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Von: Pelizaeus, Anette
Die Anfänge der christlichen Kunst in Württemberg reichen weit zurück.(1) Im 3. Jahrhundert nach Chr. begannen die Alemannen in das bis dahin von den Römern beherrschte Gebiet zwischen Rhein und Donau vorzustoßen, das nach Norden hin durch einen Limes abgeschirmt gewesen war. Im 5. Jahrhundert brach schließlich die Herrschaft der Römer zusammen, doch blieb vom Christentum der spätrömischen Zeit das Heiligtum der Hl. Afra in Augsburg und die Verehrung der Martyrien bestehen. Die Alemannen, so wurden die neuen Bewohner des ehemals römischen Reiches genannt, gründeten im verbliebenen Stammesgebiet, das von Hagenau über Baden-Baden bis Hesselberg reichte, viele christliche Kirchen und immer mehr Menschen nahmen den neuen Glauben an. Zeugnisse dieser ersten Christianisierung sind die Grabbeigaben aus den Reihengräbern des 7. Jahrhunderts. In Männer-, Frauen- und Kindergräbern fanden sich zahlreiche Goldblattkreuze in Gestalt griechischer Kreuze, die von adeligen Familien, Kriegern und Frauen getragen worden waren und zusammen mit Waffen, Schmuck oder Gewändern in die Gräber gelegt wurden. Durch die weitere Missionstätigkeit mehrerer Wanderprediger war die Christianisierung des Landes Anfang des 8. Jahrhunderts im Wesentlichen abgeschlossen. Wichtige Errungenschaften dieser ersten christlichen Kultur waren das Lex Alamannorum, in welchem das Recht der Kirche eine den anderen Rechten gegenüber übergeordnete Rolle einnahm, sowie die ersten christlichen Kirchenbauten. Diese aus Holz errichteten Kirchen mit ihren Gräbern waren in der Regel Eigenkirchen, die dem jeweiligen Erbauer gehörten, nach und nach vergrößert und schließlich durch Steinbauten ersetzt wurden. Mittelpunkt des kirchlichen Lebens waren aber schon bald die Klöster, unter denen die Klöster der Benediktiner in St. Gallen und auf der Insel Reichenau im Bodensee herausragende Stellungen einnahmen. Zusammen mit ihren Nachfolgebauten stellten sie eine christliche Kultur im Einklang zwischen kirchlichem Geist und weltlichem Adel auf Grundlage des Vorbilds der Antike und der lateinischen Sprache dar.(2) Das Kloster in St. Gallen wie auch das Reichenauer Kloster hatten Klosterschulen, die im Auftrag der Könige und Bischöfe arbeiteten. Hier lernten die Schüler, die aus königlichen Familien, Stifterfamilien, Familien von Wohltätern oder aus Familien stammten, die den jeweiligen Klöstern nahestanden, die antiken Schriften und die alten Sprachen. Die Mönche, die sich regelmäßig zu den Stundengebeten trafen, vervielfältigten die antiken Schriften durch das Anfertigen von handgeschriebenen Abschriften.(3) Im Zuge der Selbstreform der Klöster entstand dann aber in Hirsau mit dem Münster St. Peter und St. Paul ein weiteres geistliches Zentrum in Schwaben. Obschon hier keine Klosterschule existierte, hatte das Kloster sowohl von Hochadeligen als auch von Männern mittleren Stands großen Zulauf. Die Schreiber und Buchmaler arbeiteten hier nicht mehr im Auftrag von Königen oder Bischöfen, sondern für den eigenen liturgischen Gebrauch. Aufgrund des großen Zulaufs musste bald eine größere Kirche gebaut werden, die Vorbild für zahlreiche Klosterbauten in Schwaben, beispielsweise in Weingarten, Ottobeuren, Neresheim, Elchingen, Benediktbeuren oder Alpirsbach werden sollte.(4)
Nach Ende des Investiturstreits folgten die Kreuzzüge und das Zeitalter des Bernhard von Clairvaux, der sich für die Wiederbelebung und Einhaltung der strengen Benediktinerregel in den Klöstern einsetzte. Um dieses Ziel zu erreichen, gründete er einen eigenen Orden, nämlich den Zisterzienserorden, der sich auch in Schwaben sehr schnell ausbreitete. Die ersten Zisterzienser kamen 1134 nach Salem und 1135 nach Kaisheim, 1147 folgte Maulbronn, 1152 Herrenalb, 1158 Tennenbach und 1185 Bebenhausen. Reformklöster unter Norbert von Xanten entstanden ab 1126 in Ursberg, Roggenburg und Rot an der Rot.(5) Die Reformmönche hatten das Ansinnen, in der Nachfolge Jesu Christi die beste Lebensweise in der mönchischen Gemeinschaft zu finden, während die Bischöfe und staufischen Kaiser um die Gründung und Förderung von Chorherrenstiften bemüht waren. So erhob Barbarossa die Kirche von Herbrechtingen zu einem Stift und brachte das in Waldsee zur Vollendung, während schließlich das Ulmer Wengenstift von einem seiner Anhänger errichtet wurde.(6) Die Stifte gründeten sich auf das wachsende Seelsorgebedürfnis der entstehenden Städte, in denen die Stifte schon bald Pfarrrechte erhielten. Die stets wachsende Bevölkerung in den Städten brachte es mit sich, dass eben dort auch das Bedürfnis nach einer seelsorgerlichen Tätigkeit wuchs, die von den bisher vorhandenen Pfarrkirchen oftmals gar nicht gedeckt werden konnte. Dies führte dazu, dass die Bettelorden, so die Dominikaner, Franziskaner, Augustiner-Eremiten und Karmeliter, Einzug in die Städte hielten. Ihnen ging es um die strenge Nachfolge Jesu, sie wollten so wie er in Armut und Besitzlosigkeit leben und die Mönchsgemeinschaften hatten es sich zur Regel gemacht, zölibatär und ohne stabilitas loci, das heißt ohne eine für immer währende Bleibe in einem Kloster zu leben, sondern darauf angewiesen zu sein, von Kloster zu Kloster, von Ort zu Ort weiterzuziehen.(7) Die Franziskaner kamen ausgehend von Italien 1221 in Augsburg an, zogen dann zunächst nach Ulm und Konstanz und gründeten dort erste Klöster. Die Dominikaner kamen von Frankreich zuerst nach Esslingen, Augsburg und Ulm und gründeten in den Städten ebenfalls Klöster. Entsprechend den Bauvorschriften der Bettelorden sollten die Klosterbauten schlicht und einfach sein, ohne Schmuckformen auskommen, auf Querhäuser, Chorumgänge oder Strebebögen verzichten und keine Türme sowie aufwändigen Fassaden aufweisen, was in der Anfangszeit der Bettelorden auch durchaus eingehalten wurde.(8)
Zwischen den Bettelordenskirchen und den Pfarrkirchen existierte ein Konkurrenzverhältnis, da nun bürgerliche Stiftungen auch auf die Bettelordenskirchen entfielen und sich viele Bürger nicht mehr allein in den Pfarrkirchen, sondern auch in den Kirchen der Bettelorden bestatten lassen wollten. Diese Ambivalenz wurde nur durch die stetig wachsende Bevölkerung in den Städten ausgeglichen, die den Bau von größeren Stadtpfarrkirchen im Zentrum der Städte notwendig machte. Diese stattlichen Bauten mit meist großen Türmen waren im Gegensatz zu den Bettelordenskirchen schon von weither sichtbar und repräsentierten nun inmitten der weltlichen Struktur der Stadt das Christentum. In diesen repräsentativen Stadtkirchen war es nun möglich, zu beten, sei es durch Altarstiftungen, Spenden oder Ablassleistungen für sein Seelenheil zu sorgen, zu heiraten, Taufen durchführen zu lassen und bestattet zu werden.
Die Reformation Martin Luthers markiert den Beginn der protestantischen Kirchengeschichte und der protestantischen Kunst.(9) Letztere setzte indes nicht sofort mit dem Bau neuer Kirchen ein, sondern zunächst einmal mit der Nutzung von überkommenen Kirchenbauten aus romanischer und gotischer Zeit. Schon sehr schnell folgten dann aber auch Neubauten im Sinne der neuen Lehre, und zwar zunächst einmal in Gestalt von Schlosskapellen und dann auch in Form von vollkommen neu errichteten Kirchenbauten.(10) Da die protestantische Lehre weniger die gemeinsame Feier des Abendmahls als vielmehr die Verkündigung des göttlichen Wortes und seine Auslegung durch die Predigt in den Mittelpunkt des Gottesdienstes rückte, sollte der Kirchenraum übersichtlich konzipiert sein und die Möglichkeit bieten, vor allem die Kanzel von jedem Standort aus gut in den Blick nehmen zu können, um das von dort gesprochene Wort auch gut hören zu können.(11) Das Verständnis von der Predigt als wesentlicher Bestandteil des Gottesdienstes führte indes immer mehr dazu, dass die Kirche nicht mehr vornehmlich als Kirche mit einem Chor, sondern vielmehr als ein Hörsaal betrachtet wurde.(12) Aufgrund der lang anhaltenden Predigten, die ein langes Stehen unerlässlich machten, war für die Gläubigen der Einbau von festen Stühlen notwendig(13), deren Bedarf aufgrund der wachsenden Kirchengemeinden ständig stieg. Die dadurch bedingte Raumknappheit brachte es nun mit sich, dass man die Kirchen nicht nur mit Kirchenstühlen im Erdgeschoss, sondern zunehmend auch auf Emporen ausstattete(14), die ihrerseits den großen Vorteil in sich bargen, nicht zu weit von Kanzel und Altar entfernt zu sein und dennoch Platz zum Sitzen zu haben. Kirchenstühle im Erdgeschoss und auf den Emporen sowie dortige Logen mit jeweils festen Sitzordnungen hatten indes zu Folge, dass die bestehende Sozialordnung des kommunalen Gemeinwesens in die sakralen Ort des Kirchenbaus hineingetragen wurde, denn in Anlehnung an die weltliche Obrigkeit waren die Logen auf den Emporen für die jeweiligen Herrscher und ihre Familien bestimmt, während übrige Kirchenstühle auf den Emporen für einzelne Berufsgruppen reserviert wurden und sich die anderen Familien ihre Stammplätze mit Namensschildern im übrigen Kirchenschiff einrichteten.(15) Jeder Gottesdienstteilnehmer hatte also seinen festen Platz entsprechend seiner weltlichen Position innerhalb der städtischen oder dörflichen Gesellschaft inne. Die protestantische Emporenkirche war also Versammlungsort und Predigtort zugleich. Diesen liturgischen Ansprüchen genügten vornehmlich zwei Gestaltungsprinzipien, nämlich einerseits in Gestalt des Zentralbaus, wie etwa in der Frauenkirche in Dresden, und andererseits in Gestalt des herkömmlichen Rechteckbaus mit möglichst axialer Anordnung von Altar und Kanzel, bzw. von Altar, Kanzel und Orgel vor dem Chor, wodurch alle wesentlichen liturgischen Elemente des Gottesdienstes auf einer Seite konzentriert werden konnten.
In der Zeit der Romantik änderte sich die religiöse Sichtweise in Bezug auf den Kirchenbau insofern, als nun die Kirche nicht mehr vornehmlich Versammlungsort der kirchlichen Gemeinde mit Ausrichtung auf das Wort Gottes und das Sakrament sein sollte. Der Fokus richtete sich nun vornehmlich darauf, dass Gott im Kirchenbau persönlich erfahrbar und emotional greifbar sein sollte, um auf diese Weise den Glauben lebendig werden zu lassen.(16) Dementsprechend rückte wieder der Chor als liturgischer Ort der lebendigen Gotteserfahrung in den Vordergrund und erhielt auf diese Weise eine neue, auch raumkonzeptionelle Bedeutung. Die Blickrichtung des Betrachters sollte vom Langschiff auf den Chor ausgerichtet werden, der demzufolge frei einsehbar und nicht mehr etwa von dem Kanzelaltar oder der Orgel verdeckt sein sollte. Aus diesem religiös motivierten Raum- und Bauideal fand man zu einer neuen Baukonzeption, die 1861 im sogenannten „Eisenacher Regulativ“ festgehalten wurde und in der man festschrieb, dass der Chor weder die Kanzel noch Emporen oder die Orgel beherbergen dürfe, die ihrerseits auf der Westempore aufzustellen sei. Entsprechend dieses Regulativs wurden auch in Württemberg im Stil des Historismus viele Kirchen umgebaut oder neu errichtet.(17)
Doch bereits vor 1890 formierte sich eine neuprotestantische Gegenbewegung unter dem Dresdner Pfarrer Emil Sulze und dem Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt, welche die Grundsätze des früheren protestantischen Kirchenbaus wieder aufnahmen und erneut für einen einheitlichen Raum plädierten.(18) Sie verabschiedeten das Wiesbadener Programm, wonach der Chor nicht mehr gegenüber den übrigen Raumteilen des Kirchenbaues herausgehoben werden sollte, sondern Kanzel und Altar im Einklang mit Orgel- und Sängerbühne angeordnet werden sollten. Kirchen nach diesem Programm wurden dann vornehmlich als Gemeindezentren gestaltet, die sich durch die Kombination von Kirchengebäude, Gemeinde- und Pfarrhaus sowie einer Sozialstation auszeichneten.(19)
Der Kirchenbau des 20. Jahrhunderts ist vielfach durch eine besondere Lichtsymbolik in Rückbesinnung auf das frühe Christentum, die frühe Romanik und die Gotik gekennzeichnet, und zwar vielfach durch die Vorstellung von der Kirche als Ort der Transzendenz motiviert, an welchem die Wirklichkeit Gottes nicht real, sondern lediglich transzendental erfahrbar ist.(20) In diesem Sinne erhielt der Kirchenbau erneut eine axiale Ausrichtung mit zumeist leicht erhöhtem Altarraum und dem Altar im Zentrum desselben, dem die Kanzel beigeordnet ist. Bei diesen Raumkonstellationen ist die Idee des Gemeindezentrums nicht aufgegeben, sondern geht vielmehr im Bauideal von der Kirche als Ort der Begegnung der Gemeinde mit dem lebendigen Gott auf, das in der Konzeption, Baugestalt und Ausstattung des jeweiligen Kirchenbaus zum Ausdruck gebracht wird.(21)
Aktualisiert am: 20.06.2025
Zitierweise
https://www.wkgo.de/cms/article/index/380 (Permalink)
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