeignete Stelle hatte, berief er diejenigen, die er vorher vertröstet hatte. Blarer konnte es sich z.B. auch leisten, einen Priester zuerst studieren zu lassen, ehe er ihn verwendete.(33)

Blarer hat auch nicht nur einfach darauf gewartet, was ihm geschickt wurde, sondern seinerseits einzelne Städte direkt um die Überlassung von Personen angegangen, so z. B. Esslingen. Von Straßburg wurde ihm einmal ein entsprechendes Begehren nicht erfüllt, ja sogar umgekehrt wieder Leute abberufen. Aus Memmingen hat er den Schulmeister Hans Cleber für die Lateinschule in Tübingen erbeten. Als die Memminger ihn nicht hergeben wollten, sagte er ihnen deutlich, dass der Mag. Cleber in Tübingen mehr Nutzen schaf-[162]fen könne als in Memmingen, und Memmingen gab schließlich nach. Man sieht hier, wie Blarer das Ganze der oberdeutschen Reformation im Auge hatte.(34)

Blarers Besetzungspolitik macht im Ganzen einen guten Eindruck. Als man ihm vorwarf, die Prediger in seinem Sprengel hätten einen schlechten Ruf, konnte er sagen, er wisse nur von zwei entsprechenden Personen. Tatsächlich hörte man auch nur selten von konkreten Anständen. Über den Calwer Pfarrer wurde geklagt, dass er in seinen Predigten nur die Laster der Leute vorbringe. Einen seiner Meinung nach wegen einer Ehesache ungerecht Bestraften musste Blarer nach Zürich weiterempfehlen. Einzelne Fehlgriffe mögen auch Blarer unterlaufen sein bei seinen Besetzungen, aber wenn ihn Bucer im September 1536 warnte, Vorsicht bei den Besetzungen walten zu lassen, damit er sich keinen Tadel zuziehe, dann hatte das bereits einen viel tieferen Grund. Seit dem April 1535 wurde gegen Blarers Besetzungspolitik der Vorwurf erhoben, ob der Steig gebe es nur Zwinglianer, und im Juni15 35 wurde bei einer Beratung in Stuttgart dieser Vorwurf offiziell ausgesprochen. Blarer hat z.B. einen Prediger, den Schnepf wegen seiner theologischen Haltung schlecht untergebracht hatte, in seinem Bereich in einer besseren Stellung verwendet. Während Schnepf die Zwinglianer verdrängte, zog sie Blarer ins Land. Es erleichterte Blarers Position nicht gerade, wenn verschiedene schweizerisch gesinnte Prediger beim Wein äußerten, sie würden die Kirchenordnung nicht annehmen (August 1535). Einmal hat Schnepf direkt in Blarers Gebiet hereingegriffen, indem er einen Pfarrer, sehr wahrscheinlich einen Lutheraner, nach Wildberg schickte.(35)

Hinsichtlich der Pfarrbesetzung haben sich die Dinge also ganz entsprechend dem Abendmahlsproblem entwickelt. Mit Blarer kamen die oberdeutschen und schweizerischen Prediger ins Land. Vom Sommer 1535 an spürt man auch hier den Versuch, den oberdeutschen Einfluss zurückzudrängen, diejenigen, »so durch Plaurern ufgestölt, usbeissen« zu wollen, wie Jakob Sturm sich im September ausdrückt. Wenn Blarer im Jahr 1538 noch in Württemberg aushielt, dann nur darum, weil er wusste, dass man bei der Visitation gerade die von ihm eingesetzten Pfarrer verdrängen würde. Es ging auch an diesem Punkt um die Erhaltung des oberdeutschen Charakters der württembergischen Reformation.(36)

Mit besonderem Ernst hat sich Blarer, der ehemalige Alpirsbacher Mönch, der Reformation der Klöster gewidmet. Es war wohl sein Vorschlag, dass die Klöster nicht einfach säkularisiert wurden, sondern dass der Herzog den Klosterpersonen das Wort Gottes predigen ließ und im Juli 1535 eine 163 entsprechende, von Blarer verfasste Klosterordnung erlassen wurde. Blarer war sich bewusst, dass er möglichst gute Theologen als Lesemeister in die Klöster schicken musste, und er hat sich sehr um solche bemüht. Unter ihnen befanden sich z.B. Pierre Toussaint, der spätere Reformator Mömpelgards, oder der tüchtige Magister Schmölz. Für die Pfullinger Nonnen versuchte Blarer, Konrad Pellikan aus Zürich zu gewinnen. Viel ausgerichtet haben die Lesemeister wohl nicht, was bei dem erklärten Widerstand der meisten Äbte und Ordensleute auch nicht verwunderlich war. Als im Oktober 1536 der wahrscheinlich von Blarer angeregte Befehl erging, die Ordensleute in einem Kloster zu konzentrieren, zog er sich neuen bitteren Hass zu.(37)

Eine der schwierigsten Aufgaben, die Blarer gestellt war, war die Reformation der Universität Tübingen. Schwierig deshalb, weil Blarer einmal nicht die nötige akademische Autorität besaß, um sich gegenüber den Professoren durchzusetzen, und weil sich der alte Geist an der Universität hartnäckig hielt. Weder Blarer, noch Grynaeus, noch Melanchthon, noch Brenz ist es in den folgenden Jahren gelungen, die Universität und besonders die theologische Fakultät zu neuer Blüte zu bringen. Aber man gab Blarer, sicher zu Unrecht, daran die Schuld. Bei der Besetzung der theologischen Professuren ging es mit den Kandidaten Grynaeus und Osiander wieder um den Gegensatz von oberdeutscher und lutherischer Theologie. Weder der ausgleichende Melanchthon noch Leo Jud oder Pellikan aus Zürich waren bereit, sich auf die unerquicklichen Verhältnisse in Tübingen einzulassen. Grynaeus kam zwar für ein knappes Jahr 1534/35, ließ aber Blarer dann trotz dessen dringlichstem Bitten um Stich, und Phrygio aus Basel war kein Ersatz für ihn. Ohne Grynaeus aber hatte Blarer an der Universität keinen rechten Einfluss mehr. Im August 1535 hieß es, Blarer sei für die Universität ungeeignet. Im Oktober 1536 äußerte der Herzog selbst gegen Melanchthon, Blarers Name schade der Universität. Auch hier wurde so die Basis für Blarers Wirken immer schmaler.(38)

Große Bedeutung kam bei der Gestaltung der württembergischen Reformation den Zeremonien und einzelnen Ordnungen zu. Bucer hatte vorgeschlagen, man solle die Zeremonien des lutherischen Reutlingen übernehmen, die mit den oberdeutschen verwandt waren. Im Dezember 1534 wurde Blarer und Grynaeus die Ausarbeitung der Abendmahlsordnung, Schnepf die der Kirchenzucht- und Eheordnung übertragen. Mit der von Schnepf vorgelegten Eheordnung war aber Blarer nicht zufrieden. "Er hängt ganz von Brenz ab", 164 urteilte er darüber; denn sie war ihm zu abergläubisch, d.h. zu abhängig vom seitherigen Eherecht, und damit zu unbarmherzig gegenüber dem Elend der Menschen. Blarer hätte die flexiblere Eheordnung Bucers vorgezogen, und er war mit der württembergischen Ehegerichtspraxis nicht immer zufrieden.(39) Obwohl Blarer und Grynaeus mit dem Entwurf der Abendmahlsordnung beauftragt waren, wurde die Messe im Februar 1535 zuerst in Schnepfs Bereich abgeschafft, d.h. Schnepf hat hier vorgegriffen. Die Gründe dafür sind nicht bekannt. Vielleicht hat Blarer nicht rechtzeitig eine Ordnung vorgelegt. Blarer hatte zwar gegen die Stuttgarter Liturgie nicht viel einzuwenden, aber er hat sie auch nicht einfach übernommen. Damit aber entstand eine neue Differenz zwischen Schnepfs und Blarers Bereich. Das Gerücht von der Verschiedenheit der Zeremonien im Herzogtum breitete sich alsbald aus, und man gab Blarer die Schuld daran, mindestens zum Teil zu Unrecht. Frecht und Bucer mahnten Blarer scharf und dringend, auf die Einheit der Zeremonien bedacht zu sein. Vom 10. April 1535 datiert ein Bedenken der Räte in Stuttgart über diese Angelegenheit, das nicht versäumt, darauf hinzuweisen, daß viel Gutherzige in Blarers Gebiet dieselben Zeremonien wie in Stuttgart wünschten. Auf jener Zusammenkunft im Juni 1535 in Stuttgart, bei der über Ordnungs- und Besetzungsfragen verhandelt wurde, fiel Schnepf in seiner abrupten Weise sofort nach dem Gruß über Blarer her, "warum er die von ihm eingerichteten Zeremonien nicht einhalte". Die damals festgelegte Lösung ließ für Blarer offenbar einiges zu wünschen übrig, und er hielt sich nicht an sie. Denn im August mahnte Bucer erneut, Blarer solle die Tübinger mit den Stuttgarter Zeremonien abstimmen oder wenigstens Phrygio und Käuffelin, seine Tübinger Kollegen, auf sie verpflichten. Im März 1536 schickte Blarer seinem Bruder Thomas dann die württembergische Kirchenordnung. Er war zwar mit einigen "abergläubischen" Bestandteilen, besonders in der Abendmahlsliturgie, nicht ganz einverstanden, meinte aber, die oberdeutsche Seite könne zufrieden sein; denn zahllose Zusätze, die Brenz angeflickt hatte, seien wieder entfernt worden. Blarer war sich bewusst, viel erreicht zu haben, und sein Bruder gesteht ihm zu, dass die Kirchenordnung unpassender hätte ausfallen können. Es ist interessant, dass Blarers Beitrag zur württembergischen Kirchenordnung vorwiegend ein kritischer ist, und dass er sich damit begnügt hat.(40)

Zur gleichen Zeit wurde auch an die Abschaffung der Bilder herangegangen, die in Tübingen allerdings, später als in Stuttgart, erst im Oktober/November 1536 durchgeführt wurde. Das Vorgehen war hier so wenig einheitlich wie bei den Zeremonien. Schnepf wollte nur die ärgerlichen Bilder abschaffen und 165 stellte sie zum Teil nach dem Tag in Schmalkalden im Februar 1537 wieder auf. Blarer dagegen trat nach der oberdeutschen Konzeption für die völlige Abschaffung der Bilder ein. Auf einer Beratung im Herbst 1537 in Urach, dem sogenannten Götzentag, sollte eine einheitliche Lösung gesucht werden. Aber die oberdeutsche und die lutherische Meinung ließen sich nicht vereinigen. Die Theologen mussten die Entscheidung dem Herzog überlassen, der dann im Sinne Blarers entschied. Blarer hat geseufzt, daß er sich mit solchem Kindswerk abgeben müsse. Trotz seines Erfolgs hat der Götzentag Blarers Stellung weiter geschwächt; denn der lutherischen Gegenseite waren erneut die tiefen Differenzen bewusst geworden.(41)

Die Auseinandersetzung Blarers mit Schwenckfeld setzte sich auch in der Zeit des württembergischen Wirkens fort. Man hat geradezu das Schlüsselproblem von Blarers Tätigkeit in Württemberg in seinem Verhältnis zu Schwenckfeld gesehen. Schwenckfelds Schwäger Friedrich und Hans Conrad Thumb hatten einflussreiche Posten im Herzogtum inne. Schwenckfeld selbst hatte Blarers Agitation gegen ihn im Frühjahr 1534 nicht vergessen. Andererseits hatte Blarer ein gutes Verhältnis zu Friedrich Thumb gehabt, als er in Esslingen war, und Bucer rechnete ihn zu Blarers Freunden am Hof. Blarer selbst hat bis zum Frühjahr 1535 nichts gegen Schwenckfeld unternommen. Erst als ihn der Herzog im April im Zusammenhang mit dem von Knoder veranlassten Reskript gegen die Wiedertäufer nach seiner Meinung über Schwenckfeld fragte, nannte Blarer ihn einen schädlichen Mann und Trenner der christlichen Einigkeit. Blarer hatte damit ein heißes Eisen angerührt. Alsbald fragte der Erbmarschall Hans Konrad Thumb bei Capito, Zell, Bucer und Blarer an, was sie gegen Schwenckfeld hätten. Blarer begründete seine Meinung ausführlich: Schwenckfeld sei zwar ein frommer Mann, aber seine Lehre sei schädlich. Er wolle aber, was Schwenckfeld anbetreffe, unbeschwert sein. Hinter Thumbs Anfrage stand Schwenckfeld selbst. Das zeigen die Briefe im Corpus Schwenckfeldianorum. Dieser wollte ein Religionsgespräch gegen Blarer führen. Er sah in Blarer nur den Gefangenen Bucers, hielt Grynaeus dagegen für unparteiisch. Von Blarers und Bucers Lehre hielt er nichts.

Schwenckfeld erreichte es tatsächlich, daß am 28. Mai 1535 in Tübingen ein Religionsgespräch mindestens offiziösen Charakters stattfand mit dem Obervogt Harter und Grynaeus als Vorsitzenden und Blarer, jedoch neben ihm auch Bucer und Frecht, als seinen Gesprächspartnern. Ohne den großen Einfluss Schwenckfelds am Hof ist weder das Zustandekommen noch das Ergebnis des Gesprächs zu erklären. Dieses sollte nach dem Willen des Herzogs ein Vergleich sein. Obwohl es weder bei der Kindertaufe, noch beim Abendmahl, 166 noch beim Amt, noch bei der Christologie eine Verständigung gab, wurde festgelegt, dass Schwenckfeld von den Predigern nicht mehr angegriffen werden sollte, und dass er seinerseits die Prediger nicht in ihrem Amt schmähen sollte. Schwenckfeld wusste sich von da an sehr geschickt der sogenannten Tübinger Konkordie in Schwaben zu bedienen.

Blarer hat sich korrekt an die Tübinger Abmachungen gehalten und sich später gewundert, dass Bucer, entgegen diesen Abmachungen, Schwenckfeld wieder angriff. Er scheint auch zu Friedrich Thumb weiterhin ein gutes Verhältnis gehabt zu haben. Somit kann die spätere Behauptung Bucers, die dann auch in die Literatur übergegangen ist, die schwenckfeldische Partei hätte Blarers Entlassung herbeigeführt, nur sehr zum Teil richtig sein. Die Gründe dafür lagen anderswo.(42)

Blarers Entlassung

Es ist gezeigt worden, wie sich fast auf allen Gebieten von Blarers Wirken seit dem 1. April 1535 Schwierigkeiten gegenüber der lutherischen Seite bemerkbar machten. Zum Ärger der andern behandelte der Herzog Blarer auf der Zusammenkunft in Stuttgart im Juni 1535 freundlich. Schon damals bat Bucer Blarer, für eine solide Verfassung der Kirche seines Sprengels zu sorgen; denn der Hass gegen ihn breite sich aus, und eine gefährliche Partei erhebe sich. Im August 1535 wurde er noch deutlicher: Eine Partei schiebe Blarer alle Schuld an den Missständen seines Sprengels zu, er werde als "unbrauchbar und wenig wachsam" verklagt, und Bucer sieht darin den ersten Schritt zur Verdrängung Blarers. Er solle sich in Acht nehmen. Er galt als ungeeignet für die Universität, seine Besetzungspolitik und die Haltung in der Zeremonienfrage machte man ihm zum Vorwurf. Dass der Tübinger Vogt Harter vor Dietrich von Plieningen und anderen Hofbeamten der lutherischen Seite geäußert hatte, "Luther habe den Teufel", wurde gleichfalls Blarer, der in Harters Haus wohnte, zur Last gelegt. Im Oktober 1536 hört man zum ersten Mal, dass am Hof Blarers Entfernung betrieben werde. Der Herzog sei jetzt willens, die zwinglische Meinung auszurotten, für die ihn Blarer früher eingenommen habe. Es sei Schnepf ein Entgegenkommen gegenüber Blarer vom Herzog verübelt worden, und der Herzog habe Melanchthon geschworen, nie das lutherische Lager zu verlassen. Man wird die Abwendung des Herzogs von Blarer mit dem Besuch Melanchthons in Württemberg in Verbindung bringen müssen. Dieser forderte damals Brenz auf, um des Heils der Kirche willen nach Tübingen zu kommen. Man habe in der Tübinger Gegend einen Abscheu vor dem Zwinglianismus. Musculus 167 in Augsburg spricht im November von der Agitation Melanchthons gegen Blarers Arbeit. Ähnliches nahm man in Esslingen an. Blarer selbst hat dem widersprochen. Er habe mit Melanchthon in Tübingen gut zusammengearbeitet und ein freundliches Verhältnis zu ihm gehabt. Dass Melanchthon falsch sei, wollte er nicht glauben. Er wusste auch nichts von einer Ungnade des Herzogs gegen ihn. Aber die Dinge lagen mindestens nicht so einfach, wie Blarer annahm. Dass die lutherische Seite damals wieder einen Vorstoß gegen Blarer unternommen hat, ist ziemlich eindeutig.(43)

Die Berufung, die Blarer im Februar 1538 nach Augsburg erhielt, hat er mit der Begründung abgelehnt, dass seine Tätigkeit in Württemberg bisher von Nutzen gewesen sei. Noch sei das Land nicht zur Hälfte visitiert, und ohne ihn würden die oberdeutschen Pfarrer verdrängt und über das Abendmahl gröber und fleischlicher gelehrt werden als bisher. Er wollte bleiben, um den oberdeutschen Charakter der württembergischen Reformation zu erhalten; denn nach ihm würde ein Lutheraner sein Amt einnehmen. Er blieb, obwohl jeder andere Dienst für ihn ersprießlicher und leichter gewesen wäre und die Last seines Amtes, wie er es immer wieder betont hat, fast untragbar war und nicht zu vergleichen mit den Aufgaben in den Städten. Ob er beim Herzog in Gnade oder Ungnade stand, wusste er selbst nicht. Aber den Abschied von sich aus zu nehmen, konnte er nicht verantworten. Kurz darauf erfährt man von einer Blarer vom Herzog oder andern widerfahrenen Schmach, ohne dass gesagt wird, worin diese bestand. Dann erfolgte, ohne dass die genauen Umstände bekannt sind, am 30. Mai die Entlassung Blarers in der Weise, dass ihm die Rentkammerräte 200 fl. als Abzahlung schickten zu seiner "ab- und hinwegfertigung".(44)

Blarer antwortete darauf in jenem würdigen Abschiedsbrief an Herzog Ulrich vom Ende Mai 1538. Er legte dar, dass jene Abzahlung nicht einmal das Kostgeld bei seinem Wirt Harter decke. Er habe außerdem von seinem Vermögen zugesetzt, um Geld für die Armen zu haben. Außerdem konnte er darauf verweisen, dass ihm, entgegen der Zusage, nicht das gleiche Gehalt wie Schnepf gereicht werde, sondern daß er statt 200 fl. nur 80 fl. im Jahr erhalten habe. Man darf die schäbige Entlohnung Blarers sicher nicht überbewerten. Ähnliches ist ihm auch früher in den Städten widerfahren. Blarer war sich keiner Verfehlung bewusst. Er hat seine Entlassung angenommen aber zugleich auf die Machenschaften gegen ihn hingewiesen und versucht das nunmehr drohende Vorgehen gegen die ober deutschen und schweizerischen Pfarrer abzuwenden. Er hat darum um einen gnädigen Abschied gebeten, damit nicht andere die Folgen tragen müssten. Außerdem wollte er mit einer 168 gnädigen Botschaft wieder an den Konstanzer Rat abgefertigt sein. Herzog Ulrich hat auf diesen Brief nie geantwortet. Die finanzielle Schuld, in der er Blarer gegenüber stand, hat erst später Herzog Christoph beglichen. Blarer aber ist um seines Werkes willen dabei geblieben, dass der Herzog ihn gnädig entlassen habe.(45)

Mit der Entlassung Blarers aus Württemberg zeigte es sich, dass das Nebeneinander von oberdeutscher und lutherischer Theologie auf die Dauer unmöglich war. Die Verhältnisse am württembergischen Hof, die politischen Verhältnisse im Schmalkaldischen Bund, die Entwicklung der Zeit überhaupt standen dem entgegen. Das Wirken Blarers in Schwaben in der Einheit seiner Bedingungen und seiner Konzeption blieb Episode. Man wird nicht sagen dürfen, Blarer sei seiner Aufgabe nicht gewachsen gewesen.(46) Das trifft allenfalls auf Teilgebiete seines Wirkens zu. Die Aufgabe, die ihm gestellt war, konnte nur eine vermittelnde Persönlichkeit ausfüllen, die es dennoch fertig brachte, sich treu zu bleiben. Blarer hat das vermocht. Er ist "ein echter Konstanzer"(47) anders als Bucer, ganz und gar beständig in seiner oberdeutschen Konzeption geblieben, auch dann noch, als diese zum Scheitern verurteilt war. Dieser Treue gegenüber sich selbst und seinem Wirken kann man den Respekt auch dann nicht versagen, wenn man die innere Unmöglichkeit von Blarers Position erkennt oder die lutherische Abendmahlslehre für tiefer als die der Oberdeutschen hält.

Die Bedeutung Blarers für die Geschichte der schwäbischen Kirchen liegt einmal in der mühsamen und hingebenden Aufbauarbeit, die er geleistet hat, die mit das bewirkte, dass diese Kirchen den Sturm des Schmalkaldischen Krieges und des nachfolgenden Interims bestehen konnten. Wesentlicher aber ist etwas anderes. Blarer ist zwar mit seiner eigenen Konzeption nicht durchgedrungen, aber die lutherischen Kirchen Schwabens haben den oberdeutschen Charakter, den sie von ihm erhalten haben, auch nie mehr verleugnen können. Es blieb eine offene Tür zum reformierten Protestantismus. Vielleicht sind wir heute wieder in der Lage, die Möglichkeit und die Aufgabe, die hier in unserer Geschichte liegt, wahrzunehmen. Das würde konkret heißen, dass die Protestanten sich heute allen Ernstes wieder um ein gemeinsames Reden über das Abendmahl bemühen, wie es damals die Stuttgarter Konkordie wollte und heute die Leuenberger Konkordie suchen.

Man hat Blarer den Apostel der schwäbischen Kirchen genannt. Er war es, was das Pflanzen anbetrifft, und wir sind nicht aus der Verpflichtung des Erbes entlassen, das er uns hinterlassen hat.

7: Nachtrag

Da sich dieser Beitrag ganz auf die Wirksamkeit Blarers in Württemberg konzentriert, sollen kurz die Lebensdaten nachgetragen werden:

Blarer wurde wohl am 4. April 1492 als Sohn einer Patrizierfamilie in der freien Reichsstadt Konstanz geboren. Erst mit seiner Immatrikulation am 17. Januar 1505 an der Universität Tübingen wird Blarer wieder greifbar. Nach seinem Eintritt in das Benediktinerkloster Alpirsbach setzte er seine Studien in Tübingen fort und wurde 1512 zum Magister promoviert. Er zählte zu einem Kreis humanistisch interessierter Studenten um Philipp Melanchthon, dem auch Alber angehörte. Nach seiner Rückkehr ins Kloster wurde Blarer rasch Lektor und Verweser der Pfarrei. Spätestens 1521 zum Prior aufgestiegen verließ Blarer bereits im folgenden Jahr das Kloster und wirkte ab 1525 in Konstanz als Prediger. Gemeinsam mit seinem Bruder Thomas 1499-1570 war er maßgeblich an der Einführung der Reformation in seiner Heimatstadt beteiligt. Zwischen 1528 und 1540 war er auf zahlreichen Reisen bei der Reformation oberdeutscher Reichsstädte beteiligt.

Nach seinem Abschied aus Württemberg kehrte Blarer nach Konstanz zurück, musste die Stadt jedoch im Gefolge des Interims 1548 verlassen und fand in der Eidgenossenschaft Aufnahme: von 1551 bis 1559 war er Pfarrer in der Stadt Biel. Am 6. Dezember 1564 verstarb Blarer in Winterthur. S.H.

Aktualisiert am: 19.03.2018