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Von: Eisler, Jakob
Das Syrische Waisenhaus in Jerusalem
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Das Hauptgebäude des Syrischen Waisenhauses
Fotograf: Paul Hommel. Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, Nr. N 2866
Die Idee, ein Waisenhaus in Jerusalem zu gründen, stammt von Christian Friedrich Spittler. 1860 beauftragte er den Hausvater des Jerusalemer „Brüderhauses“, den aus Erpfingen in Württemberg stammenden Johann Ludwig Schneller, sich der christlichen Kinder anzunehmen, die bei den Religionsunruhen im Libanon und Syrien 1860 ihre Eltern verloren hatten. Im November 1860 kehrte Schneller mit neun Kindern aus dem Libanon nach Jerusalem zurück. Dies war der bescheidene Anfang des Syrischen Waisenhauses, das seinen Namen nach den aus der Provinz Syrien stammenden Kindern erhielt.
Wie andere Sendlinge Spittlers emanzipierte sich auch Schneller, in den ersten Jahren von der Pilgermission auch finanziell unterstützt, langsam von St. Chrischona. Er sammelte in eigenständigen Aktionen Gelder, hauptsächlich in Württemberg, und vergrößerte das Waisenhaus, um neue Kinder aufnehmen zu können. Waren es Ende 1861 ca. 40 Waisen, so hatte sich ihre Zahl nur zehn Jahre später annähernd verdoppelt. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts beherbergte das Syrische Waisenhaus bereits über 200 Kinder, Jungen und Mädchen. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erhielten über 3.000 Kinder, die sogenannten Zöglinge, in der durchweg von Mitgliedern der Familie Schneller geleiteten Anstalt eine fundierte Ausbildung. Der Tradition der württembergischen Rettungshäuser folgend, beschränkte sich die Erziehung im Syrischen Waisenhaus von Anbeginn an nicht nur auf die schulische Ausbildung; die Zöglinge jeden Alters wurden vielmehr zu täglicher Arbeit in Hof, Feld, Garten oder bei den Hausarbeiten herangezogen. Der Unterricht selbst beschränkte sich nicht auf die religiöse Erziehung, wenngleich dem Religionsunterricht ein bedeutender Stellenwert eingeräumt wurde, sondern legte Wert auf eine fundierte Allgemeinbildung. Um den Bedarf an Lehrern – nicht nur im Syrischen Waisenhaus, sondern in den Schulen Palästinas insgesamt – zu decken und den Zöglingen des Waisenhauses auch die Möglichkeiten einer akademischen Bildung zu eröffnen, wurde bereits im Jahre 1888 im Syrischen Waisenhaus eine höhere Schule eingerichtet, auf die Schnellers Sohn Theodor (1856–1935) maßgeblichen Einfluss hatte. Denjenigen Schülern, die nicht die höhere Schule besuchten, stand die Möglichkeit offen, eine handwerkliche Ausbildung zu erhalten. Die Anstalt verfügte über Schusterei, Schneiderei, Drechslerei, Tischlerei, Schlosserei, Töpferei, Ziegelei, Buchbinderei und Buchdruckerei. Den Zöglingen des Syrischen Waisenhauses standen mithin alle Möglichkeiten offen, eine ihren Neigungen und Begabungen gemäße Ausbildung zu bekommen, mit der sie ihren späteren Lebensunterhalt bestreiten konnten.
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Luftaufnahme des Waisenhausgeländes in Jerusalem, 1930
Landeskirchliches Archiv, Bildersammlung, unverzeichnet
Schon um 1885 hatte die Anstalt eine außerordentliche Größe erreicht, die flächenmäßig die Altstadt von Jerusalem übertraf. Größe und Konzeption des Syrischen Waisenhauses hatten die Gründung Schnellers zur größten und bedeutendsten Erziehungsanstalt im gesamten Osmanischen Reich werden lassen. Die Leitung blieb auch nach dem Tod Johann Ludwig Schnellers im Jahre 1896 fest in den Händen der Familie. Zunächst führte Schnellers Sohn Theodor die Anstalt weiter, die er 1902 um eine Blindenanstalt erweiterte. Nach dem Ersten Weltkrieg zählte das Syrische Waisenhaus über fünfzig Bauten, darunter ein Kleinkinderheim, ein Mädchenwaisenhaus, ein Knabenwaisenhaus, ein Gesellen- und Lehrlingsheim, die Blindenanstalt und das Lehrerseminar. Die Leitung, bis 1927 von Theodor Schneller wahrgenommen, wurde nach seiner Pensionierung geteilt: Der älteste Sohn Hermann (1893-1993) übernahm die Leitung der Erziehungsanstalt, während der jüngste Sohn Ernst (1901-1986) dem neu eingerichteten Werkhof mit den einzelnen Handwerksbetrieben vorstand. Dieser diente der Selbstversorgung des Syrischen Waisenhauses und der handwerklichen Ausbildung der männlichen arabischen Zöglinge, die hier für ihre künftigen Berufe als Drechsler, Schneider, Schreiner, Schuhmacher, Schmied, Ziegler, Müller, Schlosser, Buchdrucker, Bäcker, Korbmacher, Mechaniker und anderes ausgebildet wurden.
Als einzige deutsche evangelische Einrichtung des Heiligen Landes neben der Karmelmission verzeichnete das Syrische Waisenhaus auch nach dem Ersten Weltkrieg ein stetiges Wachstum. Mitte der 30er Jahre wurde daher erwogen, die gesamte Anstalt in ein größeres Areal bei Ramalla zu verlegen, da das Gelände in Jerusalem zu klein geworden war. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde das Syrische Waisenhaus geschlossen. Die Anstalt im 1948 neu gegründeten Staat Israel fortzuführen, erwies sich als unmöglich. Das bis 1967 in Köln-Delbrück ansässige Kuratorium entschied sich für einen Neuanfang in den arabischen Nachbarländern, wo 1952 im Libanon (durch Hermann Schneller) und 1961 in Amman (durch Ernst Schneller) neue Schulen gegründet wurden. Diese Schnellerschulen, heute vom Evangelischen Missionswerk in Südwestdeutschland getragen, existieren bis heute und leisten eine wichtige Bildungsarbeit.
Aktualisiert am: 17.12.2014
Bildnachweise
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Das Hauptgebäude des Syrischen Waisenhauses
Fotograf: Paul Hommel. Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, Nr. N 2866
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Luftaufnahme des Waisenhausgeländes in Jerusalem, 1930
Landeskirchliches Archiv, Bildersammlung, unverzeichnet
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Landkarte mit dem Areal des Waisenhauses. Man beachte die Größe im Verhältnis zur Altstadt von Jerusalem
Aus: Ludwig Schneller, Vater Schneller, 1898
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Syrisches Waisenhaus Hauptgebäude. Blick auf den Glockenturm. Auf der rechten Seite die Hauskapelle, um 1930
Fotograf: Paul Hommel. Landeskirchliches Archiv, Bildersammlung, Nr. N 1296
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Syrisches Waisenhaus, Vodergarten, um 1930
Fotograf: Paul Hommel. Landeskirchliches Archiv, Bildersammlung, Nr. N 1298
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Syrisches Waisenhaus, Bäckerei, um 1930
Landeskirchliches Archiv, Bildersammlung, Nr. N 1300
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Syrisches Waisenhaus, Mädchenheim, um 1930
Fotograf: Paul Hommel. Landeskirchliches Archiv, Bildersammlung, Nr. N 1301
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Syrisches Waisenhaus, Direktorhaus mit einem Teil des Gartens im Vodergrund, um 1930
Fotograf: Paul Hommel. Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, Nr. N 1302
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Syrisches Waisenhaus, Innenhof. Blick vom Glockenturm zum hinteren Teil des Hauptgebäudes, um 1930
Fotograf: Paul Hommel. Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bildersammlung, Nr. N 1304, bzw. P 1394
Zitierweise
https://www.wkgo.de/cms/article/index/das-syrische-waisenhaus-in-jerusalem (Permalink)
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