Schempp, Paul

Von: Haag, Norbert

Inhaltsverzeichnis
  1. Paul Schempp (1900-1959)
  2. 1: Lebensdaten
  3. 2: Biographische Würdigung
  4. Anhang

Paul Schempp (1900-1959)

1: Lebensdaten

Paul Schempp (1900-1959)

Fotograf: Dieter Ehlermann

Eltern: Geb. am 4. Januar 1900 als fünftes von neun Kindern des altpietistisch geprägten Handwerkmeisters Andreas Schempp und seiner Ehefrau Anna, geb. Layer.

Ausbildung: Besuch des humanistisch geprägten Eberhard-Ludwig-Gymnasiums in Stuttgart, Abschluss als Klassenprimus. - Theologiestudium in Tübingen 1919-1920, Marburg 1920-1921 und wieder in Tübingen 1921. Im Rahmen einer Beurlaubung hörte er Vorlesungen Karl Barths in Göttingen; akademische Lehrer: Neutestamentler Adolf Schlatter (Tü), Kirchengeschichtler Müller (Tü), Religionswissenschaftler Friedrich Heiler (Ma), Karl Barth (Gö); Stiftler und Mitglied der akademischen Verbindung Nicaria; freundschaftliche Beziehungen zu Hermann Diem, Heinrich Fausel und Richard Widmann; während der Studienzeit Vf. eines Ms. mit dem Titel: Ave victi! – Gedanken und Bekenntnisse eines Heidenchristen, in der er die verkrusteten Kirchenstrukturen beklagt; machte die zweite Aufl. von Barths Römerbrief im Stift populär und entfachte damit „eine Revolution“.

Beruflicher Werdegang: Nach Vikariat Repetent am Stift 1925-1929; intensives Lutherstudium, Publikation seines ersten Buches Luthers Stellung zur Heiligen Schrift; Studienreisen nach Frankreich, Dänemark, Balkanländer, USA. Religionslehrer in Bad Cannstatt 1929-1931; Pfarrer in Waiblingen (April 1931-August 1931); Religionslehrer am Königin-Olga-Stift und Königin-Charlotte-Gymnasium in Stuttgart; Entlassung aus dem Schuldienst aus politischen Gründen (Sept. 1931-5. Sept. 1933); Pfarrverweser bzw. Pfarrer in Iptingen im Dienst der Landeskirche (Pfarrverweser Okt. 1933 -29. März 1933, dann Pfarrer), im Dienst der Gemeinde bis 29. Nov. 1943; Konflikte mit der Kirchenleitung insbes. wegen der Stellung zur Bekennenden Kirche; Austritt aus der Landeskirche kurz vor Weihnachten 1943; Nov. 1948 Aussöhnung mit Landesbischof Theophil Wurm, Wiedereinsetzung in seine Rechte als Prediger; Lehrer für evangelische Religion, Philosophie und Deutsch am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium (ab 1949); Verleihung des Theologischen Ehrendoktors durch die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn 1955; Berufung zum Prof. für praktische und systematische Theologie ebd. zum WS 1958/59; Tod am 4. Juni 1959 nach schwerem Leiden.

Familie: 1929 Eheschließung mit Erika Siepmann, Lehrerin aus Westfalen. 

2: Biographische Würdigung

Seine theologische Prägung verdankt der hochbegabte Paul Schmepp neben seinem altpietistischen Elternhaus vor allem Karl Barth. Seine eigenen Interessen galten Martin Luther, dessen Theologie er für die theologische Existenz und den Beruf des Pfarrers für seine Zeit fruchtbar zu machen suchte. Strenge Bibelorientierung mit kritischer Wissenschaft zusammenzudenken war für Paul Schempp entscheidend bedeutsam: „Der Hörer soll nicht der Person oder dem Geiste des Pfarrers glauben, sondern seinem Wort, aber auch dies nicht, ohne es an der Schrift zu prüfen, und der Pfarrer soll sich auf Gottes Befehl und Wort berufen können, auch und gerade da, wo der eigene Glaube fehlt oder schwach ist“(1). Schempp engagierte sich seit 1929 in den entstehenden Kirchlich-Theologischen Arbeitsgemeinschaften, deren Lenkungskreis er angehörte, und bei der Überarbeitung der agendarischen Kirchengebete. Das kritische Wort württembergischer Pfarrer zur Gleichschaltung vom April 1933 wurde von ihm mit verfasst.

An seiner frühen und grundsätzlichen Gegnerschaft zum nationalsozialistischen Staat und den Deutschen Christen kann kein Zweifel  bestehen. Im Lehrerkollegium seiner damaligen Schule war dies bekannt, spätestens, seit er eine heftige Diskussion mit den Worten beendet hatte: „Jetzt gehe ich zu meinen künftigen Kriegswitwen!“(2) Wilhelm Rehm, eine Schlüsselfigur der Deutschen Christen in Württemberg, griff in wegen seiner Haltung in einem Zeitungsartikel scharf an und evozierte damit die Intervention der Schulbehörde, die Schempp zur schriftlichen Stellungnahme aufgeforderte. Schempp bekannte offen, dass die Kirche das Evangelium nicht im Geiste des Dritten Reiches zu verkünden habe, „sondern im Geiste Gottes, und wer Nationalsozialismus und Christentum einfach gleichsetzt, deshalb weil der Nationalsozialismus eine religiöse Bewegung sei oder ist, der … verwechselt Religiosität und christlichem Glauben. Ein Christ wird gerade jetzt für die Freiheit dieser Verkündigung mit Ernst eintreten, damit nicht aus dem Evangelium für Gottes Reich unter der Hand ein solches vom dritten Reich wird“(3).

Am 5. September 1933 aus dem Schuldienst entlassen, „weil diese Worte in einem für die nationalsozialistische Bewegung verletzenden Sinn“(4) zu verstehen seien, übernahm Schempp im Oktober die Pfarrstelle in Iptingen, einer 600 Seelengemeinde im Dekanat Vaihingen (heute Mühlacker). Neben seiner Tätigkeit als Ortspfarrer engagierte er sich stark in den theologischen Debatten seiner Zeit: als Publizist – Schempp war Mitinitiator der Blätter zur kirchlichen Lage (die im April 1934 in der theologischen Zeitschrift der Bekennenden Kirche Evangelische Theologie aufgingen) –, als Mitglied der seit 1935 als Theologischen Sozietät firmierenden Theologengruppe, und als Teilnehmer der Bekenntnissynoden von Barmen (30./31. Mai 1934) und Berlin-Dahlem (20. Okt. 1934).

Dass die Kirchenleitung unter Landesbischof Theophil Wurm die Beschlüsse der beiden Bekenntnissynoden nicht den Gemeinden bekanntgab, führte zu einem ersten heftigen Zusammenstoß zwischen Schempp und seinem Landesbischof. Schmepps Drängen, die Auseinandersetzung mit den DC in die Gemeinden zu tragen und dort allein mit den Mitteln des Wortes auszufechten, wies Wurm als „töricht und anmaßend“ zurück; dass er die theologische Kompetenz eines Paul Schempp gleichwohl zu schätzen wusste, zeigt sich daran, dass er ihm im Juni 1935 die Aufgabe übertrug, die Rechtmäßigkeit der von den DC beherrschten Kirchenverwaltungen zu widerlegen – eine Aufgabe, die Schmepp virtuos meisterte.

In dem Maße, wie die württembergische Kirchenleitung eigene Wege jenseits der Vorläufigen Leitung der Bekennenden Kirche einschlug, wuchsen die Spannungen zwischen ihr und jenen Gruppierungen innerhalb der württembergischen Pfarrerschaft, die sich an der Bekennenden Kirche orientierten, der Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg und insbesondere der Theologischen Sozietät. Als sich der Lutherische Rat Ende Juli 1936 öffentlich von der Denkschrift der Zweiten Vorläufigen Kirchenleitung distanzierte und der Oberkirchenrat in Stuttgart ihre Verlesung im Gottesdienst untersagte, hielt Schmepp die Zeit gekommen, mit der württembergischen Kirchenleitung grundsätzlich ins Gericht zu gehen: Er könne, so der Vorwurf an den württembergischen Landesbischof im Brief vom 8. Sept. „den Verdacht nicht unausgesprochen lassen, daß es dem Oberkirchenrat im ganzen Kirchenkampf wesentlich um seine eigene Freiheit umd um seine Sorge für gesetzliche Ordnungen“ gegangen sei. „Wie sollte man sich sonst die Wendigkeit erklären, mit der man zwischen Bekennender Kirche und Staat ständig laviert ist“(5).

Der nun rasch eskalierende Konflikt, in dem Schempp dem Oberkirchenrat die geistliche Leitung der Kirche absprach, kulminierte 1938, als Theophil Wurm den Treueid auf Hitler als probates Mittel, um mit dem NS-Staat zu einem modus vivendi zu kommen, von den Geistlichen seiner Landeskirche einforderte. Gegen diesen „frivolen“ Willkürakt der Kirchenleitung verwahrte sich Paul Schempp mit 50 weiteren Angehörigen der Sozietät – öffentlich, vor der Gemeinde, wie auch nicht öffentlich in Schreiben an Dekan und Landesbischof. Unüberbrückbar wurde die Kluft weniger aufgrund weiterer inhaltlicher Differenzen – z.B. der Bußliturgie vom 30. Sept. 1938, dem Verhalten des Oberkirchenrats in den Fällen Otto Mörike und Julius von Jan – denn aufgrund der unversöhnlichen Hartnäckigkeit Paul Schempps. Denn dieser ließ nichts unversucht (und sei es aufgrund gezielter Provokationen), um den Oberkirchenrat zu zwingen, zu den an ihn herangetragenen kritischen Bemerkungen und Fragen vor Pfarrerschaft und Gemeinden Stellung zu beziehen. Als am 2. September 1939 das Disziplinarverfahren gegen ihn eröffnet wurde, mochte er sich am Ziel wähnen. De facto kam es jedoch nicht zur erhofften Auseinandersetzung in der Sache, sondern zur Amtsenthebung, weil Schempp die kirchliche Ordnung missachtet, seine vorgesetzten Dienststellen und ihre Träger beleidigt und in der Öffentlichkeit herabgesetzt sowie ihnen trotz Verpflichtung im Ordinationsgelübde den Gehorsam verweigert habe (Urteil vom 29. März).

Weil sich die Gemeinde in Iptingen aber mit ihrem Pfarrer solidarisch erklärte, wurde die gerichtlich festgestellte Entfernung aus dem Amt praktisch nicht vollzogen. Über Jahre vom Oberkirchenrat toleriert, führten beiderseitige Übergriffe auf den bisherigen status quo 1943 zum definitiven Bruch. Am 29. November 1943 legte Schempp in einem Schreiben an Wurm sein Pfarramt in Iptingen nieder und erklärte kurz vor Weihnachten seinen definitiven Austritt aus der Landeskirche.

Nach dem Krieg bestanden die alten Fronten zunächst fort. Zusammen mit Hermann Diem veröffentlichte Paul Schempp im Febr. 1946 eine Broschüre mit dem bezeichnenden Titel Restauration oder Neuanfang in der Kirche? In ihr präsentierten die beiden Sozietätler den Entwurf einer neuen Kirchenordnung, um aus den Lehren der Vergangenheit die richtigen Konsequenzen für die Gegenwart zu ziehen. Dazu gehörte auch, das Versagen auch der Bekennenden Kirche im Unrechtsstaat des Dritten Reiches deutlich zu benennen – weit deutlicher, als dies ursprünglich von der Evangelischen Kirche Deutschlands beabsichtigt und im Stuttgarter Schuldbekenntnis vom 19. Okt. 1945 schließlich erfolgt war.

Paul Schempp persönlich brachten die Jahre nach dem Krieg von Erfolg und Anerkennung. Nach Kriegsende zum Prediger der Reformierten Gemeinde in Stuttgart berufen, warb er als Leiter der Kirchlich-Theologischen Arbeitsgemeinschaft für Deutschland unermüdlich für das Anliegen der Bekennenden Kirche. Theologisch ungeheuer produktiv, war er als Redner und Publizist ein vielgefragter Mann. Im November 1948 kam es, vermittelt durch Hermann Diem, zur Aussöhnung mit Landesbischof Theophil Wurm. Schempp erhielt seine Rechte als Prediger des Evangeliums zurück und wurde am Eberhard-Ludwig-Gymnasium in Stuttgart erneut als Lehrer für die Fächer evangelische Religionslehre, Philosophie und Deutsch tätig. 1955 von der Theologischen Fakultät der Universität Bonn mit der Verleihung der theologischen Doktorwürde geehrt, nahm er ein Jahr später einen Ruf an die Bonner Universität als Professor für praktische und systematische Theologie an. Eine akademische Wirksamkeit blieb ihm jedoch durch seinen frühen Tod verwehrt.

Aktualisiert am: 06.03.2024