Kirchliche Zeitgeschichte
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Inhaltsverzeichnis
1: Einleitung
Die Anfänge der christlichen Kunst in Württemberg reichen weit zurück.(1) Im 3. Jahrhundert nach Chr. begannen die Alemannen in das bis dahin von den Römern beherrschte Gebiet zwischen Rhein und Donau vorzustoßen, das nach Norden hin durch einen Limes abgeschirmt gewesen war. Im 5. Jahrhundert brach schließlich die Herrschaft der Römer zusammen, doch blieb vom Christentum der spätrömischen Zeit das Heiligtum der Hl. Afra in Augsburg und die Verehrung der Martyrien bestehen. Die Alemannen, so wurden die neuen Bewohner des ehemals römischen Reiches genannt, gründeten im verbliebenen Stammesgebiet, das von Hagenau über Baden-Baden bis Hesselberg reichte, viele christliche Kirchen und immer mehr Menschen nahmen den neuen Glauben an. Zeugnisse dieser ersten Christianisierung sind die Grabbeigaben aus den Reihengräbern des 7. Jahrhunderts. In Männer-, Frauen- und Kindergräbern fanden sich zahlreiche Goldblattkreuze in Gestalt griechischer Kreuze, die von adeligen Familien, Kriegern und Frauen getragen worden waren und zusammen mit Waffen, Schmuck oder Gewändern in die Gräber gelegt wurden. Durch die weitere Missionstätigkeit mehrerer Wanderprediger war die Christianisierung des Landes Anfang des 8. Jahrhunderts im Wesentlichen abgeschlossen. Wichtige Errungenschaften dieser ersten christlichen Kultur waren das Lex Alamannorum, in welchem das Recht der Kirche eine den anderen Rechten gegenüber übergeordnete Rolle einnahm, sowie die ersten christlichen Kirchenbauten. Diese aus Holz errichteten Kirchen mit ihren Gräbern waren in der Regel Eigenkirchen, die dem jeweiligen Erbauer gehörten, nach und nach vergrößert und schließlich durch Steinbauten ersetzt wurden. Mittelpunkt des kirchlichen Lebens waren aber schon bald die Klöster, unter denen die Klöster der Benediktiner in St. Gallen und auf der Insel Reichenau im Bodensee herausragende Stellungen einnahmen. Zusammen mit ihren Nachfolgebauten stellten sie eine christliche Kultur im Einklang zwischen kirchlichem Geist und weltlichem Adel auf Grundlage des Vorbilds der Antike und der lateinischen Sprache dar.(2) Das Kloster in St. Gallen wie auch das Reichenauer Kloster hatten Klosterschulen, die im Auftrag der Könige und Bischöfe arbeiteten. Hier lernten die Schüler, die aus königlichen Familien, Stifterfamilien, Familien von Wohltätern oder aus Familien stammten, die den jeweiligen Klöstern nahestanden, die antiken Schriften und die alten Sprachen. Die Mönche, die sich regelmäßig zu den Stundengebeten trafen, vervielfältigten die antiken Schriften durch das Anfertigen von handgeschriebenen Abschriften.(3) Im Zuge der Selbstreform der Klöster entstand dann aber in Hirsau mit dem Münster St. Peter und St. Paul ein weiteres geistliches Zentrum in Schwaben. Obschon hier keine Klosterschule existierte, hatte das Kloster sowohl von Hochadeligen als auch von Männern mittleren Stands großen Zulauf. Die Schreiber und Buchmaler arbeiteten hier nicht mehr im Auftrag von Königen oder Bischöfen, sondern für den eigenen liturgischen Gebrauch. Aufgrund des großen Zulaufs musste bald eine größere Kirche gebaut werden, die Vorbild für zahlreiche Klosterbauten in Schwaben, beispielsweise in Weingarten, Ottobeuren, Neresheim, Elchingen, Benediktbeuren oder Alpirsbach werden sollte.(4)
Nach Ende des Investiturstreits folgten die Kreuzzüge und das Zeitalter des Bernhard von Clairvaux, der sich für die Wiederbelebung und Einhaltung der strengen Benediktinerregel in den Klöstern einsetzte. Um dieses Ziel zu erreichen, gründete er einen eigenen Orden, nämlich den Zisterzienserorden, der sich auch in Schwaben sehr schnell ausbreitete. Die ersten Zisterzienser kamen 1134 nach Salem und 1135 nach Kaisheim, 1147 folgte Maulbronn, 1152 Herrenalb, 1158 Tennenbach und 1185 Bebenhausen. Reformklöster unter Norbert von Xanten entstanden ab 1126 in Ursberg, Roggenburg und Rot an der Rot.(5) Die Reformmönche hatten das Ansinnen, in der Nachfolge Jesu Christi die beste Lebensweise in der mönchischen Gemeinschaft zu finden, während die Bischöfe und staufischen Kaiser um die Gründung und Förderung von Chorherrenstiften bemüht waren. So erhob Barbarossa die Kirche von Herbrechtingen zu einem Stift und brachte das in Waldsee zur Vollendung, während schließlich das Ulmer Wengenstift von einem seiner Anhänger errichtet wurde.(6) Die Stifte gründeten sich auf das wachsende Seelsorgebedürfnis der entstehenden Städte, in denen die Stifte schon bald Pfarrrechte erhielten. Die stets wachsende Bevölkerung in den Städten brachte es mit sich, dass eben dort auch das Bedürfnis nach einer seelsorgerlichen Tätigkeit wuchs, die von den bisher vorhandenen Pfarrkirchen oftmals gar nicht gedeckt werden konnte. Dies führte dazu, dass die Bettelorden, so die Dominikaner, Franziskaner, Augustiner-Eremiten und Karmeliter, Einzug in die Städte hielten. Ihnen ging es um die strenge Nachfolge Jesu, sie wollten so wie er in Armut und Besitzlosigkeit leben und die Mönchsgemeinschaften hatten es sich zur Regel gemacht, zölibatär und ohne stabilitas loci, das heißt ohne eine für immer währende Bleibe in einem Kloster zu leben, sondern darauf angewiesen zu sein, von Kloster zu Kloster, von Ort zu Ort weiterzuziehen.(7) Die Franziskaner kamen ausgehend von Italien 1221 in Augsburg an, zogen dann zunächst nach Ulm und Konstanz und gründeten dort erste Klöster. Die Dominikaner kamen von Frankreich zuerst nach Esslingen, Augsburg und Ulm und gründeten in den Städten ebenfalls Klöster. Entsprechend den Bauvorschriften der Bettelorden sollten die Klosterbauten schlicht und einfach sein, ohne Schmuckformen auskommen, auf Querhäuser, Chorumgänge oder Strebebögen verzichten und keine Türme sowie aufwändigen Fassaden aufweisen, was in der Anfangszeit der Bettelorden auch durchaus eingehalten wurde.(8)
Zwischen den Bettelordenskirchen und den Pfarrkirchen existierte ein Konkurrenzverhältnis, da nun bürgerliche Stiftungen auch auf die Bettelordenskirchen entfielen und sich viele Bürger nicht mehr allein in den Pfarrkirchen, sondern auch in den Kirchen der Bettelorden bestatten lassen wollten. Diese Ambivalenz wurde nur durch die stetig wachsende Bevölkerung in den Städten ausgeglichen, die den Bau von größeren Stadtpfarrkirchen im Zentrum der Städte notwendig machte. Diese stattlichen Bauten mit meist großen Türmen waren im Gegensatz zu den Bettelordenskirchen schon von weither sichtbar und repräsentierten nun inmitten der weltlichen Struktur der Stadt das Christentum. In diesen repräsentativen Stadtkirchen war es nun möglich, zu beten, sei es durch Altarstiftungen, Spenden oder Ablassleistungen für sein Seelenheil zu sorgen, zu heiraten, Taufen durchführen zu lassen und bestattet zu werden.
Die Reformation Martin Luthers markiert den Beginn der protestantischen Kirchengeschichte und der protestantischen Kunst.(9) Letztere setzte indes nicht sofort mit dem Bau neuer Kirchen ein, sondern zunächst einmal mit der Nutzung von überkommenen Kirchenbauten aus romanischer und gotischer Zeit. Schon sehr schnell folgten dann aber auch Neubauten im Sinne der neuen Lehre, und zwar zunächst einmal in Gestalt von Schlosskapellen und dann auch in Form von vollkommen neu errichteten Kirchenbauten.(10) Da die protestantische Lehre weniger die gemeinsame Feier des Abendmahls als vielmehr die Verkündigung des göttlichen Wortes und seine Auslegung durch die Predigt in den Mittelpunkt des Gottesdienstes rückte, sollte der Kirchenraum übersichtlich konzipiert sein und die Möglichkeit bieten, vor allem die Kanzel von jedem Standort aus gut in den Blick nehmen zu können, um das von dort gesprochene Wort auch gut hören zu können.(11) Das Verständnis von der Predigt als wesentlicher Bestandteil des Gottesdienstes führte indes immer mehr dazu, dass die Kirche nicht mehr vornehmlich als Kirche mit einem Chor, sondern vielmehr als ein Hörsaal betrachtet wurde.(12)Aufgrund der lang anhaltenden Predigten, die ein langes Stehen unerlässlich machten, war für die Gläubigen der Einbau von festen Stühlen notwendig,(13) deren Bedarf aufgrund der wachsenden Kirchengemeinden ständig stieg. Die dadurch bedingte Raumknappheit brachte es nun mit sich, dass man die Kirchen nicht nur mit Kirchenstühlen im Erdgeschoss, sondern zunehmend auch auf Emporen ausstattete,(14) die ihrerseits den großen Vorteil in sich bargen, nicht zu weit von Kanzel und Altar entfernt zu sein und dennoch Platz zum Sitzen zu haben. Kirchenstühle im Erdgeschoss und auf den Emporen sowie dortige Logen mit jeweils festen Sitzordnungen hatten indes zu Folge, dass die bestehende Sozialordnung des kommunalen Gemeinwesens in die sakralen Ort des Kirchenbaus hineingetragen wurde, denn in Anlehnung an die weltliche Obrigkeit waren die Logen auf den Emporen für die jeweiligen Herrscher und ihre Familien bestimmt, während übrige Kirchenstühle auf den Emporen für einzelne Berufsgruppen reserviert wurden und sich die anderen Familien ihre Stammplätze mit Namensschildern im übrigen Kirchenschiff einrichteten.(15) Jeder Gottesdienstteilnehmer hatte also seinen festen Platz entsprechend seiner weltlichen Position innerhalb der städtischen oder dörflichen Gesellschaft inne. Die protestantische Emporenkirche war also Versammlungsort und Predigtort zugleich. Diesen liturgischen Ansprüchen genügten vornehmlich zwei Gestaltungsprinzipien, nämlich einerseits in Gestalt des Zentralbaus, wie etwa in der Frauenkirche in Dresden, und andererseits in Gestalt des herkömmlichen Rechteckbaus mit möglichst axialer Anordnung von Altar und Kanzel, bzw. von Altar, Kanzel und Orgel vor dem Chor, wodurch alle wesentlichen liturgischen Elemente des Gottesdienstes auf einer Seite konzentriert werden konnten.
In der Zeit der Romantik änderte sich die religiöse Sichtweise in Bezug auf den Kirchenbau insofern, als nun die Kirche nicht mehr vornehmlich Versammlungsort der kirchlichen Gemeinde mit Ausrichtung auf das Wort Gottes und das Sakrament sein sollte. Der Fokus richtete sich nun vornehmlich darauf, dass Gott im Kirchenbau persönlich erfahrbar und emotional greifbar sein sollte, um auf diese Weise den Glauben lebendig werden zu lassen.(16) Dementsprechend rückte wieder der Chor als liturgischer Ort der lebendigen Gotteserfahrung in den Vordergrund und erhielt auf diese Weise eine neue, auch raumkonzeptionelle Bedeutung. Die Blickrichtung des Betrachters sollte vom Langschiff auf den Chor ausgerichtet werden, der demzufolge frei einsehbar und nicht mehr etwa von dem Kanzelaltar oder der Orgel verdeckt sein sollte. Aus diesem religiös motivierten Raum- und Bauideal fand man zu einer neuen Baukonzeption, die 1861 im sogenannten „Eisenacher Regulativ“ festgehalten wurde und in der man festschrieb, dass der Chor weder die Kanzel noch Emporen oder die Orgel beherbergen dürfe, die ihrerseits auf der Westempore aufzustellen sei. Entsprechend dieses Regulativs wurden auch in Württemberg im Stil des Historismus viele Kirchen umgebaut oder neu errichtet.(17)
Doch bereits vor 1890 formierte sich eine neuprotestantische Gegenbewegung unter dem Dresdner Pfarrer Emil Sulze und dem Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt, welche die Grundsätze des früheren protestantischen Kirchenbaus wieder aufnahmen und erneut für einen einheitlichen Raum plädierten.(18) Sie verabschiedeten das Wiesbadener Programm, wonach der Chor nicht mehr gegenüber den übrigen Raumteilen des Kirchenbaues herausgehoben werden sollte, sondern Kanzel und Altar im Einklang mit Orgel- und Sängerbühne angeordnet werden sollten. Kirchen nach diesem Programm wurden dann vornehmlich als Gemeindezentren gestaltet, die sich durch die Kombination von Kirchengebäude, Gemeinde- und Pfarrhaus sowie einer Sozialstation auszeichneten.(19)
Der Kirchenbau des 20. Jahrhunderts ist vielfach durch eine besondere Lichtsymbolik in Rückbesinnung auf das frühe Christentum, die frühe Romanik und die Gotik gekennzeichnet, und zwar vielfach durch die Vorstellung von der Kirche als Ort der Transzendenz motiviert, an welchem die Wirklichkeit Gottes nicht real, sondern lediglich transzendental erfahrbar ist.(20) In diesem Sinne erhielt der Kirchenbau erneut eine axiale Ausrichtung mit zumeist leicht erhöhtem Altarraum und dem Altar im Zentrum desselben, dem die Kanzel beigeordnet ist. Bei diesen Raumkonstellationen ist die Idee des Gemeindezentrums nicht aufgegeben, sondern geht vielmehr im Bauideal von der Kirche als Ort der Begegnung der Gemeinde mit dem lebendigen Gott auf, das in der Konzeption, Baugestalt und Ausstattung des jeweiligen Kirchenbaus zum Ausdruck gebracht wird.(21)
2: Baukunst
2.1: Kirchen und Klöster
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Münster St. Maria und Markus in Reichenau-Mittelzell. Gesamtansicht von Norden
Fotograf: Hilarmont, wikimedia commons
Für die Entwicklung der romanischen Baukunst in Südwestdeutschland sind zunächst der Klosterplan von St. Gallen und die Kirchenbauten auf der Bodenseeinsel Reichenau wichtig. Aufgrund des großen Zulaufs entstand in Mittelzell auf der Reichenau in ottonischer Zeit in Nachfolge der karolingischen Kirchenbauten der Insel ein Münster, das sowohl in Bezug auf die Architektur als auch die Buchmalerei von großer Bedeutung war.(22) Charakteristisch für die karolingischen und ottonischen Bauten ist die basilikale Ausrichtung des Langschiffes mit östlich sich anschließendem Querhaus und flach schließendem Chor, während ihm in westlicher Richtung ein Westwerk vorgelagert ist.(23) Die Kirchen sind meist niedrig und die einzelnen Raumteile bilden für sich bestehende Bauteile, die in der Addition den gesamten Baukörper ergeben.(24) Die karolingische Peter- und Paulskirche in Niederzell weist vor dem Langschiff einen quadratischen Vorbau und im Osten drei ummantelte Apsiden auf, die jedoch bei der westlichen Verlängerung des Langschiffes um 1100 verändert wurden.(25) Ebenfalls noch karolingisch ist St. Georg in Reichenau-Oberzell mit einer Hallenkrypta im Osten, die urspr. in die Zeit zwischen 900 und 1000 zurückreicht.(26) Aus dem 11. Jahrhundert stammen Krypten wie beispielsweise unter dem Chor der Stiftskirche in Oberstenfeld, der Wurmlinger Kapelle bei Tübingen oder der Dreikonchenanlage der Peterskirche in Oberstenfeld.(27) Die beiden Kirchen in Unterregenbach, insbesondere die große Basilika mit einer siebenschiffigen Hallenkrypta, fallen ebenfalls in die romanische Epoche, obschon die genaue Datierung der beiden Bauten bislang nicht geklärt ist.(28) In die romanische Epoche fällt auch der Westbau der Ritterstiftskirche in Wimpfen, der urspr. als Zentralbau nach dem Vorbild der Aachener Pfalzkapelle errichtet wurde, sowie der ehem. Westbau der Stiftskirche in Öhringen, der eine mittige Portalnische mit rahmendem Rundbogen aufwies.(29)
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Ehemaliges Kloster St. Peter und Paul Hirsau, Calw: Karte mit Kennzeichnung der Bauepochen
Urheber der Karte unbekannt. Fotograf: Andreas Praefcke (wikimedia commons)
Als ein weiteres Zentrum der romanischen Baukunst in Schwaben ist das Reformkloster der Benediktiner St. Peter und Paul in Hirsau anzusehen. Dieses Kloster entstand in Anlehnung an das französische Kloster Cluny in Burgund und wurde zum Mittelpunkt der mönchischen Reformbestrebungen im südwestlichen deutschen Sprachraum.(30) Das Münster ist in Gestalt einer dreischiffigen Säulenbasilika mit Querschiff, flach schließendem Chor und Nebenchören im Osten sowie einer Vorkirche mit beidseitig flankierenden Türmen im Westen gestaltet.(31) Die Bauprinzipien der Hirsauer Klosterreform liegen in der Klarheit und Strenge des Systems, in der Schlichtheit der Form und somit in der Beschränkung auf die wesentlichen Architekturteile mit Verzicht auf eine unnötige, dem Bauprinzip widersprechende Bauzier, zeichnet sich aber durch seine besonders großen und weiten Dimensionen der einzelnen Bauteile aus.(32) Die Chöre der Hirsauer Reform erhielten meist mehrere Nebenchöre in Gestalt von Seitenschiffen, wurden meist mit einem geraden Chorschluss versehen, der die Möglichkeit barg, mehrere Altäre nebeneinander aufzustellen. Das Langhaus wurde, gemäß der Tradition, als Säulenbasilika gestaltet, wobei sich nun die Vierung durch Vierungspfeiler auszeichnete. Die Längsachse vom Portal zum Chor gewann aufgrund der Tatsache, dass man hier Prozessionen durchführen wollte, an Bedeutung(33) und wurde in Gestalt von Arkaden und Hochschiffwänden deutlicher betont, wodurch der Blick des Betrachters unwillkürlich von Westen nach Osten zum Chor hin gelenkt wurde. Meist wurden Türme nicht nur seitlich der westlich befindlichen Vorkirche platziert, sondern auch seitlich des Chores bzw. des „Chorus Minor“.(34) Nachfolgend wurden zahlreiche Neubauten in hirsauischer Kongregation errichtet, unter denen die Bauten von Groß- und Kleinkomburg, Klosterreichenbach, Blaubeuren und Zwiefalten, Weingarten, Isny und Lorch hervortreten.(35) Aber auch das Allerheiligenmünster in Schaffhausen, die Klosterkirche in Alpirsbach, die Stiftskirche in Ellwangen, die Säulenbasilika in Neckartailfingen und die Stiftskirche in Sindelfingen zeigen Einflüsse aus Hirsau, die drei letzteren jedoch nicht hinsichtlich der Gesamtkonzeption, sondern lediglich in der Aufnahme von Einzelmotiven.(36)
Im 12. Jahrhundert gründeten die Zisterzienser vom französischen Stammkloster Citeaux ausgehend weitere Klöster in Frankreich, dann aber auch im südwestdeutschen Sprachraum, so beispielsweise in Bebenhausen, Herrenalb, Maulbronn und Schöntal. Zisterzienserbauten zeigen Elemente des Hirsauer Klosterbaus, d.h. gerader Chorschluss, Westbau, Verzicht auf eine Krypta, auf die Wölbung und vor allem auf die Kirchtürme. Nebenchöre werden zudem durch Rechteckkapellen ersetzt.(37)
Vollständige Klosterbauten der romanischen Epoche existieren in Schwaben leider nicht mehr, denn sowohl die Klostergebäude des Münsters auf der Insel Reichenau als auch des Klosters Hirsau sind ruinös. Zudem hat man Alpirsbach und Lorch in der Spätgotik stark verändert und die oberschwäbischen Klöster im Barock durch Neubauten ersetzt.(38) Bei den Zisterzienserbauten in Maulbronn und Bebenhausen ist zwar schon noch die Grundrisskomposition der romanischen Klausur erhalten, gleichwohl gilt aber hinzuzufügen, dass hier der heute noch erkennbare Ausbau erst in gotischer Zeit erfolgte. Dies gilt auch für die Anlagen in Alpirsbach und Maulbronn.(39)
3: Skulptur
3.1: Tierdarstellungen
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Romanischer Taufstein in Freudenstadt
Fotograf: Jochen Ansel
In der romanischen Epoche werden Tierdarstellungen zunehmend wichtig und zeigen sich zunächst an dem im 11. Jahrhundert entstandenen Taufstein der Stadtkirche von Freudenstadt, treten dann aber auch vermehrt an einzelnen Kirchenbauten als Schmuckformen auf. So sind sie beispielsweise am Fries des Hirsauer Eulenturms und an der Gmünder Johanniskirche zu finden und treten dann auch noch in der spätromanischen Epoche an Rundbogenfriesen, Gesimsen und Portalen auf.(40)
Zu den monumentalen Einzeldarstellungen von Tieren zählen die unter italienischem Einfluss entstandenen Portallöwen, die paarweise auf der Südseite der Stiftskirche in Öhringen, auf den Fensterbänken der Murrhardter Walderichskapelle, der Stiftskirche von Oberstenfeld, im Portaltympanon der Johanniskirche in Schwäbisch Gmünd und über dem Portal des Esslinger Wolfstors vorkommen.(41)
3.2: Holzbildwerke
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Freudenstädter Lesepult
Fotograf: Jochen Ansel
Das um 1130 – 1150 entstandene Freudenstädter Lesepult (42) ist als geschnitztes und gleichsam figürliches Gerät in der in der europäischen Skulptur des 12. Jahrhunderts singulär und gilt als hervorragendstes Bildwerk, das aus romanischer Zeit in Schwaben erhalten geblieben ist.(43) Es steht im Zusammenhang mit der Hirsauer Buchmalerei aus der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts, wie beispielsweise die Miniaturen des Stuttgarter Passionale. Stilistisch mit dem Lesepult verwandt ist das ebenfalls um 1130 – 1150 entstandene Kruzifix aus Reichenau-Oberzell, das sich heute in der dortigen Münsterpfarrei befindet.(44) Beide Werke sind von gleicher Qualität und zeigen die straffe Gliederung des Lendentuches, so dass davon auszugehen ist, dass das Lesepult und das Kruzifix aus derselben Werkstatt eines Klosters der Hirsauer Reform, wenn nicht sogar von einer Hand stammen.(45) Ein weiteres Kruzifix von hoher Qualität stammt aus Leuterschach bei Marktoberdorf und entstand um 1180-1200.(46) Es zeichnet sich nicht nur durch seine Monumentalität, sondern auch durch die feine Ausgestaltung der Einzelformen aus, wobei indes die Körpergedrungenheit, die streng axiale Ausrichtung des Körpers und der plastische Eigenwert der Einzelformen für eine Datierung in das ausgehende 12. Jahrhundert spricht.(47)
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Muttergottes in der Kapelle von Ittenhausen, Schwaben, 2. Hälfte 12. Jahrhundert. Urpsrünglich im Kloster Zwiefalten
Württembergisches Landesmuseum. Fotograf: Andreas Praefcke (wikimedia commons)
Unter den Madonnendarstellungen ragt die Muttergottes aus der St. Anna-Kapelle in Ittenhausen aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts heraus. könnte aus dem Kloster Zwiefalten stammen, da Ittenhausen im 12. Jahrhundert und von 1564 bis zur Säkularisation zu diesem gehörte.(48) Die Zeichnung der thronenden Muttergottes im Stuttgarter Passionale ist dem Ittenhausener so verwandt, dass sie dem Umkreis der Hirsauer Kunst zuzuordnen ist.(49) Die Madonnendarstellung zeichnet sich durch die klare Ordnung der figürlichen Motive und die Sparsamkeit in der Ausgestaltung der Binnenformen aus und steht stilistisch auf der höchsten Stufe der Schnitzkunst der Hirsauer Schule in dieser Zeit.(50)
4: Malerei
4.1: Buchmalerei
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Evangeliar Kaiser Ottos III. Kaiserbild Otto III. Dedikationsbild (fol. 23v-24r)
Bayerische Staatsbibliothek
Die Geschichte der alemannisch-schwäbischen Buchmalerei wird im frühen Mittelalter von den Klöstern in St. Gallen, auf der Reichenau, in Zweifalten und Weingarten mit ihren jeweiligen dort ansässigen Klosterbibliotheken bestimmt, deren Büchersammlungen für das gesamte geistige und kulturelle Leben in Südwestdeutschland von großer Bedeutung waren.(51) Mit der Geschichte dieser Bibliotheken ist auch die Entwicklung der in den Klöstern vorhandenen Schreib- und Malschulen und ihrer dort jeweils in dem Zeitraum von 800 – bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen Buchmalerei verbunden.(52) Den Höhepunkt der Malerei in Südwestdeutschland stellt die im Kloster auf der Bodenseeinsel Reichenau entstandene Buchmalerei aus der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts dar. Die Reichenauer Buchmalerei wurde in der späten ottonischen Epoche sogar federführend für den gesamten deutschen Kulturbereich, wobei ihr Einflussgebiet sogar bis nach Oberitalien reichte.(53) Die Reichenauer Kunst schöpft aus den Quellen der spätantiken und byzantinischen Kunst, geht aber auch auf den Einfluss der Gruppe der karolingischen Ada-Handschriften zurück. Die dargestellten Figuren sind nicht materielle Substanz, sondern Bedeutungsträger, die entsprechend ihrer expressiven Gestik zu interpretieren sind.(54) Die Figuren dienen der Vermittlung der göttlichen Wahrheit ebenso wie die Farben, die der Hervorhebung des Wesentlichen dienen. In den Darstellungen werden nahezu ausschließlich Szenen aus dem Neuen Testament thematisiert, um auf das Wirken Jesu Christi in der Welt aufmerksam zu machen.(55) Innerhalb der Reichenauer Buchmalerei sind vier Gruppen voneinander zu unterscheiden, die entweder nach den Schreibern oder nach den Mönchen, die ihr Werk einem bestimmten Auftraggeber widmen, benannt sind. Die Handschriften selbst können aber selbstverständlich auch den Namen der Auftraggeber tragen. Zur Eburnant Gruppe gehören der Gero-Psalter vor 968, entstanden für den Erzbischof Gero von Köln; zur Ruodprecht-Gruppe der 980-990 entstandene Egbert-Psalter von Cividale, der für den Erzbischof Egbert von Trier geschrieben wurde. Zur Liuthar-Gruppe, benannt nach dem Schreiber Liuthar, gehören die kostbarsten Werke der Reichenauer Buchmalerei, so nämlich die beiden Evangeliare Ottos III., wobei das eine um 1000 entstand und in Aachen aufbewahrt wird und das andere 997-1001 schriftlich fixiert wurde und in München zu finden ist. Ferner gehören das Perikopenbuch Heinrichs II. von 1007-1012 aus München und die Bamberger Apokalypse von 1000-1020 zu dieser Gruppe.(56) Während beim Egbert-Codex noch deutlich die Anlehnung an antike Vorlagen zu spüren ist, zeigt sich beim Aachener Otto-Evangeliar schon das Interesse an einer neuen Ausdruckskraft. Die Figuren werden schlanker und höher und ihre Gesten werden deutlicher artikuliert. Im Münchner Otto-Evangeliar(57) zeigen sich schematisch dargestellte Figuren mit üppigen Gewändern, deren Ausdruck vornehmlich in den Gesten und Gebärde liegt. Im Perikopenbuch in Wolfenbüttel (58) schließlich kommt es allein auf die Gebärdensprache an, denn die Hände der grazilen Figuren sind im Vergleich zu ihrer Gesamtgröße gesehen im Vergleich zu denen des Otto-Evangeliars noch größer, wodurch die Symbolkraft des Gestus noch umso deutlicher zum Ausdruck kommt. In der Bamberger Apokalypse dominiert der knappe klare Ausdruck, doch vermisst der Betrachter hier schon wieder gerade wegen der deutlich wahrnehmbaren Reduktion auf das Wesentliche die Verortung der einzelnen Personen.(59)
4.2: Wandmalerei
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Reichenau-Oberzell, Kirche St. Georg, Wandmalerei an der Nordseite des Langhauses
Fotograf: Ramessos (wikimedia commons)
Der einzig fast gänzlich erhaltene Bildzyklus aus ottonischer Zeit in Deutschland stellt die Ausmalung der Kirche zu Reichenau-Oberzell dar.(60) Die längsrechteckige Wandbilder zwischen den Arkaden und den Obergadenfenstern zeigen Darstellungen von fünf Wunderheilungen, drei Totenerweckungen und die Bändigung des Sturmes auf dem Meer.(61) Christus erscheint als Herr über Naturgewalten, Krankheiten und Tod und ist aufgrund der Gebärden, Gesten und Minen der Figuren, der Gewanddarstellung und der illusionistischen Malerei der Ränder mit Mäandern in die Mitte des 10. Jahrhunderts zu datieren. Der Apostelzyklus in Reichenau-Oberzell ist leider durch die spätere Umgestaltung der Fenster verdorben, doch steht mit dieser Darstellung die Apostelreihe im Chor der Silvesterkapelle in Goldberg bei Überlingen in Zusammenhang. Im Langschiff der Silvesterkapelle entstanden in Nachfolge von Reichenau-Oberzell Darstellungen von Wunderheilungen, die nun ein etwas größeres Format aufweisen.(62) Etwas später, nämlich um 1100 entstanden die Wandmalereien in der Vorhalle von Oberzell und die Maiestas Domini in der Apsis von Reichenau-Niederzell. Im beginnenden 12. Jahrhundert entstanden dann in Nachfolge der Reichenauer Malerei die Wandmalereien von Kappel bei Buchau und Burgfelden bei Balingen.(63)
Aktualisiert am: 23.06.2025
Bildnachweise
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Münster St. Maria und Markus in Reichenau-Mittelzell. Gesamtansicht von Norden
Fotograf: Hilarmont, wikimedia commons
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Ehemaliges Kloster St. Peter und Paul Hirsau, Calw: Karte mit Kennzeichnung der Bauepochen
Urheber der Karte unbekannt. Fotograf: Andreas Praefcke (wikimedia commons)
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Romanischer Taufstein in Freudenstadt
Fotograf: Jochen Ansel
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Freudenstädter Lesepult
Fotograf: Jochen Ansel
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Muttergottes in der Kapelle von Ittenhausen, Schwaben, 2. Hälfte 12. Jahrhundert. Urpsrünglich im Kloster Zwiefalten
Württembergisches Landesmuseum. Fotograf: Andreas Praefcke (wikimedia commons)
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Evangeliar Kaiser Ottos III. Kaiserbild Otto III. Dedikationsbild (fol. 23v-24r)
Bayerische Staatsbibliothek
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Reichenau-Oberzell, Kirche St. Georg, Wandmalerei an der Nordseite des Langhauses
Fotograf: Ramessos (wikimedia commons)
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