Zum Verständnis von Blumhardt Vater und Blumhardt Sohn.

Von: Ising, Dieter

Inhaltsverzeichnis
  1. 1: Zum Verständnis des Vaters
  2. 2: Zum Verständnis des Sohnes Christoph
  3. 2.1: Schulzeit und Studium
  4. 2.2: Religiöser Sozialismus. Christoph Blumhardts Verhältnis zur SPD seiner Zeit
  5. 2.3: Christophs Zustimmung und Kritik am Vater
  6. 2.4: Christoph Blumhardt als Seelsorger und Beter. Heilungen
  7. 3: Zusammenfassung
  8. Anhang

Es gibt eine alte Gewohnheit. Unter denen, die Johann Christoph Blumhardt hochschätzen, sind einige, die seinen Sohn Christoph, zur Unterscheidung vom Vater der „jüngere Blumhardt" genannt, etwas vorsichtig beäugen.(1) Der war doch Religiöser Sozialist? Hat der denn wirklich das Werk seines Vaters fortgeführt?

Es gibt eine zweite alte Gewohnheit. Andere halten vor allem das Andenken des Sohnes hoch, gerade wegen seines Religiösen Sozialismus. Der Vater – war das nicht der Teufelsaustreiber und Wunderheiler, ein Fossil aus einer seit langem überwundenen Welt?

Es gibt natürlich auch Menschen, die Vater und Sohn gleichermaßenschätzen. Aber als langgedienter Blumhardtforscher habe ich ein Gespür bekommen für Vorlieben und Abneigungen auf diesem Gebiet. Manchmal werden die Fronten ganz deutlich. Nämlich dann, wenn vom jeweils Anderen — Vater oder Sohn – nur noch als Anhängsel die Rede ist, als Anhängsel zu demjenigen, den man für den eigentlich wichtigenBlumhardt hält. Über diesen – sei es Vater oder Sohn – wird dann mit großer Verehrung geredet. Kritik taucht nicht auf. Dabei waren beide doch Menschen, die bei aller Hochschätzung auch kritisiert werden können. Hinzu kommt eine Engführung des Denkens. Interessant ist nicht mehr die ganzeBotschaft des Vaters oder die ganze Botschaft des Sohnes. Hervorgehoben und verehrt wird nur noch das, was einem selber an ihnen gefällt. Blumhardts à la carte, könnte man sagen.

Wenn das geschieht, muss Einspruch erhoben werden. Wir müssen berücksichtigen, was die Schriften vonVater und Sohn sagen, vor allem auch ihre Briefe, die Tagebucheinträge und Predigten, also die Zeugnisse aus erster Hand. Vieles ist bereits veröffentlicht; eine ganze Menge historischer Zeugnisse wartet noch – vor allem in den Blumhardt-Sammlungen des Landeskirchlichen Archivs in Stuttgart. Sie wartet darauf, dass man sie zur Kenntnis nimmt und würdigt. Heute können wir Ihnen nur ein paar Kostproben liefern; zu mehr reicht die Zeit nicht.

1: Zum Verständnis des Vaters

Wir wissen, dass die Bezeichnungen „Teufelsaustreiber" und „Wunderheiler" für Johann Christoph Blumhardt völlig danebengehen. Ja, er hat sich als Seelsorger der Gottliebin Dittus viel – wohl etwas zu viel – Gedanken gemacht über eine „Geisterwelt". Er hat gemeint, dort eine teuflische Hierarchie, sozusagen „Unterteufel" und „Oberteufel", erkennen zu können.(2) Damit hat er sich von den biblischen Aussagen entfernt, die zwar von einem personalen Bösen sprechen, das ausgetrieben werden kann, sich aber darüber hinaus sehr zurückhalten.(3)

Das alles tritt für Johann Christoph Blumhardt in den Hintergrund, als Gottliebin Dittus und ihre Geschwister auf das gemeinsame Gebet hin gesund werden, als es zu einer geistlichen Neubesinnung des ganzen Dorfes kommt, als seelisch und leiblich kranke Menschen Heilung erleben. Jetzt kann er gegenüber Leuten, die sich auf sensationelle Details zur „Geisterwelt" konzentrieren möchten, hervorheben, Gottliebins Krankheitsgeschichte sei nicht das, was „Möttlingen" ausmacht. Die zentrale Erfahrung sei das geistliche Neuwerden der Gemeinde. Als einem Diener des Evangeliums sei ihm „nicht befohlen ..., von der Zauberei zu reden, sondern einzig davon, ohne alle weitere Auseinandersetzung, dass Christus gekommen ist, die Werke des Teufels zu zerstören 1 Joh 3,8 .(4) Der Teufel ist immer noch ein Thema, aber nur am Rande. In die Mitte rückt das „Jesus ist Sieger!"

Die überwältigenden Erfahrungen von Erweckung und Heilungen werden für ihn zur Grundlage seiner großen Hoffnungen. Auf eine neue Geistausgießung über die ganze Welt hofft er. Es werde zu einem „Rennen und Jagen zum Reich Gottes"kommen. Das stehe in der Bibel, etwa beim Propheten Joel(5), und werde vor der Wiederkunft Jesu Christi geschehen, die Blumhardt in Kürze erwartet.

Wir tun gut daran, im Blick auf Johann Christoph Blumhardt die Begriffe „Teufelsaustreiber" und „Wunderheiler" durch ein Wort zu ersetzen: „Beter". Er weiß genau, dass nicht er, Blumhardt, der Herr über Himmel und Hölle ist. Das ist ein anderer, und zu dem wendet er sich in seiner ganzen Angst und Ratlosigkeit. Auch als später Kranke zu ihm kommen und um Hilfe bitten, verzichtet er darauf, sich als „Heiler" zu profilieren. Er verbreitet keine Aura des Geheimnisvollen um sich, nach dem Motto: „Hier kommt der große Blumhardt." Er faltet einfach die Hände und bittet. Und gibt sich auch damit zufrieden, wenn die erhoffte Heilung einmal nicht eintritt.

Eine zweite alte Schublade wird immer noch gern benutzt. Anders als der Sohn habe sich der Vater auf die Einzelseelsorge beschränkt. Was über die Sorge für den einzelnen Hilfesuchenden hinausging, was draußen im Lande passierte, sei für ihn eher am Rande gelegen.

Dagegen sind hier in Möttlingen Blumhardts Gründung einer Vieh-Leihkasse und weitere Aktionen, um der Armut im Dorf aufzuhelfen, noch in guter Erinnerung – eine gewerbliche Spinnstube; das Sammeln und Dörren von Tannensamen. Seine Frau Doris gründete eine Strick- und Nähschule.(6)

Als die Revolution von 1848 ein Licht darauf wirft, dass Armut auch gesellschaftliche Ursachen hat, wird Blumhardt aktiv. Zwar kann er mit demokratischen Gedanken noch nichts Rechtes anfangen. Aber er will, dass die kleinen Leute gehört werden, und regt Bürgerversammlungen in verschiedenen Orten des Calwer Oberamts an. Die sollen dafür sorgen, dass ihre Forderungen an die Behörden weitergeleitet werden. Prompt erhält er im April 1848, ohne zu kandidieren, 1.086 Stimmen bei den Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung.(7) Abgeordneter wird er nicht; immerhin hat er sich nicht ins stille Kämmerlein zurückgezogen.

Man kann gegen Blumhardt einwenden, was man auch an Johann Hinrich Wicherns Konzept von Innerer Mission kritisiert hat. Er sei zwar für die Armen eingetreten, habe aber keine sozialen und politischen Veränderungen bewirkt. Auch Blumhardt kann sich nicht zu der Erkenntnis durchringen, jetzt müsse die politische und wirtschaftliche Machtfrage gestellt werden. Seine Möttlinger Vieh-Leihkasse, die viel Gutes bewirkt hat, ist eine Form genossenschaftlicher Selbsthilfe und tastet die Gesellschaftsordnung ihrer Zeit nicht an. Ein in der Verfassung garantiertes Mitspracherecht aller Bevölkerungsschichten bei der Gestaltung von Politik und Gesellschaft, die Gründung von Gewerkschaften, das ist für den Vater noch undenkbar. Sein Sohn ist im Kampf gegen die Armut andere Wege gegangen.

Aber war Johann Christoph deswegen unpolitisch? Als 1869 die erste württembergischen Landessynode ihre Arbeit aufnimmt, als endlich Pfarrer und Laien an der Leitung der Kirche beteiligt sind, wird der inzwischen weit bekannte Blumhardt zu einem der Abgeordneten gewählt. Anfangs ist er skeptisch, aber dann engagiert er sich in der Synode, formuliert Anträge und wird Mitglied der Kommission für christliches Leben. Hoch her geht es, als Vertreter der Industrie wünschen, die kirchliche Begehung der Feiertage in Württemberg möge geändert werden, um Arbeit auch an diesen Tagen zu ermöglichen. Blumhardt wird mit der Abfassung des Kommissionsberichts und dessen Vorstellung im Plenum beauftragt. Er hat die kleinen Leute im Blick und weist den Antrag der Industrie ab. Er spricht sich dafür aus, die kirchlichen Feiertage weiter wie bisher zu begehen – die Mehrheit der Synodalen folgt ihm.(8) Die alte Schublade vom unpolitischen Johann Christoph Blumhardt können wir schließen.

2: Zum Verständnis des Sohnes Christoph

Sein Sohn Christoph (1842–1919), der „jüngere Blumhardt", wird heute meist nur noch als Religiöser Sozialist verstanden. Beschränkt man sich auf diesen Teil seines Denkens, bekommt man nur den halbenChristoph Blumhardt zu Gesicht. Wir möchten heute wenigstens andeuten, wie die andere Hälfte aussieht. Es könnte ja sein, dass diese andere Hälfte keine Nebensächlichkeiten enthält, sondern uns Hinweise darauf gibt, wie sein Religiöser Sozialismus gemeint war. Auch hier geht es wie beim Vater um den Blumhardt à la carte, den der eine oder andere sich wünscht, der aber in dieser gewünschten Form nie existiert hat.

2.1: Schulzeit und Studium

Christoph Blumhardt ist in die Möttlinger Erweckung hineingeboren worden. Als Kind hat er erlebt, was es heißt, in einem Pfarrhaus aufzuwachsen, das zugleich eine Herberge für Heilungsuchende ist. „Es kamen so viele fremde Kinder, die sich zu unseren Eltern drängten, dass wir weichen mussten und entsagen lernen und uns begnügen mit dem Gedanken, wie lieb sie uns haben und wie sie doch für uns sorgen unter allem Gedränge."(9)

Wenn aber Christoph in Bad Boll mit seinen Brüdern Karl und Theophil beim Vater sitzen kann, der sie auf den Eintritt ins Stuttgarter Gymnasium vorbereitet, dann haben sie ihren Vater für sich. An ihm haben sie einen guten Lehrer, der ihnen beim Vermitteln des umfangreichen Stoffs eine gewisse Freiheit und Freiwilligkeit lässt, um die Freude am Lernen nicht zu nehmen. Sie dürfen ihre Meinung äußern, was Karl später auf dem Gymnasium fortsetzt, wenn er im Namen der Klasse auftritt und sich gegen zu umfangreiche Hausaufgaben wehrt. Die Lehrer reagieren wie vom Donner gerührt. Sie erwarten – den Vorstellungen ihrer Zeit entsprechend – Bescheidenheit und Respekt von den Schülern. Als Christoph und Theophil im Herbst 1859 die Aufnahmeprüfung für die nächste Klasse nicht bestehen, macht der Vater ihnen keine Vorwürfe. Er verschafft ihnen Plätze als Gastschüler im Seminar Urach; dort sollen sie mit Fleiß, aber auch „mit mehr Gemütsruhe und Gedeihen" ihre Studien fortsetzen. Er bietet an, ihren Latein-, Griechisch- und Hebräischunterricht von Bad Boll aus zu begleiten – eine besondere Form der „Briefseelsorge": Er stellt ihnen zusätzliche Aufgaben, die Söhne antworten, und der Vater korrigiert. Der Briefwechsel, den Christoph und Theophil in ihrer Seminar- und Studienzeit mit den Eltern führen, ist erhalten und großenteils in den Gesammelten Werken des Vaters veröffentlicht.(10)

Von 1862 bis 1866 studieren beide Theologie in Tübingen. Der Unterschied zum Elternhaus – seit 1852 lebt die Familie in Bad Boll – wird ihnen deutlich. Dort konnten sie die Gegenwart Gottes täglich erleben, die Veränderungen, die mit den Menschen vorgingen, und die lebendige Reich-Gottes-Hoffnung. Anders in Tübingen. Als Christoph in der Vorlesung Karl Heinrich von Weizsäckers Abfälliges über die Bad Boller Reichgotteserwartung hört oder darüber, wie wissenschaftlich denn der Glaube an Gebetsheilungen sei, schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen.(11) In diesem Punkt ist er mit seinem Vater einig. Auch der lehnt das wissenschaftliche Bemühen um die biblische Botschaft ja nicht ab. Aber er betont, dass beides, Theologie und Erfahrung des lebendigen Gottes, zusammengehört und in eins gebracht werden muss. Eine Theologie, welche die Gotteserfahrung ignoriert, kann nicht die rechte sein. „Seid vorsichtig der Wissenschaft gegenüber", rät er den Söhnen, „und dem Geschrei derer, die geistreich tun wollen und mit Trompetersbacken reden."(12)

Als Christoph und Theophil in eine studentische Verbindung eintreten wollen, gibt es Aufregung in Bad Boll. Eine Mitgliedschaft, die sich auf eine gemeinsame Lebensordnung verpflichtet und sich durch äußere Zeichen wie Mütze und Band von anderen unterscheiden will? Wie verträgt sich das mit dem Geist Bad Bolls, das doch der ganzenWelt dienen und sich allenöffnen muss? Hier hofft man doch auf eine Ökumeneder christlichen Konfessionen und hält sich an die vom Vater praktizierte brüderliche Gemeinschaft mit dem Judentum. In das nationalistische Hochgefühl, das auch pietistische Kreise im Deutsch-französischen Krieg von 1870/1871 ergreifen wird, stimmt man auch nicht ein. Und jetzt das.

Der Vater verbringt schlaflose Nächte. Er schreibt: „Könnet ihr denn keinen geistlichen Halt an mir auch in der Ferne haben? O, wie beugt mich das, auch bis in den Staub hinunter!"(13) Christoph und Theophil entschuldigen sich.(14) Schließlich findet man einen Kompromiss. Sie treten in die Verbindung Normannia ein, verzichten aber auf das Tragen von Mütze und Band.

Der Vater will seine Söhne davor bewahren, ihre kritische Distanz zur Welt zu verlieren. Wer sich mit Haut und Haaren auf eine bestimmte gesellschaftliche, politische, konfessionelle Gruppierung einlässt, schert aus der Bad Boller Gemeinschaft aus. Kein orientierungsloser Relativismus wird in Bad Boll vertreten; Blumhardts Überzeugungen haben ja ein deutliches Profil. Aber man lebt auf die Einheit in Christus hin und kann auf diese Weise der Welt ein Segen sein. So möchte der über den Pietismus hinausgewachsene Vater den Söhnen auch ein rechtes Verhältnis zu den pietistischen Mitstudenten nahe bringen. „Ich will nicht, dass ihr sein sollt wie sie; aber eure Sache ist nichts, wenn ihr die, welche fromm sein wollen, ablehnt."(15) Christoph Blumhardt hat diese Mahnung später beim Eintritt in die Sozialdemokratische Partei nicht vergessen. Hier engagiert er sich für Menschen, für welche die Kirche seiner Zeit noch kein Ohr hat. Zugleich hält er den Mitkämpfern für eine neue Gesellschaftsordnung vor Augen, es werde einmal nicht sozialdemokratisches Reich heißen, sondern Gottes Reich.(16)

Damit ist eingetreten, was Blumhardt vom Studium seiner Söhne erhofft hat. Als Bad Boller sind sie nach Tübingen gegangen, haben sich den theologischen Entwürfen ihrer Zeit gestellt und sind als Bad Boller ins geistliche Amt eingetreten, jetzt allerdings in einem vertieften und bewussten Sinn.

Die Frage aber, wie ein Sohn des berühmten Blumhardt zu einer eigenen Identität finden kann, löst sich damit noch nicht. Besonders Christoph ist davon umgetrieben. Nicht bloß nachmachen will er den Vater; einen eigenen Zugang will er zu der Kraft gewinnen, von der Blumhardt und die Arbeit in Bad Boll getragen werden. Auch Gottliebin Brodersen geb. Dittus, die zusammen mit der Familie Blumhardt nach Bad Boll gezogen ist, erinnert ihn daran, in der ihr eigenen entschiedenen Art.(17) Als sie 1872 an Magenkrebs erkrankt, stirbt sie – in Abwesenheit des Vaters – in Christophs Armen. Bis zum Ende ist sie mutig und ermutigt diejenigen, die um ihr Bett stehen, in der Hoffnung auf das Reich Gottes zu bleiben. Diese Erfahrung hat es Christoph ermöglicht, 1880 nach dem Tod des Vaters ein wirklicher Nachfolger zu werden.

 

2.2: Religiöser Sozialismus. Christoph Blumhardts Verhältnis zur SPD seiner Zeit

Um zu unserer Frage zu kommen, wie Christoph den Religiösen Sozialismus verstanden hat, machen wir einen Zeitsprung ins Jahr 1899. Wie der Vater beobachtet auch er aufmerksam die gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit. Weder von sozialer Marktwirtschaft noch vom Achtstundentag ist damals die Rede. Den Arbeiterinnen und Arbeitern werden Hungerlöhne gezahlt; Kinderarbeit ist keine Ausnahme. Auch die Wohnverhältnisse sind katastrophal und machen die Menschen krank. Zur Zeit Christophs ging es gegen einen menschenunwürdigen Arbeitslohn in allen Bereichen.

Dem Pfarrer Christoph Blumhardt wird klar, dass es auch diese gesellschaftlichen Bedingungen sind, welche die Seelen der Menschen verderben. 1899 redet er in einer sozialdemokratischen Versammlung in Göppingen. Christoph betont, er habe die engen kirchlichen Grenzen verlassen; sein Verständnis des Reiches Gottes habe ihn auf die ganze Welt gewiesen. Die Zuhörer seien genau wie er Gottessucher; warum solle man sich also bekämpfen? Wenn Jesus sich zu den Niedrigen gehalten habe, dann sei er ein Sozialist gewesen.(18)

Heftige Angriffe in der Presse sind das Echo darauf, dass ein königlich-württembergischer Pfarrer sich auf die Seite der „Sozis" stellt. Die Kirchenleitung legt ihm nahe, den Titel „Pfarrer" nicht mehr zu führen. Blumhardt stimmt zu und scheidet aus dem Dienst der Evangelischen Landeskirche aus.

Er sieht sich von Gott am Kragen gepackt und mit aller Gewalt an die Tür der Sozialdemokraten geworfen. Die sei aufgesprungen, und er habe sich in einer neuen Welt gesehen.(19) Sein „Antwortschreiben" an die Freunde vom November 1899, die von dieser neuen Wendung irritiert sind, unterstützt das Anliegen der SPD, nicht das Geld und der Besitz, sondern das Leben der Menschen solle die höchste Bedeutung bekommen. Gott wolle, dass alle Menschen in jeder Hinsicht gleich geachtet werden und auch auf Erden nicht nur geplagte, sondern seligeGeschöpfe seien. Christoph Blumhardt tritt in die SPD ein und wird im Dezember 1900 als Abgeordneter in den württembergischen Landtag gewählt.

Mit seinem Eintreten für die Sozialdemokratie, die er zugleich im Geiste des Evangeliums beeinflussen möchte, wird Christoph Blumhardt zu einem der Väter des Religiösen Sozialismus. Dem Kapitalismus wirft er ein unbegrenztes Habenwollen vor, ein maßloses Besitzergreifen von der Erde und ihren Schätzen. Das sei Götzendienst, „eine Konkurrenz gegen den lieben Gott".(20)

Dieser – wie er sagt – „Herrschaftsmoral" setzt er eine „Gemeinschaftsmoral" entgegen. Die Produktionsmittel sollen miteinander verwaltet werden; die Menschen sollen die Güter des Lebens, welche ihre Bedürfnisse stillen, gemeinsam haben.(21) Hier steht Christoph noch am Anfang eines langen Weges. Was er fordert, hat zu seiner Zeit noch nirgends Gestalt gewonnen. Die Erfahrungen mit Kommunismus und Stalinismus auf der einen Seite, auf der anderen Seite mit einer Sozialdemokratie, die auf dem Boden des Kapitalismus menschenwürdige Bedingungen erstrebt, stehen noch aus.

Den Klassengegensatz leugnet er nicht. Er ist sich jedoch auch der negativen Züge des Klassenkampfes bewusst: „Da steht Trotz gegen Trotz, und es schweigt der höhere Ton des Reiches Gottes." Auf dem Parteitag der SPD in Dresden 1903 hat man die Position Eduard Bernsteins scharf angegriffen, der nicht durch Revolution, sondern auf parlamentarischem Wege politische und soziale Reformen erreichen will. Da wird Christoph Blumhardt deutlich. Dem befreundeten Howard Eugster-Züst, Pfarrer im schweizerischen Appenzell, der sich der dortigen Weber annimmt, schreibt er: „Unser Parteitag ist jetzt vorüber. Welches Brodeln und Gären! Von lauter Revolution überlaufende Gesellschaft! ... Es wird jeder rausgeschmissen, der nicht sengen und brennen will, der nicht hassen will von ganzem Herzen und aus allen Kräften. ... Würde aber dieser Zorn siegen, so würde sich im Grunde nichts verändern, der eine Barbar siegte über den andern."(22)

Auf diese Weise gerät der Sozialdemokrat Blumhardt in Konflikt mit Teilen seiner Partei. Aber nicht nur in puncto Revolution hat er ihr Ernüchterndes zu sagen; es geht ihm um die grundsätzliche Ausrichtung auf den kommenden Christus und sein Reich. Das Entscheidende lässt sich nicht „machen", nämlich die innere Erneuerung der Menschheit, in die der „Funke des Geistes Gottes" kommen muss. Damit stellt Christoph Blumhardt die Sozialdemokratie mit ihren Bestrebungen, denen er sich anschließt, in den Bereich des Vorletzten: „Es wird schließlich Gottes Reich heißen, nicht sozialdemokratisches Reich." Diese Bewegung gehöre nicht in die Heilsgeschichte, sondern „ganz in die Weltgeschichte". Mit dem Dogmatismus mancher Sozialdemokraten kann Blumhardt sich nicht befreunden; ihre „alleinseligmachende Politik" erinnert ihn an den Dogmatismus mancher Kirchenleute. Beiden will er sich nicht beugen. „So fühle ich mich allein stehend."(23)

Die Schublade, dass Christoph Blumhardt ohne weiteres ein Anhänger der damaligen SPD gewesen sei, sozusagen ein „alter Sozialdemokrat", muss geschlossen werden. Auch der Versuch, ihn für die heutige SPD zu vereinnahmen, ist kritisch zu betrachten. Christoph Blumhardt gehört weder der SPD noch der CDU noch irgendeiner anderen politischen Partei. Er und sein Vater sind ernstzunehmen als Reich-Gottes-Arbeiter eigener Prägung.

2.3: Christophs Zustimmung und Kritik am Vater

An den Hoffnungen des Vaters hält Christoph Blumhardt fest. Wie der Vaterhofft er auf Gottes Ausgießung des Heiligen Geistes über die ganze Welt. Zweitens hebt Christoph – wie schon der Vater – hervor, dass es eine „kleine Herde" unter den Menschen gebe (vergleiche Mt 6,33 und Lk 12,32). Der Vater versteht darunter einen engeren Kreis, der für das Kommen des Reiches Gottes betet und diese Hoffnung auch lebt, stellvertretend für die ganze Christenheit.(24) Der Sohn nennt die kleine Herde „Zion" und versteht darunter einen „Sammelplatz für alle Völker", eine „Zuflucht aller Völker und Nationen".(25) Drittens ist auch die Hoffnung des Vaters, dass der Tod einmal verschlungen wird in den Sieg Jesu Christi (Jes 25,8; Lk 12,32; 1 Kor 15,54), für den Sohn wichtig.

Allerdings, sagt Christoph bereits 1895 in seinen Gedanken aus dem Reich Gottes, habe sich der Vater auf seinem Hoffnungsweg auf drei falsche Stäbe gestützt. Die seien einer nach dem andern unter ihm zusammengebrochen, „bis der Wanderer selbst nach dem letzten sehnenden Blick in das Gelobte Land zusammenbrechen musste, ohne sein Ziel erreicht zu haben". Diese drei falschen Stäbe seien „die Kirche, wie sie sichtbar besteht", die Mission und das Streben nach Seligkeit.(26)

Erstens also sei die Hoffnung des Vaters gescheitert, dass die Kirche seine Hoffnungen in sich aufnehmen werde. Zu Unrecht gestützt habe sich Johann Christoph Blumhardt auch auf den zweiten Stab, die Mission im Sinne einer äußeren Ausbreitung des Evangeliums, anstatt auf die Bildung der kleinen Herde mehr Gewicht zu legen. „Gott allein hat das Recht, ein Missionar zu sein unter den Völkern", sagt der Sohn, „und wir Menschen als Missionare haben nur das Recht, den vom Lichte Gottes erweckten und herbeigerufenen Völkern die Tore Zions aufzutun, nicht aber, ihnen unsre Meinungen aufzudrängen oder sie mit unseren Kirchen zu belästigen."(27)

Drittens habe der Vater den Tod als etwas angesehen, das zur Seligkeit führe, und damit den Willen Gottes unterschätzt, auf Erden das ewige Leben möglich zu machen. Er habe zwar angedeutet, „dass das Leben Gottes auch im Irdischen, Sichtbaren, Leiblichen gegenüber dem alles verschlingenden Tode sich offenbaren werde". Dabei habe er aber nicht deutlich genug gesagt, dass „nicht im Himmel, im Unsichtbaren, ... die Berufung und Bestimmung des Menschen liege sondern auf Erden, im Sichtbaren, Natürlichen". Indem er die erhoffte Überwindung des Todes auf Erden nicht erlebt habe, sei auch dieser Stab mit ihm zerbrochen.(28)

Diese Kritik des Sohnes an Kirche und Mission kann nicht übernommen werden. Dass Gottes Reich kommt, will er in die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hineinsagen. Christoph Blumhardt spricht von einer Kirche, die ihm nach dem Eintritt in die SPD nahegelegt hat, auf den Pfarrertitel zu verzichten. Diese Zeiten sind heute vorbei. Von einer Mission spricht er, die mit Kolonialismus einhergeht. Auch das ist heute vorbei. Heute müssen wir angesichts der Wandlungen in Kirche und Mission die Konsequenzen des „Jesus ist Sieger!" anders formulieren. Wenn Mission als Gespräch verstanden wird, das den Gesprächspartner ernstnimmt, wenn Kirche und Mission den Protest gegen Armut und Unterdrückung nicht in ein Jenseits verweisen, sondern sich auf Erden um Abhilfe bemühen, greift die Kritik in dieser Form nicht mehr.

Wie radikal die Kirchenkritik des Sohnes ist, zeigt sein Briefwechsel mit dem Schwiegersohn Richard Wilhelm, der als Missionar in China wirkt und Christoph Blumhardt nach seiner Stellung zur Taufe fragt. Dieser antwortet am 26. April 1902, er könne die kirchliche Taufe mit Wasser „nur als notwendiges Übel ansehen". Sie sei eine nur „äussere Handlung"; viele Getaufte würden „später doch fortlaufen". Er, Christoph, habe daraus gelernt, „dass sogenannte Sakramente kein Gemeinschaftsleim sind; im Gegenteil, sie machen, je intensiver sie betrieben werden, lüstern nach mehr und noch intensiveren Hypnosen, die bewerkstelligt werden durch Feierlichkeit." Die Geschichte des Christentums sei voll von diesem Irrtum. „Man tauft, konfirmiert, segnet und weiht vor dem Altar und in heiliger apostolischer Kirche, und die Leute laufen weg, wie wenn nichts geschehen wäre, und hängen sich an die nächsten Schwätzer und Gaukler." Stattdessen schwebt Christoph eine „Menschenvereinigung" vor, „die Jesus will und die sich schätzt und ehrt im Vorwärtsstreben auf das hohe Ziel, ohne dass wir uns durch Taufen oder Katechismen binden und uniformieren."(29)

Hier macht Christoph Blumhardt aus meiner Sicht einen Schritt zuviel. Konnte man seine Kritik an der Kirche, die ihm den Schritt zum Religiösen Sozialismus verübelte, bisher noch als persönliche Enttäuschung verstehen, so stellt er jetzt die christliche Kirche als solche in Frage. Man kann zwar auf die damals komplizierte Situation in China hinweisen, wo die christliche Taufe als Verrat an den nationalen Werten Chinas verstanden wurde. Aber auch dieses Argument entschärft Christophs Äußerung nicht. Er wendet sich in diesem Zitat ja nicht nur gegen eine Taufe in China, sondern gegen die christliche Taufe allgemein.

Was soll das, würde ich heute Christoph Blumhardt fragen, deine verschwommene „Menschenvereinigung"? Christen werden nicht irgendwie zu Christen, sondern indem sie getauft werden auf den Tod und die Auferstehung Jesu, was man durch das Eintauchen des Täuflings ins Wasser andeutet. Jesu Missionsbefehl Mt 28,19 sagt es klar und deutlich: Von einer Taufe „im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes" ist die Rede. Taufe ist ein Herrschaftswechsel. Der dreieinige Gott nimmt den Täufling in Besitz. Der Pfarrer handelt nur im Auftrag. Ob die Getauften später „weglaufen" oder nicht, hat ihn nicht zu kümmern. Gott läuft ihnen nach, mit großer Geduld. Das alles geschieht in der Kirche. Und der Kirche ist nicht durch Auflösung und Vergeistigung zu helfen, sondern durch das immer wieder notwendige Bekenntnis, „dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben" (Stuttgarter Schulderklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland, 18.–19. Oktober 1945).(30)

Die Gewissheit: „Ich bin getauft!" hat vielen Menschen in äußerster Not geholfen und tut es auch heute. Nicht nur den Christen in Deutschland, sondern auch den zur Zeit über 100 Millionen Christen, die weltweit verfolgt und vertrieben werden, den Tod vor Augen. Sollen wir angesichts dessen wirklich die Kirche und ihre Sakramente auflösen und vorwärts streben zum hohen Ziel einer Menschenvereinigung, wie es Christoph Blumhardt empfiehlt? Vielleicht fangen wir erst einmal mit dem mutigeren Bekennen an und orientieren uns an Galater 6,10: „Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen." Dann wird uns der gekreuzigte und auferstandene Gott weiterhelfen.

Um nach Kirche und Mission noch einmal auf den dritten Stab zurückzukommen, das ewige Leben auf Erden: Wir meinen, dass der Hinweis des Vaters auf ein Jenseits – bei allem Bemühen um die irdischen Zustände – auch eine positive Bedeutung hat. Allzu oft vergessen Menschen, die sich um gerechte Zustände auf Erden bemühen, dass das Licht, das in die Welt fällt, nicht von dieser Welt ist. Vor lauter Betriebsamkeit gerät diese oberste Instanz – das Warten auf das Reich Gottes– aus dem Blick. Die Versuchung dazu ist groß. Der Sohn ist dieser Versuchung nicht erlegen; bis ans Lebensende hofft er auf Gottes Reich. Aber indem er den Himmel sozusagen durchstreicht und Gottes vollkommene Lösung ausschließlich hier auf Erden erhofft, macht er es denen leicht, die Gott als den eigentlichen Herrn des Geschehens am liebsten vergessen möchten. Denken wir daran, wie viele Selbsterlösungs-Pläne, wie viele Menschenträume von einer idealen Gesellschaft, schon gescheitert sind.

Christen brauchen die Kraft, trotz allem weiter an einer Welt zu arbeiten, die Gottes und der Menschen würdig ist. Aber sie brauchen auch eine Gelassenheit, die sie bei Rückschlägen aufrichtet und tröstet. Gott, der Vater Jesu Christi, der sagt: „Siehe, ich mache alles neu", ist der Grund dieser Gelassenheit.

Damit muss eine weitere alte Schublade geschlossen werden. Christoph Blumhardts Botschaft ist nicht ohne die Botschaft seines Vaters zu verstehen. Beide argumentieren von einer gemeinsamen Hoffnung aus, auch wenn sie verschiedene Wege gehen, was Sozialdemokratie, Kirche, Mission und Jenseits betrifft. Dass Christoph in allen Punkten der aktuellere von beiden sei, sollten wir kritisch unter die Lupe nehmen. Aber vielleicht werden künftige Quellenforschungen noch ergeben, dass er in späteren Zeiten seine radikale Kirchen- und Missionskritik gemildert hat – das wäre eine Aufgabe der Blumhardtforschung.    ....

2.4: Christoph Blumhardt als Seelsorger und Beter. Heilungen

Christoph Blumhardt hat sich nicht nur zu politischen und gesellschaftlichen Zuständen geäußert; er hat auch wie sein Vater seelsorgerliche Briefe geschrieben. Das hat man bisher kaum zur Kenntnis genommen – einige dieser Briefe sind erst in den letzten Jahren aufgetaucht und noch nicht veröffentlicht. Sie zeigen, dass Christoph mehr war als nur Religiöser Sozialist. Hier einige Beispiele:

Einer Frau, die sich in der Gewalt Satans glaubt, rät er, nicht mit eigener Anstrengung Gott ergreifen zu wollen. „Gott wird Ihrer schon gedenken, und Sie kommen nicht aus Seiner Hand. Alle Gedanken und Seelenanstrengung, um Gott zu ergreifen, führt bei Ihnen zu einer Steigerung der Krankheit. Sie müssen und dürfen sein wie ein Kind, das ganz von selbst Gott angehört."(31)

Dem reformierten Pfarrer Paul Christ in der Schweiz gibt Christoph seelsorgerliche Ratschläge, etwa wenn es um das Gebet für epileptisch Kranke geht. „Da müssen wir viel Geduld haben, aber nicht nachlassen zu hoffen und zu glauben. Mit den Epileptischen gehts am Schwersten. ... Zeichen erlebe ich durch Gesundwerden Einzelner, aber im Ganzen wird um diese Sache noch gekämpft. …Ich bete für den von dir genannten Sohn ernstlich. …"(32)

Man meint, hier den Vater reden zu hören: Gegenwärtig erleben wir nur „Zeichen", aber nach der künftigen Geistausgießung werden auch schwere Krankheiten geheilt werden.

Manchmal begegnen uns historische Quellen, die von Gebetserhörungen auch beim SohnBlumhardt berichten. Johannes Weissinger, ein Freund Christoph Blumhardts, berichtet von einem todkranken Kind, das auf Blumhardts Gebet hin augenblicklich gesund geworden sei.(33)

Wir betreten hier ein Gebiet, auf dem man mit Schnellschüssen nicht weiterkommt. Wie schon die Heilungen beim Vater Blumhardt gezeigt haben, möchten die einen alle Berichte von Gebetsheilungen unkritisch übernehmen. Die andern halten alles nur für Zufall oder Einbildung. Wir haben hier ein Thema vor uns, über das man sich erst einmal informieren sollte.(34) Erst derjenige, der sich das Für und Wider durch den Kopf gehen lässt, kann sich mit Gewinn unserer Gegenwart zuwenden, in der Gebetsheilungen nach wie vor eine Rolle spielen. Wer es gelernt hat, die Spreu vom Weizen zu unterscheiden, wird bei den Blumhardts viele Weizenkörner finden.

3: Zusammenfassung

Beide, Blumhardt Vater und Sohn, verbinden auf ihre Weise den Glauben an einen lebendigen Gott mit gesellschaftlichem Handeln. Der Vater, vom geistlichen Neuaufbruch in Möttlingen und den Heilungen überrascht und geradezu überwältigt, bleibt nicht beim Predigen und Seelsorgen stehen. Als Wirtschaftsförderer und Synodaler befasst er sich auch mit gesellschaftlicherNot. Der Sohn predigt nicht nur gegen ungerechte gesellschaftlicheStrukturen; er ist auch ein einfühlsamer Seelsorger. Auch bei ihm kommt es zu Gebetsheilungen seelisch und körperlich Leidender.

Am Anfang des Vortrags haben wir von den zwei Blumhardt-Lagern gesprochen. Am Wochenende vom 7.–9. Oktober 2016 veranstaltet die Blumhardt-Sozietät in Bad Boll eine Tagung zum Thema: „Anders Wirtschaften – Genossenschaften stärken". Wie bei der Blumhardt-Tagung im vergangenen Jahr (Thema: „Den Kapitalismus religiös überwinden") kommt die Blumhardt-Sozietät auch diesmal über Christoph Blumhardt als Kapitalismuskritiker nicht hinaus.

Gewiss ein interessantes Thema, auch für jemanden wie mich, der in einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet aufgewachsen ist und hautnah erlebt hat, wie sich mein Vater als Arbeiter bei der Bundesbahn in den 1950er Jahren abgemüht hat. Er hatte, so sehr er auch schuftete, keine Aussicht darauf, jemals zu bescheidenem Wohlstand zu kommen.

Heute aber geht es um Christoph Blumhardt, dessen Leben und Werk nicht nur in seiner Hinwendung zur Sozialdemokratie besteht. Das deutlich zu machen, kann man von einer Vereinigung erwarten, die sich „Blumhardt-Sozietät" nennt und nicht etwa „Arbeitskreis Kapitalismuskritik". Christoph Blumhardt als ganzen Menschen darzustellen, heißt auch, ihn als Sohn seines Vaters wahrzunehmen, als Kritiker von Kirche und Mission, als Seelsorger und Beter. Dass er als Religiöser Sozialist wichtige Anstöße gegeben hat, ist unbestritten. Aber wie steht es mit den übrigen Themenfeldern? Diese Schätze zu heben, dazu möchte ich die künftige Blumhardtforschung ermutigen.

Aktualisiert am: 08.12.2016